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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 7 K 2123/2007
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1
AO § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat der 7. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

aufgrund mündlicher Verhandlung

in der Sitzung vom 05.02.2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Dem Kläger wird für seinen Sohn A für den Zeitraum von Oktober 2005 - November 2007 Kindergeld i. H. v. 5,11 EUR pro Monat gewährt.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger für seinen in der Türkei zur Schule gehenden Sohn A Kindergeld zusteht.

A wurde am 10.5.1989 in 1 geboren. Er besucht seit dem September 2005 Schulen in der Türkei, und zwar zunächst eine Schule mit Internatsunterbringung in 2 und seit September 2007 ab der 11. Klasse das 3 Gymnasium in 4 mit dem Zweig Fremdsprachen. In 4 ist A bei der Familie einer Schwester seiner Mutter untergebracht. Die türkischen Schulferien umfassten in den Streitjahren Zwischenzeugnisferien von rd. zwei Wochen (Ende Januar - Anfang Februar) und Sommerferien von rd. drei Monaten (Mitte Juni - Mitte September). A hielt sich ausweislich der Ein- und Ausreisestempel des Reisepasses (Bl. 71 und 72 FG-Akte) und der teilweise vorgelegten Flugtickets (Bl. 50 - 52 KG-Akte; Bl. 69 - 70 FG-Akte) in folgenden Zeiten in der Türkei auf:

17.08.2005 - 07.09.2005

??. 09.2005 - 01.01.2006

28.01.2006 - 18.06.2006

06.08.2006 - 22.01.2007

09.02.2007 - 17.06.2007

22.07.2007 - 16.08.2007 (Ein- und Ausreise über 5 )

14.09.2007 - 24.01.2008

10.02.2008 - 12.06.2008

Der Kläger teilte der Familienkasse am 13.11.2005 mit, dass A nunmehr in der Türkei in die Schule gehe. Diese stellte daraufhin die Kindergeldzahlung ein und forderte den Kläger mit Schreiben vom 11.11.2005 auf, einen Kindergeldantrag mit einer Bescheinigung des Arbeitgebers für den Kläger und eine türkische Familienstandsbescheinigung für A vorzulegen, um einen möglichen Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den Sätzen des Abkommens über soziale Sicherheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zu prüfen. Mit Bescheid vom 11.1.2006 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für A ab Oktober 2005 auf, da der Kläger die genannten Unterlagen nicht eingereicht habe.

Hiergegen legte der Kläger am 25.1.2006 Einspruch ein. Zur Begründung gab er an, dass A zwar die türkische Staatsangehörigkeit habe, die Türkei aber nicht als sein Heimatland anzusehen sei. A sei in Deutschland geboren und habe sich lediglich mit seiner Familie im Urlaub in der Türkei dort aufgehalten. Auch während der Schulausbildung in der Türkei sei er zunächst in einem Internat untergebracht gewesen. Die Ausbildung an einer Privatschule habe das Ziel eines dem deutschen Abitur vergleichbaren Abschlusses. Ob A diese Ausbildung erfolgreich beenden und was er danach tun werde, stehe noch nicht fest. Soweit möglich, also in den Ferien, komme A zur Familie nach Deutschland. Er, der Kläger, sei daher der Ansicht, dass A seinen Wohnsitz in Deutschland behalten habe und ihm nicht lediglich Kindergeld nach den Abkommenssätzen zustehe.

Die Familienkasse ließ das Einspruchsverfahren ruhen, um überprüfen zu können, ob A tatsächlich die gesamten Ferien in Deutschland verbringe. Der Kläger legte als Nachweis die entsprechenden Flugtickets vor.

