Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 13.08.2007
Aktenzeichen: V 108/05
Rechtsgebiete: AO, EStG, RBerG, BGB


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 4
EStG § 4 Abs. 1
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
RBerG Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1
BGB §§ 2197 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

V 108/05

Einkommensteuer 1994, Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 1994

In dem Rechtsstreit

...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13.08.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht den Einkommensteuerbescheid für 1994 gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert hat.

Der Kläger war im Streitjahr wie auch in den Vorjahren als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer selbständig tätig. Seinen Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1994 reichte der Kläger beim Finanzamt am 10.06.1996 ein. Das Finanzamt erließ am 07.08.1996 einen Einkommensteuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO. Die Einkommensteuer wurde entsprechend den erklärten Einkünften auf 137.269 DM festgesetzt. Die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit beliefen sich auf 378.407 DM. Mit Bescheid vom 10.11.2000 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

Bei einer steuerlichen Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 1995 bis 1997 (vgl. Bericht vom 06.07.2000) stellte das Finanzamt fest, dass der Kläger von einer Mandantin seiner Steuerkanzlei als Privatperson zum Testamentsvollstrecker bestimmt worden war. Am 18.08.1992 war er vom AG X - Nachlassgericht - zum Testamentsvollstrecker über den Nachlass der am 09.07.1992 verstorbenen A ernannt worden. Die Vergütung war nicht ausdrücklich geregelt. Die Tätigkeit als Testamentsvollstrecker nahm der Kläger in den Jahren 1992 und 1993 durch die Inbesitznahme des aus Bankguthaben, Wertpapieren und Immobilien bestehenden Nachlasses und durch die Auseinandersetzung und Verteilung des Nachlasses an die Vermächtnisnehmer und an die Erbin wahr. Seine Vergütung für diese Tätigkeit stellte er der Erbengemeinschaft unter Hinweis auf § 2221 BGB mit einem Honorarbetrag von 51.200 DM brutto am 24.08.1994 in Rechnung. Im Kalenderjahr 1994 wurde das für die Testamentsvollstreckung eingerichtete Treuhandkonto durch Einlage in das betriebliche Bankkonto aufgelöst. Das Honorar wurde dem Kläger mit Wertstellung 04.01.1995 auf sein betriebliches Konto überwiesen. Der Kläger behandelte die Zahlung als privaten Vorgang und den überwiesenen Betrag als Einlage. Zu keinem Zeitpunkt erfasste er das Entgelt als steuerpflichtige Einnahmen.

Den Feststellung der Außenprüfung folgend sah das Finanzamt den Zahlungsbetrag als Gewinn aus selbständiger Arbeit an. Es änderte die Einkommensteuerfestsetzung 1995 mit Bescheid vom 31.07.2000 nach § 164 Abs. 2 AO und erhöhte u.a. die Einkünfte aus § 18 Abs. 1 EStG um 44.374 DM, den Nettobetrag der vereinnahmten Testamentsvollstrecker-Vergütung.

Im Einspruchsverfahren hiergegen gab das Finanzamt dem Vorbringen des Klägers statt. Die Einnahmen aus der Testamentsvollstreckung wurden nicht mehr im Jahre 1995 angesetzt. Das Finanzamt änderte daher in der Einspruchsentscheidung vom 20.02.2003 die Einkommensteuerfestsetzung für 1995 insoweit zu Gunsten des Klägers, indem es die Gewinneinkünfte aus § 18 EStG wieder um das Entgelt für die Testamentsvollstreckung minderte.

Mit Bescheid vom 13.03.2003 änderte das Finanzamt die Einkommensteuerfestsetzung für 1994 nach § 174 Abs. 4 AO und erfasste das Honorar aus der Testamentsvollstreckung nun in diesem Jahr. Dabei erhöhte es die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um 44.374 DM auf 422.781 DM und setzte eine Einkommensteuerschuld von 160.795 DM und Zinsen hierzu i.H.v. 5.412 DM fest. Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom 14.03.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 14.04.2005 Klage erhoben.

Nachdem der Kläger zunächst von nicht einkommensteuerpflichtigen privaten Einkünften ausgegangen war, betrachte er zwischenzeitlich selbst die Einkünfte aus Testamentsvollstrecker-Tätigkeit als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Weiterhin bestreite er nicht mehr die grundsätzliche Richtigkeit der Erfassung der Einkünfte im Jahre 1994 nach materiellem Steuerrecht.

