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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 20.07.2006
Aktenzeichen: 16 K 574/04
Rechtsgebiete: UStG, LWG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 10 Abs. 1
LWG, NI § 149
Personalbeistellung
Finanzgericht Niedersachsen

Tatbestand:

Die Klägerin war eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Stadt X.

Der Stadt X oblag in ihrem Stadtgebiet gemäß § 149 des Niedersächsischen Landeswassergesetzes als öffentliche Pflichtaufgabe die Abwasserableitung und -behandlung. Die Klägerin wurde mit Vertrag vom 10.02.1998 zum Zweck der Erfüllung dieser der Stadt obliegenden Aufgaben gegründet. Nach dem Gesellschaftsvertrag war Gegenstand ihres Unternehmens die Errichtung, der Erwerb und der Betrieb von Abwasseranlagen der Stadt X.

Die konkreten Regelungen zur Erfüllung der Aufgaben vereinbarten die Klägerin und die Stadt X in dem am 07.04.1998 geschlossenen Entwässerungsvertrag. Darin wurde die Klägerin neben der Planung, der Finanzierung und dem Bau mit dem Betrieb einschließlich der Wartung und Instandhaltung der neuen Kläranlage X beauftragt (§ 1 Abs. 1 des Entwässerungsvertrages). Durch die Tätigkeit der Klägerin blieb die öffentliche Abwasserbeseitigungspflicht der Stadt X unberührt. Gemäß § 2 des Vertrages erfüllte die Klägerin ihre Aufgaben grundsätzlich mit eigenem Personal. Sie war jedoch berechtigt, sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben Dritter zu bedienen. Ihre Betriebsführung übertrug sie mit Vertrag ebenfalls vom 07.04.1998 auf die Stadtwerke X GmbH. Das Entwässerungsentgelt bestimmte sich nach § 10 des Entwässerungsvertrages. Danach hatte die Stadt der Klägerin die zur Erfüllung ihrer durch den Vertrag übernommenen Verpflichtungen anfallenden Selbstkosten zuzüglich eines Zuschlag von 4 % für das allgemeine Unternehmerwagnis sowie der gesetzlichen Umsatzsteuer zu erstatten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verträge verwiesen.

Die Klägerin trat mit Übernahme der vertraglichen Verpflichtungen an die Stelle des städtischen Abwasserbeseitigungsbetriebes (ABW), der bis dahin als Eigenbetrieb der Stadt X mit seinem Personal alle mit der städtischen Abwasserbeseitigung zusammenhängenden Aufgaben erledigt hatte. Dazu zählte neben der Betreuung der alten Kläranlage im Wesentlichen der Betrieb des städtischen Abwasserkanalnetzes, der auch nach Vertragsschluss mit der Klägerin bei ihr verblieb.

Um die neue, von der Klägerin erstellte Kläranlage mit den fertiggestellten Bauabschnitten anteilig zu betreiben, wurde der Klägerin durch die Stadt X unentgeltlich stundenweise bei dem ABW beschäftigtes Personal gestellt. Ein Vertrag wurde hierüber nicht geschlossen. Das Personal war während dieser Zeit weiterhin im ABW der Stadt X tätig. Diese blieb Arbeitgeberin, war für alle personellen Angelegenheiten aus dem Angestelltenvertragsverhältnis zuständig und behielt auch das Weisungsrecht. Die Personalkosten wurden ausschließlich von ihr getragen und der Klägerin weder in Rechnung gestellt noch anderweitig ihr gegenüber verrechnet. Da sich das Verfahren der Personalgestellung bewährt hatte und die Mitarbeiter ihr Angestelltenverhältnis bei der Stadt aufrecht erhalten wollten, stellte die Klägerin entgegen der ursprünglichen Planungen auch in der Folgezeit kein eigenes Personal ein, sondern führte ihre Arbeiten mit dem von der Stadt gestellten Personal aus.

