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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 13.12.2006
Aktenzeichen: V 124/2006
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 237
AO 1977 § 239 Abs. 1
FGO § 68
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

V 124/2006

Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980

In dem Rechtsstreit

hat der V. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13.12.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit Bescheid vom 29.06.2005 setzte der Beklagte Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980 i.H.v. 1.611.653 EUR fest. Die Zinsberechnung bezog sich auf die AdV - Verfügungen vom 23.01.1989 bezüglich 1. 602.597,40 EUR und vom 05.09.1990 bezüglich 1.622.023,90 EUR.

Das Finanzamt hatte mit Bescheid vom 09.09.1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 08.08.1990 die Einkommensteuer 1980 auf 7.440.379 DM festgesetzt. Hiergegen hatten die Kläger am 04.10.1988 Einspruch und am 16.08.1990 Klage erhoben (V 155/90).

Mit einem Änderungsbescheid nach § 174 Abs. 4 AO vom 10.09.1992 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 1980 auf 8.261.294 DM fest. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 14.08.1998 haben die Kläger am 10.09.1998 Klage erhoben (V 317/98). Der Beklagte setzte die weitergehende Einkommensteuer von 820.915 DM mit Bescheid vom 29.09.1992 und 19.10.1998 von der Vollziehung aus.

Das Klageverfahren V 155/90 wurde mit Beschluss des Finanzgerichts Nürnberg vom 14.06.1993 nach § 74 FGO ausgesetzt.

Mit Urteil vom 26.06.2001 im Verfahren V 317/98 wurde die Klage abgewiesen. Die von den Klägern erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der BFH mit Beschluss vom 18.03.2002 (Az.: I B 89/01) als unbegründet zurückgewiesen. Mit Verfügung vom 24.07.2001 beendete das Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung über 820.915 DM.

Die Verfassungsbeschwerde der Kläger vom 10.07.2002 gegen den Beschluss des BFH vom 18.03.2002 nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2005 nicht zur Entscheidung an.

Die Kläger nahmen mit Schriftsatz vom 09.05.2005 die unter Aktenzeichen V 155/90 anhängige Klage zurück.

Am 27.05.2005 beendete das Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer 1980 i.H.v. 1.622.023,90 EUR (AdV vom 05.09.1990 i.H.v. 3.172.403 DM) und setzte am 29.06.2005 entsprechende Aussetzungszinsen fest. Der Einspruch der Kläger vom 04.07.2005 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29.05.2006 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage vom 01.06.2006 machen die Kläger geltend:

Für die Festsetzung von Aussetzungszinsen sei seit Ende 2003 die Festsetzungsfrist nach § 239 Abs. 1 S. 1 AO abgelaufen. Eine durch einen Steuerbescheid festgesetzte Steuer sei so lange für die Bestimmung der Zinsen maßgebend, wie der Steuerbetrag nicht geändert wird. Im vorliegenden Fall sei die Zinsberechnung auf der Grundlage des Klageverfahrens V 155/90 falsch, weil Aussetzungszinsen allein nach dem Änderungsbescheid festgesetzt werden müssten. Alleinige Rechtsgrundlage für die Einkommensteuerfestsetzung 1980 sei der Einkommensteueränderungsbescheid vom 10.09.1992 (V 317/98). Der ursprüngliche Bescheid vom 09.09.1988 habe keine Rechtswirkung mehr, da der Änderungsbescheid die Wirkung des Erstbescheids mit vollem Inhalt in sich aufgenommen habe. Solange ein Änderungsbescheid Bestand habe, entfalte der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Da ein suspendierter Verwaltungsakt nicht Gegenstand einer Aussetzung sein könne, könnten daraus auch keine AdV-Zinsen entstehen. Das Rechtsbehelfsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 hätte endgültig keinen Erfolg gehabt mit Rechtskraft des Urteils im Verfahren V 317/98 am 26.06.2001 i.H.v. 3.993.318 DM.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 29.06.2005 über Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980 über 1.611.653 EUR sowie die Einspruchsentscheidung vom 29.05.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Beide Beteiligte beantragen für den Fall des Unterliegens

