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Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 10.01.2008
Aktenzeichen: 1 Ko 1583/07
Rechtsgebiete: GKG, FGO, ZPO
Vorschriften:
GKG § 34 | |
FGO § 155 | |
ZPO § 283 |
Finanzgericht Nürnberg
Gründe:
I. Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragte in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2007 die Umsatzsteuer 1989 mit -63.033 DM festzusetzen.
Lt. Protokoll dieser mündlichen Verhandlung wurde dem Bevollmächtigten bis 21.09.2007 eine Frist eingeräumt, um sich zur Klagerücknahme zu äußern. Die mündliche Verhandlung wurde daraufhin geschlossen. Der Bevollmächtigte nahm am 19.09.2007 nach Rücksprache mit der Klägerin die Klage zurück.
Der Kostenbeamte legte einen Streitwert von 137.140 EUR zugrunde und stellte die Gerichtskosten mit dem vierfachen Satz der Gebühr nach § 34 GKG (4.224 EUR) der Klägerin in Rechnung.
Mit ihrer Erinnerung beantragt die Klägerin die Gerichtskosten nur mit einem zweifachen Satz zu berechnen, da die mündliche Verhandlung noch nicht geschlossen worden sei. Die vorsitzende Richterin habe eine Frist bis 21.09.2007 gewährt, um der Klägerin die Gelegenheit zu geben, die Klage aus Kostengründen noch zurückzunehmen.
II. Die Erinnerung ist begründet.
Nach Nr. 6111 des Kostenverzeichnisses (KV) zum Gerichtskostengesetz ermäßigt sich die Gebühr für das Verfahren im allgemeinen auf den zweifachen Satz einer Gebühr nach § 34 GKG, wenn die Klage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wird.
Die Auslegung der Regelung ergibt, dass die Klagerücknahme, die innerhalb einer hierfür nach § 155 FGO i.V.m. § 283 ZPO gesetzten Schriftsatzfrist eingeht, noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt wird.
1. Rechtsnormen bedürfen idR der Auslegung, um deren wirklichen Sinn zu erfassen, weil die Wortfassung der Norm oftmals den Inhalt des Gesetzes nur unvollkommen zum Ausdruck bringt. Ziel jeder Gesetzesauslegung ist die Ermittlung des objektivierten Willens des Gesetzgebers, wie er sich insbesondere aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt. Jede Auslegung hat selbstverständlich vom Wortlaut der Rechtsnorm auszugehen; sie darf aber hierbei nicht stehenbleiben (Urteil des BVerfG vom 21.05.1952 2 Bv.H. 2/52, BVerfGE 1, 299, 312 ; BFH-Urteile vom 09.11.1971 VI R 96/70 BStBl II 1972, 134 undvom 18.05.1994 I R 84/93, BStBl II 1994, 713)
a) Der Wortlaut der Nr. 6111 des Kostenverzeichnisses legt nahe, als Schluss der mündlichen Verhandlung die Erklärung des Vorsitzenden nach § 93 Abs. 3 Satz 1 FGO zu verstehen. Danach erklärt der Vorsitzende nach Erörterung der Streitsache die mündliche Verhandlung für geschlossen.
Da die Gebührenermäßigung bei Klagerücknahme vor Schluss der mündlichen Verhandlung jedoch nicht auf die Finanzgerichtsbarkeit beschränkt ist, sondern nach den Nummern 1211, 5111 und 7111 des Kostenverzeichnisses auch für die anderen Gerichtsbarkeiten gleichermaßen gilt, können zum Verständnis des Wortlautes auch die anderen Prozessordnungen herangezogen werden. Insbesondere aus § 136 Abs. 4 ZPO ergibt sich hierzu, dass der Vorsitzende die Verhandlung schließt, wenn nach Ansicht des Gerichts die Sache vollständig erörtert ist. Als eine weitreichende Folge des Verhandlungsschlusses verlieren die Parteien ihr Recht auf weiteren Sachvortrag (§ 296 a ZPO; Baumbach ZPO, 64. Auflage, § 126 Rz 33). § 296 a Satz 2 ZPO wiederum lässt weiteren Sachvortrag zu, soweit einer Partei eine Schriftsatzfrist nach § 283 ZPO eingeräumt wurde.
