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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 12.09.2007
Aktenzeichen: 2 K 252/05
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 |
Finanzgericht Niedersachsen
Gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2002
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob Anschaffungskosten für nicht eingelöste Aktienoptionen als Werbungskosten bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften abziehbar sind.
Der Kläger erwarb im Veranlagungszeitraum 2002 Optionen zum Kauf diverser Aktien. Von diesen übte er einige nicht aus, so dass diese verfielen. Im Einzelnen waren dies:
Anzahl | Anschaffungskosten | |
Daimler Chrysler | 2.000 | 8.629,69 EUR |
Allianz | 350 | 3.653,96 EUR |
Deutsche Bank | 1.700 | 7.080,08 EUR |
RWE | 5.900 | 5.987,32 EUR |
Bayer | 6.500 | 10.690,56 EUR |
Commerzbank | 12.000 | 9.777,60 EUR |
45.819,21 EUR |
Die Optionen verfielen Ende des Streitjahres, bis auf die Optionsrechte auf Aktien der Commerzbank, die erst im Jahre 2003 (21. März 2003) verfielen.
Der Kläger machte die Aufwendungen für den Erwerb der verfallenen Optionsrechte als Werbungskosten bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG geltend. Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht zum Abzug an und erließ im Januar 2004 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2002, in dem es die Anschaffungskosten für die nicht ausgeübten Optionsrechte nicht berücksichtigte. Hiergegen richtet nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Der Kläger ist der Auffassung, der Verfall von nicht ausgeübten Optionen führe in Höhe der Anschaffungskosten zu Werbungskosten bei den Einkünften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Entgegen der Auffassung des Beklagten erziele ein Steuerpflichtiger bei Nichtausübung einer Option steuerliche Einkünfte. Auch insoweit habe der Kläger etwas - wie der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG voraussetze - "erlangt". Die hiervon abweichende Auffassung des Finanzamts stehe im Widerspruch zur Begründung der Vorschrift, sie verstoße zudem gegen die bestehende Symmetrie bei der Erfassung von Überschüssen und verletze überdies den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Schon der Wortlaut des Gesetzes spreche für seine Auffassung, da hiernach die Wertdifferenz zwischen Erwerb und "Beendigung" des Optionsrechts zu besteuern sei. Aufwendungen zum Erwerb eines Rechts auf einen Differenzausgleich seien nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG stets abzugsfähig, ohne dass entscheidend sei, ob das jeweilige Recht durch Verfall oder Veräußerung "beendet" werde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften um 45.820 EUR zu erhöhen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und ist weiterhin der Auffassung, ein Anspruch auf Berücksichtigung von höheren Verlusten bestehe nicht. Der Kläger habe keinen Differenzausgleich, Geldbetrag oder sonstigen Vorteile "erlangt". Der Steuerpflichtige müsse nach dem Gesetzeswortlauf tatsächlich etwas bekommen haben. Daran fehle es aber bei ausgelaufenen Optionen, die am letzten Tag der Laufzeit schlicht wertlos würden.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Steuerakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zum überwiegenden Teil begründet. Das Finanzamt hat zu Unrecht einen durch Verfall der Optionsrechte entstanden Verlust in Höhe von 36.042 EUR nicht bei der Verlustfeststellung berücksichtigt.
Der Kläger hat im Schriftsatz vom 13.05.2005 allerdings beantragt, den festzustellenden Verlust in Höhe von 23.578 EUR um 45.819 EUR auf einen Betrag von nur 69.398 EUR zu erhöhen. Er ging dabei versehentlich von dem im Bescheid vom 08.01.2004 festgestellten Verlust aus (23.578 EUR). Der zuletzt durch Änderungsbescheid vom 16.06.2005 festgestellte Verlust betrug indes 31.993 EUR, so dass der Antrag bei verständiger Würdigung so auszulegen war, dass der bisher festgestellte Verlust (von 31.993 EUR) um 45.819 EUR erhöht werden soll.
