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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 5 K 249/05
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 347 Abs. 1 Satz 1
AO § 355 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Klägerin ist Automatenaufsteller und erzielt Umsätze aus dem Betrieb von gewerblichen Geldspielgeräten i.S.v. § 33c GewO und Unterhaltungsautomaten. Die Anzahl der Unterhaltungsautomaten macht 54 v.H. der gesamten Automaten der Klägerin aus.

Im Jahre 1993 erzielte die Klägerin einen Umsatz von 452.306 DM, wovon 407.205,59 DM auf den Betrieb von gewerblichen Geldspielgeräten und 45.101,03 DM auf den Betrieb von Unterhaltungsautomaten entfielen. Der Vorsteueranspruch betrug 22.230,89 DM.

Der Beklagte folgte der am 16.09.1994 eingegangenen Erklärung der Klägerin und setzte die Umsatzsteuer auf 45.615,10 DM fest. Die Festsetzung wurde bestandskräftig.

Nachdem der EuGH mit Urteil vom 17.02.2005 (Rs. C- 453/02 - Linneweber, UR 2005, 194 mit Anm. Birk/Jahndorf, UR 2005, 198) entschieden hatte, dass der Betrieb von Geldspielautomaten außerhalb von öffentlichen Spielbanken steuerfrei zu stellen ist, wenn - wie in Deutschland - der Betrieb von Geldspielautomaten in öffentlichen Spielbanken ebenfalls umsatzsteuerbefreit ist, legte die Klägerin mit Schreiben vom 17.03.2005 Einspruch ein mit dem Antrag, die Umsätze aus dem Betrieb der gewerblichen Geldspielgeräte steuerfrei zu behandeln. Sie beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Hinweis auf die Rechtssache Emmott (EuGH, Urteil vom 25.07.1991 - Rs C-208/90, UR 1993, 315).

Der Beklagte hat den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 27.07.2005 als unzulässig (verfristet) verworfen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin trägt vor, der Einspruch sei abweichend von § 355 Abs. 1 Satz 1 AO nicht als verfristet anzusehen. Im vorliegenden Fall komme es ausnahmsweise nicht auf die Bekanntgabe als fristauslösendes Moment an, weil die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung nach Art. 10 EGV nicht nachgekommen sei, die Umsatzsteuerbefreiung gem. Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie ordnungsgemäß in nationales Recht umzusetzen. Infolgedessen sei die Rechtsbehelfsfrist gehemmt (sog. EmmottÂŽsche Fristenhemmung oder - zutreffender - Anlaufhemmung).

Die Anlaufhemmung komme nicht nur bei treuwidrigen Verhalten von öffentlichen Stellen (Fall Emmott) in Betracht, sondern auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen dem Bürger die Geltendmachung seiner Rechte durch zu kurze Rechtsbehelfsfristen erheblich erschwert bzw. sogar vereitelt würde.

Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten finde in Art. 10 EGV (Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts) ihre Grenze, wenn die effektive (auch rückwirkende) Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht (Effektivitätsgebot) zugunsten des Bürgers durch nationale Bestimmungen unzumutbar erschwert oder vereitelt würde.

Im vorliegenden Fall stehe das nationale Verfahrensrecht der Durchsetzung einer Mindesteffektivität des Gemeinschaftsrechts entgegen: Zum einen stelle das steuerspezifische, duale Korrektursystem der Abgabenordnung (§§ 130, 131 bzw. §§ 172 ff AO) eine gesetzessystematische, unzumutbare Erschwernis der rückwirkenden Geltendmachung von Gemeinschaftsrecht dar (1.). Zum anderen genüge die Monatsfrist für die Anfechtung von Steuerbescheiden in Fällen nicht ordnungsgemäß umgesetzter Richtlinien nicht dem Angemessenheitsmaßstab des Effektivitätsgebotes (2.).

1. Die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zur Korrektur von bestandskräftigen Steuerbescheiden (§§ 172 - 176) sähen keine Möglichkeit vor, einen rechtswidrigen bestandskräftigen Steuerbescheid allein deswegen zu korrigieren, weil er gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Damit habe der Gesetzgeber ein Korrektursystem für Steuerbescheide geschaffen, das von dem Korrektursystem für allgemeine Steuerverwaltungsakte (§§ 130, 131 AO) und dem Korrektursystem des allgemeinen Verwaltungsrechts (§§ 48, 49, 51 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -) abweiche.

Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG stehe es im Ermessen der Behörde, einen (gemeinschafts) rechtswdrigen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ferner erlaube § 51 Abs. 1 VwVfG der Behörde, ein Verwaltungsverfahren wieder aufzugreifen und über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts (neu) zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert habe.

Im Gegensatz zum allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht enthielten die steuerlichen Korrekturvorschriften gem. §§ 172 ff AO gerade keine "Verfahrensmodalitäten" i.S.d. EuGH-Rechtsprechung, die es dem Betroffenen in zumutbarer Weise ermöglichten, die gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung an die "neue" Rechtslage anzupassen

Der Verzicht auf eine den §§ 48, 51 VwVfG vergleichbare Anpassungsmöglichkeit in der Abgabenordnung sei offenbar aus fiskalischen Gründen bedingt, nicht aber aus Gründen der Rechtssicherheit gerechtfertigt. Dies belege auch der Vergleich zwischen Rückforderung von Beihilfen und Steuern. Beide Fälle unterschieden sich lediglich darin, dass bei einer Rückforderung von Beihilfen die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts positive fiskalische Folgen habe, während sich die Rückerstattung von Steuern negativ auf den Steuerhaushalt auswirke (Friedrich/Nagler, DStR 2005, 403, 409). Daher verwundere es, dass die Verwaltung die gesetzlichen Rücknahmefristen für gemeinschaftsrechtswidrige Beihilfebescheide unbeachtet lassen müsse (EuGH, Urteil vom 20.03.1997 - C-24/95 - Alcan, NJW 1998, 47) während im Gegensatz dazu der Steuerpflichtige an die gesetzlichen Anfechtungsfristen gebunden sei.

2. Zudem sei das Effektivitätsgebot verletzt, weil die Anfechtungsfrist von einem Monat gemäß § 355 AO bei legislativem Unrecht unangemessen kurz sei.

Der EuGH erkenne Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit als angemessen an, wenn diese unter Berücksichtigung der Rechtsschutzbelange des Bürgers angemessen seien. Angemessen seien Verjährungsfristen von drei Jahren im Fall Dilexport (EuGH, Urteil vom 09.02.1999 - Rs. C-343/96, Slg. 1999, I-579) oder vier Jahre im Fall Roquette Frère (EuGH, Urteil vom 28.11.2000, Rs. C-88/99, Slg. 2001, I-10465).

Die Monatsfrist nach § 355 AO sei im Vergleich mit den vorstehenden Fällen unangemessen kurz. Dem könnte nicht entgegen gehalten werden, dass der EuGH in der Rechtssache REWE die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat nach der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - nicht beanstandet habe (EuGH, Urteil vom 16.12.1976 - Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989). Diese Entscheidung beziehe sich ausdrücklich auf den Stand des Gemeinschaftsrechts im Jahre 1976 und lasse die (spätere) gemeinschaftsrechtliche Entwicklung und Ausprägung des Effektivitätsgebots durch den Gerichtshof unberücksichtigt.

Außerdem seien für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht, die - wie vorliegend - auf legislativem Unrecht beruhten, längere Anfechtungsfristen angemessen als für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht, die "nur" auf administrativem Unrecht beruhten. Denn es dürfte unstreitig sein, dass ein (gemeinschafts)rechtswidriger Normvollzug für den Bürger eher erkennbar ist als ein gesetzmäßiger Normvollzug eines (gemeinschafts-)rechtswidrigen Gesetzes.

Hilfsweise begehrt die Klägerin die Rückzahlung der gezahlten Umsatzsteuer für das Jahr 1993 in Höhe von 50.854,53 DM.

Der EuGH habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass dem Einzelnen das Recht auf Erstattung von Abgaben zustehe, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben habe (EuGH, Urteil vom 02.10.2003 - Rs. C-147/01 - weberÂŽs wine world, Slg. 2003, I-11365 Rn. 93). Insbesondere aus der Ciola-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 29.04.1999 - Rs. C-224/97, Slg. 1999, 2517 Rn. 32 ff.) folge, dass ein gemeinschaftswidriger Verwaltungsakt nicht vollzogen werden dürfe bzw. ein bereits erfolgter Vollzug wieder rückgängig zu machen sei.