Die Klägerin erklärte in ihrer Umsatzsteuererklärung nur die aufgrund der vertraglichen Regelung gegenüber der Stadt erzielten Umsätze. Im Rahmen einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte die Auffassung, dass die Überlassung des Personals als steuerbarer Leistungsaustausch anzusehen sei, da keine vertraglichen Vereinbarungen zur kostenlosen Arbeitnehmerüberlassung vom ABW vorlagen, die Klägerin durch die Übernahme von Aufgaben im Bereich der Abwasserbehandlung eine Verpflichtung gegenüber der Stadt übernommen und dafür das Personal gestellt erhalten habe. Der Beklagte erhöhte die Umsätze der Klägerin daher um die von der Stadt X zeitanteilig für die Personalgestellung aufgewandten Lohnkosten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bp.-Bericht vom 14. Juli 2003 verwiesen. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Klägerin ist der Auffassung, bei der Personalgestellung handele es sich um eine nicht steuerbare Personalbeistellung. Es lägen sämtliche im BMF-Schreiben vom 30.01.2003 und R 1 Abs. 8 UStR 2005 genannten Voraussetzungen für die nicht steuerbare Beistellung von Personal vor. Das Personal sei nur im Rahmen der von ihr gegenüber der Stadt X zu erbringenden Leistungen eingesetzt worden. Ein Einsatz des Personals für Leistungen an Drittkunden sei tatsächlich und aufgrund des bei der Stadt verbliebenen Weisungsrechts ausgeschlossen gewesen. Auch habe die Stadt X das Personal weiterhin entlohnt. Dass sie kein eigenes Personal gehabt habe, sei für eine nicht steuerbare Personalbeistellung unerheblich. Die Personalüberlassung sei damit nicht Gegenstand des Leistungsaustausches, so dass sie auch nicht die Kosten der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer erhöhten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Umsatzsteuerbescheid 1999 vom 08.09.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.11.2004 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 1999 um .... DM herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Überlassung des Personals an die Klägerin sei im Rahmen des Leistungsaustausches aus dem Entwässerungsvertrag zwischen der Klägerin und der Stadt erfolgt und stelle ein Entgelt i.S.d. § 10 Abs. 1 UStG dar. Eine nicht steuerbare Personalbeistellung liege nicht vor, da es sich angesichts der zu erfüllenden Aufgabe und des Einsatzes des Personals nicht um eine Personalüberlassung in geringem Umfang handele. Sie spiele deshalb keine untergeordnete Rolle. Ferner sei eine Geringfügigkeit des Beitrags zur Erfüllung der übernommenen Aufgabe nicht gegeben, da das Personal nicht für ein Projekt, sondern auf Dauer eingesetzt werde. Auch dies spreche gegen eine nicht steuerbare Personalüberlassung. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass mit der Personalüberlassung das Weisungsrecht bei der Stadt X verblieben sei, da hierüber keine Regelungen getroffen worden seien und letztlich die Klägerin über den Einsatz entscheide. Hinzu komme, dass nicht sichergestellt sei, dass die Klägerin das Personal nicht auch für Leistungen Dritten gegenüber einsetze.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Personalüberlassung der Stadt X an die Klägerin erfolgte im Rahmen einer nicht steuerbaren Personalbeistellung.

Die Klägerin erbrachte gegenüber der Stadt X mit den im Entwässerungsvertrag vom 07.04.1998 übernommenen Aufgaben sonstige Leistungen gegen Entgelt, die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar und steuerpflichtig waren. Entgelt für die erbrachten Leistungen war das, was die Klägerin gemäß § 10 des Entwässerungsvertrages hierfür von der Stadt X erhielt. Diese Umsätze hat sie in ihrer Umsatzsteuererklärung erklärt.