Der Verfall der Optionsrechte führte im Streitfall zu gesondert feststellbaren Verlusten i.S.v. § 23 EStG. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in der Fassung der Streitjahre sind nämlich Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt, zu besteuern, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts nicht mehr als ein Jahr betrug.
1. Im Streitfall betrug der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts jeweils nicht mehr als ein Jahr.
2. Der Kläger kann auch die vergeblichen Aufwendungen für die verfallenen Optionsrechte als Werbungskosten abziehen, obwohl er diese nicht veräußert hat. Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG soll nämlich den bei Eintritt der Bedingung an den Steuerpflichtigen eingetretenen Vor-, aber ggf. auch Nachteil (Verlust) erfassen. Ausreichend ist, dass lediglich das Erwerbsgeschäft auf die Erlangung eines Differenzausgleiches gerichtet ist (Philipowski, DStR 2004, 978ff.) Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG verlangt nicht - wie die Nummern 1 - 3 in § 23 EStG -, dass der Steuerpflichtige einen Gewinn bzw. Verlust durch Verwertung am Markt realisiert. Bei einem Verfall der Optionen liegt damit ein "Veräußerungsgeschäft" i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG vor (vgl. auch FG Münster vom 07.12.2005, 10 K 5715/04 F, Rev. Az. IX R 11/06; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Juni 2003, 14 K 190/02, EFG 2004, 907; Philipowski, DStR 2004, 978ff., Schultze, DStR 2003, 2103ff. , Glenke in Blümich, EStG § 23 Randziffer 55 sowie Heinecke in Schmidt, EStG § 23 Textziffer 33; a.A. Harenberg in Hermann Heuer-Raupach § 23 in Ziffer 200 sowie BMF vom 27.11.2001, BStBl 2001, 986 Tz. 18 und 23). Für diese Auslegung spricht neben dem möglichen Wortsinn der Vorschrift die Gesetzesbegründung sowie die Systematik des Einkommensteuergesetzes.
a) Zwar hat der Kläger keine positiven Einkünfte "erlangt", wie der Wortlaut von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG voraussetzen könnte. Der zweite Halbsatz des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG verdeutlicht indes durch seinen Bezug auf ein "Recht auf Differenzausgleich", das erworben und innerhalb eines Jahres beendet wird, dass eine Veräußerung gerade keine notwendige Voraussetzung für eine Besteuerung ist. Eine Veräußerung ist bei Termingeschäften in der - für Erwerbe von Rechten i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in der ab dem 01.01.1999 geltenden Gesetzesfassung (§ 52 Abs. 39 Satz 2 EStG) - vielmehr lediglich eine von mehreren Möglichkeiten zur Beendigung des Rechtsverhältnisses. Termingeschäfte sind nämlich Risikogeschäfte. Mit der Formulierung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG "Recht auf ..." kann also kein unbedingtes Recht gemeint sein, sondern nur ein bedingtes, das erst dann voll entsteht, wenn die beim Erwerb vereinbarte ungewisse Bedingung eintritt. Wenn aber das Termingeschäft im Erwerb und in der Beendigung eines bedingten Rechts besteht, ist es nicht erforderlich, dass es tatsächlich zu einem Differenzausgleich kommt. Es genügt, dass das Erwerbsgeschäft auf die Erlangung eines Differenzausgleichs gerichtet ist (vgl.Philikowski, DStR 2004, 978, 979), so dass die Absicht vorlag, positive Einkünfte gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zu erzielen. Auch die Gesetzesbegründung zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG i.d.F. des StEntlG untermauert diese Aussage, indem dort ausgeführt wurde, dass der Besteuerung "allgemein" Geschäfte unterliegen sollen, die ein Recht auf Zahlung eines Geldbetrages oder einen sonstigen Vorteil einräumen (BT-Drs. 14/443).