die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Das Finanzamt geht davon aus, dass das Rechtsbehelfsverfahren wegen Einkommensteuer 1980 erst im Mai 2005 durch Wiederaufnahme des Verfahrens V 155/90 und Rücknahme der Klage endgültig erledigt gewesen sei. Das Verfahren V 155/90 müsse unabhängig vom zweiten Finanzgerichtsverfahren V 317/98 gesehen werden. Durch Erledigung des zweiten Verfahrens komme es nicht automatisch zu einer Erledigung auch des ersten Verfahrens, da der Änderungsbescheid durch den Kläger nach damaliger Rechtslage eben nicht gemäß § 68 FGO in der damals gültigen Fassung zum Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens geworden sei. Wenn eine Einbeziehung nach § 68 FGO nicht beantragt werde, bleibe es bei zwei bestehenden und zu entscheidenden Klageverfahren. Die Aussetzung nach § 74 FGO bewirke nur einen vorübergehenden Stillstand des Verfahrens, nicht aber dessen endgültige Erfolglosigkeit. Die Festsetzung der AdV-Zinsen am 29.06.2005 sei unmittelbar nach Beendigung der AdV und innerhalb der einjährigen Festsetzungsfrist erfolgt.

Die Verzinsung bemesse sich allein nach dem geschuldeten Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung tatsächlich ausgesetzt sei.

Auf den Zinsbescheid vom 29.06.2005 und die Schriftsätze in der Finanzgerichtsakte wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet. Das Finanzamt hat zu Recht die Aussetzungszinsen in dem Bescheid vom 29.06.2005 festgesetzt.

1. Keine Festsetzungsverjährung

Das Finanzamt war nicht gehindert, den Bescheid zu erlassen. Die Festsetzungsverjährung ist nicht eingetreten. Nach § 237 kann das Finanzamt, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat, einen Bescheid über die Verzinsung des geschuldeten Betrages erlassen. Die Festsetzungsfrist beträgt zwar nach § 239 Abs. 1 AO 1 Jahr. Die Festsetzungsfrist beginnt in dem Fall des § 237 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 AO). Zeitpunkt hierfür war die Einstellung des Verfahrens, nach dem die Kläger mit Schriftsatz vom 09.05.2005, die unter Az. V 155/90 anhängige Klage zurückgenommen haben. Der 1. Halbsatz des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO macht die Verzinsung vom Ausgang des Einspruchs- bzw. Klageverfahrens abhängig. Danach kommt eine Verzinsung nur soweit in Betracht, als der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Der weitere Umfang der Verzinsung, nämlich soweit der Rechtsbehelf keinen Erfolg gehabt hat, ergibt sich aus dem 2. Halbsatz ("ist der geschuldete Betrag......"); danach bemisst sich die Verzinsung nach dem geschuldeten Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt war. Maßgeblich ist danach der geschuldete und von der Vollziehung ausgesetzte Steuerbetrag. Diese am Wortlaut orientierte Auslegung des § 237 Abs. 1 AO entspricht auch seinem Zweck. Soweit ein Rechtsbehelf nicht erfolgreich ist, soll der geschuldete und von der Vollziehung ausgesetzte Betrag verzinst werden; in dieser Höhe hat der Steuerpflichtige einen Zinsvorteil erlangt, der ihm nach dem materiellen Recht nicht zusteht und der durch die Aussetzungszinsen ausgeglichen werden soll (vgl. Urteil des BFH vom 9. Dezember 1998, XI R 24/98, BStBl. II 1999, 201). Das Finanzamt hatte in seiner Aussetzung der Vollziehung vom 05.09.1990 den Hauptbetrag über 7,4 Mio. DM ausgesetzt. Das anschließende Klageverfahren (V 155/90) bezog sich auf den Rechtsstreit gegen den Ursprungsbescheid, in dem die 7,4 Millionen gefordert worden waren. Diese ursprüngliche Klage (V 155/90) hatte endgültig keinen Erfolg nach der Einstellung des Verfahrens am 13.05.2005.

Zu Unrecht stellen die Kläger auf den Erlass des Änderungsbescheides ab. Es ist richtig, dass ein derartiger Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsgehalt mit aufnimmt. Dies hat zur Folge, dass der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung entfaltet, so lange der Änderungsbescheid Bestand hat. Der ursprüngliche Bescheid ist in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert und tritt erst dann wieder in Kraft, wenn der Berichtigungsbescheid aufgehoben wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.10.1972 GrS 1/72, BStBl. II 1973, 231; Urteil vom 20.10.2004 R 74/00, BStBl. II 2005, 99). Die Kläger übersehen jedoch, dass es im Streitfall nicht um eine Frage der Steuerfestsetzung geht, sondern § 237 AO eine Vorschrift des Erhebungsverfahrens ist. Dementsprechend hat sich auch durch den Erlass des Änderungsbescheides an der Fälligkeit der ursprünglichen Steuerforderung nichts geändert, durch den Änderungsbescheid trat nur hinsichtlich des Erhöhungsbetrages (Erhöhung von 7,4 auf 8,2 Millionen) eine neue Fälligkeit ein. Dementsprechend haben die Kläger auch nur die Aussetzung dieses Erhöhungsbetrages erneut begehrt, die dann gewährt worden ist. An der Fälligkeit der ursprünglichen Hauptforderung über 7,4 Millionen hat der Erlass des Änderungsbescheides nichts geändert.