Da das Gemeinschaftsrecht keine eigenen Verfahrensordnung habe, richte sich die Beseitigung von Vollzugsfolgen nach nationalem Recht. Für diese Fälle sehe § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO einen (Vollzugs)Folgenbeseitigungsanspruch vor, der vorliegend entsprechend heranzuziehen sei.

Daneben stehe ihr (der Klägerin) ein gemeinschaftsrechtlicher Erstattungsanspruch zu. Auf der Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Erstattungsanspruchs könne der Steuerpflichtige grundsätzlich die Rückzahlung sämtlicher Steuern verlangen, die er aufgrund der als gemeinschaftswidrig erkannten Norm geleistet habe (EuGH, Urteil vom 06.07.1995 - Rs. C-62/93 - BP Soupergaz, IStR 1995, 385 Rn. 40; Urteil vom 09.02.1999 - Rs. C-343/96 -, Dilexport, Slg. 1999, I-579 Rn. 23)

Die Bestandskraft des Umsatzsteuerbescheides 1993 könne dem Erstattungsanspruch nicht als Rechtsgrund entgegengehalten werden, da der gemeinschaftsrechtswidrige Verwaltungsakt nicht vollzogen werden dürfe und damit keine Rechtswirkungen mehr zu Lasten des Bürgers entfalten dürfte.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Berücksichtigung der Umsatzsteuerfreiheit der Umsätze aus gewerblichen Geldspielgeräten die Umsatzsteuer für das Jahr 1993 unter Abänderung der Umsatzsteuerfestsetzung vom 16.09.1994/06.10.1994 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 27.07.2005 auf ./. 5.239,53 DM festzusetzen;

2. hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, zu Unrecht festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von 50.854,53 DM zurückzuzahlen.

Ferner wird angeregt, gemäß Art. 234 EGV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, und zwar zu folgender Frage:

1. Ist Art. 10 EGV im Fall einer nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie, auf die sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar - auch rückwirkend - im Hinblick auf die Steuerbefreiung bestimmter Umsätze berufen kann, so auszulegen, dass er einer nationalen Regel über eine einmonatige Anfechtungsfrist entgegensteht, wenn

a. der Fristbeginn an die Bekanntgabe des rechtswidrigen Steuerbescheids anknüpft und die Rechtswidrigkeit darauf beruht, dass eine Richtlinie des Gemeinschaftsrechts nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt worden ist, und

b. es neben der Anfechtung des Steuerbescheids durch den Steuerpflichtigen ansonsten keine andere verfahrensrechtliche Möglichkeit gibt, die gemeinschaftswidrig erhobene Steuer erstattet zu bekommen, weil die Finanzbehörden - anders als die allgemeinen Verwaltungsbehörden - nicht ermächtigt sind, unanfechtbare Verwaltungsakte allein aufgrund ihrer nachträglich erkannten Gemeinschaftswidrigkeit zugunsten des Bürgers zu ändern?

2. Für den Fall, dass die erste Frage zu verneinen ist, ist zu fragen, ob Art. 10 EGV in diesem Fall so auszulegen ist, dass die Anfechtungsfrist von einem Monat in den Fällen legislativen Unrechts unangemessen kurz ist, wenn die Finanzbehörden selbst nicht ermächtigt oder verpflichtet sind, den gemeinschaftswidrigen Steuerbescheid auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben.

3. Ist Art. 10 EGV so auszulegen, dass das Finanzamt aus einem Steuerbescheid, der auf einer nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie beruht, nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine nachteiligen Rechtsfolgen gegenüber dem Steuerpflichtigen ableiten darf, der Steuerbescheid also zwar bestandskräftig bleibt, jedoch nicht vollzogen werden darf?

4. Wenn Frage 2 zu bejahen ist, ist ferner zu fragen, ob in einer solchen Situation Art. 10 EGV der Ablehnung eines Erstattungsanspruchs entgegensteht, weil die Ablehnung eines Erstattungsanspruchs wegen Bestandskraft eines gemeinschaftswidrigen Steuerbescheids als weitere Vollziehung des Steuerbescheids anzusehen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, eine Änderung des bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheids für 1993 komme nicht in Betracht.

Die Durchbrechung der Bestandskraft lasse sich nicht aufgrund der sog. EmmottschenÂŽ Fristenhemmung rechtfertigen. Das Urteil des EuGH vom 25.07.1991 (C-208/90, UR 1993, 315) betreffe einen besonders gelagerten Einzelfall und könne im Umsatzsteuerrecht keine allgemeine Anwendung finden.