Mit Einspruchsentscheidung vom 27.11.2007 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Sie war der Ansicht, A habe seit Beginn des Schulbesuchs in der Türkei keinen inländischen Wohnsitz mehr. Ein minderjähriges Kind, das im Heimatland bei Verwandten untergebracht sei und dort die Schule besuche, verliere seinen inländischen Wohnsitz, wenn es sich nur in den Schulferien in Deutschland aufhalte. Ein derartiger Auslandsaufenthalt sei nicht in erster Linie durch den Zweck der Schulausbildung bestimmt. Er diene auch dazu, die Heimat der Familie genauer kennen zu lernen und sich in die dortigen Lebensverhältnisse einzuleben. Die Bindungen an den heimatlichen Kulturkreis würden (wieder-)hergestellt. Die Lockerung der bisher bestehenden Bindungen und die Verwurzelung im Ausland hätten daher den Verlust des inländischen Wohnsitzes zur Folge.

Mit seiner Klage vom 21.12.2007 begehrt der Kläger weiterhin Kindergeld in der vollen gesetzlichen Höhe für A. Er gibt an, er trage die Kosten für Schulgeld, Unterkunft und Verpflegung für A. A halte sich lediglich zeitlich begrenzt und zum Schulbesuch in der Türkei auf. Er wolle seine Fremdsprachkenntnisse verbessern, um hier bessere Berufschancen zu haben, und wolle nach Ende der Schulausbildung nach Deutschland zurückkehren. Heimatland A s sei nicht die Türkei, sondern Deutschland. A habe nach wie vor sein Zimmer in der elterlichen Wohnung und verbringe jedes Jahr sämtliche Ferien in Deutschland; lediglich im Jahr 2007 sei er während der Sommerferien mit der Familie von Deutschland aus mit dem Auto zum Urlaub in die Türkei gefahren. Außerdem ist der Kläger der Ansicht, es sei bei der Auslegung des den Wohnsitzbegriff enthaltenden § 8 AO zu bedenken, dass dieser, wenn es um die Begründung der Steuerpflicht in Deutschland gehe, weit ausgelegt werde; so habe im Fall eines bekannten Tennisspielers das ständige Vorhandensein einer inländischen Zahnbürste genügt, um die Steuerpflicht zu begründen. Die von der Familienkasse zitierten BFH-Urteile beträfen Fälle, die dem vorliegenden nicht vergleichbar seien; außerdem sei diesen Urteilen keine Grenze zu entnehmen, wie lang der Aufenthalt in Deutschland dauern müsse. Außerdem verwahrt sich der Kläger dagegen, die jetzige Unterbringung A s bei Verwandten als Argument für die Aufgabe des Wohnsitzes heranzuziehen. A sei vielmehr im Internat untergebracht gewesen und erst aufgrund der Einstellung der Kindergeldzahlung habe man die kostengünstigere Unterbringung bei Verwandten gewählt. Diese Maßnahme nun gegen den Kläger auszulegen, sei ein Zirkelschluss.

Der Kläger beantragt,

den Verwaltungsakt über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld vom 11.1.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 27.11.2007 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Familienkasse ist der Ansicht, der BFH gehe nach seinem Urteil vom 23.11.2000 (VI R 107/99) erst dann von einer Beibehaltung des Inlandswohnsitzes aus, wenn das im Ausland die Schule besuchende Kind fünf Monate in der Wohnung der Eltern verbringe. Außerdem gehe der BFH nach seinem Urteil vom 23.11.2000 (VI R 165/99) davon aus, dass das Kind, wenn es im Ausland bei Verwandten untergebracht sei, den Inlandswohnsitz verliere, da es dann nicht nur zu Ausbildungszwecken im Ausland sei, sondern um sich dort einzuleben.

Bezüglich der Vernehmung des Zeugen A wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 5.2.2009 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nur teilweise begründet.

I.

Der Kläger hat für den Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld in der vollen gesetzlichen Höhe für A.

1.

