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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 5 K 430/04
Rechtsgebiete: GG, EStG


Vorschriften:

GG Art. 6
GG Art. 20
EStG § 31
EStG § 32 Abs. 6
EStG § 66
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

5 K 430/04

Kindergeld 2002 bis 2004

Tatbestand:

Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für die Jahre 2002 - 2004.

Die Klägerin bezog für ihren am 22. Juni 2001 geborenen Sohn T. Kindergeld in Höhe des nach § 66 Einkommensteuergesetz (EStG)vorgesehenen Betrages von 154,00 EUR monatlich. Gegen die Kindergeldfestsetzung legte die Klägerin mit der Begründung Einspruch ein, das gesetzlich vorgesehene Kindergeld sei zu niedrig, da das Existenzminimum des Kindes im Einzelfall nicht abgedeckt werde. § 66 EStG verstoße deshalb gegen das Grundgesetz -GG-. Mit Einspruchsbescheid vom 1. September 2004 wies die Agentur für Arbeit - Familienkasse - den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt:

Nach § 31 EStG werde das Kindergeld - soweit es nicht zur Sicherstellung des steuerfreien Existenzminimums erforderlich sei - als Sozialleistung gezahlt. Steuerrechtlich dürfe das Existenzminimum nicht besteuert werden. Hieraus könne - soweit das Kindergeld als Sozialleistung gezahlt werde - gefolgert werden, dass durch das Kindergeld zumindest das Existenzminimum des Kindes abgesichert sein müsse. Diesen Voraussetzungen genüge § 66 EStG nicht.

Bei einem Spitzensteuersatz von 48,5% und einem verfassungsgemäßen Existenzminimum von 6.545,00 EUR errechne sich ein jährliches Kindergeld i.H.v. 3.175,00 EUR bzw. 265,00 EUR monatlich. Das steuerliche Existenzminimum betrage für das Kalenderjahr 2002 beispielsweise 5.808,00 EUR (Kinderfreibetrag, Ausbildungs- und Betreuungsfreibetrag). Bei einem Spitzensteuersatz von 48,5% bedeute dies, dass mindestens ein Kindergeld i.H.v. 2.817,00 EUR oder 235,00 EUR monatlich angemessen sei. Das tatsächliche Existenzminimum betrage dagegen nach einer Berechnung des Deutschen Familienverbandes 6.545,00 EUR. Unter Berücksichtigung eines gesetzlichen Kindergeldanspruches i.H.v. 1.848,00 EUR pro Jahr folge daraus, dass der Mindestbedarf eines Kindes lediglich zu 28% durch das gesetzliche Kindergeld abgedeckt werde.

Tatsächlich sei jedoch das von den Eltern für den Unterhalt des Kindes aufzubringenden Leistungen höher als die vom Deutschen Familienverband zugrunde gelegten Summe. Die tatsächlichen Kinderbetreuungskosten beliefen sich auf durchschnittlich 2.699,00 EUR zu dem das sogenannte sächliche Existenzminimum des Kindes i.H.v. 3.648,00 EUR hinzuzurechnen sei. Die Verpflichtung des Staates, die finanzielle Belastung der Familien auszugleichen, ergebe sich aus Artikel 20 GG. Die Verschlechterung der finanziellen Lage von Familien mit Kindern bzw. Alleinstehenden mit Kindern führe zu einer Verarmung der Gesellschaft, insbesondere der Familien, in deren Folge die Geburtenrate stetig absinke. Der Förderbedarf aus Artikel 20 und 6 GG liege darin, Familien mit Kindern so zu stellen, dass sie letztlich mit dem Existenzminimum der Familienleistungsausgleichsförderung eines Steuerpflichtigen gleichgestellt würden, bei dem die Absicherung des Existenzminimums über den Kinderfreibetrag erfolge. Zwar ergebe sich aus Artikel 20 GG kein unmittelbarer Rechtsanspruch auf Förderungsleistungen, jedoch seien die Abwägungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Ausgestaltung von Sozialleistungen unter verfassungsrechtlichen Maßstäben zu prüfen. Durch die derzeitige Regelung werden die Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit gestört. Diese sei für Familien nicht mehr sichergestellt, da sie finanziell deutlich schlechter stünden als Steuerpflichtige ohne Kinder. Die Einschränkungen und der Mehraufwand mit den Kindern für Eltern und die Familien zur Folge hätten, seien Bestandteil der Familie als Erziehungs- und Wirtschaftsgemeinschaft und deshalb unter den Schutz von Art. 6 GG zu stellen. Der diesbezügliche Spielraum des Gesetzgebers habe sich unter Berücksichtigung des fortschreitenden sozialen Abstiegs der Familien und der ungünstigen demografischen Entwicklung der Gesellschaft eingeengt. Diesen sich aus Art. 6 GG ergebenden Anspruch habe der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des Familienleistungsausgleichs nicht erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

