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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 13.11.2008
Aktenzeichen: 5 K 132/03
Rechtsgebiete: MwStSystRL, UStG, UStDV


Vorschriften:

MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. g
UStG § 4 Nr. 18
UStDV § 23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

5 K 132/03

Umsatzsteuer 1998 - 2001

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage der Umsatzsteuerbefreiung. Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der in den Streitjahren folgende Tätigkeiten ausübte:

Rettungsdienst,

Haus-Notruf-Dienst,

Erste-Hilfe-Kurse,

Menüservice,

Ärztlicher Notdienst,

Häusliche Krankenpflege.

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung des Beklagten (Finanzamt - FA -) gelangte der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Leistungen des Klägers aus dem Rettungsdienst, den Erste-Hilfe-Kursen und der häuslichen Krankenpflege umsatzsteuerfrei zu behandeln seien.

Streitig blieb die umsatzsteuerliche Behandlung des Haus-Notruf-Dienstes, des Menüservices und des ärztlichen Notdienstes. Das FA vertrat hierzu die Auffassung, dass Haus-Notruf-Dienst und ärztlicher Notdienst mit dem Regel-/ Normalsteuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG) und der Menüservice mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Umsatzsteuergesetz (UStG) von 7% anzusetzen seien. Aufgrund dieser Feststellungen erließ das FA geänderte Umsatzsteuer-Bescheide. Gegen diese Änderungsbescheide hat der Kläger Einspruch eingelegt, den das FA mit Einspruchsbescheid vom 21.01.2003 als unbegründet zurückgewiesen hat.

Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass die bezeichneten Tätigkeiten von der Umsatzsteuer zu befreien seien. Bei den streitig gebliebenen Tätigkeitsbereichen handele es sich jeweils um einen Zweckbetriebe i.S.d. § 66 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Alle drei Bereiche seien nach § 4 Nr. 18 UStG umsatzsteuerfrei. Im Einzelnen:

a) Haus-Notruf-Dienst:

Der Haus-Notruf-Dienst sei ein Zweckbetrieb nach §§ 65, 66 AO. Es handele sich um eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege, die im besonderen Maße den in § 53 AO genannten Personen diene. Hierzu gehörten insbesondere solche Personen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen seien. Nach § 66 Abs. 3 AO diene eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege dann im besonderen Maße diesen Personen, wenn ihre Leistungen diesen Personen mindestens zu 2/3 zugute komme. Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt. Die Hilfsbedürftigkeit wegen des körperlichen Zustands i.S.d. § 53 Nr. 1 AO könne ohne Nachprüfung bei diesen Personen dann angenommen werden, wenn sie das 75. Lebensjahr vollendet hätten. Aus entsprechenden Aufstellungen, die der Klagebegründungsschrift beigefügt seien, ergebe sich, dass diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt seien.

Hilfsweise sei für den Zweckbetrieb Haus-Notruf-Dienst in jedem Fall die Steuermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 a UStG zu gewähren.

b) Menüservice:

Bei dem Menüservice handele es sich um das bekannte Essen auf Rädern, wie es auch andere gemeinnützige Organisationen, wie zum Beispiel die Malteser oder der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband anböten. Mahlzeitendienste seien in § 68 Nr. 1 a AO ausdrücklich aufgeführt. Es handele sich um Zweckbetriebe, wenn sie in besonderem Maße den in § 53 AO genannten Personen dienten, wie es zum Haus-Notruf-Dienst ausgeführt sei. 74,58% der Teilnehmer am Menüservice seien über 75 Jahre alt. Die Voraussetzungen für einen Zweckbetrieb lägen somit vor.

c) Ärztlicher Notdienst:

Auch insoweit handele es sich um einen Zweckbetrieb i.S.d. § 66 Abs. 1 AO. Es handele sich nicht um einen Fahrdienst für Ärzte. Hierfür würde jeder beliebige Kraftfahrer ausreichen. Im Streitfall werde jedoch vom Kläger jeweils ein Rettungssanitäter oder Rettungsassistent eingesetzt. Dieser fahre nicht nur den behandelnden Arzt zum Einsatzort, sondern unterstütze diesen bei der medizinischen Versorgung der jeweiligen Patienten. Seine Hilfeleistung erfolge direkt gegenüber den Patienten. Im Unterschied zu Fahrdiensten bleibe somit der Fahrer während der Versorgung des Patienten nicht im Fahrzeug zurück, sondern sei im Rahmen der Versorgung quasi die "rechte Hand" des Arztes. Daher werde in dem Fahrzeug auch eine besondere Notfallausrüstung vorgehalten, wie zum Beispiel EKG, Defibrilator, ein Notfallkoffer mit Sauerstoffflasche, Intubationsgerätschaften und kreislaufstabilisierende Infusionen und Medikamente. Die jeweils behandelten Personen seien aufgrund ihres körperlichen Zustands auf die Hilfe anderer angewiesen.

