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Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 17.01.2008
Aktenzeichen: IV 352/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

IV 352/05

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

...

hat der 4. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

ohne mündliche Verhandlung

in der Sitzung vom 17.01.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin für ihren Sohn A Kindergeld zusteht.

A (geb. am 13.12.1977) ist von Jugend an wegen einer Minderbegabung schwerbehindert. Nach dem Besuch einer Sonderschule für geistig Behinderte war er auf Grund einer berufsfördernden Bildungsmaßnahme im Arbeitstrainingsbereich in der Werkstatt für Behinderte in 1 bis September 1998 tätig. Anschließend arbeitete er einige Wochen bei einer Spedition in 3, wo er Lastkraftwagen belud. Von Juni 2000 bis August 2001 arbeitete er beim TSV 4 e.V. als geringfügig Beschäftigter, außerdem half er seiner Mutter in der Gaststätte " " als Bedienung.

Am 06.09.2001 wurde A vorläufig festgenommen und auf Grund eines Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts 1 nach § 126 a StPO im Bezirkskrankenhaus 2 untergebracht. Mit Urteil des Landsgerichts 1 vom 30.04.2004 (Az. .) wurde er des Mordes für schuldig befunden und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 63 StGB wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

A verblieb in der forensischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses 2.

Der Klägerin wurde bis September 1998 Kindergeld für A bezahlt, ab Oktober 1998 wurde die Festsetzung des Kindergeldes mit Bescheid vom 10.09.1998 aufgehoben, da A das 18. Lebensjahr vollendet und sich nicht mehr in Ausbildung befunden habe. Am 25.03.2004 ging bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Antrag der Klägerin auf Kindergeld für A ein. Die Klägerin gab darin an, dass er in der Psychiatrie in 2 untergebracht sei und legte einen Schwerbehindertenausweis vom 07.09.2000 vor. Der Grad der Behinderung betrug danach 80 %, die Merkzeichen B und G waren eingetragen. Als Behinderung war festgestellt "Verhaltensstörung bei geistiger Retardierung nach Meningitis".

Mit Bescheid vom 09.11.2004 setzte die Familienkasse für A auf Grund des Antrages vom 25.03.2004 Kindergeld von Januar 2000 bis September 2001 fest. Ab Oktober 2001 wurde kein Kindergeld mehr bezahlt, da der Lebensunterhalt des Kindes auf Grund der Unterbringung im Bezirkskrankenhaus auf andere Weise gesichert sei. Der Bescheid wurde nicht angefochten. Mit Schreiben vom 25.06.2005 (Eingang am 07.07.2005) führte die Klägerin aus, dass ihr Unterhalt auch dann zustehe, wenn ihr Sohn nicht im elterlichen Haushalt lebe. Sie bitte daher um rückwirkende (seit März 2004) und künftig fortlaufende Zahlung des monatlichen Kindergeldes.

Mit Bescheid vom 30.08.2005 lehnte die Familienkasse diesen Antrag auf Zahlung von Kindergeld für A ab März 2004 ab. Sie führte aus, dass der notwendige Lebensbedarf des Kindes auf Grund seiner derzeitigen Unterbringung gedeckt sei. Außerdem sei die Behinderung des Sohnes nicht ursächlich dafür, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 04.11.2005, auf die im einzelnen verwiesen wird, ist ausgeführt, dass der Bedarf eines Häftlings von Staats wegen gedeckt sei. Für ergänzende Unterhaltsleistungen bestehe daher kein Grund.

Dagegen hat die Klägerin mit folgender Begründung Klage erhoben:

Ihr stehe das Kindergeld zu, da ihr geistig behindertes Kind nicht in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten und diese Behinderung schon vor dem 27. Lebensjahr eingetreten sei.

A habe zwar nach Beendigung der Behindertenschule geringfügige Tätigkeiten ausgeübt, die jedoch nie zu einer wirtschaftlichen Selbständigkeit geführt hätten. Er beziehe monatlich nur etwa 70 EUR aus sogenanntem Paragraphengeld und aus eigener Arbeitsleistung im Bezirksklinikum 2. Ein behindertes Kind sei aber erst dann im Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfüge, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreiche. Dieser setzte sich aus einem Grundbedarf und einem individuell zu bestimmenden behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 15.10.1999 VI R 40/98, BStBl. II 2000, 75) seien bei der Ermittlung des Mehrbedarfs eines in einem Heim untergebrachten behinderten Kindes ergänzend persönliche Betreuungsleistungen der Eltern mit einzubeziehen. Die Unterbringung im Bezirkskrankenhaus führe nicht automatisch dazu, dass das Kind sich selbst unterhalten könne. Es bestünden keine Gründe, welche eine Differenzierung zwischen einer vollstationären Unterbringung und einer Unterbringung i.S.d. § 63 StGB rechtfertigen würden. Es seien deshalb die persönlichen Betreuungsleistungen der Klägerin und ihres Ehemannes zu berücksichtigen. Sie besuchten einmal wöchentlich ihr Kind im Bezirkskrankenhaus 2 (160 km Hin- und Rückfahrt). Die wöchentlichen Besuchsfahrten seien medizinisch notwendig, da sie die Gesundheit des Sohnes positiv beeinflussten. Außerdem fielen Aufwendungen für Bekleidung sowie für Hygieneartikel für ihn an.