Wer über einen Wohnsitz im Inland verfügt, hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG für Kinder i.S. des § 63 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden jedoch Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Die Türkei zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

a)

Dagegen, dass die Kindergeldberechtigung nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG in den Fällen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG u.a. vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes abhängt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Dass nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG Kinder nicht berücksichtigt werden, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG erscheint als weitere Ausprägung des Territorialitäts-Prinzips. Da das Einkommensteuerrecht durch das Territorialitäts-Prinzip (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) geprägt ist, ist die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises danach, wo die Kinder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht sachwidrig. Die Nichtberücksichtigung solcher Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 5. November 1986 1 BvR 1108/86).

b)

Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 AO. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Der Begriff des Wohnsitzes i.S. von § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (BFH-Urteile vom 23. November 1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182, m.w.N.; in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zur entsprechenden Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Nutzung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 26. Februar 1986 II R 200/82, BFH/NV 1987, 301, sowie in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887). Die räumliche Trennung von den Eltern während des Schulbesuchs im Ausland allein ist noch keine Auflösung der familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft.

c)

Der BFH wendet nach seiner aktuellen Rechtsprechung (zuletzt Beschluss vom 19.8.2008 III B 67-68/07, FamRZ 2007, 2114) weiterhin die Grundsätze an, die er in den Urteilen vom 23.11.2000 (VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294) und vom 23.11.2000 (VI R 165/99, BStBl. II 2001, 279) aufgestellt hat. Kriterien sind demnach - neben dem zwingend notwendigen Vorhandensein von zum Wohnen geeigneten und jederzeit bereitstehenden Räumen im Inland - die Dauer der jährlichen Inlandsaufenthalte, die Dauer der beabsichtigten Ausbildung im Ausland, das Alter, in dem diese begonnen wird, und die Aufrechterhaltung der Bindungen im Inland bzw. die (Wieder-)Herstellung von Bindungen im Ausland, wozu insbesondere die Unterbringung bei Verwandten zählt. So hat der BFH die Aufenthalte eines Mädchens, das im Alter von sechs Jahren eine neunjährige Schulausbildung in der Türkei begann, von rd. drei Wochen im Frühjahr und zwei Monaten im Sommer nicht ausreichen lassen (Urteil vom 23.11.2000 VI R 165/99, a.a.O.). Andererseits hat er im Fall eines Mädchens, das im Alter von acht Jahren den Schulbesuch in der Türkei aufnahm und dort ein Studium anschloss, die Frage, ob ein in einem Internat bzw. bei Verwandten untergebrachtes Kind durch den Inlandsaufenthalt während der Schulferien seinen Wohnsitz beibehält, ausdrücklich offengelassen, da im damaligen Fall nur die Studienjahre streitig waren. Für Studenten genügte dem BFH dabei ein Inlandsaufenthalt während der - allerdings fünf Monate dauernden - Semesterferien. Dabei hat der BFH einerseits seine frühere Rechtsprechung aufrechterhalten, dass ein minderjähriges, für mehrere Jahre zum Schulbesuch bei Verwandten im Ausland untergebrachtes Kind sich im Ausland einleben wolle, aber keinen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gesehen, wonach der auf drei Jahre angelegte Auslandsaufenthalt von Kindern, die im Ausland in ein Internat gingen, nicht zum Verlust des Wohnsitzes führen lassen (Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, a.a.O.).

Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Grundsätze unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Kindergeldberechtigten und des Kindes gelten. Auch ein Kind aus einer seit Generationen im Inland beheimateten Familie behält oder verliert nach gleichen Kriterien seinen Wohnsitz, wenn es beispielsweise an der erforderlichen tatsächlichen Nutzung der inländischen Wohnung im Hinblick auf die Dauer eines Auslandsaufenthaltes fehlt.

2.

