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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 07.08.2007
Aktenzeichen: II 61/06
Rechtsgebiete: FGO, AO, BGB, InsO


Vorschriften:

FGO § 100 Abs. 1 S. 1
AO § 47
AO § 218 Abs. 1
AO § 218 Abs. 2
AO § 226 Abs. 1
BGB § 387
InsO § 89
InsO § 294 Abs. 1
InsO § 294 Abs. 2
InsO § 295 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

II 61/06

Abrechnungsbescheide vom 15.04.2005, 03.05.2005, 11.05.2005 und 10.11.2005

In dem Rechtsstreit

...

hat der 2. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 07.08.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt im Rahmen des Verfahrens der Restschuldbefreiung zur Insolvenztabelle angemeldete Umsatzsteuerforderungen während der Wohlverhaltensphase mit nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstandenen Umsatzsteuererstattungsansprüchen aufrechnen kann.

Der Kläger hatte aus früherer unternehmerischer Tätigkeit erhebliche Steuerrückstände. Über sein Vermögen wurde am 10.04.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet, wobei er die Restschuldbefreiung beantragte. Das Finanzamt meldete u.a. Umsatzsteuervorauszahlungsschulden aus November 1996 in Höhe von ....... EUR (Fälligkeit am 30.04.1997) und aus März 1997 in Höhe von ...... EUR (Fälligkeit am 28.07.1997) zur Insolvenztabelle gemäß § 174 Abs. 1 InsO an, die in vollem Umfange anerkannt wurden. Mit Beschluss vom 26.08.2002 stellte das Insolvenzgericht fest, dass der Kläger Restschuldbefreiung erlangt, wenn er für die Zeit von sechs Jahren ab 10.04.2002 die Obliegenheiten nach § 295 InsO erfüllt. Am 28.01.2003 hob das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren auf.

Der Kläger war in den Jahren 2004 und 2005 selbständig als Fliesenleger tätig. Er reichte beim Finanzamt die Umsatzsteuervoranmeldungen für Februar 2004 mit einem Erstattungsbetrag von ...... EUR (fällig am 23.03.2004), für Dezember 2004 mit einem Erstattungsbetrag von ....... EUR (fällig am 07.01.2005), für das erste Quartal 2005 mit einem Erstattungsbetrag von ...... EUR (fällig am 11.04.2005) und für das dritte Quartal 2005 mit einem Erstattungsbetrag von ....... EUR (fällig am 10.10.2005) ein. Das Finanzamt teilte dem Kläger mit, dass die Guthaben mit Steuerrückständen aus der Voranmeldung für November 1996 bzw. März 1997 verrechnet worden seien. Der Kläger erklärte sich hiermit nicht einverstanden und beantragte die Verrechnung der Erstattungsansprüche (von insgesamt ...........EUR) mit künftigen Umsatzsteuervorauszahlungen.

Die Einsprüche gegen die Abrechnungsbescheide (§ 218 Abs. 2 AO) vom 15.04.2005, vom 03.05.2005, vom 11.05.2005 und vom 10.11.2005, mit denen das Finanzamt das Erlöschen der Erstattungsansprüche durch die Aufrechnungen bestätigte, wies es mit der Entscheidung vom 19.01.2006 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt,

die Abrechnungsbescheide vom 15.04.2005, vom 03.05.2005, vom 11.05.2005 und vom 10.11.2005, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.01.2006 aufzuheben.

Hilfsweise

beantragt er festzustellen, dass die Verrechnung der Umsatzsteuerguthaben mit Altschulden unwirksam ist.

Wiederum hilfsweise beantragt er,

das Finanzamt zur Zahlung von ..... EUR zu verurteilen.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen folgende Gesichtspunkte vor:

Die Aufrechnung von unbestritten angemeldeten Insolvenzforderungen mit Steuererstattungsansprüchen sei während der Wohlverhaltensphase unzulässig. Die Regelungen über die Restschuldbefreiung in §§ 286 ff InsO, insbesondere die Vorschrift des § 287 InsO, stellten auf Arbeitnehmer oder vergleichbare Dienstverpflichtete ab. Der Gesetzgeber habe übersehen, eine vergleichbare Regelung für selbständige Schuldner zu schaffen. Dies könne nicht zu einer Benachteiligung oder dem Ausschluss der während der Wohlverhaltensphase selbständig tätigen Schuldner führen. Das Aufrechnungsverbot folge aus § 394 BGB i.V.m. § 850 ZPO. Es müssten daher die Vorschriften des Pfändungsschutzes, insbesondere § 850i ZPO entsprechend angewandt werden.