Auch insoweit liege mithin ein Zweckbetrieb vor, hilfsweise gelte auch hier die Steuerermäßigung auf 7% gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 a UStG.

Insgesamt seien für die drei genannten Tätigkeitsbereiche die Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 a UStG erfüllt.

Soweit das FA im Einspruchsbescheid darauf verwiesen habe, dass die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG schon deshalb nicht gewährt werden könne, weil der Kläger nicht im Katalog der in § 23 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) aufgeführten amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege aufgeführt sei, könne dem nicht gefolgt werden. In seiner neueren Rechtsprechung habe der Bundesfinanzhof (BFH) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) darauf verwiesen, dass es Aufgabe der Finanzgerichtsbarkeit sei, zu prüfen, ob nach europarechtlichen Kriterien eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung vorliege. Die Anerkennung im europarechtlichen Sinn sei nicht auf die in § 4 Nr. 18 UStG i.V.m. § 23 UStDV genannten Wohlfahrtseinrichtungen beschränkt (Hinweis auf BFH-Urteil vom 22.04.2004, BStBl II 2004, 849). In der genannten Entscheidung aus dem Jahre 2004 habe der BFH ebenfalls in einem ersten Schritt eine Steuerbefreiung des dortigen Klägers nach § 4 Nr. 18 UStG aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft in einem amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege abgelehnt. Weiter habe der BFH dann jedoch geprüft, ob es sich bei dem dortigen Kläger um eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne des EU-Rechts handele. Dies sei vom BFH bejaht worden. Zur Begründung habe der BFH ausgeführt, dass sich dies u.a. aus dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung ergebe, weil der dortige Kläger die gleichen Leistungen wie die Leistungsanbieter der freien Wohlfahrtpflege erbringe, die steuerfrei (zum Beispiel nach § 4 Nr. 18 UStG) tätig seien. Im Streitfall liege eine vergleichbare Situation vor. Der Kläger nehme identische Aufgaben wie die in § 23 UStDV genannten Einrichtungen wahr. Für den Fall, dass das Gericht das Vorliegen der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 18 UStG verneinen solle, berufe sich der Kläger mithin unmittelbar auf die gemeinschaftsrechtliche Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL).

Der Kläger beantragt,

die geänderten Umsatzsteuerbescheide 1998 - 2001 vom 17.03.2008 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 DM herabgesetzt wird.

Das beklagte FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA bleibt bei seiner Rechtsauffassung, dass die Tätigkeitsbereiche Haus-Notruf-Dienst, Ärztlicher Notdienst und Menüservice nicht von der Umsatzsteuer zu befreien seien. Es handele sich jeweils um wirtschaftliche Geschäftsbetriebe i.S.d. § 14 AO. Ein derartiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb sei eine selbstständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt würden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgingen. Diese Voraussetzungen lägen bei den genannten Tätigkeiten des Klägers vor. Insbesondere handele es sich nicht um einen Zweckbetrieb i.S.d. §§ 65, 66 AO. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht die Voraussetzungen eines "amtlich anerkannten Verbandes der freien Wohlfahrtspflege" i.S.d. § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG erfülle. Der Kläger sei in dem Katalog des § 23 UStDV nicht aufgeführt. Soweit der Kläger vorbringe, die nationale Regelung in § 4 Nr. 18 UStG i.V.m. § 23 UStDV widerspreche dem Gemeinschaftsrecht, könne das FA diesem Vorbringen nicht folgen. Schon aus dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie (jetzt wortgleich Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie - MwStSystRL -) ergebe sich, dass das nationale Gericht zu prüfen habe, ob sich eine vorhandene gesetzliche Regelung im Rahmen des Umsetzungsermessens halte. Mit der Vorschrift des § 4 Nr. 18 UStG halte sich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen seines Umsetzungsermessens. In der gemeinschaftsrechtlichen Regelung werde ausdrücklich Bezug auf Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen genommen. Die abschließende Aufzählung in § 23 UStDV diene eindeutig einer einfachen und korrekten Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 18 UStG. Die Regelung widerspreche mithin nicht den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