Im vorliegenden Fall fehlt es im Streitzeitraum an einem inländischen Wohnsitz A s. A verfügt zwar über ein zum Wohnen geeignetes und ihm jederzeit zur Verfügung stehendes Zimmer in der Wohnung des Klägers. Im Hinblick auf die mindestens vierjährige Dauer des Schulbesuchs in der Türkei reichen die festgestellten Aufenthaltszeiten in der Wohnung jedoch nicht aus, um den Wohnsitz zu erhalten. Zu den Umständen, auf die es für die Erhaltung des Wohnsitzes ankommt, gehören der Umfang der jährlichen tatsächlichen Nutzung, die (voraussichtliche) Dauer des Schulbesuchs im Ausland, das Wegzugsalter des Kindes und ggf. die Art der Unterbringung.

a)

Die Aufenthalte A s in Z umfassten nicht die gesamten Schulferien. A hat sich im Januar 2006 rd. zwei Wochen und im Sommer 2006 rd. eineinhalb Monate in Z aufgehalten. Im Jahr 2007 waren es gut zwei Wochen im Januar bzw. Februar und zwei Monate im Sommer. Die Aufenthalte im Jahr 2008 waren vergleichbar. In den Jahren 2007 und 2008 unternahm A mit seiner Familie jeweils eine Reise von knapp einem Monat Dauer zu Verwandten in die Türkei. Dabei stellt eine Ferienreise - auch zusammen mit der Familie - bereits keinen Aufenthalt in der inländischen Wohnung dar. Im Falle A s kommt hinzu, dass die Reise wiederum zu Verwandten in die Türkei führten und daher stärker für eine zunehmende Verbindung in die Türkei und nicht in erster Linie für eine Beibehaltung der Verbindung zum Elternhaus nach Z sprechen. Die tatsächlichen Aufenthalte im Inland entsprachen damit jeweils nur rd. zwei Drittel der Feriendauer.

b)

Diese Aufenthalte genügen den Anforderungen des § 8 AO jedenfalls bei einer auf mindestens vier Jahre angelegten Schulausbildung im Ausland nicht. Der Umstand, dass die Schulausbildung im Ausland auf eine solch erhebliche Länge angelegt ist, spricht gegen eine Beibehaltung des Wohnsitzes. Das Kind mag in einem solchen Fall - und so wurde es vom Kläger und seinem Sohn als Zeugen auch deutlich vorgetragen - durchaus entschlossen sein, nach Ende der Schulausbildung ins Inland und möglichst an den Familienwohnsitz zurückzukehren. Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich dieses Vorhaben realisieren lässt, nimmt mit zunehmender Ausbildungsdauer jedoch ab. Im Fall A s kommt hinzu, dass dieser mit einem türkischen Abitur nicht ohne Weiteres, sondern erst nach Durchlaufen eines Anerkennungsverfahrens in Deutschland ein Studium aufnehmen könnte. Wie dem Senat aus ähnlichen Fällen bekannt ist, beginnen türkischstämmige Kinder in diesen Fällen gern ein Studium in der Türkei in der Hoffnung, nach einigen Semestern leichter nach Deutschland zurückkehren zu können. Der Zeitpunkt und die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr werden damit aber immer ungewisser. Im vorliegenden Fall konnte A bei seiner Zeugeneinvernahme keine konkreten Pläne oder Ergebnisse von Anfragen bezüglich einer Studienaufnahme im Inland angeben. Die lediglich vage Umschreibung, seine Sprachkenntnisse ggf. am Flughafen in X. zu nutzen, sind kein klares Indiz für eine Rückkehrabsicht. Die Sprachkenntnisse ließen sich genauso gut in der Türkei beruflich nutzen.

c)