Frau Emmott sei der Weg zum Gericht versperrt gewesen. Demgegenüber sei die Klägerin im vorliegenden Fall aufgrund des deutschen Verfahrensrechts nicht gehindert gewesen, die Festsetzung der Umsatzsteuer innerhalb der dafür vorgesehenen Frist anzufechten und ihre Behauptung, die Besteuerung der Umsätze aus Geldspielautomaten sei wegen des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht rechtswidrig, gerichtlich überprüfen zu lassen.

Für die Verfolgung von Ansprüchen auf Schadensersatz gegen die Bundesrepublik Deutschland (z.B. Staatshaftung) sei der Zivilrechtsweg gegeben.

Beide Beteiligte erklärten den Verzicht auf mündliche Verhandlung.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Einspruch der Klägerin gegen die streitigen Bescheide ist verfristet und damit zu Recht vom Beklagten als unzulässig verworfen worden.

Der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 1 AO ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Ein Einspruch gegen die Steueranmeldung ist innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 Satz 2 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Zustimmung, einzulegen (§ 355 Abs. 1 Satz 2 AO).

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 17.03.2005 (eingegangen beim Beklagten am 23.03.2005) Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 1993 erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war die einmonatige Frist für die Einlegung eines Einspruchs bereits abgelaufen.

1. Der Auffassung der Klägerin, der Lauf dieser Frist sei nicht in Gang gesetzt worden, weil es in Deutschland bis heute an der fristgerechten Umsetzung des Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. Sechsten Richtlinie in nationales Recht fehle, ist nicht beizupflichten.

Das Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten ist nicht harmonisiert. Es besteht dafür auch keine allgemeine Befugnis der EU (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.1998 - Rs. C-85/97 - societe financiere dÂŽinvestissements, UR 1999, 206, 208 Rn. 31).

Zwar hat der EuGH in der Rechtssache Emmott (Urteil vom 25. Juli 1991 Rs C-208/90 UR 1993,315) entschieden, dass ein Mitgliedstaat vor der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie einem Gemeinschaftsbürger nicht den Ablauf der Klagefrist entgegenhalten könne, wenn dieser sich auf eine unmittelbar wirkende Richtlinie berufe. Die Rechtsbehelfsfrist beginne erst mit der ordnungsgemäßen Umsetzung zu laufen (sog. Emmott'sche Fristenhemmung).

Doch hat der EuGH in den Folgeentscheidungen klargestellt, dass die großzügige Betrachtung im Fall Emmott durch die besonderen Umständen dieses Falles gerechtfertigt war, in dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf eine Gemeinschaftsrichtlinie gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen (EuGH, Urteil vom 01.12.1997 C-188/95 - Fantask, EuGHE 1997, I-6783 Rz. 51 m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 15.09.2004 I R 83/04, DStR 2004, 2005; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.02.2005 K 198/02, EFG 2005, 910 - Az. des BFH: V R 28/05 - m. Anm. Meyer). Die Schlussfolgerungen von Emmott stellen sich damit als eine einzelfallbezogene Anwendung des Vereitelungsverbots sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben dar (Leonard/Szczekalla, UR 2005, 420 ff m.w.N.).

Gleichzeitig betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass sich das Verfahren zur Geltendmachung subjektiver Gemeinschaftsrechte (z.B. Erstattung zuviel gezahlter Abgaben) grundsätzlich nach den nationalen Verfahrensvorschriften richtet (Grundsatz der Verfahrensautonomie). Dabei dürfen diese Bedingungen allerdings nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen (Grundsatz der Effektivität - Urteil vom 29.06.1988 C-240/87 - Denkavit Italiana, EuGHE 1988, 3513 Tz. 12; vom 01.12.1997 C-188/95 - Fantask, EuGHE 1997, I-6783 Tz. 45 ff; vom 28.11.2000 C-88/99 - Roquette Frères, EuGHE 2000, I-10465 Tz. 20 ff).

