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Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 18.01.2008
Aktenzeichen: 4 K 214/07
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
AO § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 4
EStG § 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

4 K 214/07

Einkommensteuer 1998

In dem Rechtsstreit

...

hat der 4. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

ohne mündliche Verhandlung

am 18.01.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgrund in den Jahren 1999 und 2000 erstatteter Kirchensteuer.

Der Kläger wird zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Einkünfte aus selbständiger Arbeit und nichtselbständiger Arbeit sowie zusammen mit der Ehefrau Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 11.07.2000, 23.10.2000, 08.04.2003, 20.06.2003 und 15.12.2003 setzte das Finanzamt anhand der im Jahr 2000 eingereichten Steuererklärung den Differenzbetrag von 8.088 DM zwischen gezahlter Kirchensteuer in Höhe von 14.485 DM und erstatteter Kirchensteuer in Höhe von 6.397 DM als Sonderausgabe an.

Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändertem Einkommensteuerbescheid vom 19.10.2004 verringerte das Finanzamt die als Sonderausgabe zu berücksichtigende Kirchensteuer um 7.852 DM auf 236 DM. In den Erläuterungen zum Bescheid war ausgeführt, dass die in den Veranlagungszeiträumen 1999 und 2000 übererstattete Kirchensteuer (1999: 585 DM; 2000: 7.267 DM) in den Veranlagungszeitraum 1998 zurückgetragen worden sei.

Der vom Kläger und dessen Ehefrau gegen die Anrechnung übererstatteter Kirchensteuer aus späteren Jahren erhobene Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.01.2007 zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Einkommensteueränderungsbescheid vom 19.10.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 10.01.2007 ersatzlos aufzuheben.

Die als Sonderausgabe abzugsfähige Kirchensteuer sei mit 8.088 DM anzusetzen. Der Änderungsbescheid vom 19.10.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 10.01.2007 würden gegen das Zu- und Abflussprinzip des § 11 EStG verstoßen. Auch nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG sei Sonderausgabe die gezahlte Kirchensteuer. Die Erstattung von Kirchensteuer in einem späteren Jahr erfülle nicht die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Es handle sich lediglich um einen tatsächlichen Geschehensablauf, nicht aber um ein Ereignis, das eine Sachverhaltsänderung, die zu einer anderen rechtlichen Bewertung führt, bewirke. Für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses komme ein tatsächlicher Geschehensablauf nicht in Betracht.

Zudem habe das Finanzamt mit dem Änderungsbescheid vom 19.10.2004 zuungunsten des Klägers eine rückwirkende Anwendung einer geänderten BFH-Rechtsprechung vorgenommenen. Die Behörde habe im Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 28.05.2002 die Kirchensteuer mit 0 DM angesetzt und in den Erläuterungen ausgeführt, dass für den Sonderausgabenabzug die im Kalenderjahr gezahlte Kirchensteuer von 1.884 DM um die erstatteten 9.151 DM gekürzt worden sei. Der Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 28.05.2002 sei bestandskräftig und damit sei über die steuerliche Behandlung der übererstatteten Kirchensteuer für das Streitjahr 1998 abschließend entschieden. Ein Änderungsbescheid vom 19.10.2004 aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung 2 1/2 Jahre später sei damit nicht mehr zulässig. Er habe im Vertrauen auf die Entscheidung im Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 28.05.2002 davon Abstand genommen, die gesamte Kirchensteuererstattung für 1998 im Jahr 2000 im Rahmen einer Berichtigung als rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO für das Streitjahr anzusetzen.

Auch sei es willkürlich, wenn das Finanzamt einen Teil der Kirchensteuererstattung im Erstattungsjahr 2000, einen anderen Teil aber im Streitjahr von der gezahlten Kirchensteuer abziehe.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es sei höchstrichterlich entschieden, dass in den Fällen der Erstattung von Sonderausgaben § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Anwendung finde. Aufwendungen könnten nur als Sonderausgaben berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige damit endgültig wirtschaftlich belastet sei.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis dazu erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung und der zum Berichterstatter bestellte Richter an Stelle des Senats entscheidet (§§ 90 Abs. 2, 79 a Abs. 3 und 4 FGO).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist ohne Erfolg.

Das beklagte Finanzamt hat den Einkommensteuerbescheid 1998 zu Recht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert. Die Erstattung von Kirchensteuer, soweit sie im Jahr der Erstattung nicht mit Kirchensteuerzahlungen verrechnet werden kann, ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 . Die im Jahr der Erstattung nicht verrechenbaren Rückzahlungen mindern die im Jahr der Zahlung bisher anerkannten Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG.

Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977).

