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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 14.04.2008
Aktenzeichen: 16 V 77/08
Rechtsgebiete: FGO, UStG


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2 S. 2
FGO § 69 Abs. 3 S. 1 Hs. 2
UStG § 4 Nr. 9b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

16 V 77/08

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, eine GmbH, erzielt Umsätze mit Geldspielgeräten sowie mit Unterhaltungsgeräten.

Für die Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume März bis August 2007 reichte die Antragstellerin jeweils zwei Umsatzsteuervoranmeldungen ein: Eine Voranmeldung auf der Grundlage des § 4 Nr. 9 b UStG in der Gesetzesfassung vom 28. April 2006, wonach die Umsätze mit Geldspielgeräten steuerpflichtig sind, sowie eine weitere, als Einspruchsbegründung bezeichnete Voranmeldung, in der sie diese Umsätze als steuerfrei behandelte. Im beigefügten Einspruchsschreiben verwies sie auf einen Aussetzungsbeschluss des FG Düsseldorf, wonach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vereinbarkeit des § 4 Nr. 9 b UStG mit Art. 13 Teil B f) 6. EG-Richtlinie bestehen würden. Gleichzeitig beantragte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung (AdV) in folgender Höhe:

 März 2007 38,76 EUR
April 2007 1.306,64 EUR
Mai 2007 2.059,85 EUR
Juni 2007 875,76 EUR
Juli 2007 2.095,92 EUR
August 2007 1.701,92 EUR

Der Antragsgegner lehnte mit Schreiben vom 13. Juni 2007 (März bis Mai 2007), 30. August 2007 (Juni 2007), 14. September 2007 (Juli 2007) die Gewährung von AdV für die Voranmeldungszeiträume März - Juli 2007 ab. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit dem Einspruch.

Aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des BFH vom 9. August 2007 V B 96/07, in der der BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Besteuerung der Umsätze mit Geldspielgeräten bejahte, gewährte der Antragsgegner mit Teilabhilfebescheid vom 27. November 2007 für die Voranmeldungszeiträume März - August 2007 AdV gegen Sicherheitsleistung.

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem bei Gericht gestellten AdV-Antrag. Sie trägt vor, dass sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage sei, die angeforderte Sicherheit zu stellen. Der Jahresabschluss der Antragstellerin auf den 31.12.2006 habe mit einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 189.871,34 EUR geendet. Der Jahresüberschuss 2006 resultiere im Wesentlichen auf Anlageverkäufen. Für das Jahr 2007 ergebe die betriebswirtschaftliche Auswertung jedoch einen Verlust von 24.397,26 EUR, für Januar 2008 ergebe sich ein weiterer Verlust von 3.873,41 EUR. Der Kontokorrentkredit der Antragstellerin sei weitgehend ausgeschöpft. Die Kreissparkasse sei nicht bereit, den Kreditrahmen auszuweiten. Aus dieser wirtschaftlichen Situation ergebe sich, dass die Antragstellerin eine Sicherheitsleistung weder aus eigenen Geldmitteln stellen könne, noch eine Bankbürgschaft erbringen könne.

Die Anforderung einer Sicherheitsleistung stehe als Ermessensentscheidung unter dem Übermaßverbot und insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Eine Sicherheitsleistung dürfe nicht gefordert werden, wenn und soweit es dem Steuerpflichtigen trotz zumutbarer Anstrengung nicht möglich sei, Sicherheit zu leisten. Bei Versagung der AdV ohne Sicherheitsleistung sei die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft bedroht.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der Umsatzsteuervorauszahlungen März 2007 - August 2007 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner hält die Aussetzung gegen Sicherheitsleistung für geboten. Die Steuerforderungen seien bei Gewährung von AdV ohne Sicherheitsleistung gefährdet. Die Antragstellerin erkläre letztlich selbst, dass die Steuerforderungen im Falle einer abschlägigen Entscheidung nicht beglichen werden könnten. Da nicht absehbar sei, wann der BFH über die hier einschlägige Rechtsfrage entscheide, würden bei Vollziehungsaussetzung ohne Sicherheitsleistung laufend weitere offene Beträge auflaufen.

Die Antragstellerin habe nicht nachgewiesen, dass sie trotz zumutbarer Anstrengung eine Sicherheitsleistung nicht leisten könne. Es könne im übrigen erwartet werden, dass die Antragstellerin aus ihren Tageseinnahmen Geldmittel in Höhe der nach nationalem Recht entstandenen Umsatzsteuer als Sicherheit zur Verfügung stelle.

II.

