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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: 6 K 441/08
Rechtsgebiete: GewStG, FGO


Vorschriften:

GewStG § 2 Abs. 1
GewStG § 2 Abs. 2
GewStG § 3
FGO § 115 Abs. 2
Die Gewerbesteuerbefreiung der Organträgerin nach § 3 Nr. 20 Buchst. c Gewerbesteuergesetz erstreckt sich nicht auf die Organgesellschaft.
Tatbestand:

Streitig ist, ob sich die bei der Klägerin gegebene Gewerbesteuerbefreiung auch auf die Organgesellschaft O GmbH (O) erstreckt.

Die Klägerin, eine GmbH, betreibt ein Senioren- und Pflegeheim. Sie ist nach § 3 Nr. 20 Buchst. c Gewerbesteuergesetz (GewStG) von der Gewerbesteuer befreit.

Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin der O. Das Wirtschaftsjahr der O stimmt mit dem Kalenderjahr überein. Unternehmenszweck der O ist die Zubereitung von Speisen und Getränken für die Heimbewohner und die Reinigung des Heimgebäudes der Klägerin. Die O wird nur für die Klägerin tätig.

Die Klägerin und die O haben am 23. Dezember 2003 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen, in dem sich die O verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an die Klägerin abzuführen, während sich die Klägerin verpflichtet, Jahresfehlbeträge der O auszugleichen. Eine ordentliche Kündigung war erstmals zum 31. Dezember 2008 möglich. Der Vertrag ist im Jahr 2004 in das Handelsregister der Klägerin eingetragen worden.

Da die Klägerin keine Gewerbesteuererklärung abgab, erließ der Beklagte (das Finanzamt) den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag vom 27. April 2007. Dabei setzte es den der Höhe nach unstrittigen Gewerbeertrag der O bei der Klägerin an. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsbescheid vom 8. September 2008) die Klage.

Die Klägerin meint, ihre Gewerbesteuerbefreiung müsse auch für die O gelten. Die O sei nur gegründet worden, um eine bessere Kostenkontrolle zu haben. Würde die Klägerin die Tätigkeiten der O selbst erbringen, würde sich die Steuerbefreiung auch auf diese Tätigkeit erstrecken. An dem Vortrag, in Anlehnung an das zur Merkmalsübertragung bei Besitz- und Betriebsunternehmen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung ergangene BFH-Urteil vom 29. März 2006 (X R 59/00, BStBl II 2006, 661) erbringe daher auch die O gewerbesteuerfreie Leistungen, werde zwar nicht mehr festgehalten. Wirtschaftlich betrachtet handele es sich bei der Klägerin und der O aber um ein "Einheitsunternehmen", das, wenn es so geführt würde, in vollem Umfang von der Gewerbesteuer befreit wäre. Die O sei aufgrund der gewerbesteuerlichen Organschaft nur als Betriebsstätte der Klägerin anzusehen. Dann müsse sich die Steuerbefreiung der Klägerin aber auch auf die O erstrecken. Dies werde auch von Sarrazin in Lenski/Steinberg (Gewerbesteuergesetz, § 3, 6) vertreten, der ausführe, ein unterschiedliches gewerbesteuerliches Schicksal zwischen der Geschäftsleitung und den Betriebsstätten eines Unternehmens sei schwer vorstellbar. Im Übrigen werde auch auf das Urteil des Finanzgerichts des Saarlands vom 14. November 2001 (1 K 347/98, EFG 2002, 214) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid für 2005 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 27. April 2007 und den Einspruchsbescheid vom 8. September 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, das von der Klägerin zunächst herangezogene BFH-Urteil (in BStBl II 2006, 661) sei hier nicht einschlägig. Zwischen der Klägerin und der O bestehe keine Betriebsaufspaltung, sondern es gebe lediglich vertragliche Beziehungen zwischen zwei selbständig tätigen Gesellschaften.