Bezogen auf die Gegebenheiten des Streitfalles spricht nichts dafür, dass es der Klägerin praktisch unmöglich gemacht oder erschwert worden sein könnte, die einmonatige Einspruchsfrist nach Bekanntgabe der Umsatzsteuerbescheide einzuhalten. Es verstößt nämlich weder gegen den Grundsatz der Effektivität noch der Gleichwertigkeit des Gemeinschaftsrechts, wenn die nationale Rechtsordnung eine Änderung im Widerspruch zur Gemeinschaftsrechtsordnung stehender Steuerbescheide dann versagt, wenn nach den Vorschriften der § 169 ff. AO Bestandskraft bzw. Festsetzungsverjährung eingetreten ist (Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.02.2005, a.a.O.; ebenso Lohse, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 27. Oktober 1993 C-338/91 - Steenhorst-Neerings, IStR 1994, 127).

Das nach Ablauf der Festsetzungsfrist eintretende Änderungsverbot der deutschen Abgabenordnung gilt gleichermaßen, wenn sich nachträglich eine bessere Rechtserkenntnis durch Ergehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, durch eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes oder durch Bekanntwerden eines der seitherigen Rechtsanwendung zuwider laufenden Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofes ergibt. Die Bedingungen für Anträge, bei denen die begehrte Erstattung von Steuern auf einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gestützt wird, sind nicht ungünstiger als für auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützte Anträge.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen auch keine - dem Fall Emmott vergleichbaren - besonderen Umstände vor, die es rechtfertigten, die Bestandskraft zu durchbrechen.

a) Zutreffend ist, dass die Korrekturvorschriften für Steuerbescheide (§§ 172 ff AO) im Gegensatz zu dem Korrektursystem für allgemeine (Steuer)Verwaltungsakte (§§ 130, 131 AO bzw. § 48, 51 VwVfG) keine Änderungs- bzw. Aufhebungsmöglichkeit für gemeinschaftsrechtswidrige Steuerbescheide vorsieht, wenn diese in Bestandskraft erwachsen sind.

Hieraus folgt aber noch kein Verstoß gegen das in Art. 10 EGV normierte gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot.

aa) Für die Korrektur von Steuerbescheiden und ihnen gleich gestellten Bescheiden gelten die §§ 172 - 177 AO als lex specialis.

Die Korrekturvorschriften der §§ 48 ff. VwVfG sind an den Mustern des Polizeirechts, Gewerberechts und öffentlichen Sachenrechts entwickelt worden und werden darum den Geldbescheiden nicht gerecht. Folglich bedurfte es der Sondervorschriften der §§ 172 ff AO, die die Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit gegenüber §§ 222 ff RAO neu und eigenständig gewichten. Dies war nicht zuletzt wegen der besonderen Fehleranfälligkeit der im Massenverfahren zu bewältigenden Materie des Abgabenrechts erforderlich geworden (Kruse, in: Tipke/Kruse, AO, Vor § 130 Rz. 18; von Groll, in: Hepp/Hübschmann/Spitaler, AO, Vor §§ 172-177 Rz. 25).

Mit der Zweigleisigkeit der Korrektursysteme in der Abgabenordnung (§§ 172 ff AO bzw. §§ 130, 131 AO) ist ein insgesamt vollständiges, durch analoge Anwendung einzelner Korrekturtatbestände oder Rechtsfortbildung grundsätzlich nicht erweiterungsfähiges Regelungswerk entstanden (Grundsatz der Tatbestandmäßigkeit der Korrektur, vgl. v. Groll, a.a.O.; ebenso im Ergebnis: BFH, Urteil vom 26.01.1994 X R 57/89, BStBl II 1994, 597; Urteil vom 20.09.1995, X R 9/93, BFH/NV 1996, 288).

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Verzicht auf eine "den §§ 49, 51 VwVfG vergleichbare Anpassungsmöglichkeit" nicht aus fiskalischen Gründen bedingt sondern den verfassungsrechtlichen Prinzipienwiderspruch zwischen Vertrauensschutz und Rechtssicherheit einerseits und materieller Rechtsrichtigkeit andererseits aufzulösen sucht (Loose, in Tipke/Kruse, AO, Vor § 172, Rz. 2 m.w.N.).

bb) Der in diesem Zusammenhang von der Klägerin angeführte Vergleich zwischen Rückforderung von Beihilfen und Steuern geht fehl. Hierzu muss man sich die unterschiedliche Ausgangslage vergegenwärtigen, die Grundlage für die von der Klägerin genannte Alcan-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 20.03.1997 - C-24/95, NJW 1998, 47) gewesen ist:

