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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 30.09.2009
Aktenzeichen: 3 K 426/2007
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4
EStG § 70 Abs. 4
AO § 37
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat der 3. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts

den Richter am Finanzgericht

die Richterin am Finanzgericht

die ehrenamtliche Richterin und

den ehrenamtlichen Richter

ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 30.09.2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist der Kindergeldanspruch der Klägerin für ihre Tochter A (geb. 19.09.1988) für die Monate Oktober bis Dezember 2006.

Die Klägerin bezog für ihre Tochter zunächst fortlaufend Kindergeld. A befand sich im Jahr 2006 ganzjährig in Berufsausbildung. Nach den Entgeltabrechnungen für die Monate Oktober bis Dezember 2006 und der Ausbildungsbescheinigung des Arbeitgebers, der B Versicherungen, vom 05.08.2006 erhielt sie

in den Monaten Oktober bis Dezember 2006 eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 813 EUR zuzüglich eines Arbeitgeberanteils zur Vermögensbildung von 40 EUR, insgesamt 853 EUR brutto. Der darin enthaltene Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung belief sich auf jeweils 184,68 EUR.

im März 2006 eine tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 125 EUR brutto; der Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung machte 27,07 EUR aus.

im Mai 2006 eine tarifliche Sonderzahlung (Urlaubsgeld) in Höhe von 370 EUR brutto und einem Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung in Höhe von 80,12 EUR.

im November 2006 eine tarifliche Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) in Höhe von 650,40 brutto mit einem Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung in Höhe von 140,81 EUR.

Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit der Tochter hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

Mit Bescheid vom 21.02.2007 hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für das Kind A ab Oktober 2006 wegen Überschreitens des maßgeblichen Grenzbetrages gem. § 70 Abs. 4 EStG auf und forderte für die Zeit von Oktober 2006 bis Dezember 2006 das überzahlte Kindergeld in Höhe von 462 EUR zurück. Der Einspruch vom 27.02.2007 blieb ohne Erfolg.

Gegen die Einspruchsentscheidung vom 06.03.2007 hat die Klägerin mit Schreiben vom 14.03.2007 am 16.03.2007 Klage erhoben. Die maßgeblichen Einkünfte und Bezüge des im September 2006 volljährig gewordenen Kindes hätten in den Monaten Oktober bis Dezember 2006 den gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgeblichen anteiligen Grenzbetrag nicht überschritten:

Zu berücksichtigen seien nur die laufenden monatlichen Bezüge in Höhe von 813 EUR brutto. Die vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers in Höhe von 40 EUR monatlich brutto, seien nicht mit einzubeziehen. Es handle sich um zweckgebundene Aufwendungen, die der Tochter im maßgeblichen Zeitraum nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts oder für ihre Ausbildung zur Verfügung gestanden hätten.

Von den Sonderzuwendungen sei nur die Sonderzahlung im November in Höhe von 650,40 EUR anteilig zu berücksichtigen. Die übrigen Sonderzuwendungen, die in den Kürzungsmonaten zugeflossen seien, seien dem Grenzbetrag nicht gegen zu rechnen.

Die beklagte Familienkasse habe die auf die Sonderzuwendung im November 2006 entfallenden Sozialversicherungsbeiträge fehlerhaft nicht berücksichtigt.

Die Klägerin hat beantragt, den Aufhebungsbescheid vom 21.02.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 06.03.2007 insoweit aufzuheben, als damit die Kindergeldfestsetzung für das Kind A für die Zeit von Oktober bis Dezember 2006 aufgehoben und Kindergeld in Höhe von 462 EUR zurückgefordert wurde.

Die beklagte Familienkasse hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die maßgebliche anteilige Einkommensgrenze von 1.920 EUR für die Monate Oktober bis Dezember 2006 sei überschritten. Bei der Berechnung des maßgeblichen Grenzbetrages seien sowohl die monatlichen vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers als auch sämtliche während des Jahres 2006 zugeflossenen Sonderzuwendungen mit einzubeziehen und zeitanteilig auf die Monate des Ausbildungsverhältnisses zu verteilen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 21.02.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2007 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die beklagte Familienkasse durfte die Kindergeldfestsetzung für das Kind A mit Wirkung vom 01.10.2006 gem. § 70 Abs. 4 EStG aufheben und gem. § 37 AO das zuviel bezahlte Kindergeld für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2006 zurückfordern.

Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EStG in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung des Jahres 2006 (EStG 2006) besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

1) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2006 wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr hat. Dieser Betrag ermäßigt sich nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG 2006 für jeden Kalendermonat um ein Zwölftel, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach Satz 2 an keinem Tag vorliegen (sog. Kürzungsmonate). Zu den Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG 2006 gehört auch die Vollendung des 18. Lebensjahres. Kürzungsmonate sind vorliegend die Monate Januar bis einschließlich September 2006, da für diese Monate A nach § 32 Abs. 3 EStG 2006 (insoweit unabhängig von seinen Einkünften und Bezügen) für den Kindergeldanspruch zu berücksichtigen war. Der maßgebliche Grenzbetrag ermäßigt sich damit um 9/12 auf 3/12, mithin auf 1.920 EUR. Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf sog. Kürzungsmonate entfallen, bleiben umgekehrt außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 8 EStG 2006).

2) Auf welchen Monat Einkünfte und Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 8 EStG 2006 "entfallen", ist nicht nach dem Zuflusszeitpunkt, sondern nach der wirtschaftlichen Zurechnung zu bestimmen (BFH Urt. v. 1.3.2000 VI R 162/98, BStBl II 2000, 459, m.w.N.).

Zu den monatlichen Einkünften und Bezügen gehört insbesondere der laufende Arbeitslohn. Er ist regelmäßig dem Monat zuzuordnen, für den er gezahlt wird, d.h. auf den er "entfällt". Hierunter fallen auch die vom Arbeitgeber gezahlten vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 40 EUR brutto monatlich. Sie sind unabhängig davon als Einkünfte i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2006 zu berücksichtigen, ob sie wegen der Sperrfrist (§ 8 Abs. 2 5. VermBG) im Streitzeitraum für die Bestreitung des Kindesunterhalts zur Verfügung stehen. Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG definiert als Gewinn/Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Die vermögenswirksamen Leistungen gehören gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 5.VermBG zu den steuerpflichtigen Einnahmen. Der Auftrag des BVerfG im Beschluss v. 11.1.2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, ist im Einzelfall zu bestimmen (a.a.O. unter B.II.3). Nach der Entscheidung des BVerfG sind nur solche (Versicherungs-) Beiträge zwingend zu berücksichtigen, die in Form einer Mindestvorsorge ansonsten der Staat Bürgern ohne Eigenvorsorge nach sozialrechtlichen Vorschriften zur Verfügung stellen müsste. Dementsprechend sind Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung, die die gesetzlichen Leistungen abdeckt, nicht beim Jahresgrenzbetrag zu berücksichtigen, andererseits jedoch darüber hinausgehende Beiträge für eine private Zusatzversicherung. Insoweit liegt eine freie Einkommensverwendung vor (BFH Urt. v. 26.9.2007 III R 4/07, BFH/NV 2008, 434). Entsprechend handelt es sich bei vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers, auch wenn diese unmittelbar in einen Sparvertrag fließen, nur um besonders geregelte Sparleistungen, die ebenso wie Zusatzversicherungen nicht als unvermeidbar angesehen werden können.# Die Vermögensbildung gehört auch nicht zum Lebensbedarf des Kindes (FG Köln Urt. v. 25.9.2008 10 K 1722/08, EFG 2009, 188; FG Schleswig-Holstein Urt. v. 25.9.2002 5 K 15/02, EFG 2003, 104; BFH Urt. v. 11.12.2001 VI R 113/99, BStBl II 2002, 684; aA: FG Baden-Württemberg Urt. v. 16.2.2009 6 K 83/06, EFG 2009, 937 (Revision: BFH III 23/09)). Bei dieser Sachlage scheint dem Senat ein Ruhen des Verfahrens nicht angezeigt. Die Beklagte hat sich gegen eine Verfahrensruhe ausgesprochen.