Die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1994 nach § 174 AO seien jedoch nicht erfüllt. Dem Beklagten sei der Sachverhalt genauestens bekannt gewesen. Bei Erstellung der geänderten Steuerbilanz 1995 durch die Betriebsprüfung habe keine irrige Beurteilung des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung vorgelegen. Die Bezüge aus Testamentsvollstreckung seien grob fahrlässig als laufende Einkünfte des Jahres 1995 erfasst worden, obwohl der Rechnungsbeleg aus dem Jahr 1994 vorgelegen habe.

Nach Beendigung der Betriebsprüfung im Jahr 2000 wäre die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1994 noch möglich gewesen. Auch wäre im Rahmen der Betriebsprüfung eine Änderung wegen neuer Tatsachen nach Vorlage der Abrechnung vom August 1994 möglich gewesen. Der Sachverhalt sei dem Beklagten jedoch im einzelnen bekannt gewesen, so dass der Beklagte bewusst die Einnahmen aus Testamentsvollstreckung im Jahr 1995 erfasst habe, um sich eine Anordnung einer Prüfungserweiterung für 1994 und die entsprechende Bescheidberichtigung zu ersparen. Der Beklagte habe die strittige Einnahme nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs im Jahr 1995 bewusst veranlagt. Bewusste, also mit Vorsatz oder Absicht herbeigeführte Fehlerhaftigkeit falle aber nicht unter § 174 Abs. 4 AO. Im übrigen müsse der Beklagte nachweisen, dass es sich "nur" um einen Irrtum gehandelt habe.

Außerdem sei fraglich, ob die Grundsätze der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 S. 1 EStG (formeller Bilanzenzusammenhang) der Vorschrift des § 174 Abs. 4 AO vorgingen. Zu klären sei, ob nach dem Einkommensteuergesetz die Berichtigung erst im Folgejahr vorgenommen werden dürfe (formeller Bilanzenzusammenhang) oder ob die Fehlerberichtigung im Fehlerjahr vorzunehmen sei (materieller Bilanzenzusammenhang), unabhängig von der Rechtskraft des Steuerbescheids für dieses Jahr.

Im Streitfall sei 2003 der Bescheid 1994 rechtskräftig gewesen, die Erfassung der strittigen Einnahme im Jahr 1995 nach den Regeln des formellen Bilanzenzusammenhangs damit zutreffend.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 13.03.2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14.03.2005 und dementsprechend die Festsetzung der Nachzahlungszinsen aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der unzutreffende Ansatz der Einnahmen im Jahre 1995 sei irrtümlich aufgrund der Zahlung im Jahre 1995 erfolgt. Die Betriebsprüferin habe die Einnahmen weder bewusst noch grob fahrlässig in diesem Veranlagungszeitraum angesetzt. Selbst der Kläger als steuerlicher Fachmann habe sich weder im Rahmen der Betriebsprüfung noch im anschließenden Einspruchsverfahren gegen den Ansatz mit der Begründung der Erfassung im falschen Veranlagungszeitraum gewendet. Im übrigen sei zum Abschluss der Betriebsprüfung der Veranlagungszeiträume 1995 bis 1997 jederzeit eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1994 möglich gewesen, da dieser zu diesem Zeitpunkt auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden habe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Beklagte hat zu Recht die Vergütung für die Testamentsvollstreckung als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG qualifiziert und die Einkünfte im Streitjahr 1994 gewinnerhöhend berücksichtigt.

1. Testamentsvollstreckervergütung als Einkünfte aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG

Das FA ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die Testamentsvollstreckung im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) durchgeführt hat.

Nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG führen Vergütungen für die Vollstreckung von Testamenten im Regelfall zu Einkünften aus sonstiger selbstständiger Arbeit und gehören somit zu den Einkünften aus selbständige Arbeit nach § 18 Abs. 1 EStG.