Der Antrag ist unbegründet.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Gem. § 4 Nr. 9 b) UStG in der Fassung des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 sind lediglich Umsätze steuerbefreit, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen. Derartige Umsätze hat die Antragstellerin nicht erzielt. Zwar haben das Finanzgericht Düsseldorf (Beschluss vom 27. März 2007 5 V 4521/06 A) und der BFH (Beschluss vom 9. August 2007 V B 96/07, BStBl. II 2007, 850) es als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob § 4 Nr. 9 b) UStG in der derzeit gültigen Fassung gegen Art. 13 Teil B f) 6. EG-Richtlinie (bzw. Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i) Mehrwertsteuersystemrichtlinie verstößt. Mittlerweile liegt neben diesen in den lediglich überschlägigen Aussetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen des FG Düsseldorf und des BFH eine im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung des 5. Senats des Niedersächsischen Finanzgerichts vor (Urteil vom 18. Oktober 2007 5 K 137/07, EFG 2008, 256). Dieser begründet ausführlich, warum die Neufassung des § 4 Nr. 9 b) UStG nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht steht. Er weist insbesondere darauf hin, dass die zum Teil im Schrifttum vertretene Auffassung, der grundsätzliche Ausschluss von Glücksspielen mit Geldeinsatz von jeglicher Steuerbefreiung habe eine weder vom Wortlaut, noch von der Zielsetzung des Gemeinschaftsrechts gedeckte überschießende Tendenz, nicht überzeugt. Nach dem Wortlaut der Richtlinie befreiten die Mitgliedstaaten "Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden", von der Umsatzsteuer. Die in der Literatur geäußerte Auffassung setze voraus, dass der Begriff "sonstige Glückspiele mit Geldeinsatz" keinen Oberbegriff zu den Wetten und Lotterien darstelle, sondern gleichrangig daneben stehe. Denn anderenfalls würde nach § 4 Nr. 9 b) UStG doch ein Teil der Glückspielumsätze - nämlich jener, der unter das Rennwett- und Lotteriegesetz falle - begünstigt. Gegen die Auslegung der Literatur spreche aber bereits der Wortlaut, da das Attribut "sonstige" im Fall einer bloßen Aufzählung verschiedener Umsätze überflüssig sei.

Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des 5. Senats des Niedersächsischen Finanzgerichts an. Damit sind die zunächst bestehenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regelung inzwischen ausgeräumt worden.

Darüber hinaus ist nach Auffassung des Senats im Streitfall die Anforderung einer Sicherheitsleistung zwingend erforderlich. Gem. § 69 Abs. 3 FGO i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Aussetzung gegen Sicherheitsleistung ist insbesondere dann geboten, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die künftige Durchsetzung des Steueranspruchs im Falle des Unterliegens des Steuerpflichtigen im Hauptsacheverfahren gefährdet ist (BFH Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BFH/NV 2005, 625). Das ist hier der Fall, da die Antragstellerin selbst ausführlich ihre schwierige wirtschaftliche Lage darlegt. Von der Anforderung einer Sicherheitsleistung ist zwar dann abzusehen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist und mit seiner Aufhebung gerechnet werden kann (BFH Beschluss vom 22. Dezember 1969 V B 115-116/69, BStBl. II 1970, 127). Aus den oben dargelegten Gründen besteht jedoch keine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Antragstellerin mit der von ihr vertretenen Rechtsauffassung wird durchsetzen können.

Von der Anforderung einer Sicherheitsleistung ist dann abzusehen, wenn der Steuerpflichtige trotz zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten (BFH Beschluss vom 18. Februar 2002 VIII B 101/91, BFH/NV 1993, 488). Der Streitfall weist jedoch die Besonderheit, dass auf die Antragstellerin nicht Steuerforderungen für zurückliegende Zeiträume zugekommen sind, sondern die in Rede stehenden Steuerforderungen bei Anwendung des nationalen Umsatzsteuerrechts laufend entstehen. In einer derartigen Fallgestaltung ist es nach Auffassung des Senats geboten und zumutbar, dass die Antragstellerin ihre laufenden Umsatzerlöse in dem Umfang zurückbehält und als Sicherheitsleistung zur Verfügung stellt, in dem sie Umsatzsteuern nach dem nationalen Umsatzsteuerrecht zu entrichten hätte.

Ebensowenig ist die Aussetzung geboten, weil die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines - noch nicht bestandskräftigen - Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (vgl. Beschluss des BFH vom 24. März 1994 IV S 1/94, BStBl II 1994, 398). Im Streitfall kommt eine Aussetzung wegen unbilliger Härte aus den gleichen Gründen nicht in Betracht, die auch die Gewährung von AdV ohne Sicherheitsleistung ausschließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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