1. Die Erstattung von Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein rückwirkendes Ereignis (BFH-Urteil vom 24.04.2002 XI R 40/01, BStBl II 2002, 569; BFH-Beschluss vom 05.05.2004 XI B 27/04, BFH/NV 2004, 1365; BFH-Urteile vom 07.07.2004 XI R 10/04, BStBl II 2004, 1058;vom 08.09.2004 XI R 28/04, BFH/NV 2005, 321;vom 23.02.2005 XI R 68/03, BFH/NV 2005, 1304; Fischer in Kirchhof, EStG, § 10 Rz. 4; a.A. Ortheil in DB 2005, 466). Die Befugnis zur Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ergibt sich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG voraussetzt, dass der Arbeitnehmer Kirchensteuer tatsächlich gezahlt hat, und dass dieses Tatbestandsmerkmal mit Wirkung für die Vergangenheit wegfällt, wenn das Kirchensteueramt die geleisteten Beiträge mangels Kirchensteuerpflicht oder Überzahlung wieder zurückzahlt.

Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (BFH-Urteile vom 26.06.1996 X R 73/94, BStBl II 1996, 646;vom 28.05.1998 X R 7/96, BStBl II 1999, 95). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden.

2. Bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie z.B. der Kirchensteuer hat der BFH lediglich aus Gründen der Praktikabilität und Rechtskontinuität eine Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung im Grundsatz zugelassen. Die Verrechnung erstatteter mit gezahlten Sonderausgaben ist aber im Jahr der Zahlung insoweit geboten, als andernfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile eintreten würden. Das ist der Fall, wenn im Erstattungsjahr keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind, oder wenn - wie im Streitfall - die gezahlten gleichartigen Sonderausgaben niedriger sind als die Erstattung. Hierbei wird nicht die gesamte Kirchensteuererstattung mit der im Jahr der Zahlung geleisteten Kirchensteuer verrechnet, sondern nur der Betrag, der im Jahr der Erstattung nicht verrechnet werden kann ("soweit"; vgl. BFH-Urteile a.a.O. in BStBl. II 2004, 1058 und in BFH/NV 2005, 1304; Fischer in Kirchhof, EStG, § 10 Rz. 4; Blümich/Hutter, EStG § 10 Rz. 33; BMF-Schreiben vom 11.07.2002, IV C 4 - S 2221 - 191/02, BStBl. I 2002, 667). Ein Wahlrecht lässt sich den Urteilsgründen im Übrigen nicht entnehmen.

3. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Erstattung von Kirchensteuer auch ein Ereignis, das nach der Festsetzung der Einkommensteuer 1998 eingetreten ist (vgl. BFH-Urteil vom 23.02.2005 XI R 68/03, BFH/NV 2005, 1304). Zwar hat im Streitfall die Festsetzung der Einkommensteuer für 1998 im Bescheid vom 11.07.2000 zur Festsetzung einer Kirchensteuer für 1998 geführt, die unter der bisher gezahlten lag. Dies ändert aber nichts daran, dass die Kirchensteuererstattung für 1998 der Festsetzung der Einkommensteuer für 1998 systematisch zeitlich nachfolgt.

4. Bei der in den Jahren 1999 und 2000 erstatteten Kirchensteuer handelt es sich um Kirchensteuer, die im Streitjahr bezahlt wurde.

5. Dem Erlass des Änderungsbescheids stand auch nicht § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 entgegen. Nach dieser Vorschrift darf bei einer Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt wurde. Bereits mit Urteilen vom 26.06.1996 und vom 28.05.1998 hat der BFH entschieden, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet wird. So wurde mit Urteil vom 26.06.1996 entschieden, dass die im Veranlagungszeitraum aufgrund einer Steuerfestsetzung gezahlte Kirchensteuer auch dann nicht als Sonderausgabe abzuziehen ist, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, dass der Steuerpflichtige Rückerstattungen erhält (vgl. BFH-Urteil vom 26.06.1996 X R 73/94, BStBl 1996, 646). Es entspricht auch langjähriger Rechtsprechung, dass in Fällen der Rückerstattung von Sonderausgaben ein bestandskräftiger Bescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern ist (vgl. BFH-Urteil vom 28.05.1998 X R 7/96, BStBl 1999, 95). Diese Rechtsprechung wurde mit Urteil vom 24.04.2002 bestätigt (vgl. BFH-Urteil vom 24.04.2002 XI R 40/01, BStBl 2002, 569). Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob "Aufwendungen" i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, unabhängig davon, ob Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird (vgl. BFH-Urteil a.a.O. in BStBl. II 2004, 1058).

6. § 11 EStG steht einer Verrechnung von erstatteter und im Jahr der Erstattung nicht verrechenbarer Kirchensteuer mit der bisher im Jahr der Zahlung berücksichtigten Kirchensteuer nicht entgegen. Diese Vorschrift betrifft nur die zeitliche Zuordnung steuerbarer Einnahmen bzw. steuerlich abzugsfähiger Aufwendungen. Die Erstattung von Sonderausgaben fällt nicht unter die steuerbaren Einnahmen (vgl. BFH-Urteile a.a.O. in BStBl. II 2004, 1058 und in BFH/NV 2005, 1304).

Die Kostenentscheidung beruht § 135 Abs. 1 FGO

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