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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 2 K 381/05
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 1 Abs. 3 S. 4
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

2 K 381/05

Einkommensteuer 1998

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid ändern und den Kläger als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandeln musste, nachdem dieser die Bescheinigung EU/EWR für das Streitjahr vorgelegt hatte.

Der Kläger wohnte im Streitjahr in Spanien und erzielte im Inland u.a. steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung. Er beantragte, für das Streitjahr als unbeschränkt steuerpflichtig veranlagt zu werden, und gab an, im Ausland keine Einkünfte erzielt zu haben. Der Beklagte forderte den Kläger im Veranlagungsverfahren erfolglos auf, dies durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde (Anlage EU/EWR) nachzuweisen. Der Beklagte ging infolgedessen von der beschränkten Steuerpflicht des Klägers aus und berücksichtigte die geltend gemachten Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen, Kinderfreibeträge sowie Einkünfte mit Steuerabzug bei der Veranlagung nicht.

Im Einspruchsverfahren beantragte der Kläger, den Bescheid zu ändern, weil er unbeschränkt steuerpflichtig sei. Er trug vor, seinen Wohnsitz im Januar 1998 ins Inland verlegt zu haben. Der Beklagte ging weiterhin davon aus, dass die Voraussetzungen für die unbeschränkte Steuerpflicht nicht vorlägen und forderte den Kläger erneut erfolglos zur Vorlage der Anlage EU/EWR für das Streitjahr auf. Der Einspruch wurde im April 2004 als unbegründet zurückgewiesen und die Festsetzung wurde bestandskräftig.

Im Oktober 2004 legte der Kläger die im Juli 2004 von der spanischen Steuerbehörde ausgestellte Bescheinigung EU/EWR für 1998 vor und beantragte erneut die Veranlagung nach Maßgabe der unbeschränkten Steuerpflicht. Auf dem Vordruck werden die in Spanien erzielten Einkünfte des Klägers sowie seiner Ehefrau mit 0 Pts. bescheinigt. Der Beklagte lehnte eine Änderung ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, der Bescheid sei gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Bei der vorgelegten Anlage EU/EWR handele es sich um einen Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerfestsetzung, weil darin die spanische Behörde die Höhe der in Spanien erzielten Einkünfte feststelle und diese Feststellung für die Höhe der deutschen Steuer maßgebend sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

wie erkannt zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, eine Änderung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 AO komme nicht in Betracht, weil es sich bei der vorgelegten Bescheinigung nicht um einen Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO handele.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht abgelehnt, den Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln, weil die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen.

1. Die mit dem Änderungsantrag vorgelegte Bescheinigung ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift, weil sie erst nach Bestandskraft der Veranlagung erstellt wurde und materielle Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG ist.

Gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Ein solches Ereignis ist auch die Vorlage der nachträglich erstellten Bescheinigung, denn sie war erforderlich, um den Tatbestand des § 1 Abs. 3 EStG zu erfüllen. Gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG ist nämlich weitere "Voraussetzung" für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG, dass die Höhe der ausländischen Einkünfte durch eine Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird (vgl. FG Brandenburg vom 17. August 2005, 4 K 1467/01, EFG 2005, 1706; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG § 1 Rz. D 151, Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach EStG § 1 Rz. 285; Michel in Littmann/Bitz/Pust EStG § 1 Rz. 139; Gosch in Kirchhof EStG, 6. Auflage, § 1 Rz. 37). Wird die Bescheinigung, wie hier, erst nach der Steuerfestsetzung erstellt oder vorgelegt, handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis, welches den Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eröffnet.

Die Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde ist auch dann materielle Voraussetzung für die Veranlagung eines beschränkt Steuerpflichtigen als unbeschränkt steuerpflichtig, wenn der im Ausland ansässige Steuerpflichtige im Ansässigkeitsstaat keine Einkünfte erzielt und die ausländische Steuerbehörde demzufolge lediglich eine sog. "Nullbescheinigung" ausstellen kann. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Bescheinigung, wonach die Inanspruchnahme ungerechtfertigter Steuervorteile verhindert und die Überprüfung der absoluten und relativen Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG erleichtert werden soll (BT-Drs 13/1558, S. 150). Auch wenn im Ansässigkeitsstaat keine Einkünfte erzielt werden, besteht ein berechtigtes Interesse der Behörde daran, die entsprechenden Erklärung des Steuerpflichtigen überprüfen und damit ein Überschreiten der Einkunftsgrenzen ausschließen zu können. Andernfalls könnte der Steuerpflichtige das Erfordernis der Bescheinigung allein mit der Behauptung, keine Einkünfte erzielt zu haben, umgehen.