Er habe die Umsatzsteuer bei dem Bezug der Waren bezahlt und müsse diese zurückerstattet erhalten. Es handele sich um Geschäftskapital, das er benötige, um seinen Betrieb weiterhin aufrecht zu erhalten.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend Folgendes vor:

Nach den Regelungen der InsO sei eine Aufrechnung mit Steuererstattungsansprüchen in der Wohlverhaltensperiode möglich. Insbesondere schließe § 294 InsO die Aufrechnung nicht aus. Denn danach seien zwar Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unzulässig, die Aufrechnung sei jedoch keine solche Maßnahme in der Vollstreckung, sondern der Erhebung. Auch § 294 Abs. 3 InsO schließe die Aufrechnung mit Steuererstattungsansprüchen nicht aus, da es sich hierbei nicht um die Abtretung von Bezügen handele.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 FGO).

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg, weil die angefochtenen Abrechnungsbescheide rechtmäßig sind und damit eine Rechtsverletzung des Klägers nicht besteht (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zutreffend hat das Finanzamt entschieden, dass die streitigen Umsatzsteuererstattungsansprüche durch Aufrechnung erloschen sind (§§ 47, 226 AO i.V.m. § 387 BGB).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass für die hilfsweise gestellten Anträge auf Feststellung der Unwirksamkeit der Verrechnung bzw. auf Auszahlung der Erstattungsbeträge ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil die beantragten Rechtsfolgen bereits aus der Entscheidung über den Hauptantrag folgen. Denn soweit sich angefochtene Verwaltungsakte als rechtswidrig erweisen, sind sie aufzuheben und die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung des Gerichts gebunden (§ 100 Abs. 1 Satz 1, 2. HS FGO). Also beinhaltet die gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsaktes die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit mit der Folge der Zahlungspflicht des Finanzamtes im Falle von Steuererstattungsansprüchen. Die angefochtenen Verwaltungsakte sind jedoch rechtmäßig.

1. Nach § 218 Abs. 2 AO entscheidet die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen. Die angefochtenen Bescheide sind auf diese Bestimmung gestützt. Sie sind an ihr zu messen.

a) Grundlage der Verwirklichung der vorgenannten Ansprüche sind nach § 218 Abs. 1 AO u.a. die Steuerbescheide. Abrechnungsbescheide entscheiden über die Streitigkeiten, die erst bei der Verwirklichung der durch Steuerbescheid oder Steueranmeldung - nicht notwendig rechtskräftig - konkretisierten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen. Der nach § 218 Abs. 2 AO zu erteilende Abrechnungsbescheid ergeht dementsprechend im Steuererhebungsverfahren. Er hat nur die Feststellung zum Inhalt, ob eine bestimmte entstandene Zahlungsverpflichtung erloschen ist, d.h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet, erlassen, Verjährung eingetreten, die Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist (vgl. z.B. Schmieszek in Beermann/Gosch, AO-/FGO-Kommentar, § 218 AO Rz. 15 ff.).

b) Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und gegen solche Ansprüche sind nach § 226 Abs. 1 AO die Vorschriften des BGB sinngemäß anzuwenden. Demnach hängt die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids des Finanzamts davon ab, ob die Voraussetzungen des § 387 BGB unter Berücksichtigung etwaiger sachlicher Eigentümlichkeiten der Aufrechnung von oder mit Steuerforderungen sinngemäß als erfüllt anzusehen sind und ob eine Aufrechnungserklärung vorliegt, die den Anforderungen des § 388 BGB genügt. § 387 BGB verlangt u.a., dass zwei Personen einander Leistungen schulden und dass der Aufrechnende die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann, dass also das Finanzamt spätestens im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom Aufrechnungsgegner seine fällige Forderung geltend machen und die Umsatzsteuererstattung aufgrund des negativen Saldos von Steuern und Vorsteuern diesem gegenüber bewirken konnte (vgl. BFH-Urteil vom 15.06.1999 VII R 3/97, HFR 1999, 878).