Maßgeblich sei vielmehr das BFH-Urteil vom 4. Juni 2003 (I R 100/01, BStBl II 2004, 244) wonach sich die Befreiung einer Organgesellschaft von der Gewerbesteuer gemäß § 3 Nr. 20 GewStG auch dann nicht auf eine andere, die Befreiungsvoraussetzungen nicht erfüllende Organgesellschaft (Schwestergesellschaft) desselben Organkreises erstrecke, wenn die Tätigkeiten der Gesellschaften sich gegenseitig ergänzten. Der X. Senat des BFH stelle diese Rechtsprechung des I. Senats des BFH in dem Urteil vom 29. März 2006 auch nicht in Frage. Entscheidend sei vor allem, dass der im Betriebsaufspaltungsfall eingreifende "Abfärbe- bzw. Infektionsgedanke", wonach der gewerbliche Charakter der an sich vermögensverwaltenden Betätigung des Besitzunternehmens durch die Gewerblichkeit des Betriebsunternehmens determiniert werde, in dem vom I. Senat des BFH zu beurteilenden Organschaftsfall, in dem beide Schwestergesellschaften unabhängig voneinander jeweils gewerbliche Unternehmen betrieben hätten, keine Rolle spiele.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

1. Die O für sich gesehen unterhält einen Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 GewStG, der der Gewerbesteuer unterliegt, und ist, was keiner weiteren Darlegung bedarf, nicht von der Gewerbesteuer befreit. Die Steuerbefreiung der Klägerin nach § 3 Nr. 20 Buchst. c GewStG hat keine Auswirkung auf die Gewerbesteuerpflicht der O mit der Folge, dass der Gewerbesteuerertrag der O bei der Klägerin als gewerbesteuerlichem Organträger anzusetzen ist.

Die Befreiung einer Organgesellschaft von der Gewerbesteuer gemäß § 3 Nr. 20 GewStG erstreckt sich auch dann nicht auf eine andere Organgesellschaft desselben Organkreises, die die Befreiungsvoraussetzungen ihrerseits nicht erfüllt, wenn die Tätigkeiten der Gesellschaften sich gegenseitig ergänzen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer gesetzlichen Steuerbefreiung müssen von der jeweiligen Organgesellschaft selbst erfüllt werden (BFH in BStBl II 2004, 244, unter Aufhebung des von der Klägerin herangezogenen Urteils des Finanzgerichts des Saarlands vom 14. November 2001).

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG gelten Kapitalgesellschaften, die derart in ein anderes inländisches gewerbliches Unternehmen eingegliedert sind, dass die Voraussetzungen des § 14, 17 oder 18 Körperschaftsteuergesetz (KStG) erfüllt sind, als Betriebsstätten des anderen Unternehmens (sog. gewerbesteuerrechtliche Organschaft). Trotz dieser Fiktion bilden die eingegliederten Kapitalgesellschaften (die Organgesellschaften) und das andere Unternehmen (der Organträger) kein einheitliches Unternehmen. Sie bleiben vielmehr selbständige Gewerbebetriebe, die einzeln für sich bilanzieren und deren Gewerbeerträge getrennt zu ermitteln sind (sog. gebrochene oder eingeschränkte Einheitstheorie; s. zur insoweit ständigen Rechtsprechung BFH-Urteile vom 18. September 1996 I R 44/95, BFHE 181, 504, BStBl II 1997, 181; vom 22. April 1998 I R 109/97, BFHE 186, 443, BStBl II 1998, 748). Die Organschaft führt dazu, dass die persönliche Gewerbesteuerpflicht der Organgesellschaften für die Dauer der Organschaft dem Organträger zugerechnet wird (s. BFH-Urteil vom 27. Juni 1990 I R 183/85, BFHE 161, 157, 160, BStBl II 1990, 916, 918). Deshalb ist der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag für die zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebe - das sind die Gewerbebetriebe des Organträgers und der Organgesellschaft(en) - allein gegenüber dem Organträger festzusetzen.