Allerdings wird dem entgegen die Auffassung vertreten, eine Nullbescheinigung könne nicht verlangt werden, weil dies der Wortlaut der Regelung nicht hergebe und zudem keine ausländische Steuerbehörde eine solche Nullbescheinigung ausstelle (vgl. Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach EStG § 1 Rz. 285). Darüber hinaus bestehe auch aus Gründen der Praktikabilität kein Erfordernis, für nicht erzielte Einkünfte eine solche Bescheinigung zu fordern, zumal sie für die Berechnung der Einkunftsgrenzen auch nicht benötigt werde (vgl. FG Brandenburg vom 17. August 2005, 4 K 1467/01, EFG 2005, 1706; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG § 1 Rz. D 152).

Indes schließt der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG das Verlangen einer "Nullbescheinigung" nicht aus, denn auch eine Bescheinigung, dass keine Einkünfte erzielt worden sind, drückt die Höhe von Einkünften, wenn auch mit Null, aus. Eine Überprüfung der Einkunftsgrenzen muss zudem in jedem Fall erfolgen, auch wenn sich letztlich herausstellt, dass Einkünfte nicht erzielt und deshalb die Grenzen nicht überschritten worden sind.

Jedenfalls für den Ansässigkeitsstaat kann dem Steuerpflichtigen auch zugemutet werden, sich die Höhe seiner Einkünfte von der Steuerbehörde bescheinigen zu lassen. Dies stellt keine unverhältnismäßige Einschränkung der Regelung des § 1 Abs. 3 EStG dar. Denn zum einen muss die Bescheinigung entgegen BMF vom 30. Dezember 1996, (BStBl I 1996, 1506) nicht zwingend auf dem Vordruck "Anlage EU/EWR" erfolgen (vgl. Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach EStG § 1 Rz. 286). Zum anderen gilt für eine Nullbescheinigung nichts anderes als in den Fällen, in denen Einkünfte vorhanden sind und sich die ausländische Steuerbehörde nachweislich weigert, die geforderte Bescheinigung zu erstellen. In diesem Fall mag aus Billigkeitsgründen beispielsweise eine Bescheinigung der deutschen Auslandsvertretung im Wohnsitzstaat ausreichen (vgl. BMF vom 30. Dezember 1996 a.a.O.).

Sofern die Auffassung vertreten wird, eine Nullbescheinigung sei jedenfalls entbehrlich, wenn feststehe, dass im Ansässigkeitsstaat keine Einkünfte erzielt worden sind (vgl. FG Brandenburg vom 17. August 2005, 4 K 1467/01, EFG 2005, 1706), wird damit generell der Charakter der Bescheinigung als Tatbestandsmerkmal in Frage gestellt. Insofern ist der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG jedoch eindeutig, allerdings, wie bereits ausgeführt, europarechtskonform in der Weise einzuschränken, dass in begründeten Ausnahmefällen aus Billigkeitsgründen ein Ersatz zuzulassen ist.

2. Der Änderung steht im Streitfall auch die Regelung in § 175 Abs. 2 Satz 2 AO in der Fassung des Artikels 8 des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 2436), nach der die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung nicht als rückwirkendes Ereignis gilt, nicht entgegen. Denn diese Einschränkung ist erst auf nach dem 28. Oktober 2004 vorgelegte Bescheinigungen anzuwenden (Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO). Hier erfolgte die Vorlage noch zuvor am 15. Oktober 2004.

3. Dagegen ist eine Änderung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht möglich, weil die mit dem Änderungsantrag vorgelegte Anlage EU/EWR kein Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO ist. Der Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde kommt keine Bindungswirkung in diesem Sinne zu, denn für die Prüfung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG sind die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte eines Steuerpflichtigen sowohl hinsichtlich der relativen als auch der absoluten Grenze nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln (vgl. BFH vom 28. Juni 2005, I R 114/04 BStBl II 2005, 835; FG Köln vom 21. Januar 2004, 4 K 4336/01, EFG 2005, 419; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG § 1 Rz. D 163; Herlinghaus in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 1 EStG Rz. 162).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.



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