Auszugehen ist somit von laufenden monatlichen Einkünften in Höhe von 853 EUR brutto (813 EUR Ausbildungsvergütung und 40 EUR vermögenswirksame Leistungen) für drei Monate. Sie sind nach dem o.g. Beschluss des BVerfG um die Pflichtbeiträge der Auszubildenden zur gesetzlichen Sozialversicherung um monatlich 184,68 EUR auf 668,32 EUR zu mindern. Über die Monate Oktober bis Dezember 2006 ergibt sich ein Gesamtbetrag von 2.004,96 EUR.

3) Zusätzlich zum laufenden Arbeitslohn ist für die im Laufe des Kalenderjahres zufließenden Sonderzahlungen wie Tantiemen, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, eine Zuordnung zu den Monaten vorzunehmen, auf die sie "entfallen", wobei im Interesse einer einheitlichen Auslegung dieses Begriffs arbeitsrechtliche Besonderheiten bei Ausbildungsverhältnissen unberücksichtigt bleiben können (BFH Urt. v. 1.3.2000 VI R 162/98, BStBl II 2000, 459). Hierzu gehören auch anteilig die Sonderzuwendungen, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zugeflossen sind, mithin die Sonderzuwendung im März über 125 EUR brutto (97,93 EUR netto) und das Urlaubsgeld im Mai über 370 EUR brutto (289,88 EUR netto). Die im Laufe des Kalenderjahres zufließenden sonstigen Bezüge sind den einzelnen Monaten des Jahres anteilig zuzuordnen, weil im Streitfall in allen Monaten des Jahres eine Berufsausbildung stattfand. Diese Aufteilung gilt uneingeschränkt, wenn sich das Kind das ganze Jahr in Berufsausbildung befindet (BFH Beschluss v. 10.1.2003 VIII B 160/01, BFH/NV 2003, 752).

Sonderzuwendungen der Berufsausbildung sind allen Monaten der Berufsausbildung zeitanteilig zuzuordnen. Anders zu behandeln sind nur Zuflüsse in Kürzungsmonaten, wenn in diesen keine Berufsausbildung (mehr) stattfindet, denn dann handelt es sich nicht (mehr) um Monate der Berufsausbildung. Ist eine Sonderzuwendung während der Ausbildungsmonate zugeflossen, unabhängig ob vor oder nach Volljährigkeit, beruht sie auf dem Berufsausbildungsverhältnis (vgl. BFH Urt. v. 12.4.2000 VI R 34/99 BStBl II 2000, 464, wo - anders als im Streitfall - das Weihnachtsgeld erst nach dem Ende der Berufsausbildung in einem Kürzungsmonat zufloss).

Auszugehen ist mithin von den Nettobeträgen aus den Sonderzahlungen März, Mai und November in Höhe von 97,93 EUR, 289,88 EUR und 509,59 EUR, insgesamt 897,40 EUR, wobei die beklagte Familienkasse entgegen der klägerischen Auffassung im Schriftsatz vom 04.07.2007 auch bei der Sonderzahlung November bei ihrer Berechnung vom 14.06.2007 die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen hat. Die Sonderzahlungen sind zeitanteilig für 3 Monate, also mit 224,35 EUR anzusetzen.

4) Der anteilige Gesamtbetrag der Einkünfte ist um den anteiligen Arbeitnehmerpauschbetrag (3/12 von 920 EUR) um 230 EUR zu mindern (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG), da höhere Werbungskosten nicht geltend gemacht worden sind. Anzusetzen ist der auf die maßgeblichen Monate entfallende zeitanteilige Arbeitnehmerpauschbetrag (BFH Urt. v. 12.4.2000 VI R 3499, BStBl II 2000, 464, unter 3.b.).

Die anzurechnenden Einkünfte mit 1.999,31 EUR liegen mithin über dem maßgeblichen Grenzbetrag von 1.920 EUR, so dass kein Anspruch auf Kindergeld für die Monate Oktober bis Dezember 2006 mehr besteht.

Die Ausgestaltung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Freigrenze und damit das Fehlen einer Härtefallregelung bei nur geringfügiger Überschreitung des Grenzbetrages ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BFH Beschluss v. 19.8.2008 III B 164/07, [...]; BFH Urt. v. 13.7.2004 VIII R 20/02, BFH/NV 2005, 36).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

Ende der Entscheidung

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