Wird eine an sich unter § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG fallende Tätigkeit jedoch im Rahmen eines freien Berufs im Sinn der Nr. 1 der Vorschrift ausgeübt, so ist sie der Hauptberufstätigkeit zuzurechnen (BFH-Urteil vom 6.9.1990 IV R 125/89, BStBl II 1990, 1028 m.w.N.). Bei seiner Tätigkeit als Testamentsvollstrecker, insbesondere bei der Verwaltung und Verteilung des Nachlasses an die Vermächtnisnehmer und an die Erben machte sich der Kläger seine berufliche Vorbildung und Erfahrung auf wirtschaftlichem Gebiet zu Nutze. Im Streitfall wird dies dadurch besonders deutlich, dass der Kläger auf die - als Steuerberater erworbenen - Kenntnisse der Vermögensverhältnisse der Erblasserin zurückgreifen konnte. Dies gilt hier erst recht, da der Schwerpunkt der Testamentsvollstreckung im vorliegenden Fall weniger auf rechtlichem Gebiet lag, sondern der Kläger sich überwiegend mit wirtschaftlichen Fragen und Problemen befasste. Der Umstand, dass der Kläger nach seinem Vorbringen ohne sein Wissen von seiner ehemaligen Mandantin zum Testamentsvollstrecker bestimmt worden sei, führt nicht dazu, dass er nur für private Zwecke und damit außerhalb steuerpflichtiger Einkünfteerzielung tätig geworden ist.

Da der Einsatz als Testamentsvollstrecker der Tätigkeit des Kl. als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugerechnet werden muss, kann es dahinstehen, ob das unstreitig nicht auf Dauer angelegte Tätigwerden in einem Einzelfall ohne Wiederholungsabsicht grundsätzlich bereits die erforderliche Gewinnerzielungsabsicht begründen kann. Denn diese ergibt sich aus der Hauptberufstätigkeit des Kl. als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.

Durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2004 I ZR 182/02 ist zivilrechtlich geklärt, dass die Tätigkeit des Testamentsvollstreckers wie im vorliegenden Streitfall keine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 RBerG ist. Die erbrechtlichen Vorschriften des BGB sehen eine besondere Qualifikation für das Amt des Testamentsvollstreckers nicht vor. Zwar könne der Schwerpunkt der Tätigkeit des Testamentsvollstreckers auf rechtlichem Gebiet liegen, dies jedoch nicht zwangsläufig. Der Testamentsvollstrecker kann in wesentlichem Umfang auch nur einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, wenn er den Nachlass in Besitz nimmt, die zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten bewertet und Verbindlichkeiten erfüllt sowie Nachlassgegenstände veräußert. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung des Nachlasses unter den Miterben. Eine so gestaltete Testamentsvollstreckung kann auch in zulässiger Weise von einem Steuerberater erledigt werden.

2. Zeitpunkt der Gewinnrealisierung

Der Gewinn aus der Vergütung für die Testamentsvollstreckertätigkeit wurde im Kalenderjahr 1994 realisiert und daher vom Beklagte materiellrechtlich zu Recht im Streitjahr angesetzt. Zutreffend hat das Finanzamt das für die Besteuerung maßgebliche Entgelt in Höhe von 44.374 DM aus der Rechnung vom 24.08.1994 den Einkünften aus selbständige Arbeit hinzugerechnet.

Der Kläger ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich. Gewinn ist hiernach der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorausgegangenen Wirtschaftsjahres.

Eine Forderung wird Betriebsvermögen im Zeitpunkt ihrer Begründung, denn dann besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Rechtsnatur der Forderung und des sie begründenden Vorgangs.

Geldforderungen sind zu aktivieren, sobald sie - unabhängig von der rechtlichen Entstehung - wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht und am Bilanzstichtag hinreichend sicher sind. Dies bedeutet, sie sind dann zu aktivieren, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen gesetzt worden sind und mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest zu rechnen ist. Ohne Bedeutung für die Gewinnrealisierung ist, ob am Bilanzstichtag die Rechnung bereits erteilt worden ist und ob die Forderung erst nach dem Bilanzstichtag fällig wird (vgl. BFH-Urteile vom 3.8.2005 I R 94/03, BStBl II 2006,20).

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind auszuweisen, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Schuldner mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung erbracht, d.h. seine Verpflichtung wirtschaftlich erfüllt hat. Damit ist dem Leistenden der Anspruch auf die Gegenleistung (Zahlung) so gut wie sicher . Dann ist auch der Schwebezustand des zu Grunde liegenden Geschäfts beendet und der Gewinn aus der Leistungsbeziehung realisiert (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HS 2 HGB). Für die steuerrechtliche Realisierung der Forderung kommt es zwar grundsätzlich nicht auf deren zivilrechtliche Fälligkeit an, zur näheren Bestimmung der erforderlichen Leistungshandlung jedoch muss letztlich doch auf das zu Grunde liegende konkrete Rechtsverhältnis zurückgegriffen werden. Dies bedeutet, dass im Streitfall zur Bestimmung der erforderlichen Leistungshandlung auf die im BGB geregelten Vorschriften zur Testamentsvollstreckung zurückzugreifen ist:

Bei der Testamentsvollstreckung handelt es sich um ein gesetzliches Schuldverhältnis aufgrund der §§ 2197 ff BGB. Soweit der Erblasser nichts Abweichendes bestimmt hat, wird die Vergütung nach bürgerlichem Recht regelmäßig mit der Beendigung des Amtes insgesamt fällig (Münch KommBGB/Zimmermann § 2221 Rn. 22). Es handelt sich um ein Treuhandverhältnis. Der Testamentsvollstrecker hat die letztwilligen Verfügungen des Erblassers zur Ausführung zu bringen, die Auseinandersetzung unter den Miterben zu bewirken und den Nachlass zu verwalten. Dies alles erledigt er mithilfe eines extra hierfür eingerichteten Treuhandkontos. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bis zur Auflösung des Treuhandkontos 1994 die Tätigkeit der Testamentsvollstreckung nicht abgeschlossen war. Für die Entstehung der Vergütung erforderliche Handlungen sind somit auch noch im Streitjahr erbracht worden. Es bestehen keine gegenteiligen Anhaltspunkte dafür, dass sich die den Anspruch begründenden wesentlichen Aktivitäten des Kl. auf die Vorjahre beschränkt haben.

3. Änderung nach § 174 Abs. 4 AO

3.1 § 174 Abs. 4 S. 1 AO erlaubt für den Fall, dass aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden.

Irrige Beurteilung eines Sachverhalts bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als unrichtig erweist (BFH-Urteil vom 14.03. 2006 I R 8/05, BFH/NV 2006,1419; BFH-Urteil vom 18.03.2004 V R 23/02, BStBl II 1004,763 m.w.N.). Sachverhalt ist hierbei der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat.

Irrige Burteilung meint die objektiv unzutreffende rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Entscheidend ist die objektive Unrichtigkeit, nicht die Erwägungen des Finanzamts. Worin der Irrtum bestand, ist jedoch nicht entscheidend.

Irrig ist eine Beurteilung jedoch nur, wenn sich die objektiv unzutreffende rechtliche Würdigung in subjektiver Hinsicht auf (grobe) Fahrlässigkeit beschränkt. Bewusste Fehlerhaftigkeit (Vorsatz oder Absicht) fällt nicht unter § 174 Abs. 4 AO.

Sinn und Zweck der Vorschrift ist, dass die Finanzbehörde die richtige Entscheidung später so durchsetzen kann wie dies im Zeitpunkt der fehlerhaften Entscheidung möglich gewesen wäre.

Die Regelung des § 174 Abs. 4 AO ist unter dem Vertrauensschutzaspekt jedenfalls gegenüber demselben Steuerpflichtigen zu rechtfertigen, denn es handelt sich nicht um eine erstmalige Befassung mit dem Sachverhalt. Der wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts unrichtige Bescheid muss aufgrund Rechtsbehelfs oder Antrags des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert worden seien. Die Änderung darf jedenfalls nicht allein auf der Initiative der Finanzbehörde beruhen. Der angefochtene Bescheid muss zu Gunsten der Steuerpflichtigen geändert worden sein. Änderungen zu Ungunsten des Steuerpflichtigen werden von § 174 Abs. 4 AO nicht erfasst.

Die Vorschrift ermöglicht es den Finanzbehörden, im Falle der Aufhebung oder Änderung einer unrichtigen Steuerfestsetzung auf Betreiben des Steuerpflichtigen den nunmehr unberücksichtigten Sachverhalt in dem richtigen Bescheid zu erfassen. Der Steuerpflichtige soll im Falle seines Obsiegens an seiner Auffassung festgehalten werden, sobald derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist (BFH-Urteil vom 14.03.2006 a.a.O.).

Im Streitfall hat - auf entsprechenden Rechtsbehelf des Klägers - das Finanzamt entschieden, dass der hier streitige Sachverhalt, die Abrechnung für die Testamentsvollstreckung, nicht im Jahre der Bezahlung 1995, sondern bereits bei Rechnungsstellung 1994 gewinnerhöhend zu erfassen ist.

Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Betriebsprüferin und das Finanzamt bei verständiger und sachkundiger Beurteilung des relevanten Sachverhalts diesen Irrtum hätten vermeiden können. Anhaltspunkte für bewusst fehlerhaftes Handeln des Finanzamts im Sinne von Vorsatz oder gar Absicht finden sich jedoch nicht.

Das Gericht braucht daher nicht weiter zu prüfen, ob § 174 Abs. 4 S. 1 AO auch auf Fälle der bewussten irrigen Beurteilung anzuwenden wäre.

Denn eine vorsätzliche falsche Erfassung der Vergütung im Jahre 1995 ist nicht erkennbar. Auch die mögliche, im Streitfall unterbliebene Prüfungserweiterung trägt den Missbrauchsvorwurf nicht, weil die Steuerfestsetzung für das Streitjahr 1994 bei Ende der Betriebsprüfung und bei Erlass des Einkommensteuerbescheids 1995 am 31.07.2000 noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden hatte und somit auch ohne förmliche Prüfungsanordnung änderbar gewesen wäre (§ 164 Abs. 2 S. 1 AO).

3.2 Der Änderung des Bescheids stand auch nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.

Nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 AO) grundsätzlich unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgen - wie im Streitfall - innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War allerdings die Festsetzungsfrist bereits abgelaufenen, als der fehlerhafte und später geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nur unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 S. 1 AO (§ 174 Abs. 4 Satz 4 AO).

Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1994 war im Zeitpunkt des Erlasses des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids für 1995, am 31.07.2000, noch nicht abgelaufen.

Der Kläger hatte durch die Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1994 am 10.06.1996 den Beginn der Festsetzungsfrist in Gang gesetzt (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO), so dass die vierjährige Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO mit Ablauf des 31.12. 1996 begonnen und erst mit Ablauf des 31.12.2000 geendet hat. Die einschränkende Regelung des § 174 Abs. 4 S. 4 AO trifft daher im hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht zu.

Der Beklagte hat die richtigen steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen. Der Einkommensteuerbescheid für 1995 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 20.02.2003 geändert und bereits am 13.03.2003 wurde der nun streitige Änderungsbescheid für 1994 erlassen.

3.3 Einer Änderung des Einkommensteuerbescheids 1994 steht auch nicht der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs entgegen.

Zwar hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung vom 10.11.1997 (Az. GrS 1/96 BFHE 184, 1 , BStBl. II 1998, 83) festgestellt, dass § 174 Abs. 4 AO die Aufhebung bzw. Änderung eines Steuerbescheids allein mit der Begründung, dass mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Bescheids nach § 174 Abs. 4 AO die Möglichkeit geschaffen werde, die Vorjahresbilanz zu ändern, nicht erlaube.

Mit anderen Worten bedeutet dies, dass aus Gründen des formellen Bilanzenzusammenhangs die Anfangsbilanz des Folgejahres nicht geändert werden darf, wenn und soweit die Vorjahresveranlagung bestandskräftig ist und insoweit keine allgemeinen Änderungsnormen einschlägig sind. § 174 Abs. 4 AO gibt keine Handhabe zur Änderung oder Aufhebung des Steuerbescheids des Folgejahres.

Dies steht jedoch nicht einer Bescheidänderung bezüglich des Vorjahres entgegen. Gerade der Entscheidung des Großen Senats (a.a.O.) ist auch zu entnehmen, dass nach § 174 Abs. 4 AO verfahrensrechtliche Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheid gezogen werden dürfen.

Im vorliegenden Streitfall geht es nicht um die aus Gründen des formellen Bilanzenzusammenhangs unzulässige Änderung des Bescheids 1995, sondern um die verfahrensrechtliche Möglichkeit zur Änderung des Bescheids 1994. Daher sind die oben zitierten und vom Kläger schriftsätzlich aufgeführten Fälle mit dem Streitfall nicht vergleichbar. In den vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO nicht vor, weil die angefochtenen Bescheide keine widerstreitenden Steuerfestsetzungen enthalten. Im Streitfall jedoch ist die widerstreitende Steuerfestsetzung durch die zu Recht erfolgte Aufhebung des Einkommensteuerbescheids 1995 entstanden mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO vorliegen.

4. Die Festsetzung der Nachzahlungszinsen von 5.412 EUR in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 13.03.2003 ist zutreffend erfolgt. Die Pflicht zur Verzinsung von Steuernachforderungen folgt aus der gesetzlichen Regelung in § 233 a Abs. 1 S. 1 AO.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

Zurück