Die Rückforderung im Beihilferecht ist durch die Besonderheit des hohen Schutzguts (Funktionieren des gemeinsamen Marktes - Wettbewerbsfreiheit) gekennzeichnet. Zu diesem Schutz ist ein besonderes Verfahren in Art. 88 Abs. 3 EGV (ex- Art. 93) zur Überprüfung von unerlaubten Beihilfen normiert (u.a. vorherige Anmeldung der Beihilfe bei der Kommission). Bei einem Verstoß gegen dieses Verfahren erklärt die Kommission die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar. Die nationale Behörde ist zur Rückforderung der Beihilfe verpflicht (kein Ermessen). Ein entgegenstehendes Vertrauen des beihilfebegünstigten Unternehmens ist regelmäßig ausgeschlossen, weil es diesem möglich und zuzumuten ist, sich zu vergewissern, ob das Verfahren nach Art. 88 Abs. 3 EGV eingehalten wurde (Urteil vom 20.03.1997 - C-24/97 - Alcan, a.a.O. Rz. 25).

cc) Das Gericht versteht die Ciola-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 29.04.1999 - Rs. C-224/97, Slg. 1999, 2517 Rn. 32 ff.) nicht in dem von der Klägerin dargelegten Sinne.

Der EuGH entschied dort erstmals, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch gegenüber individuellen nationalen Rechtsakten zum Tragen kommen kann. Konkret ging es dabei um den Bescheid einer österreichischen Behörde, der eine Beschränkung von Bootsanlegeplätzen für Benutzer mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zum Inhalt hatte und der einige Jahre vor dem EU-Betritt Österreichs in Bestandskraft gewachsen ist. Der EuGH stellte fest, dass dieser Bescheid die EG-Dienstleistungsfreiheit verletzt und unanwendbar geworden sei, weshalb auf seiner Grundlage auch keine Sanktion verhängt werden dürfe.

Aus diesem Urteil könnte bei isolierter Betrachtung der Schluss gezogen werden, dass Gemeinschaftsrecht gegenüber entgegenstehenden individuellen Rechtsakten (z.B. Verwaltungsakten) in grundsätzlich gleicher Weise Vorrang genießt wie gegenüber generellen staatlichen Normen (z.B. Gesetzen). Ein solches Verständnis des Urteils stünde indes im Widerspruch zu der neueren Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kühne & Heitz (Urteil vom 13.01.2004 - Rs. C - 453/00, Slg. 2004, I-837). Hier hat der EuGH klargestellt, dass die Bestandskraft von Verwaltungsakten prinzipiell auch im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts gilt. Damit hat er gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass der Vorrang von Gemeinschaftsrecht gegenüber Bescheiden grundsätzlich nicht zum Tragen kommt.

Eine Rücknahmepflicht von bestandskräftigen (gemeinschaftswidrigen) Bescheiden hat der EuGH nur unter sehr engen Voraussetzungen angenommen. Eine dieser Prämissen ist, dass die Verwaltungsentscheidung erst nach einem nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbaren Urteil bestandskräftig geworden ist. Der Kläger hat also alle Möglichkeiten des Primärrechtsschutzes auszuschöpfen, so dass die Bestandkraft nicht auf sein Versäumnis zurückzuführen ist Der gemeinschaftsrechtlich geforderte effiziente Rechtsschutz kommt nur denjenigen gegenüber zum Tragen, die die im (mitglied)staatlichen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe zur Durchsetzung eben dieses Gemeinschaftsrechts auch tatsächlich ergreifen (Leonard/Szczekalla, UR 2005, 420, 427 und 433 m.w.N.).

Hier zeigt sich nun der entscheidungserhebliche Unterschied. Während die Klägerin in der Rechtssache Kühne & Heitz die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts stets aktiv betrieb und die ablehnende Verwaltungsentscheidung "erst infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist" (Urteil vom 13.01.2004, a.a.O. Rz. 28), hat es die Klägerin im vorliegenden Verfahren gerade versäumt, die Gemeinschaftswidrigkeit fristgerecht im Einspruchsverfahren geltend zu machen.

Das Urteil Ciola lässt sich mit dem dargelegten Verständnis in Einklang bringen. Denn dort ging es um den gemeinschaftswidrigen Bescheid einer österreichischen Behörde, der bereits einige Jahr vor dem EU-Beitritt Österreichs bestandskräftig geworden war. Damit hatte der Beschwerdeführer keine realistische Möglichkeit, den Bescheid im Rahmen des staatlichen Rechtsschutzsystems wegen EG-Widrigkeit erfolgreich anzufechten. In einer solchen (Ausnahme)Situation kann die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nur dadurch erfolgen, dass dieser (EG-widrige) Verwaltungsakt nicht mehr Grundlage für Sanktionen sein kann.