Im Verlauf des Klageverfahrens hat das FA hinsichtlich des Tätigkeitsbereiches Haus-Notruf-Dienst dem Klagebegehren teilweise abgeholfen. Soweit Erstattungen aus Pflegekassen erfolgten, hat das FA diese als steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 16 e UStG berücksichtigt. Über die diesbezüglichen Änderungen haben Kläger und FA Einvernehmen erzielt. Das FA hat hierzu am 17.03.2008 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Klage hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung Mai 2002 zurückgenommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Hinsichtlich der ergänzenden Ausführungen des Geschäftsführers des Klägers verweist der Senat auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2008.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise begründet.

Soweit es sich um die Tätigkeitsbereiche Haus-Notruf-Dienst und Ärztlicher Notdienst handelt, sind die Umsätze von der Umsatzsteuer zu befreien.

Hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs "Menüservice" ist die Klage nicht begründet.

a) Haus-Notruf-Dienst:

Hinsichtlich des Haus-Notruf-Dienstes ergibt sich die Steuerbefreiung - wie das FA zutreffend festgestellt hat - nicht aus § 4 Nr. 18 UStG. Das Gericht kann dahinstehen lassen, ob die einzelnen Voraussetzungen der Regelung erfüllt sind, denn der Kläger zählt nicht zu den amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und zu den der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind. Der Kläger ist im Katalog des § 23 UStDV nicht aufgeführt. Die Vorschrift ist auf andere Steuerpflichtige nicht erweiterbar (BFH-Urteil vom 15.10.1997 - II R 94/94, BFH/NV 1998, 150 zu § 4 Nr. 18 UStG 1980).

Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass die Regelung in § 4 Nr. 18 UStG i.V.m. § 23 UStDV mit dem EU-Recht nicht im Einklang steht. Im vorliegenden Fall steht die Regelung nicht im Einklang mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL (ehemals Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG - sog. 6. EG-Richtlinie). Darin heißt es:

Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

...

g) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.

...

§ 23 UStDV führt die amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege abschließend auf:

1. Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.,

2. Deutscher Caritas-Verband e. V.,

3. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband e. V.,

4. Deutsches Rotes Kreuz e. V.,

5. Arbeiterwohlfahrt-Bundesverband e. V.,

6. Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland e. V.,

7. Deutscher Blindenverband e. V.,

8. Bund der Kriegsblinden Deutschland e. V.,

9. Verband Deutscher Wohltätigkeitsstiftungen e. V.,

10. Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e. V.,

11. Sozialverband VdK - Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Rentner Deutschland e. V..

Beispielsweise das Diakonische Werk, der Deutsche Caritasverband, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt nehmen nach Kenntnis des Gerichts gleichartige Aufgaben wahr, wie auch der Kläger. Die genannten Vereinigungen kommen über die Regelung in § 23 UStDV zu einer Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG. Das bedeutet, dass Gemeinschaften mit den gleichen Tätigkeitsbereichen wie der Kläger wegen des mit diesen Tätigkeiten verbundenen Gemeinwohlinteresses in den Genuss einer Steuerbefreiung kommen, während dem Kläger dieses aufgrund der abschließenden Aufzählung der genannten Vereinigungen verwehrt wird. Zwar räumt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL den Mitgliedstaaten ein Ermessen in der Frage ein, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen. Der einzelne (hier also der Kläger) kann die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Regelung deshalb nicht schon dadurch erlangen, dass er sich auf diese Bestimmung beruft (vgl. dazu BFH-Urteil vom 22.04.2004 - V R 1/98, BStBl II 2004, 849).

Der Senat ist allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass die Regelung in § 23 UStDV mit dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot nicht im Einklang steht. Danach ist es dem nationalen Gesetzgeber verwehrt, gleichartige Tätigkeiten ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln. Im vorliegenden Fall übt der Kläger identische Leistungen aus, wie auch die in § 23 UStDV aufgeführten "amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege". Der deutsche Gesetzgeber hat mithin durch die abschließende Aufzählung der Wohlfahrtsverbände in § 23 UStDV sein Ermessen - zumindest nicht erkennbar - ausgeübt. Der Senat kann nicht feststellen, warum gerade die in § 23 UStDV aufgeführten Wohlfahrtsverbände der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG unterliegen, während andere Verbände und Vereine, die gleichartige Leistungen ausführen, davon ausgenommen sind.

