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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 14.02.2007
Aktenzeichen: 2 K 672/04
Rechtsgebiete: AO 1977, StraBEG


Vorschriften:

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
StraBEG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

2 K 672/04

Ablehnung des Antrags auf Änderung der strafbefreienden Erklärung

Tatbestand:

Streitig ist, ob das FA verpflichtet war, die nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) zu entrichtende "Abgabe" gemäß § 173 AO zugunsten der Klägerinnen zu ermäßigen.

Der inzwischen verstorbene Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen hatte in seinen Einkommensteuererklärungen der Jahre 1993 bis 2001 Einkünfte aus Kapitalvermögen in der Schweiz nicht erklärt. Durch Gesetz vom 23. Dezember 2003 (StraBEG) war durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz die Möglichkeit geschaffen worden, solche Einkünfte mit nachzuerklären und pauschal zu versteuern. Dazu hatte das BMF unter dem 3. Februar 2004 ein Merkblatt zur Anwendung des StraBEG (im Folgenden: Merkblatt 1) herausgegeben.

In seiner "Strafbefreienden Erklärung" vom 18. Februar 2004 erklärte der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen unter Mitwirkung des jetzigen Prozessbevollmächtigten nicht besteuerte Einnahmen i.H.v. 311.680 EUR und errechnete eine "zu entrichtende Abgabe" i.H.v. 77.920 EUR, die er sodann fristgerecht entrichtete. Auf dem amtlichen Vordruck waren die "Einnahmen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StraBEG" in der Anlage zur strafbefreienden Erklärung aufgegliedert nach den Jahrgängen 1993 - 2001 und bezogen auf zwei Konten in der Schweiz dargestellt. Gezahlte Stückzinsen waren von den Einnahmen nicht abgezogen gewesen.

Nachdem zur Anwendung des StraBEG "zahlreiche weitere Fragen aufgeworfen" worden waren, die nach Angaben des BMF im Merkblatt 1 "noch nicht berücksichtigt werden konnten", hat der BMF unter dem 20. Juli 2004 als Orientierungshilfe für die Finanzämter "Ergänzende Informationen zum StraBEG" herausgegeben (im Folgenden: Merkblatt 2). Unter den angesprochenen 20 Fragen war auch folgende Frage 3 enthalten:

"(3) Wie sind beim Erwerb von Wertpapieren gezahlte Stückzinsen bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen!

Antwort:

Gezahlte Stückzinsen sind keine Werbungskosten oder Anschaffungskosten, sondern negative Einnahmen im Jahr der Verausgabung (H 134 EStHB 2003). Sie mindern daher die für das nämliche Wertpapier im gleichen Veranlagungszeitraum erzielten Einnahmen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG (vor der Kürzung um 40 v.H.)."

Unter dem 8. September 2004 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen die Änderung der strafbefreienden Erklärung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, da die gezahlten Stückzinsen von den "Einnahmen" nicht abgezogen worden seien. Das FA lehnte den Antrag ohne Begründung durch Bescheid vom 20. September 2004 ab.

Das FA wies den dagegen erhobenen Einspruch als unbegründet zurück. Den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen, der bereits an der Erstellung der ursprünglichen strafbefreienden Erklärung mitgewirkt habe, treffe grobes Verschulden daran, dass die "Einnahmen" nach dem StraBEG unzutreffend erklärt worden seien. Bei Angehörigen der steuerberatenden Berufe stelle die Unkenntnis einfacher steuerlicher Vorschriften grobes Verschulden dar. Dagegen richtet sich die Klage.

Die Klägerinnen sind der Ansicht, aus dem Merkblatt 1 sei die zutreffende steuerliche Berechnung der "Einnahmen" nach dem StraBEG nicht unmissverständlich zu entnehmen gewesen. Es sei insbesondere nicht deutlich gewesen, dass negative Einnahmen von der Bemessungsgrundlage nach dem StraBEG abgezogen werden durften, denn die Kürzung der Einnahmen um 40% sei nach dem Merkblatt 1 "zur pauschalen Abgeltung aller Abzüge" vorzunehmen gewesen. Das StraBEG habe die Ermittlung der "Einnahmen" bewusst vereinfachend geregelt. Dazu habe man auch die ansonsten in der Einkommensteuer anerkannte Einordnung von Stückzinsen als negative Einnahmen zählen dürfen.

Auch der BMF habe diese Konstellation später als offene Fragestellung erkannt. Unter solchen Umständen treffe auch den Steuerpflichtigen und seinen steuerlichen Berater kein grobes Verschulden an dem späteren Bekanntwerden der neuen Tatsachen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

wie erkannt zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und hält daran fest, dass die einkommenssteuerliche Behandlung von Stückzinsen lange vor dem Inkrafttreten des StraBEG geklärt worden sei. Diese Rechtsprechung habe der steuerlicher Berater der Klägerinnen kennen müssen. Für eine abweichende steuerliche Behandlung im Rahmen der strafbefreienden Erklärung habe kein Anlass bestanden.

Außerdem sei nicht nachgewiesen worden, in welchem Umfang der jetzige Prozessbevollmächtigte bereits bei der Erstellung der strafbefreienden Erklärung mitgewirkt habe. Dies sei zur Bestimmung des Maßstabes für das grobe Verschulden nach § 173 AO erforderlich gewesen.