Damit lässt der Wortlaut der Nr. 6111 KV für den "Schluss der mündlichen Verhandlung" die Interpretation zu, wonach hierunter nur die Erklärung des Vorsitzenden zu verstehen ist, falls das Gericht von einer vollständigen Erörterung der Sache ausgeht und keine Schriftsatzfrist nach § 283 ZPO eingeräumt hat.
b) Die Systematik der Prozessordnungen spricht dafür, den "Schluss der mündlichen Verhandlung" für die Partei und soweit der gewährte Schriftsatzvorbehalt reicht, auf den Zeitpunkt zu verlängern, bis zu dem der Schriftsatz eingereicht wird oder, wenn dies nicht der Fall ist, die Schriftsatzfrist abläuft.
Die Finanzgerichtsordnung geht von Gerichtsentscheidungen grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung aus, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 103 Abs. 1 GG) gebietet es, die Beteiligten zu allen erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu hören, ihnen hierfür ausreichend Raum zu geben und sie nicht mit einer Überraschungsentscheidung zu überziehen.
Demzufolge kann das Gericht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 283 ZPO der Partei eine Schriftsatzfrist einräumen, falls ihr ein gegnerisches Vorbringen nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt wurde und sie sich deshalb im Termin hierzu nicht erklären kann. Das Gericht hat eine Pflicht zur Nachfrist, sofern es sich um eine entscheidungserhebliche Tatsache oder - auch bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt nicht naheliegende - Rechtsausführung handelt (Baumbach, a.a.O., § 283 Rz 4, 11). Geht innerhalb der gesetzten Schriftsatzfrist eine Äußerung der Partei ein, so muss - bei Fristüberschreitung kann - das Gericht die Erklärung bei seiner Entscheidung berücksichtigen (§ 283 Satz 2 ZPO). Die Entscheidung ergeht jedoch nach wie vor nicht im schriftlichen Verfahren (Baumbach, a.a.O., § 283 Rz 21). Andererseits besteht grundsätzlich kein Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, da die Erklärung auch ohne eine solche zu berücksichtigen ist. Lediglich wenn durch den eingereichten Schriftsatz weiterer Aufklärungsbedarf entstanden ist, wird die Ermessenentscheidung des Gerichts über die Wiedereröffnung auf Null reduziert sein. Die Entscheidung des Gerichts ergeht aufgrund mündlicher Verhandlung unter Berücksichtigung der im Rahmen des Schriftsatzvorbehalts eingereichten Erklärung.
Nach allgemeiner und unstrittiger Ansicht schiebt deshalb die nach § 283 ZPO gesetzte Frist für die Partei, der diese gewährt wurde und soweit das Nachschubrecht eingeräumt wurde, den Schluss der mündlichen Verhandlung auf den Zeitpunkt hinaus, zu dem die fristgemäße Erklärung eingereicht wird oder ohne eine solche die Frist verstreicht (Baumbach, a.a.O., § 283 Rz 20; Zöllner, ZPO, 26. Auflage, § 283 Rz 1; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Auflage, § 283 Rz 6). Der Schluss der mündlichen Verhandlung wird hierdurch jedenfalls bei den Regelungen des Prozessrechts verschoben, in denen es um Parteierklärungen, ihre Rechtzeitigkeit und Präklusionswirkung geht (vgl. BGH-Beschluss vom 05.11.2002 X ZB 22/02, BGHZ 152, 304).