Im Streitfall kann sich der Kläger deshalb unmittelbar auf die Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL berufen. Zwar sieht Art. 239 des EG-Vertrages (EGV) im Grundsatz keine unmittelbare Wirkung der EU-Richtlinien vor. Gleichwohl hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen den Richtlinien auch ohne Transformation in das nationale Recht unmittelbare Wirkung zukommt (vgl. zum Beispiel EuGH-Urteil vom 27.06.1989, C-50/88, UR 1989, 373).

Hat der Gesetzgeber die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht oder in nicht ausreichendem Maße in das nationale Umsatzsteuerrecht umgesetzt, kann sich ein nationaler Unternehmer gegenüber einer für ihn nachteiligen Bestimmung des nationalen Umsatzsteuerrechts auf eine für ihn günstigere Bestimmung des Gemeinschaftsrechts berufen. Eine unmittelbare Anwendung von Bestimmungen der Richtlinie kommt deshalb nur für solche Vorschriften in Betracht, die den Steuerpflichtigen im Vergleich zu der nationalen Vorschrift begünstigen. Das entgegenstehende nationale Recht ist dann nicht anwendbar (vgl. EuGH-Urteil vom 19.01.1982 - C-8/81, UR 1982, 70 - Rechtssache Becker).

Außerdem muss die Richtlinienorm dem Steuerpflichtigen einen Anspruch gegenüber dem Staat (zum Beispiel auf eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder eine Ausnahme von der Steuerbarkeit) geben. Darüber hinaus muss die Richtlinienregelung hinreichend klar und eindeutig sein. Sie muss außerdem inhaltlich unbedingt und damit geeignet sein, unmittelbare Wirkungen zu erzeugen. Letzteres ist anzunehmen, wenn dem Mitgliedstaat bei der Umsetzung in innerstaatliches Recht kein Ermessensspielraum zusteht (EuGH-Urteil vom 27.06.1989 - C 50/88, UR 1989, 373). Inhaltlich unbedingt ist eine begünstigende Vorschrift allerdings auch dann, wenn ein Mitgliedstaat ihre Anwendung von einschränkenden Bedingungen hätte abhängig machen können, solche Regelungen aber nicht getroffen hat (vgl. EuGH-Urteil vom 10.09.2002, DStRE 2002, 1196). Gleiches gilt, wenn der Mitgliedstaat nicht von den vorgesehen Beschränkungen Gebrauch gemacht hat, sondern anderweitige Beschränkungen vorgenommen hat (EuGH-Urteil vom 06.11.2003, UR 2003, 584 - Rs. Christoph-Dornier-Stiftung).

Im Streitfall sind diese Voraussetzungen zur Überzeugung des Senats erfüllt. Insbesondere ist das Merkmal in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL "andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen" kein Merkmal, das die inhaltliche Unbedingtheit der Richtlinienregelung beeinträchtigt (vgl. BFH-Urteil vom 22.04.2004 - V R 1/98, BStBl II 2004, 849). Dies steht mithin der Steuerbefreiung nicht entgegen. Diese Beschränkung der Befreiungsregelung hat - wie der EuGH mehrfach zutreffend entschieden hat - nur Eventualcharakter (vgl. z.B. EuGH-Urt. v. 10.9.2002 - C-141/00, UR 2002, 513 - Rs. Kügler). Ein Mitgliedstaat, der es unterlassen hat, die insoweit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, kann sich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung zu verwehren, die dieser nach den Regelungen der MwStSystRL an sich Anspruch nehmen kann (so auch BFH-Urt. v. 18.8.2005 - V R 71/03, BStBl II 2006, 143 - mit Anm. Heidner, UR 2006, 170 ).

Im Ergebnis kann sich der Kläger somit auch unmittelbar auf die Richtlinienregelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL berufen. Beim Haus-Notruf-Dienst liegen im Übrigen auch die Voraussetzungen für eine Einrichtung mit sozialem Charakter i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL vor. Dieses Tatbestandsmerkmal ist jedenfalls dann erfüllt, wenn die Kosten für die Übernahme der Leistungen des Klägers von den Krankenkassen übernommen werden (BFH-Urt. v. 22.4.2004 - V R 1/98, BStBl II 2004, 849). Dabei müssen die Kosten nicht vollständig von den Krankenkassen getragen werden; entscheidend ist allein, dass es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, die von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar wären. Im Streitfall ist diese Voraussetzung erfüllt, denn einen Teil der Leistungen des Haus-Notruf-Dienstes haben die Pflegekassen getragen. Im Grundsatz handelt es sich mithin um eine Dienstleistung des Klägers, die von den Sozialversicherungsträgern übernommen werden können und auch z.T. übernommen werden.