b) Für diese Auslegung spricht auch der im Einkommensteuergesetz verankerte Grundsatz der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit (teleologische Auslegung). Zwar sind Verluste nicht in allen Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger diese erleidet, auch abzugsfähig. § 23 EStG enthält eine abschließende Aufzählung der Tatbestände, bei denen - außerhalb des § 17 EStG - die Veräußerung eines privaten Wirtschaftsgutes zu steuerlich relevanten Einkünften führt. Die steuerliche Leistungsfähigkeit des Optionskäufers kann aber nur an dem Saldo gemessen werden, der sich aus den positiv und aus den negativ verlaufenden Geschäften ergibt. Würden aber bei der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage nur die "Rosinen", d.h. die positiv verlaufenen Geschäfte, berücksichtigt und alle unvorteilhaft verlaufenenen Geschäfte ausklammert, würde dies gegen diesen in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG verankerten Grundsatz verstoßen, nach dem das Ergebnis aus einem Termingeschäft mit Beendigung des Rechts zu besteuern ist, zumal auch aus § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG hervorgeht, dass auch der Verlust aus einem Termingeschäft anzusetzen ist.
c) Schließlich läge, folgte man der Beklagtenauffassung, ein Verstoß gegen die Symmetrie des Einkommensteuerrechts vor (systematische Auslegung). Bei jedem Besteuerungstatbestand kann es grundsätzlich zu einem negativen Ergebnis kommen, und zwar auch dann, wenn gar keine Einnahmen zugeflossen sind. Die Möglichkeit zur Geltendmachung von Verlusten bei Termingeschäften hinge von Zufälligkeiten (z.B. auch davon, ob die Bank von sich aus noch kurz vor Verfall die Optionen veräußert) ab, wenn Verluste bei Termingeschäften nur unter der Voraussetzung abziehbar wären, dass die Optionen noch kurz vor Verfall für einen - evtl. nur symbolischen - Preis veräußert werden.
3. Auch waren die Aufwendungen - bis auf die für die Optionsrechte für Commerzbank Aktien - im Streitjahr anzusetzen. Werbungskosten sind zwar nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Die Regelungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Satz 5 EStG sieht indes eine Besteuerung erst mit Beendigung des (Options-)Rechts vor. Daher sind Aufwendungen auch erst im Zeitpunkt der Beendigung abziehbar. Nur diese einheitliche, veranlassungsbezogene Wertung des Zuflusses der Einnahmen und der Ausgaben gewährleistet die zutreffende Erfassung, weil Einnahmen und Ausgaben eben erst gemeinsam die steuerliche Leistungsfähigkeit ausmachen (Philikowski, DStR 2004, 978, 980; Wendt, FR 1999, 333, 352). Sind die Zahlungen auf die Optionsrechte wie Anschaffungskosten der Aktien zu beurteilen, sind sie zwar als verlorene Aufwendungen abziehbar, wenn das Anschaffungsgeschäft nicht zustande kommt. Maßgeblich dafür ist indes erst der Zeitpunkt, in dem die Vergeblichkeit der Aufwendungen deutlich wird (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Juni 2002, IX R 51/01, BFHE 199, 388, BStBl II 2002, 758, m.w.N). In Anlehnung an die zuletzt genannte Rechtsprechung sind vergebliche Aufwendungen zum Erwerb von Aktien in dem Kalenderjahr als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbar, in dem das Optionsrecht verfällt. Die Optionsrechte an der Commerzbank AG verfielen indes erst am 21.03.2003, so dass diese Verluste erst im Veranlagungszeitraum 2003 und nicht im Streitjahr zu berücksichtigen sind.
Demnach konnte der Kläger von den geltend gemachten Aufwendungen i.H.v. 45.819 EUR im Streitjahr lediglich 36.042 EUR zusätzlich zum schon festgestellten Verlust vortragen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war - auch im Hinblick auf das anhängige BFH-Verfahren (IX R 11/06) gem. § 115 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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