Die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer war nicht um die Kosten für die Gestellung des Personals zu erhöhen, weil die Personalgestellung kein Entgelt i.S. des § 10 Abs. 1 UStG war. Entgelt im Sinne dieser Regelung ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Ob es sich um Entgelt handelt, beurteilt sich nach dem Inhalt des Leistungsaustausches zwischen den Beteiligten, über den nur einheitlich entschieden werden kann. Entscheidend ist insofern, ob der Auftraggeber mit der Gestellung an den Auftragnehmer liefern bzw. leisten will oder ob es ihm darauf ankommt, selbst einen Beitrag zur Herstellung des Werkes zu leisten. Diese, vom BFH in seiner Entscheidung vom 12.03.1959 (Az. V 205/56 S, BFHE 68, 596, BStBl III 1959, 227; vgl. auch FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.04.1983, IV 72/82, EFG 1984, 50, UR 1985, 9) aufgestellten Abgrenzungskriterien gelten anerkanntermaßen nicht nur für die Gestellung von Material im Rahmen eines Werkvertrages, sondern auch für sonstige Leistungen, insbesondere der Gestellung von Personal (vgl. BFH, Urteil vom 03.12.1970, V R 122/67, BStBl II 1971, 355, und vom 12.05.1993, XI R 56/90, BStBl II 1993, 847; Keller/Bustorff, UStG, § 3 Rdn. 199 bis 206 und 210; Offerhaus/Söhn/Lange, a.a.O., § 3 Rdn 103 ff; Bunjes/Geist, a.a.O., § 3 Rdn. 58; Birkenfeld, Das große USt-Handbuch, Band I Rdn I. 830). Dem hat sich der BMF in seinem Schreiben vom 30.01.2003 (IV B 7-S 7100 - 13/2003, BStBl I 2003, 154) angeschlossen. Der Senat schließ sich dem an.

Wesentlicher Gesichtspunkt für die Frage, ob eine nicht steuerbare Personalgestellung vorliegt, ist sowohl nach der Rechtsprechung wie auch nach dem BMF-Schreiben, ob der Auftraggeber, hier die Stadt X, an die Klägerin selbst eine Leistung bewirken oder nur zur Erbringung der Leistung durch den Auftragnehmer beitragen wollte. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Stadt X der Klägerin das Personal nur gestellt hat, damit die Klägerin ihr gegenüber die in dem Entwässerungsvertrag im Einzelnen genannten Leistungen kostengünstig erbringen konnte. Der Stadt X ging es nicht darum, Umsätze mit Dritten zu erzielen. Sie wollte vielmehr einen Teil der ihr obliegenden und zuvor mit ihrem Eigenbetrieb erbrachten Pflichtaufgaben in einer strukturell veränderten Organisationsform erledigen (lassen). Deshalb war die Klägerin ausdrücklich zu diesem Zweck gegründet worden. Dies ergibt sich auch aus dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin, wonach Gegenstand ihres Unternehmens insbesondere auch der Betrieb von Abwasseranlagen in der Stadt X ist. Ein entsprechender Wille der Beteiligten ist im Entwässerungsvertrag als Gegenstand der von der Klägerin gegenüber der Stadt X zu erbringenden Leistung bestimmt. Aus dem Gesellschaftszweck, den Umständen der Gründung der Klägerin und dem Inhalt des Entwässerungsvertrages geht damit zur Überzeugung des Gerichts eindeutig hervor, dass die Klägerin ausschließlich die ursprünglich vom städtischen Abwasserbeseitigungsbetrieb im Rahmen eines Eigenbetriebs erbrachten Leistungen für die Stadt X erbringen sollte. Unter diesen Gesichtspunkten bot es sich für die Stadt X geradezu an, das hierfür ursprünglich im Eigenbetrieb eingesetzte Personal der Klägerin zur Erbringung der Leistungen zu stellen, da dieses die erforderlichen Kenntnisse und die entsprechende fachliche und praktische Qualifikation hatte. Mit der Personalgestellung wollte die Klägerin erkennbar nur einen eigenen Beitrag zur Abwasserreinigung erbringen, den sie damit von der Klägerin um die Kosten des Personals billiger erhielt. Damit entsprach die Personalgestellung den Grundlagen der vom BFH auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gestützten Entscheidung, wonach eine solche praktische Durchführung einer vertraglichen Vereinbarung als "vernünftige und wirtschaftliche Zielsetzung der vertraglichen Abmachungen" anerkannt werden müsse. Das eine Vereinbarung über die Personalüberlassung nicht im Entwässerungsvertrag, sondern mündlich oder konkludent erfolgte, ist für die rechtliche Beurteilung unerheblich.

