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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 5 V 230/07
Rechtsgebiete: UStG, MwStSystRL, 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b
MwStSystRL Art. 135 Abs. 1 Buchst. i
77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. f
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

5 V 230/07

Gründe:

I. Streitig ist die Umsatzsteuerfreiheit der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten.

Die Antragstellerin erzielt Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten. Mit Bescheiden vom 16.04.2007 über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Januar bzw. Februar 2007 unterwarf der Antragsgegner die Umsätze aus Geldspielgeräten der Steuerpflicht (Zahllast: 778,67 EUR für Januar bzw. 2.457,16 EUR für Februar).

Hiergegen erhob die Antragstellerin unter dem 18.05.2007 Einspruch und beantragte die Umsätze aus Geldspielgeräten ohne Vorsteuerabzug steuerfrei zu stellen. Zur Begründung führte sie an, dass die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG (Inkrafttreten der Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG am 06.05.2006) keine rechtmäßige Umsetzung der 6. EG-Richtlinie in nationales Recht darstelle.

Den gleichzeitig gestellten Aussetzungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Verfügung vom 23.05.2007 ab. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass der Gesetzgeber durch die Änderung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG die umsatzsteuerliche Neutralität hergestellt habe, indem die bislang umsatzsteuerfreien Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, in die Umsatzsteuerpflicht einbezogen würden.

Dagegen hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) an das Gericht gestellt, den sie im wesentlichen mit dem AdV-Beschluss des FG Düsseldorf vom 27.03.2007 (5 V 4521/06 A (U), UR 2007, 455) begründete.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der Bescheide vom 16.04.2007 über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Januar und Februar 2007 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hält daran fest, dass der Gesetzgeber mit der durch § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. erlaubten (generellen) Besteuerung von sonstigen Glücksspielumsätzen (einschließlich solcher aus dem Betrieb von Geldspielgeräten) den ihm durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL (Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie) eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht überschritten habe.

Er bezieht sich dabei auf die Gesetzesbegründung der Bundesregierung (BT-Drucks. 326/05) und führt aus, dass die Mitgliedstaaten nach der Richtlinienvorschrift nicht verpflichtet seien, sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz steuerfrei zu stellen, sondern im Gegenteil, Einschränkungen ("Bedingungen und Beschränkungen") vornehmen dürften. Bei der Ausgestaltung dieser Einschränkungen habe sich der Gesetzgeber am umsatzsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz derart auszurichten, dass gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Glücksspielumsätze umsatzsteuerlich gleich behandelt würden. Dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe genüge die Neuregelung, da Glücksspiele und Glücksspielgeräte aller Art sowohl innerhalb als auch außerhalb zugelassener öffentlicher Spielbanken nunmehr gleich behandelt und der Besteuerung unterworfen würden. Die fortbestehende Befreiung der Wetten und Lotterien, die dem Rennwett- und Lotteriegesetz unterlägen, verletze den Neutralitätsgrundsatz nicht, da diese Umsätze mit den übrigen Glücksspielumsätzen nicht vergleichbar seien.

Außerdem habe der 16. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts mit Beschluss vom 22.05.2007 (16 V 137/07 n.v.) bereits entschieden, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neuregelung des § 4 Nr. Buchst. b UStG bestünden.

II. Der Antrag ist begründet. Die Vollziehung der streitbefangenen Umsatzsteuer-Voranmeldung ist ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 undvom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1736).

Deshalb sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides auch dann gegeben, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von einer in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Beurteilung abhängt (vgl. BFH Beschlüsse vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147 undvom 14. Oktober 2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87). Dies ist der Fall, wenn der BFH die streitige Rechtsfrage noch nicht entscheiden hat und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte insoweit unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. Gräber/Koch, FGO-Kommentar, § 69 Rz. 87 m.w.N.; FG München, Beschluss vom 13.07.2006 14 V 1069/06 - juris).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Während der 16. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts im AdV-Verfahren keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neuregelung geäußert hat (Beschluss vom 22.05.2007 16 V 137/07 n.v.), hat es das Finanzgericht Düsseldorf als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob § 4 Nr. 9 Buchst. 9 UStG n.F. europarechtskonform ist (Beschluss vom 27.03.2007 5 V 4521/06 A (U), UR 2007, 455 m. Anm. Jahndorf/Oellerich).

Die Beschwerde ist vom FG Düsseldorf zugelassen worden und inzwischen erhoben. Der BFH hat die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden. Mit der Entscheidung Linneweber/ Akritidis wurde die frühere Unterscheidung nach nationalem Recht zwischen dem Glücksspiel innerhalb und außerhalb der öffentlichen Spielbanken für gemeinschaftswidrig erachtet (EuGH-Urteil vom 17.02.2005, a.a.O.; nachf. BFH-Urteil vom 12.05.2005 V R 7/02, BStBl II 2005, 617). Ein sicheres Präjudiz für die Gemeinschaftsrechtskonformität der Neuregelung lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen. Gleiches gilt für die vom Antragsgegner genannten EuGH-Urteile in den Rechtssachen "Wollny" und "L. u. P. GmbH".

Ähnlich kontrovers verläuft die Diskussion im Schrifttum. Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität werden von einem Teil der Lehre geäußert (Thill/Puls, UStB, 2006, 166; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 4 Nr. 9 Rz. 211; Nieskens, UR 07, 125), während ein anderer Teil keine diesbezüglichen Bedenken hat (Klenk in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 9 Rz. 133.2; Hünnekens in Peter/Burhoff/Stöcker, UStG, § 4 Nr. 9 Rz. 64 ff; Dziadkowski, UStB 2007, 16; Jahndorf/Oellrich, a.a.O.).

Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage in Judikatur und Schrifttum ist die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

2. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung bestand kein Anlass, weil der Antragsgegner keine Gründe vorgetragen hat, die für eine Gefährdung des Steueraufkommens sprechen könnten (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 14.10.2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

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