Zuletzt habe - bei Zweifeln an der Auslegung des StraBEG - die Möglichkeit bestanden, beim FA vor der Abgabe der Erklärung Rücksprache zu nehmen oder die strafbefreiende Erklärung ausführlicher als vorgeschrieben auszufüllen und die Berechnung der Einnahmen darzustellen. Davon sei kein Gebrauch gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Das FA war verpflichtet, die einer Steuerfestsetzung ohne den Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehende "Strafbefreiende Erklärung" (siehe § 10 Abs. 2 StraBEG) nach dem StraBEG gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO antragsgemäß zu ändern.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Dem FA sind im vorliegenden Fall nachträglich, nämlich nach Abgabe der Erklärung nach dem StraBEG, Tatsachen bekannt geworden, die zu einer niedrigeren Steuer führen würden. Denn dem FA ist erstmals durch den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen vom 8. September 2004 bekannt geworden, dass der verstorbene Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen für die Kapitalanlagen auf den Konten in der Schweiz für die einzelnen Jahre (1993 - 2001) Stückzinsen gezahlt hat. Diese Tatsache würde bei den Klägerinnen zu einer niedrigeren zu entrichtenden Abgabe i.S. des StraBEG führen, da die Stückzinsen als negative Einnahmen von den bisher erklärten Einnahmen i.S. des StraBEG in Abzug zu bringen wären.

Zu Recht hat das FA angenommen, dass im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO dem Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden seines steuerlichen Beraters zuzurechnen ist (Urteile des BFH vom 3. Februar 1983, IV R 153/80, BStBl II 1983, 324; vom 28. Juni 1983, VIII R 37/81, BStBl II 1984, 2 und vom 25. November 1983, VI R 8/82, BStBl II 1984, 256). Der mit der Ausarbeitung einer Steuererklärung betraute steuerliche Berater muss sich um eine sachgemäße und gewissenhafte Erfüllung der Erklärungspflicht seines Mandanten bemühen. Dabei sind an ihn erhöhte Anforderungen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu stellen. Insbesondere muss von ihm die Kenntnis und sachgemäße Anwendung der einschlägigen steuerrechtlichen Bestimmungen erwartet werden (Urteile in BStBl II 1983, 324, und in BStBl II 1984, 2). Ihn trifft ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln, wenn er bei der Abgabe der Steuererklärungen die ihm zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (Urteil in BStBl II 1983, 324). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden.

Im Streitfall trifft aber schon den steuerlichen Berater kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der gezahlten Stückzinsen. Im Zeitpunkt der Abgabe der ursprünglichen "strafbefreienden Erklärung" konnte der steuerliche Berater noch keine Kenntnis über die zu erwartende Auslegung der einschlägigen steuerrechtlichen Bestimmungen haben, denn das betreffende Gesetz war gerade erst verkündet worden. Aus dem Wortlaut des Gesetzes selbst ergab sich die Behandlung von Stückzinsen nicht. Vielmehr verwandte das Gesetz nur den Begriff der "Einnahmen", die es für alle der Regelung unterfallenden steuerlichen Vorschriften in § 1 StraBEG näher definierte. Im Falle der Verkürzung von Einkommensteuer sollten als Einnahmen 60 v.H. der einkommensteuerpflichtigen Einnahmen gelten (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG). Der Einnahmenbegriff des StraBEG wich insoweit von dem einkommenssteuerlichen Begriff ab, als er nur einen prozentual näher bestimmten Teil von Einnahmen als "Einnahmen" erfassen sollte. Ob und welche Aufwendungen durch den prozentualen Abschlag i.H.v. 40 v.H. auf die Einnahmen abgegolten werden sollten, regelte das Gesetz nicht ausdrücklich. Zudem enthielt auch das vom BMF dazu herausgegebene erste Merkblatt (Merkblatt 1) keinerlei Angaben zur Behandlung der Stückzinsen bei Einnahmen aus Kapitalvermögen. Das BMF vertrat im Merkblatt nur die Ansicht, dass die prozentuale Kürzung der Bemessungsgrundlage "zur pauschalen Abgeltung aller Abzüge (z.B. Freibeträge, Werbungskosten oder Betriebsausgaben)" diene (Tz. 3.3.9 Merkblatt 1). Daraus konnte der steuerliche Berater auch nach intensivem Studium dieser Erläuterungen folgern, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung auch Stückzinsen durch den pauschalen Abzug abgegolten sein sollten. Dies lag auch deshalb nahe, weil der BMF auch im Übrigen betont hatte, dass sich das Gesetz nur grundsätzlich an der Systematik der betroffenen Steuerart orientiere und Probleme durch eine "möglichst einfach nachzuvollziehende Regelung zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage" vermieden werden sollten (Tz. 3.1 Merkblatt 1). Danach lag es jedenfalls nicht fern, nur die zugeflossenen Zinsen als Einnahmen zu erklären und im Sinne einer einfachen Regelung der Bemessungsgrundlage keinerlei Abzüge vorzunehmen. Jedenfalls hat der steuerliche Berater angesichts einer solchen noch nicht geklärten Rechtslage nicht die zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Zudem hat der BMF die zugrunde liegende Rechtsfrage offenbar selbst als noch nicht durch das Merkblatt 1 geklärt angesehen, denn der BMF hat insoweit noch im Merkblatt 2 weitere Erklärungen gerade zu diesem Punkt für erforderlich gehalten. Auch das spricht dagegen, dem steuerlichen Berater der Klägerinnen die Unkenntnis der einschlägigen steuerrechtlichen Bestimmungen entgegen zu halten, wenn zugleich das Bundesministerium der Finanzen, das bereits am Gesetzgebungsverfahren beteiligt war, die Frage später als noch klärungsbedürftig ansah. Der an einen steuerlichen Berater zu stellende Sorgfaltsmaßstab kann nicht weiter gehen als der an Finanzbehörden zu stellende Maßstab.

Ende der Entscheidung

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