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Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 20.03.2007
Aktenzeichen: II 11/2005
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 169 Abs. 1 S. 1
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AO § 170 Abs. 1
AO § 170 Abs. 2 Nr. 1
AO § 171 Abs. 3
AO § 171 Abs. 3 Buchst. a
AO § 171 Abs. 4
AO § 351 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

II 11/2005

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 20.03.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Umsatzsteuerbescheid 1997 geändert werden kann.

Der Kläger ist Krankengymnast und betrieb im Streitjahr eine Praxis für Krankengymnastik in A. und ein Therapiezentrum für Massage und Krankengymnastik in B.. In seinen am 13.11.1998 beim Finanzamt eingereichten Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 1997 ging er im Wesentlichen von gem. § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien Lieferungen und sonstigen Leistungen aus und errechnete eine Umsatzsteuerzahllast von ....... DM (A.) bzw. ....... DM (B.). Das Finanzamt fasste beide Umsatzsteuererklärungen, die mit Eingang beim Finanzamt als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 168 Satz 1 AO gelten, zusammen, so dass sich eine Umsatzsteuer 1997 in Höhe von ......... DM ergab.

Am 09.12.1998 fand beim Kläger eine Umsatzsteuerprüfung statt. Der Prüfer war der Auffassung, dass die Umsätze aus dem Therapiezentrum in B. umsatzsteuerpflichtig seien, weil der Kläger insoweit keine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit ausgeübt habe. Das Finanzamt folgte der Auffassung des Prüfers und erließ am 31.08.1999 einen gem. § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 1997, in dem es die Umsatzsteuer auf ......... DM festsetzte. Gleichzeitig hob es den Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 AO auf.

Mit Schreiben vom 10.07.2001 beantragte der steuerliche Vertreter des Klägers, auf die Umsätze des Therapiezentrums in B. den ermäßigten Steuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG anzuwenden und den Umsatzsteuerbescheid 1997 entsprechend zu ändern. Das Finanzamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.07.2001 ohne Rechtsbehelfsbelehrung ab und verwies darauf, dass die Festsetzung 1997 bereits bestandskräftig sei. Ein Einspruch wurde nicht erhoben.

Am 22.01.2002 erging ein aufgrund Betriebsprüfung gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderter Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1997. Die Umsatzsteuerfestsetzung betrug wie bisher ... DM. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 06.02.2002 Einspruch und trug zur Begründung vor, dass die Umsätze aus seiner Praxis in B. nicht dem Regelsteuersatz, sondern dem ermäßigten Steuersatz unterlägen.

Das Finanzamt teilte dem Kläger mit Schreiben vom 01.03.2002 mit, dass sein Einspruch mangels Beschwer i.S.d. § 350 AO unzulässig sei, weil der Bescheid vom 22.01.2002 die Steuerfestsetzung nicht geändert habe. Der Kläger nahm daraufhin den Einspruch mit Schreiben vom 15.03.2002 zurück.

Mit Schreiben vom 31.03.2004 beantragte der steuerliche Vertreter des Klägers unter Hinweis auf den Einspruch vom 06.02.2002, die Umsatzsteuerfestsetzungen 1997 und 1998 aufzuheben und die gezahlte Umsatzsteuer zurückzuerstatten. Hierbei verwies er auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG-Beschluss vom 29.10.1999 2 BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155) und des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 19.12.2002 V R 28/00, BStBl. II 2003, 532) sowie auf die zugrundeliegenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, wonach die Leistungen des Klägers nicht umsatzsteuerpflichtig seien.

Das Finanzamt lehnte mit Schreiben vom 03.05.2004 eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 1997 mit der Begründung ab, dass diese bereits bestandskräftig sei, denn der Einspruch vom 06.02.2002 sei mit Schreiben vom 15.03.2002 zurückgenommen worden.