Ferner war sichergestellt, dass das eingesetzte Personal nur für die gegenüber der Stadt X erbrachten Leistungen eingesetzt wird. Tatsächlich erbrachte sie, die Klägerin, Leistungen auch nur gegenüber der Stadt X. Es ist vom Beklagten nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, welchen Dritten gegenüber die Klägerin Leistungen hätte erbringen können. Selbst wenn es weitere Leistungsempfänger gegeben hätte, wäre der Einsatz des Personals nur für Leistungen der Stadt X sichergestellt gewesen.

Denn das Personal war im Rahmen der Personalgestellung arbeitsrechtlich weiterhin bei der Stadt X beschäftigt und wurde ausschließlich von dieser entlohnt. Damit verblieb auch das Weisungsrecht rechtlich und tatsächlich bei der Stadt X, und zwar gerade deshalb, weil keine vertraglichen Regelungen zwischen der Klägerin und der Stadt X über den Einsatz des Personals getroffen worden waren, in denen dies der Klägerin übertragen worden war. Dies folgt daraus, dass sich das Weisungsrecht ausschließlich aus den arbeitsvertraglichen Regelungen ableitet (§ 106 GewO ) und Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betrifft (vgl. BAG, Urteil vom 12. Juni 1996 - 5 AZR 960/94 - BAGE 83, 168; vom 17.01.2006, 9 AZR 61/05 n.v.). Insofern war ausgeschlossen, dass die Klägerin das überlassene Personal für Leistungen an Dritte hätte einsetzen können. Ebenso war die tatsächliche Durchsetzung dieses Rechts sichergestellt, da die Stadt X 100 %-ige Eignerin der Klägerin war und die Geschäftsführung der stadteigenen Stadtwerke X GmbH oblag. Dass die Klägerin ursprünglich ihre Leistungen aufgrund des Entwässerungsvertrages mit eigenem Personal erbringen sollte, ist unerheblich, da es umsatzsteuerrechtlich nur auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt (vgl. BFH, Urteil vom 28.02.1980, V R 90/75, BStBl II 1980, 535, und Beschluss vom 23.06.1995, V B 2/95, BFH/NV 1996, 85). Dem stehen keine Gesichtspunkte gegenüber, wonach die Stadt X mit der Überlassung des Personals eine eigene Leistung gegenüber der Klägerin bewirken wollte.

Weitere Anforderungen an eine nicht steuerbare Personalgestellung sind der Entscheidung des BFH nicht zu entnehmen. Insbesondere ergibt sich aus der Entscheidung nicht, dass die Gestellung des Personals von untergeordneter Bedeutung sein müsse. Dies ist auch dem BMF-Schreiben nicht zu entnehmen. Der BFH hatte zwar mit Urteil vom 20. Oktober 1960 (V 198/58, HFR 1961, S. 21) entschieden, dass bei Gestellung von Arbeitnehmern auch auf unbegrenzte Zeit ein umsatzsteuerpflichtiger Leistungsaustausch anzunehmen ist, wenn der gestellende Unternehmer Arbeitgeber bleibe. In seinen Gründen stellte der BFH für das Ergebnis seiner Entscheidung jedoch ausdrücklich darauf ab, dass in dem zugrundeliegenden konkreten Fall die Personalüberlassung vergütet worden sei. Damit sei ein entsprechender Leistungswille des Personalüberlassenden erkennbar geworden, der allein für die umsatzteuerrechtliche Beurteilung maßgeblich sei. Wegen des insofern vom vorliegenden Fall wesentlich abweichenden Sachverhalts ist die Entscheidung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der Senat weicht auch nicht von der Entscheidung des FG Münster vom 19.08.2003 (15 K 8753/98 U, EFG 2004, 64) ab, da auch dort ein abweichender Sachverhalt zugrunde lag, dergestalt, dass das eingesetzte Personal nur aus berufsrechtlichen Gründen formal beim Auftraggeber angestellt war, die Auswahl und die Einsatzplanung des Personals tatsächlich aber beim Auftragnehmer lag.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. § 711, 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung - ZPO -.



Ende der Entscheidung

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