Um den für die Festsetzung des Steuermessbetrages nach dem Gewerbeertrag maßgebenden Gewerbeertrag des Organkreises zu ermitteln, sind die getrennt ermittelten Gewerbeerträge des Organträgers und der Organgesellschaft(en) zusammenzurechnen und die Summe um die sich aufgrund der Zusammenrechnung etwa ergebenden steuerlichen Doppelbelastungen oder ungerechtfertigten steuerlichen Entlastungen zu korrigieren. Je nachdem, um welchen Rechenposten es sich handelt, sind die Korrekturen entweder bereits bei den selbständig ermittelten Gewerbeerträgen der zum Organkreis gehörenden Betriebe oder nachfolgend durch Hinzurechnungen zu bzw. Abzügen von der Summe der getrennt ermittelten Gewerbeerträge vorzunehmen. Rechtsgrundlage der Korrekturen ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG (s. BFH-Urteile vom 6. November 1985 I R 56/82, BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73, m.w.N.; vom 2. Februar 1994 I R 10/93, BFHE 173, 426, BStBl II 1994, 768; vom 25. Juli 1995 VIII R 54/93, BFHE 178, 448, BStBl II 1995, 794; in BFHE 181, 504, BStBl II 1997, 181; in BFHE 186, 443, BStBl II 1998, 748; vgl. zum Ganzen BFH in BStBl II 2004, 244 zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1984).

Nach diesen Grundsätzen erstreckt sich die Steuerbefreiung der Klägerin nicht auf die O.

Es besteht allerdings eine gewerbesteuerliche Organschaft der O zur Klägerin. Die Voraussetzungen der §§ 14, 17 Körperschaftsteuergesetz (KStG) sind hier erfüllt. Insbesondere haben die Klägerin und die O einen Gewinnabführungsvertrag geschlossen, wonach der gesamte Gewinn an die Klägerin abgeführt und Verluste von der Klägerin übernommen werden. Alleiniger Anteilseigner der O ist die Klägerin, eine nicht von der Körperschaftsteuer befreite Körperschaft. Der Gewinnabführungsvertrag ist auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und wird tatsächlich durchgeführt. Dass die Klägerin von der Gewerbesteuer befreit ist, steht der Annahme einer Organschaft nicht entgegen (a.A. möglicherweise Sarrazin a.a.O., der ohne Differenzierung zwischen Körperschaft- und Gewerbesteuerbefreiung ausführt, die Organschaft zu einem steuerfreien Träger sei gesetzlich ausgeschlossen, es stelle sich nur die Frage, ob eine Steuerbefreiung der Organgesellschaft auf den Organträger übergreife). Seit dem Veranlagungszeitraum 2002 besteht eine "Zwangsverknüpfung" (Güroff in Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2, 191) der gewerbesteuerlichen mit der körperschaftsteuerlichen Organschaft.

Trotz der Organschaft sind die Klägerin und die O kein "Einheitsunternehmen", sondern selbständige Gewerbebetriebe, die einzeln für sich bilanzieren und deren Gewerbeerträge getrennt zu ermitteln sind. Die Organschaft führt nur dazu, dass die persönliche Gewerbesteuerpflicht der O für die Dauer der Organschaft der Klägerin zugerechnet und der Gewerbesteuermessbetrag für die zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebe allein gegenüber der Klägerin festgesetzt wird. Während der Organschaft erlischt die persönliche - nicht aber die sachliche - Steuerpflicht der O und die Klägerin wird Steuerschuldner der auf den Gewerbeerträgen des Organkreises beruhenden Gewerbesteuer. Die Betriebsstättenfunktion ist (lediglich) Grundlage für die Zurechnung vom Gewerbeertrag beim Organträger (Güroff in Glanegger/Güroff a.a.O.). Bleibt demzufolge trotz der Betriebsstättenfiktion die sachliche Steuerpflicht der einzelnen Gesellschaft im Fall der Organschaft unberührt, ist es folgerichtig, dass die Frage einer Gewerbesteuerbefreiung bei Organträger und Organgesellschaft unterschiedlich beantwortet werden kann.