In seinem Schreiben vom 21.05.2004 verwies der steuerliche Vertreter darauf, dass eine Verwaltungsbehörde verpflichtet sei, auch bestandskräftige Entscheidungen zu überprüfen. Dies gelte insbesondere, wenn sich aus einem später erlassenen Urteil des EuGH ergebe, dass die Entscheidung auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruhe (EuGH-Urteil vom 13.01.2004 C - 453/00, HFR 2004, 488). Die Behörde sei gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, ihre Entscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom Gericht vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen. Gegebenenfalls sei sie verpflichtet, ihre Entscheidung zurückzunehmen. Auch eine Änderung gem. § 175 a AO bzw. § 172 AO käme in Betracht. Das Finanzamt wertete das Schreiben als Einspruch gegen die mit Schreiben vom 03.05.2004 erfolgte Ablehnung des Änderungsantrags hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzung 1997 vom 22.01.2002.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 31.08.1999 bzw. 22.01.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.12.2004 aufzuheben. Hilfsweise sei der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 03.05.2004 und der Einspruchsentscheidung vom 27.12.2004 zu verpflichten, die Umsatzsteuerbescheide vom 31.08.1999 bzw. 22.01.2002 zu ändern.

Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor:

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung seien die Umsätze aus der Praxis in B. grundsätzlich nicht umsatzsteuerpflichtig. Die Umsatzsteuerfestsetzung 1997 i.H.v. ......... DM sei daher materiell unrichtig.

Der Antrag auf Änderung vom 10.07.2001 sei zwar mit Bescheid vom 20.07.2001 abgelehnt worden. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung sei der Einspruch vom 06.02.2002 gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 22.01.2002 aber gleichzeitig als - rechtzeitiger - Einspruch gegen den Bescheid vom 20.07.2001 zu werten, da er innerhalb der 1-Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO und noch vor Ablauf der Festsetzungsverjährung erfolgt sei. Die vom Finanzamt mit Schreiben vom 01.03.2002 vertretene Auffassung, dass der Einspruch mangels Beschwer unzulässig sei, sei unrichtig. Die Beschwer ergebe sich aus dem Umsatzsteuerbescheid 1997, der eine Zahlungspflicht aufgrund der Prüfung vorsehe. Die aufgrund der unrichtigen Auskunft des Finanzamts erfolgte Einspruchsrücknahme dürfe nicht verwertet werden.

Das Finanzamt sei aufgrund der obergerichtlichen Entscheidungen, insbesondere auch des Europäischen Gerichtshofs, verpflichtet gewesen, seine Entscheidung zu überprüfen und gegebenenfalls zurückzunehmen. Festsetzungsverjährung sei im Hinblick auf § 171 Abs. 3 bzw. 4 AO nicht eingetreten. Im Übrigen käme eine Änderung gem. § 175a AO in Betracht.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:

Es sei gem. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO Festsetzungsverjährung am 31.12.2002 eingetreten. Eine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 3 oder 4 AO liege nicht vor. Änderungsanträge bzw. Einsprüche vor Eintritt der Festsetzungsverjährung seien nicht zulässig gewesen und auch nicht weiter verfolgt worden. Die Änderungsvorschrift des § 175a AO betreffe Verständigungsvereinbarungen und Schiedssprüche aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen und sei hier nicht anwendbar.

Der Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 31.08.1999 mit einer Steuerfestsetzung i.H.v. ......... DM sei unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 Abs. 3 AO) ergangen und am 04.10.1999 bestandskräftig geworden. Mit Bescheid vom 22.01.2002 habe das Finanzamt einen gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Steuerbescheid erlassen, in dem die Steuerfestsetzung i.H.v. .........DM aber gleich geblieben sei. Der hiergegen erhobene Einspruch vom 06.02.2002 sei ohne Erfolg gewesen, da der Bescheid vom 22.01.2002 nur insoweit habe angegriffen werden können, als die Änderung gereicht habe (§ 351 Abs. 1 AO). Eine Änderung der Steuerfestsetzung sei im Bescheid jedoch tatsächlich nicht erfolgt. Der Auffassung des Klägers, dass die Einspruchsrücknahme vom 15.03.2002 unwirksam sei, könne nicht gefolgt werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 FGO).

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Das Finanzamt hat zu Recht eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 1997 abgelehnt, da Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Gem. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für Steuern 4 Jahre.

Die Festsetzungsfrist beginnt gem. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist. Abweichend von Abs. 1 beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Abs. 1 später beginnt.

