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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 16.09.2008
Aktenzeichen: 4 K 220/08
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 367 Abs. 1 S. 1
AO § 367 Abs. 2a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

4 K 220/08

Tatbestand:

Streitig ist der Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung.

Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger bezieht als Ruhestandsbeamter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben beziehen beide Kläger Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die als Vorsorgeaufwendungen geltend gemachten Versicherungsbeiträge wurden in voller Höhe als Sonderausgaben abgezogen. Mit dem Einspruch begehrten die Kläger unter Bezugnahme auf verschiedene Klage-, Revisions- und Verfassungsbeschwerdeverfahren, die Steuer in folgenden Punkten gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 der Abgabenordnung (AO) vorläufig festzusetzen:

Unbeschränkter Abzug der Vorsorgeaufwendungen als Werbungskosten statt Sonderausgaben,

Sonderausgabenabzug der Krankenversicherungsbeiträge,

Festsetzung des Solidaritätszuschlages,

Abzug von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben.

Zugleich beantragten sie, das Verfahren "bis zur Entscheidung dieser Prüfung" gemäß § 363 AO ruhen zu lassen.

Durch Teil-Einspruchsbescheid vom 12. Juni 2008 erklärte das FA den angefochtenen Bescheid u.a. hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben für vorläufig. Über die Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes entschied das FA unter Hinweis auf das bei dem Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen X R 9/07 anhängige Revisionsverfahren nicht. Es wies darauf hin, dass insoweit durch die Entscheidung keine Bestandskraft eintrete. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus:

Der in § 367 Abs. 2a Satz 1 AO vorgesehene Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung sei sachdienlich, wenn der Einspruch mit Ausnahme eines oder mehrerer klar und eindeutig abgrenzbarer Teile entscheidungsreif sei und über den restlichen Teil noch nicht entschieden werden könne oder solle, weil eine von den Einspruchsführern aufgeworfene Streitfrage Gegenstand eines beim BFH anhängigen Verfahrens sei und nach dessen Entscheidung eine einvernehmliche Erledigung des Rechtsstreits erwartet werden könne. So lägen die Verhältnisse im Streitfall. Der unbeschränkte Abzug von Rentenversicherungsbeiträgen als Werbungskosten sei Gegenstand eines bei dem BFH anhängigen Revisionsverfahrens. Bezüglich des Sonderausgabenabzugs der privaten Steuerberatungskosten sei dem Einspruch durch Aufnahme eines entsprechenden Vorläufigkeitsvermerks abgeholfen worden. Die gesetzliche Beschränkung des Sonderausgabenabzugs von Vorsorgeaufwendungen habe sich im Fall der Kläger nicht ausgewirkt. Die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich des Solidaritätszuschlages sei durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 2008 nicht zur Entscheidung angenommen worden.

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kläger halten den Erlass der Teil-Einspruchsentscheidung für unzulässig. Sie äußern Zweifel am verfassungsmäßigen Zustandeskommen des Jahressteuergesetzes 2007, durch das § 367 Abs. 2a AO in das Gesetz eingefügt wurde. Außerdem halten sie die in der Teil-Einspruchsentscheidung getroffenen Vorläufigkeitsregelungen nicht für hinreichend bestimmt. Diese lasse auch nicht erkennen, in welchem Umfang der angefochtene Bescheid noch nicht in Bestandskraft erwachsen solle. Hierzu sei die Angabe des streitig bleibenden Steuerbetrags erforderlich.

Die Kläger beantragen,

den Teil-Einspruchsbescheid vom 12. Juni 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, dass das Jahresteuergesetz 2007 verfassungsgemäß zustande gekommen sei und die Voraussetzungen für den Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung im Streitfall vorgelegen hätten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die auf isolierte Aufhebung der Teil-Einspruchsentscheidung gerichtete Klage ist zulässig. Gemäß § 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren zwar der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Diese Regelung steht der isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung grundsätzlich entgegen. Etwas Anderes gilt aber in dem Fall, dass diese eine selbständige Beschwer enthält, die ein berechtigtes Interesse des Betroffenen an der alleinigen Aufhebung der Rechtsbehelfsentscheidung begründet (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Auflage 2006, § 44 Rdnr. 36 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil sich die Kläger gerade gegen mögliche Rechtsnachteile wenden, die ihnen durch die mit dem Erlass des Teil-Einspruchsbescheids verbundene Aufspaltung des Einspruchsverfahrens drohen.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Teil-Einspruchsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Die von den Klägern aufgeworfene Frage des verfassungsgemäßen Zustandekommens des Jahressteuergesetzes 2007 bedarf keiner Entscheidung, weil die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für den Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO im Streitfall nicht vorliegen.

Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde vorab über Teile des Einspruchs entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Dies ist nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 367 Nr. 6.1 Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn ein Teil des Einspruchs entscheidungsreif ist, während über einen anderen Teil des Einspruchs zunächst nicht entschieden werden kann, weil insoweit die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO vorliegen.

Entgegen der Auffassung des FA sind die in AEAO zu § 367 Nr. 6.1. Satz 2 dargelegten Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist das FA zutreffend ausgegangen, dass es dem von den Klägern begehrten Vorläufigkeitsausspruch hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von privaten Steuerberatungskosten als Sonderausgaben durch die Vorläufigkeitserklärung des angefochtenen Bescheids Rechnung getragen habe und der Einspruch hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen und der Verfassungsmäßigkeit des Solidariätszuschlags unbegründet und abweisungsreif sei.

Zu Unrecht hat das FA jedoch angenommen, dass es im Hinblick auf das bei dem BFH anhängige Revisionsverfahren X R 9/07 und die von den Klägern insoweit ausdrücklich beantragte Verfahrensruhe gehalten gewesen sei, den Einspruch wegen der Frage der Abziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen als Werbungskosten offen zu halten. Denn nach dem Inhalt der Steuerakten haben die Kläger im Streitjahr überhaupt keine Rentenversicherungsbeiträge geleistet, für die ein Werbungskostenabzug bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG in Betracht käme. Der Einspruch war daher auch in diesem Streitpunkt - mangels Beschwer - ohne Weiteres abweisungsreif, so dass das FA keine Teil-Einspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO hätte erlassen, sondern gemäß § 367 Abs. 1 Satz 1 AO über den Einspruch als Ganzes hätte entscheiden können und müssen.

Durch den rechtswidrigen Erlass der Teil-Einspruchsentscheidung sind die Kläger auch in ihren Rechten verletzt, weil sie einen Anspruch darauf haben, dass über den von ihnen eingelegten Rechtsbehelf nur in dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren entschieden wird. Dies gilt um so mehr, als ihnen durch die Erlass der Teil-Einspruchsentscheidung die Möglichkeit genommen werden könnte, den Steuerbescheid im Klageverfahren aus Gründen anzugreifen, die weder Gegenstand der durch den Teil-Einspruchsbescheid getroffenen Sachentscheidung waren noch den hierdurch ausdrücklich offen gehaltenen Streitpunkt betreffen.

Der angefochtene Teil-Einspruchsbescheid ist daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Kosten des Verfahrens sind nach § 135 Abs. 1 FGO dem FA aufzuerlegen; dieses ist der unterlegene Beteiligte. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO.



Ende der Entscheidung

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