Im Übrigen hat der nationale Gesetzgeber keinen Gebrauch von der Ermächtigung in Art. 133 der MwStSystRL (früher: Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) gemacht:

Danach können die "Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Absatz 1 Buchst. g), vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:

Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.

Leitung und Verwaltung müssen im wesentlichen ehrenamtlich durch Personen erfolgen, die weder selbst noch über zwischengeschaltete Personen ein unmittelbares oder mittelbares Interesse an den Ergebnissen der betreffenden Tätigkeiten haben.

Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind, oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden.

Die Befreiungen dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen".

Im Streitfall hat der deutsche Gesetzgeber eine Einschränkung in § 4 Nr. 18 UStG i.V.m. § 23 UStDV im Hinblick auf den Kreis der begünstigten Organisationen vorgenommen. Diese Regelung widerspricht - wie oben ausgeführt - dem Gemeinschaftsrecht, ist jedoch keine Einschränkung i.S.d. Bestimmung des Art. 133 der MwStSystRL.

Der Haus-Notruf-Dienst ist zur Überzeugung des erkennenden Senats im Übrigen aber auch eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe. Nach § 3 Abs. 2 der Satzung des Klägers ist es Zweck des Vereins, Alten, Kranken, Behinderten und sozial Hilfsbedürftigen zu helfen. Die Leistungen des Tätigkeitsbereichs Haus-Notruf-Dienst kommt nach dem Vorbringen des Klägers Alten, Kranken und Behinderten und sozial Hilfsbedürftigen zugute. Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass hierdurch das Merkmal der "eng mit der Sozialfürsorge ... verbundenen Dienstleistungen" i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL erfüllt sind. Den Begriff der eng mit der Sozialfürsorge zusammenhängenden Dienstleistungen legt der Senat dahin aus, dass - wie auch im Rahmen des § 4 Nr. 18 UStG - ergänzend die Regelungen über die steuerbegünstigten Zwecke in den §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO) heranzuziehen sind. Im Streitfall liegt hinsichtlich des Haus-Notruf-Dienstes grundsätzlich ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i.S.d. § 14 AO vor, denn der Kläger übt eine selbstständige nachhaltige Tätigkeit aus, durch die Einnahmen erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgehen. Ein solcher wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb erfüllt jedoch steuerbegünstigte Zwecke, wenn die Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO erfüllt sind, insbesondere es sich dabei um einen so genannten Zweckbetrieb i.S.d. §§ 65, 66 AO handelt. Ein solcher Zweckbetrieb ist nach § 65 Nr. 1 AO gegeben, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen, die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben der selben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist. § 66 AO ergänzt dies für Einrichtungen der Wohlfahrtspflege dahingehend, dass ein Zweckbetrieb dann vorliegt, wenn er in besonderem Maße den in § 53 AO genannten Personen dient.

Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 53 AO erfüllt, denn der Kläger unterstützt mit dem Haus-Notruf-Dienst Personen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen sind bzw. waren. Der Kläger hat im Verlauf des Verfahrens nachgewiesen, dass die Teilnehmer des Haus-Notruf-Dienstes zu mehr als 2/3 älter als 75 Jahre alt waren. Da der Kläger somit mildtätige Zwecke i.S.d. § 53 AO ausgeführt hat, handelt es sich beim Haus-Notruf-Dienst um einen Zweckbetrieb i.S.d. §§ 65, 66 AO. Mithin ist dieser Tätigkeitsbereich unter diesem Gesichtspunkt begünstigt. Die Voraussetzungen der Befreiungsregelung in Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g) der MwStSystRL sind mithin erfüllt.

b) Menüservice:

Zutreffend hat das beklagte FA hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs "Menüservice" die Umsatzsteuerbefreiung abgelehnt.