Im Streitfall reichte der Kläger die Umsatzsteuererklärung 1997 am 13.11.1998 beim Finanzamt ein. Damit begann die Festsetzungsverjährung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31.12.1998 und endete gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO mit Ablauf des 31.12.2002 (§ 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 ff BGB). Eine Ablaufhemmung ist nicht gegeben.

§ 171 Abs. 3 AO sieht eine Ablaufhemmung vor, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung, Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung gem. § 129 AO gestellt wird. Die Festsetzungsfrist läuft in diesem Fall nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Der Antrag auf Änderung vom 10.07.2001 ist mit Bescheid vom 20.07.2001 unter Hinweis auf die Bestandskraft der Steuerfestsetzung am 04.10.1999 abgelehnt worden. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob dieser Bescheid rechtswidrig war, aufgrund der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb eines Jahres (§ 356 Abs. 2 AO) angegriffen werden konnte und ob der Einspruch vom 06.02.2002 gegen den Änderungsbescheid aufgrund Betriebsprüfung vom 22.01.2002 auch als Einspruch gegen diesen Bescheid zu werten ist. Denn der Einspruch ist mit Schreiben vom 15.03.2002 zurückgenommen worden. Damit ist über den Antrag unanfechtbar entschieden worden, und zwar noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist. Für eine Ablaufhemmung ist kein Raum. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Rücknahme des Einspruchs auch nicht aufgrund einer fehlerhaften Belehrung des Finanzamts erfolgt. Das Finanzamt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aufgrund der Betriebsprüfung keine geänderte Steuerfestsetzung ergeben hat und damit der Einspruch mangels Beschwer unzulässig ist. Gem. § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht. Der aufgrund der Betriebsprüfung erlassene Änderungsbescheid sieht aber keine zusätzliche Zahlungspflicht vor, sondern bestätigt lediglich die bisherige Steuerfestsetzung. Auch aus den Ausführungen und Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht lässt sich keine Beschwer begründen, wenn sich diese auf das Ergebnis des Bescheids nicht ausgewirkt haben (BFH-Urteil vom 27.01.1972 IV R 157/71, BStBl. II 1972, 465). Eine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 3a AO scheidet wegen der Einspruchsrücknahme ebenfalls aus.

Auch § 171 Abs. 4 AO ist nicht einschlägig, denn der aufgrund der Außenprüfung erlassene Steuerbescheid vom 22.01.2002 ist mit Rücknahme des Einspruchs am 15.03.2002 vor Ablauf der Festsetzungsfrist unanfechtbar geworden. Die vom Kläger angeführte Änderungsvorschrift des § 175 a AO ist nicht anwendbar, weil sie nur den speziellen Fall der Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen und Schiedssprüchen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen betrifft.

Zwar ist dem Kläger zuzustimmen, dass eine Verwaltungsbehörde aufgrund des in Art. 10 EG verankerten Grundsatzes der Zusammenarbeit (sog. Effektivitätsgebot) verpflichtet sein kann, eine bestandskräftige Entscheidung zu überprüfen, wenn sich aus einem später erlassenen Urteil des EuGH ergibt, dass die Entscheidung auf einer unrichtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts beruht. Das Gemeinschaftsrecht verlangt aber nicht, dass eine Behörde grundsätzlich bestandskräftige Verwaltungsentscheidungen zurücknehmen muss. Die Aufhebung eines rechtswidrigen, belastenden bestandskräftigen Verwaltungsakt kommt nach der EuGH-Rechtsprechung nur in Betracht, wenn dies nach nationalen Regeln möglich ist. Das nationale Recht sieht dafür in §§ 172 ff AO aber keine Rechtsgrundlage vor (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2006 V R 67/05, BFH/NV 2007, 630). In jedem Fall endet die Pflicht zur Überprüfung aber mit Eintritt der Festsetzungsverjährung, denn ab diesem Zeitpunkt ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr möglich (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind mit Eintritt der Verjährung erloschen (§ 47 AO). Diese Rechtsfolge tritt sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Beteiligten ein.

Die Klage konnte danach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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