Dies gilt auch für Schriftsätze, die einem Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nach § 283 ZPO nachgelassen werden, obwohl die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt sind, weil z.B. die Gegenseite nichts verspätet vorgebracht hat oder nur das Gericht neue Aspekte aufgeworfen hat. Auch in diesem Fall darf die Partei darauf vertrauen, dass ihr zugestandenes Vorbringen noch gehört wird (BFH-Beschluss vom 07.10.2005 II B 94/04, BFH/NV 2006, 323). Das Gericht kann in diesem Fall am Verhandlungstag das Urteil nur als Gerichtsinternum fällen und muss unter Mitwirkung der beteiligten ehrenamtlichen Richter erneut beraten, sofern eine Erklärung im zeitlichen und sachlichen Rahmen des Schriftsatzvorbehalts eingeht.
c) Es entspricht zudem dem Sinn und Zweck der Gebührenermäßigung der Nr. 6111 KV, die Klagerücknahme innerhalb des hierfür gesetzten Schriftsatzvorbehalts als noch rechtszeitig anzusehen.
Mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wurde zum 30.06.2004 auch für das finanzgerichtliche Verfahren die Kostenprivilegierung bei Klagerücknahme auf das Ende der mündlichen Verhandlung verlängert. Die bis dahin geltende völlige Kostenfreiheit bei Rücknahme spätestens bis eine Woche vor mündlicher Verhandlung war gerechtfertigt mit der Annahme, dass bis zu diesem Zeitpunkt die gutachtliche Aufarbeitung des Falles und Einarbeitung der Senatsmitglieder noch nicht vollständig stattgefunden haben musste. Dies hatte jedoch den Nachteil, dass die kostenfreie Klagerücknahme aufgrund eigener Überlegungen der Klagepartei oder idR nur knapper richterlicher Hinweise erfolgen musste. Nach der Neuregelung bietet sich die Möglichkeit, den Streitfall umfassend in der mündlichen Verhandlung zu erörtern und die Rechtsansicht des gesamten Spruchkörpers zu hören. Eine in der mündlichen Verhandlung erklärte Klagerücknahme rechtfertigt nunmehr jedoch keine Kostenfreiheit mehr, da die verbleibende Arbeit sich auf die Abfassung des Urteils beschränkt. Die Gebührenermässigung als Anreiz zur Minimierung des verbleibenden richterlichen Arbeitsaufwands war erklärtes Ziel der Neuregelung (BT-Dr. 15/1971 Seite 159 und 172).
Setzt das Gericht nun eine Frist nach § 283 ZPO zur Klagerücknahme um dem Beteiligten die Möglichkeit zu geben, die Erfolgsaussichten unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung zu überdenken oder Rücksprache mit dem Mandanten zu halten und wird die Klage innerhalb dieser Frist zurückgenommen, so entfällt im Wesentlichen weiterer Arbeitsaufwand für den Richter. Zwar wird sich an die mündliche Verhandlung idR eine Beratung anschließen, jedoch wird der Richter nicht vor Ablauf der Nachfrist mit der Abfassung des Urteils beginnen, da eine Verkündung vor Fristablauf unzulässig wäre. Sein Arbeitsaufwand entspricht demjenigen bei Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung.
Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 6111 KV gebieten es daher, den Anreiz für eine Klagerücknahme mit ihrer Befriedungs- und Arbeitsentlastungsfunktion bis zum Ablauf einer hierfür gesetzten Frist nach § 283 ZPO aufrecht zu erhalten.
2. Im Streitfall wurde die Klagerücknahme innerhalb der hierfür gesetzten Schriftsatzfrist und dem für die Klägerin maßgebenden Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Die Gerichtsgebühren waren daher mit dem zweifachen Satz nach Nr. 6111 KV (2.112 EUR) anzusetzen. Es sind nach Abzug der Zahlung auf die vorläufige Kostenrechung noch 1.892 EUR zu entrichten.
Die Entscheidung über die Erinnerung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Ende der Entscheidung
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