Das FA hat in diesem Punkt dem Kläger den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG gewährt. Der Senat ist der Auffassung, dass jedenfalls eine Umsatzsteuerbefreiung in diesem Bereich nicht in Betracht kommt, da insofern die Vorgaben des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL nicht erfüllt sind. Auch für diesen Tätigkeitsbereich kann sich der Kläger - wie auch für den Haus-Notruf-Dienst - im Grundsatz auf die ihn begünstigende Regelung des Gemeinschaftsrechts berufen. Hinsichtlich des Menüservices ist der Senat allerdings der Auffassung, dass es sich hierbei nicht im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe um eine "eng mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistung" handelt, denn ein Menüservice ("Essen auf Rädern") wird regelmäßig nicht nur für alte, behinderte und kranke Personen ausgeführt, sondern auch für andere Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. In dieser Hinsicht handelt es sich um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i.S.d. § 14 AO und nicht um einen Zweckbetrieb nach §§ 65, 66 AO, denn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb des Klägers stand i.S.d. § 65 Nr. 3 AO zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlichen Art in Wettbewerb. Insbesondere sind auch die Voraussetzungen des § 68 Nr. 1 a AO nicht erfüllt. Danach sind Zweckbetriebe auch Mahlzeitendienste, wenn sie in besonderem Maße den in § 53 AO genannten Personen dienen. Ob dies der Fall ist, hat der Kläger anders als für den Bereich Haus-Notruf-Dienst, für den Bereich Menüservice nicht dargelegt, so dass in dieser Hinsicht eine Steuerbefreiung im Ergebnis nicht greift.

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das FA in dieser Hinsicht zutreffend den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG gewährt hat oder ob nicht der Regelsteuersatz des § 12 Abs. 1 UStG hätte angesetzt werden müssen, denn der Ansatz des Regelsteuersatzes würde zu einer Verböserung führen, an der der Senat gehindert ist.

c) Ärztlicher Notdienst:

Auch hinsichtlich des ärztlichen Notdienstes beruft sich der Kläger zutreffend unmittelbar auf die Richtlinienregelung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) der MwStSystRL. Auch in diesem Fall handelt es sich um "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen". Die Befreiungsregelung des § 4 Nr. 18 UStG ist im Streitfall nicht einschlägig, da der Kläger nicht im Katalog des § 23 UStDV aufgeführt ist (siehe oben unter a)).

Gleichwohl ist dieser Leistungs- und Tätigkeitsbereich des Klägers in der Sache - wie auch der Haus-Notruf-Dienst - von der Umsatzsteuer zu befreien. Der Kläger kann sich auch hinsichtlich dieser Tätigkeit unmittelbar auf die ihn begünstigende Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g) der MwStSystRL berufen. Der Kläger hat für den erkennenden Senat in ausreichendem Maße dargelegt, dass es sich nicht um reinen Fahrdienst für die Notarzttätigkeit handelt, wie sie z.B. auch von einem Taxifahrer wahrgenommen werden könnte. Unstreitig ist, dass der Kläger für diese Tätigkeit ein Rettungsfahrzeug nutzt, das umfassend mit einer Reihe von medizinischen Gerätschaften (EKG, Defibrilator pp.) sowie mit Blaulicht und Signalhorn ausgestattet ist. Der Fahrer dieses Fahrzeugs verfügt zudem über eine Ausbildung als Rettungssanitäter/ Rettungsassistent und kann somit als "rechte Hand" des Notarztes angesehen werden. Unerheblich ist, dass das Entgelt vom Notarzt an den Kläger entrichtet wird, denn der Arzt erhält die entsprechende Pauschale seinerseits wiederum von den Krankenkassen erstattet. Umsatzsteuerlich kommt es im Übrigen allein auf die Tätigkeit des Klägers an. Bei dieser handelt es sich um eine mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistung im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g) der MwStSystRL.

Im Ergebnis ist in den Streitjahren deshalb lediglich der Menü-Service - mit dem ermäßigten Steuersatz von 7% - der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Insgesamt ergibt sich die nachfolgende neue Steuerberechnung:

(...)

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung - FGO -. Die Kosten des Verfahrens waren dem FA in vollem Umfang aufzuerlegen, weil der Kläger nur zu einem geringen Teil (1,8%) unterlegen ist. Der Senat hat bei dieser Berechnung berücksichtigt, dass das FA unter dem 17.03.2008 bereits Änderungsbescheide zu Gunsten des Klägers erlassen hatte und dabei die Dienstleistung "Haus-Notruf-Dienst" bereits teilweise (Zahlung der Pflegekassen) von der Umsatzsteuer befreit hatte.

Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Ende der Entscheidung

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