Dem steht, wovon nunmehr auch die Klägerin ausgeht, das BFH-Urteil vom 29. März 2006 (in BStBl II 2006, 661) nicht entgegen. Die Sachverhalte sind nicht vergleichbar. Das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung ist dadurch gekennzeichnet, dass die gewerbliche Betätigung des Betriebsunternehmens unbeschadet und trotz der rechtlichen Eigenständigkeit beider Unternehmen die - isoliert betrachtet - vermögensverwaltende Tätigkeit des Besitzunternehmens im Wege der "Infektion" oder "Abfärbung" in eine gewerbliche wandelt. Dann aber erscheint es vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich sanktionierten Gebots der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271; Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 94 ff.) nur konsequent, den zur Begründung der Betriebsaufspaltung und damit zur Umqualifizierung der an sich vermögensverwaltenden Betätigung des Besitzunternehmens in eine gewerbliche Tätigkeit bemühten Gedanken der "wirtschaftlichen Verflochtenheit" ebenso bei der Beantwortung der Frage heranzuziehen, ob sich die Gewerbesteuerbefreiung der Betätigung des Betriebsunternehmens auch auf das Besitzunternehmen erstreckt. Gegen dieses, aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) herzuleitende Gebot der Folgerichtigkeit verstieße es, wenn einerseits für den die Gewerblichkeit des Besitzunternehmens konstituierenden "Belastungsgrund" maßgebend auf den Gesichtspunkt der "wirtschaftlichen Verflochtenheit" und andererseits für den die Gewerbesteuerbefreiung auslösenden "Entlastungsgrund" auf den Aspekt der "rechtlichen Trennung" abgestellt würde (vgl. BFH in BStBl II 2006, 661 m.w.N.).

Mit dem richterrechtlich geschaffenen Institut der Betriebsaufspaltung wird das Ziel verfolgt, zu verhindern, dass der Gewerbesteuer durch die Aufspaltung des zur Verwirklichung der gewerblichen Tätigkeit eingesetzten Vermögens auf zwei eigenständige Rechtsträger ausgewichen wird. Besteht aber gar keine Steuerpflicht, kann sie auch nicht umgangen werden (vgl. BFH in BStBl II 2006, 661).

Demgegenüber findet im hier vorliegenden Fall der Organschaft keine "Infektion" oder "Abfärbung" statt, die eine an sich vermögensverwaltende Tätigkeit in eine gewerbliche wandelt. Die O ist genuin gewerblich tätig. Beruht die Gewerbesteuerpflicht der O aber nicht auf dem Organschaftsverhältnis zur Klägerin, kann das Organschaftsverhältnis auch kein Grund sein, die Gewerbesteuerbefreiung der Klägerin auf die O zu erstrecken.

Richtig ist zwar, dass die Steuerfreiheit der hier von der O erzielten Gewerbeerträge gegeben wäre, wenn die Tätigkeit der O auch von der Klägerin erbracht würde. Dies allein rechtfertigt aber keine Erstreckung der Steuerbefreiung auch auf die O. Der Unterschied zu dem Fall der Betriebsaufspaltung liegt darin, dass das Besitzunternehmen keine genuin gewerbliche Tätigkeit ausübt und nur als gewerblich behandelt wird, um zu verhindern, dass durch die Aufspaltung in Besitz- und Betriebsunternehmen die Gewerbesteuer umgangen wird. Kann es gar nicht zu einer Umgehung der Gewerbesteuer kommen, weil bei der Betriebsgesellschaft eine Steuerbefreiungsvorschrift greift, entfällt die Rechtfertigung für die "abgefärbte" Gewerbesteuerpflicht des Besitzunternehmens. Im Streitfall ist die O hingegen genuin gewerblich tätig.

2. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO) zugelassen. Angesichts der Ausführungen von Sarrazin (a.a.O.) erscheint es klärungsbedürftig, ob auch die Organschaft zu einem nur von der Gewerbesteuer befreiten Organträger ausgeschlossen ist. Der Sachverhalt weicht von dem des BFH-Urteils vom 4. Juni 2003 (in BStBl II 2004, 244) insoweit ab, als es nicht um die Erstreckung der Steuerbefreiung einer Organgesellschaft auf eine andere desselben Organkreises geht, sondern um die Erstreckung der Steuerbefreiung des Organträgers auf eine Organgesellschaft. Zudem besteht die Besonderheit, dass die Organgesellschaft nur gegenüber dem Organträger tätig wird.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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