Die Klägerin hat beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 30.08.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 04.11.2005 die Familienkasse zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihren Sohn A ab Oktober 2001 und auch zukünftig in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die beklagte Familienkasse hat unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsentscheidung beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat noch darauf hingewiesen, dass mit bestandskräftigem Bescheid vom 09.11.2004 auf Grund des Antrages vom 25.03.2004 Kindergeld für die Zeit von Januar 2000 bis September 2001 festgesetzt und der Antrag im übrigen abgelehnt worden sei. Auf Grund eines erneuten Antrages könne deshalb nach den Urteilen des BFH vom 25.07.2001 VI R 78/98 und VI R 164/98 (BStBl. II 2002,88 und 89) erst ab dem Monat nach Bekanntgabe des vorausgegangenen bestandskräftigen Bescheids entschieden werden.

Die Klägerin hat dazu erwidert, dass sie einen Bescheid vom 09.11.2004 nie erhalten habe. Die Beklagte habe den Bescheid vom 09.11.2004 auch weder zum Gegen-stand ihrer Ausgangsentscheidung vom 30.08.2005 noch ihrer Einspruchsentscheidung vom 04.11.2005 gemacht. Es falle auf, dass der vorgelegte Bescheid vom 09.11.2004 weder einen Bearbeitervermerk noch ein Datum durch elektronische Datenverarbeitung enthalte. Jedenfalls sei dieser Bescheid weder wirksam noch bestandskräftig, da er ihr nicht zugegangen sei.

Die Familienkasse hat entgegnet, dass die Klägerin im Schreiben vom 25.06.2005 Kindergeld ab März 2004 beantragt habe. Erstmals mit Klageerhebung sei auch für die Zeit zuvor ein Anspruch auf Kindergeld geltend gemacht worden. Gegenstand des Rechtsstreites könne daher maximal die Zeit ab März 2004 sein.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 u. 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor dem 27. Lebensjahr eingetreten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außer Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Dies ist der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen Einkünfte und Bezüge verfügt. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG stellt nicht allein darauf ab, dass ein Kind körperlich, geistig oder seelisch behindert ist; vielmehr muss es wegen seiner Behinderung außer Stande sein, sich selbst zu unterhalten (Urteil des BFH v. 15.10.1999 VI R 40/98, BStBl. II 2000, 75). Die Behinderung muss mit anderen Worten ursächlich dafür sein, dass sich das Kind nicht selbst unterhalten kann.

2. Im Streitfall ist der Sohn der Klägerin wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Während der Zeit des Strafvollzugs ist er deshalb unabhängig davon, ob er behindert ist oder nicht, außer Stande einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies gilt auch unabhängig davon, ob er in einer Strafvollzugsanstalt einsitzt oder ob seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankhaus angeordnet ist. Für die Zeit der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 126a StPO ergibt sich jedenfalls dann nichts anderes, wenn - wie im Streitfall - dieser einstweiligen Unterbringung eine Verurteilung folgt. Der Klägerin steht deshalb nach Auffassung des Senats Kindergeld auch dann nicht zu, wenn ihr Kind an einer bereits vor dem 27. Lebensjahr aufgetretenen geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderung leidet. Die Ausgangslage der Klägerin ist keine andere wie die von Eltern, deren Kind aufgrund einer Verurteilung in einer Strafvollzugs- oder psychiatrischen Anstalt einsitzt und das entweder nicht behindert ist oder dessen Behinderung erst nach dem 27. Lebensjahr eingetreten ist. Auch in diesen Fällen fallen, soweit sich die Eltern um ihr Kind kümmern, Fahrtaufwendungen oder andere Kosten für den persönlichen Bedarf des Kindes an, die dennoch nicht dazu führen, dass Kindergeld bezahlt wird, wenn das Kind älter als 18 Jahre ist.

Kindergeld wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung ist nach Auffassung des Senats daher nur dann zu bezahlen, wenn die Behinderung die alleinige Ursache für die Nichtmöglichkeit des Selbstunterhalts ist. Treten, wie im Streitfall, andere Ursachen hinzu, so ist Kindergeld nicht zu gewähren. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass der Streitfall mit dem vom BFH (o.a. BStBl. II 2000, 75) entschiedenen Fall vergleichbar ist. Der Unterschied besteht darin, dass im vom BFH entschiedenen Fall eine Unterbringung allein wegen der Behinderung erfolgte, wohingegen im Streitfall die Unterbringung wegen einer Straftat angeordnet wurde.

Bei dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Aufklärung, ob und in welchem Umfang im Streitfall ein behinderungsbedingter Mehrbedarf besteht. Da die zwangsweise Unterbringung, erst auf der Grundlage des § 126 a StPO und dann auf der Grundlage des § 63 StGB, bereits seit Oktober 2001 bestand, muss der Senat auch nicht entscheiden, ob er es für glaubhaft hält, dass die Klägerin den Bescheid vom 09.11.2004 nicht erhalten hat. Da die beklagte Familienkasse in dem Bescheid vom 30.08.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 04.11.2005 aber dem Antrag der Klägerin vom 25.06.2005 entsprechend nur darüber entschieden hat, ob Kindergeld ab März 2004 zu gewähren ist, liegt für die Zeit von Oktober 2001 bis Februar 2004 das erforderliche Vorverfahren nicht vor. Eine Klage kann deshalb für diesen Zeitraum auch aus diesem Grund keinen Erfolg haben.

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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