Im Lichte der Entscheidung Kühne & Heitz sind die im Urteil Ciola enthaltenen Aussagen über den Vorrang von Gemeinschaftsrecht gegenüber individuellen staatlichen Rechtsakten damit auf jene Fälle beschränkt, in denen eine erfolgversprechende Bekämpfung eines Bescheides unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht von vornherein nicht möglich war (Potacs, EuR 2004, 595, 600 m.w.N.).

b) Die Einspruchsfrist von einem Monat gemäß § 355 AO ist im Streitfall nicht unangemessen kurz. Ein Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot ist auch vor dem Hintergrund etwaigen "legislativen Unrechts" nicht zu erkennen.

Der Senat hat oben bereits ausgeführt, dass die Ausgestaltung des Verfahrens (Fristen, Bestandskraft, etc.) den Mitgliedstaaten obliegt (Grundsatz der Verfahrensautonomie). Die (gemeinschaftsrechtliche) Prüfungskompetenz des EuGH beschränkt sich hier auf den Grundsatz der Effektivität und der Gleichwertigkeit des Gemeinschaftsrechts, der vorliegend gewahrt wurde (sieht oben unter 1.).

aa) In der Rechtssache REWE stellte der EuGH fest, dass es nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wenn nach (inner-)staatlichem Recht eine Rückerstattung auf Grund eines wegen Fristversäumnis unanfechtbar gewordenen Abgabebescheids ausgeschlossen ist (EuGH, Urteil vom 16.12.1976 - Rs. 33/76, Slg 1976, 1989 Rz. 5 f; vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.05.1998 - 12 A 12501/97, NVwZ 1999, 198, 199; Rengeling/ Middeke/ Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 36 Rz. 26 a.E.).

Damit ist die Monatsfrist für die Klageerhebung nach der VwGO EG-rechtlich unbeanstandet geblieben. Warum für die Einspruchsfrist von einem Monat nach § 355 AO etwas Anderes gelten soll, erschließt sich dem Senat nicht.

Die genannte REWE-Entscheidung ist auch nicht "überholt". Sie ist nach wie vor aktuell (Grundsatz der Verfahrensautonomie) und wird vom EuGH in den Folgeentscheidungen zitiert (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 02.12.1997 - Rs. C-188/95 - Fantask, Slg 1997, I-6783 Rz. 48 - zu Verjährungsfristen).

bb) Die von der Klägerin bemühte Unterscheidung zwischen "administrativem" und "legislativem Unrecht" führt in diesem Zusammenhang nicht weiter.

Zunächst ist anzumerken, dass eine begriffliche Differenzierung in dem von der Klägerin vorgeschlagenen Sinne gar nicht möglich ist. Die nationalen Behörden sind an die Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts gebunden mit der Folge, dass gemeinschaftswidriges nationales Recht von ihnen nicht angewendet werden darf (EuGH, Urteil vom 22.06.1989 - Rs. C-103/88 - Constanzo, Slg. 1989, 1839, 1861). Tun sie es doch, so begehen sie "administratives" Unrecht.

Unabhängig davon bleibt unbeantwortet, warum der EG-Rechtswidrigkeit eines Bescheides für die Rechtsschutzposition des Bürgers erhebliche (besondere) Bedeutung zukommen soll. Die Rechtsschutzposition unterscheidet sich nämlich nicht von derjenigen bei Verfassungswidrigkeit eines Bescheides. Auch dort hat der Betroffene den - seiner Auffassung nach verfassungswidrigen - Bescheid innerhalb der Einspruchs- und Klagefristen anzufechten. Eine Verfassungsbeschwerde ist erst nach vorheriger Ausschöpfung des Rechtswegs statthaft, wobei auch dann die Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 BVerfGG einzuhalten ist.

3. Der Hilfsantrag auf Rückzahlung der gezahlten Umsatzsteuer für das Jahr 1993 in Höhe von 50.854,53 DM hat ebenfalls keinen Erfolg.

a) Für das förmliche Begehren auf Folgenbeseitigung nach § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO fehlt regelmäßig bereits das Rechtsschutzinteresse (Gräber/von Groll, FGO, § 100 Rz. 53 m.w.N.). Voraussetzung wäre außerdem ein anfechtbarer rechtswidriger Verwaltungsakt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Hieran fehlt es, weil der Einspruch vom Beklagten zu Recht als verfristet zurückgewiesen worden ist.