Der Senat hat die Möglichkeit, zumindest für die Anfangszeit des Schulbesuchs in der Türkei von der Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes auszugehen, durchaus in Erwägung gezogen. Für eine zeitliche Aufteilung spräche, dass auch der BFH mit zunehmender Dauer des Auslandsaufenthaltes immer längere Inlandsaufenthalte fordert. Im vorliegenden Fall kommt als Besonderheit hinzu, dass A die ersten beiden Jahre in einem Internat untergebracht war und erst danach zu Verwandten umzog. Der BFH hat die Art der Unterbringung als Kriterium in Erwägung gezogen, ohne über ihre Bedeutung abschließend zu entscheiden. Im vorliegenden Fall ist der Senat unter Gesamtwürdigung der Umstände jedoch zur Annahme der Wohnsitzaufgabe bereits mit Beginn des Schulbesuchs in der Türkei gelangt. Die mit der Dauer des Aufenthaltes zunehmende Verwurzelung in der Türkei findet im Umzug zu Verwandten deutlich ihren Ausdruck. Trotzdem ergibt sich auch für die Zeit im Internat kein anderes Ergebnis. Für die Ermittlung, ob ein inländischer Wohnsitz vorhanden ist, ist nach § 8 AO in erster Linie von der hier vorhandenen Wohnung und ihrer Nutzung auszugehen. Die Art der Unterbringung im Ausland ist letztlich von Zufälligkeiten, nämlich dem Vorhandensein von Verwandten am Ort der gewünschten Ausbildungsstätte oder den finanziellen Verhältnissen abhängig und für die Familienkasse kaum zu überprüfen. Nach Auffassung des Senats hat die Dauer der Ausbildung daher ein höheres Maß an Objektivität und damit an Gewicht als die Art der Unterbringung. Die tatsächliche Aufenthaltsdauer spricht - insbesondere im Jahr 2006, in dem A nur rd. die Hälfte der Sommerferien im Inland verbrachte - im vorliegenden Fall jedoch gegen die Beibehaltung des Wohnsitzes auch bezüglich der Zeit von Oktober 2005 - August 2007.

d)

Hinzu kommen weitere Besonderheiten des vorliegenden Falles. Die Möglichkeit, eine inländische weiterführende Schule zu besuchen, hätte durchaus, wenn auch in Hessen, bestanden. Die Gründe, A auf eine Schule in der Türkei zu schicken, sind schon deshalb nicht a l l ei n mit schulischen Bedürfnissen zu erklären. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf das - auch aus Sicht des Senats höchst ehrenwerte - Motiv hingewiesen, A s Persönlichkeitsentwicklung zu fördern. Es steht Eltern dabei durchaus frei, wo sie ihre Kinder auf eine diesem Zweck am besten entsprechende Schule schicken; diese Wahlfreiheit findet sogar eine Stütze im Grundgesetz (Art. 6 GG). Trotzdem findet die finanzielle Förderung einer Familie, die auch dem Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz innewohnt, ihre Grenze nach § 63 EStG an den Außengrenzen der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums. Es ist daher vom Grundgesetz nicht geboten, in Drittstaaten lebende Kinder in gleicher Weise zu unterstützen wie die innerhalb des genannten Gebietes wohnhaften Kinder.

Im Streitfall ist daher aufgrund der zu geringen Dauer der Inlandsaufenthalte bei der Länge des Schulbesuchs im Ausland von vier Jahren von einem Verlust des inländischen Wohnsitzes A s bereits ab dem Beginn des Schulbesuchs in der Türkei auszugehen.

II.

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf Kindergeld nach den Sätzen des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit. Die bisher ausstehende Bescheinigung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers bzw. für den Bezug der entsprechenden Lohnersatzleistungen wurde im Klageverfahren vorgelegt. Das Abkommenskindergeld wird dabei als einkommensteuerrechtliches Kindergeld gewährt, obwohl das Abkommen seinem Wortlaut nach den Sozialbereich betrifft. Damit kann unter Durchbrechung des § 63 EStG zumindest Kindergeld i. H. v. 5,11 EUR pro Monat gewährt werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1, § 137 Satz 1 FGO. Der Kläger hat die Kosten zu tragen, soweit er unterlegen ist, aber auch, soweit er obsiegt hat, da er insoweit die Arbeitsbescheinigung früher hätte vorlegen können und sollen.

Ende der Entscheidung

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