das Kindergeld für die Jahre 2002 - 2004 in Höhe von monatlich 265,00 EUR festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Kindergeld für die Streitjahre entsprechend den gesetzlichen Regeln festgesetzt und gezahlt worden sei. Die dem zugrunde liegende Vorschrift des § 66 Abs. 1 EStG verstoße nicht gegen das Grundgesetz.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen über 154 EUR hinausgehenden Kindergeldanspruch für ihren Sohn T. Denn nach § 66 Abs. 1 EStG beträgt das Kindergeld für das erste Kind monatlich 154 EUR. Diese Vorschrift ist nicht verfassungswidrig.

Nach § 31 EStG wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld sichergestellt. Ist das Kindergeld für die Sicherung des Existenzminimums nicht erforderlich, dient es der Förderung der Familie ( § 31 Satz 2 EStG). Wird durch das Kindergeld die Freistellung des Existenzminimums nicht erreicht, ist der Kinderfreibetrag abzuziehen.

Aus dieser Gesetzessystematik ergibt sich, dass die Frage, ob das Existenzminimum eines Kindes vom Gesetzgeber zu niedrig bemessen wurde, im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer zu prüfen ist (vgl. BFH Urteile vom 26. Feburar 2002 VIII R 92/98 BStBl II 2002, 596 und vom 13. August 2002 VIII R 80/97 BFH/NV 2002,1456, Felix in Kirchhoff/Söhn Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 66 Rdnr. B 2).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung eines höheren Kindergeldes, soweit dieses als Sozialleistung gezahlt wird.

Aus dem aus Art. 20 GG abgeleiteten Sozialstaatsgrundsatz ergibt sich zwar ein Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, ohne dass sich daraus eine Verpflichtung ableiten ließe, Sozialleistungen in bestimmter Höhe zu gewähren. Verpflichtend für den Staat ist nur die Gewährleistung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 26/84, 4/84, BStBl Ii 1990 653, BFH Urteil vom 26. Februar 2002 VIII R 92/98, BStBl II 2002, 596). Diese Vorgaben sind für die Streitjahre erfüllt (vgl auch BFH Urteil vom 11. März 2003 VIII R 76/02, BFH/NV 2003, 1303). Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Leistungen hat der Gesetzgeber einen weiten Ermessenspielraum, in welchem Umfang er Sozialleistungen gewähren will. Dieser Ermessensspielraum ist mit dem gesetzlich vorgesehenen Kindergeld eingehalten (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Mai 2004 2 BvR 1375/03 HFR 2004, 692)

Die Höhe des Kindergeldes verstößt auch nicht gegen Art. 6 GG. Das darin enthaltene Verbot, Ehe und Familie durch staatliche Maßnahmen zu benachteiligen, begründet keine Verpflichtung Familien von den Aufwendungen für das Aufziehen von Kindern vollständig zu entlasten (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Mai 2004 2 BvR 1375/03 HFR 2004, 692).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Gründe hierfür nicht vorliegen. Nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs verstößt § 66 EStG nicht gegen das Grundgesetz. Die sich dann für die Höhe des Kindergeldes ergebenden Konsequenzen folgen unmittelbar aus dem Gesetz.

Ende der Entscheidung

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