Eine entsprechende Anwendung des § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO zur Beseitigung von gemeinschaftswidrigen Vollzugsfolgen kommt nicht in Betracht. Die von der Klägerin hierzu in Bezug genommene Ciola-Entscheidung betrifft einen Ausnahmefall (EG-rechtswidriger Bescheid, der vor dem Beitritt Österreichs zur EU bestandskräftig geworden war, s. Ausführungen unter 2 a cc). Ein allgemeiner Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber bestandskräftigen Bescheiden lässt sich dieser Entscheidung gerade nicht ableiten.

b) Ein gemeinschaftsrechtlicher Erstattungsanspruch steht der Klägerin nicht zu.

Der EuGH hat in der Entscheidung Soupergaz folgende Aussage getroffen (Urteil vom 06.07.1995 - Rs. C-62/93, IStR 1995, 385 - Leitsatz 4):

"Ein Steuerpflichtiger kann mit Rückwirkung auf den Tag des Inkrafttretens der im Widerspruch zur 6. Richtlinie stehenden nationalen Rechtsvorschriften die Erstattung der ohne Rechtsgrund gezahlten Mehrwertsteuer nach den in der innerstaatlichen Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats festgelegten Verfahrensmodalitäten verlangen, sofern diese Modalitäten nicht ungünstiger sind als für gleichartige Klage, die das innerstaatliche Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sind, daß sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen".

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Die Zahlung der Umsatzsteuer in Höhe von 50.854,53 DM ist von der Klägerin mit Rechtsgrund erfolgt (bestandskräftige Umsatzsteuerfestsetzung für 1993).

c) Ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der 6. EG-Richtlinie wäre als Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art 14 GG vor dem Landgericht geltend zu machen.

Gleichwohl kann nach neuerer Rechtsprechung des V. Senats des BFH bei einem qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ein Schadensersatzanspruch des Steuerpflichtigen in Betracht kommen, der zu einem Billigkeitserlass der bestandskräftig festgesetzten Steuer oder von Säumniszuschlägen führen kann (vgl. BFH, Urteil vom 13.01.2005 - V R 35/03, DStR 2005, 647; BFH, Urteil vom 21.04.2005 - V R 16/04, DStR 2005, 1313 mit Anmerkung Klenk; ders., Sölch/Ringleb, UStG, vor § 1 Rz. 13 a.E.).

Hierauf kann sich die Klägerin allerdings nicht mit Erfolg berufen: Zum einen wäre dieser Billigkeitserlass nicht im vorliegenden Festsetzungsverfahren, sondern in einem gesonderten Erlassverfahren geltend zu machen. Zum anderen hat der BFH mit Urteil vom 21.04.2005 (V R 16/04, DStR 2005, 1313) bereits zutreffend entschieden, dass kein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt, weil die Vorgaben in Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie gerade nicht so zwingend und eindeutig sind, dass dem Finanzamt die EG-Widrigkeit des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG auffallen musste. Dies gilt jedenfalls - so der BFH weiter - bis zur Entscheidung Fischer vom 11.06.1998 (EuGH, Urteil vom 11.06.1998 - Rs. C-283/95, UR 1998, 384 - unerlaubtes Roulette als Glückspiel).

4. Einer Vorlage an den EuGH bedurfte es nicht.

Art. 234 Abs. 2 EGV bestimmt, dass nationale Gerichte dem EuGH entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Fragen zur Beantwortung unterbreiten können (Vorlagebeberechtigung).

Die Möglichkeit, von dem Vorlageermessen Gebrauch zu machen, setzt notwendigerweise ein Mindestmaß an Unsicherheit und Zweifeln über den Inhalt und die Wirksamkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung voraus. Dementsprechend erübrigt sich eine Vorlage, wenn - wie vorliegend - die gemeinschaftsrechtlichen Fragen hinreichend geklärt und im eigentlichen Sinne nicht mehr fraglich ist (Lehre vom "acte clair", vgl. Rengeling/ Middeke/ Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 10 Rn. 61-63, sowie § 38 Rn. 40).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

6. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Ende der Entscheidung

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