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze war die Feststellung in den Abrechnungsbescheiden bzw. in der Einspruchsentscheidung, dass die Umsatzsteuererstattungsansprüche durch die Aufrechnung erloschen sind, rechtmäßig. Die Aufrechnungslage nach § 226 AO, § 387 BGB lag vor, weil den Umsatzsteuerschulden aus November 1996 und März 1997 erfüllbare Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt ....... EUR gegenüberstanden. Das Finanzamt hat auch wirksam die Aufrechnung erklärt (§ 388 BGB). Der Aufrechnung standen die Regelungen der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff InsO nicht entgegen.

a) Die im Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldeten Umsatzsteuerforderungen konnte das Finanzamt, nachdem das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 28.01.2003 aufgehoben worden war, wieder unbeschränkt geltend machen (§ 201 Abs. 1 InsO). Die angemeldeten Forderungen standen, soweit sie nicht durch eine Quote erfüllt worden waren, zur Aufrechnung zur Verfügung. Die Vorschriften über das Aufrechnungsverbot gegenüber unpfändbaren Forderungen i.S.v. § 394 BGB (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB-Kommentar, 65. Aufl. 2006, § 394 Rz. 3) und über die Restschuldbefreiung stehen dem nicht entgegen (vgl. § 201 Abs. 3 InsO).

b) Die Aufrechnung hindern die Vorschriften über die Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff InsO nicht. Zwar wird im Verfahren der Restschuldbefreiung der Schutz vor der Individualvollstreckung nach § 294 Abs. 1 InsO über das Insolvenzverfahren hinaus fortgesetzt. Der Begriff der Vollstreckung ist aber an den Wertungen des § 89 InsO zu orientieren (vgl. Ahrens in FK-InsO, 4. Aufl. 2006, § 294 Rz. 5). Die Aufrechnung ist danach keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung i.S.v. §§ 89, 294 Abs. 1 InsO. Grundsätzlich besteht nach den Vorschriften der Restschuldbefreiung in der Wohlverhaltensperiode kein allgemeines Aufrechnungsverbot (BGH-Urteil vom 21.07.2005 IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391, NJW 2005, 2988). Die Einschränkung der Aufrechnungsbefugnis nach § 294 Abs. 3 InsO kommt im Streitfall nicht in Betracht, weil die Umsatzsteuererstattungen keine Bezüge im Sinne der Vorschrift darstellen und nicht von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO erfasst sind (vgl. BFH-Urteil vom 21.11.2006 VII R 66/05, BFH/NV 2007, 1066; FG Düsseldorf-Beschluss vom 10.11.2004 Az. 18 K 321/04, EFG 2005, 845).

Eine Regelungslücke hinsichtlich unternehmerisch tätiger Insolvenzschuldner im Restschuldbefreiungsverfahren, wie sie der Kläger behauptet, besteht im geltenden Recht nicht. Insoweit verlangt § 295 Abs. 2 InsO von den Selbständigen eigenständige Zahlungen ihrer dem Arbeitseinkommen vergleichbarer Einkünfte an den Treuhänder (vgl. Ahrens in FK-InsO, a.a.O., § 287 Rz. 50). Um solche den Bezügen vergleichbare Einkünfte handelt es sich bei den streitigen Umsatzsteuererstattungen aber gerade nicht. Eine Aufrechnung gegen andere Forderungen des Schuldners als Bezüge wird somit auch im Restschuldbefreiungsverfahren nicht verhindert. Insbesondere ist eine Aufrechnung des Finanzamtes gegen Steuererstattungsansprüche nicht ausgeschlossen (vgl. Ahrens in FK-InsO, a.a.O., § 294 Rz. 35a).

c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war das Finanzamt zur Aufrechnung befugt. Die angefochtenen Abrechnungsbescheide sind rechtmäßig. Das Gericht sieht von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die zutreffenden Begründungen in der Einspruchsentscheidung (§ 105 Abs. 5 FGO).

Somit konnte die Klage unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht gemäß §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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