Die Kläger waren es auch, die den Ursprungsbescheid nicht zum Gegenstand des Verfahrens erklärt haben. Dies war nach der damals gültigen Fassung des § 68 FGO möglich. Ein Änderungsverwaltungsakt ist nur dann Gegenstand eines anhängigen Klageverfahrens geworden, soweit ein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Es war somit in das Belieben der Kläger gestellt, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gegen den Erstbescheid zu machen.

Dieser Änderungsbescheid ist von den Klägern erneut angefochten worden (Klageverfahren V 317/98). Dieses Änderungsverfahren ist nach der Entscheidung des Finanzgerichtes und der Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde im Jahre 2002 beendet worden. Das Finanzamt hätte, nachdem dieses Verfahren gegen den Änderungsbescheid endgültig erfolglos geblieben war, den fällig gesetzten Erhöhungsbetrag verzinsen müssen. Dies ist nicht geschehen. Dieses Versäumnis des Finanzamts kann aber nicht dazu führen, dass es nicht mehr berechtigt gewesen sein sollte, den ursprünglichen Bescheid über 7,4 Mio. DM zu verzinsen. Im Erhebungsverfahren kommt es allein darauf an, wann eine Steuer fällig gestellt worden ist, aus diesem Grund spricht auch § 237 AO von dem geschuldeten Betrag. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, ob das Finanzamt den Aussetzungsbetrag zutreffend ermittelt hat; maßgeblich ist allein der Umfang der tatsächlich erfolgten Aussetzung der Vollziehung (vgl. Urteil des BFH vom 18. Juli 1994 X R 93/91, BStBl. II 1995, 4). Entscheidend ist der Inhalt der Aussetzungsverfügung. Diese Aussetzungsverfügung vom 05.09.1990 ging über einen Betrag von 7,4 Mio. DM.

Das Finanzamt hat die Dauer der Aussetzung mit dem Ausgang des Verfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid verknüpft, damit entsteht der Anspruch auf die Aussetzungszinsen auch erst mit der endgültigen Erledigung dieses Verfahrens, wenn die zur Aussetzung führenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit endgültig erfolglos geblieben sind (vgl. Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichtes vom 21. April 1003, 1 K 126/01, EFG 2003, 1217). Unbeachtlich für die Zinsfestsetzung ist damit, ob nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens der Steuerbescheid noch einmal geändert wurde (Beschluss des Sächsischen Finanzgerichtes vom 06. August 2004, 3 V 1412/04).

Würde man der Auffassung der Kläger folgen, hätte das Finanzamt beim Erlass des Änderungsbescheides die ursprüngliche Aussetzung der Vollziehung widerrufen müssen und eine neue Aussetzung der gesamt geschuldenen Steuer von 8,2 Mio. DM gewähren müssen. Dies ist nicht geschehen, die ursprüngliche Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung vom 05.09.1990 wirkte insoweit weiter, als der damals geschuldete Betrag weiterhin von der Vollziehung ausgesetzt blieb. Die Kläger haben auch nur den Differenzbetrag erneut ausgesetzt erhalten. Dieses Ergebnis folgt auch aus dem Grundgedanken des § 237 Abs. 5 AO, wonach ein Zinsbescheid nicht aufzuheben oder zu ändern ist, wenn der Steuerbescheid geändert worden ist.

2. Zinslauf vom 05.09.1990 bis zur Einstellung des Verfahrens

Die Kläger weisen zwar zu Recht darauf hin, dass eine Aussetzung der Vollziehung immer von der Existenz eines vollziehbaren Verwaltungsaktes abhängt. Vollziehbarer Verwaltungsakt war nach Erlass des Änderungsbescheides, der den ursprünglichen Bescheid in seinem Gehalt mit aufgenommen hat, nur der Änderungsbescheid. § 237 AO ist aber eine Vorschrift des Erhebungsverfahrens, durch den Erlass des Änderungsbescheides hat sich an der Fälligkeit des Hauptbetrages nichts geändert. Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass ein zweigliedriges Verfahren durch geführt worden ist. Das Verfahren V 155/90, in dem es um den ursprünglichen Bescheid in Höhe von 7,4 Mio. DM ging, wurde ausgesetzt, als gegen den Änderungsbescheid ein Rechtsmittelverfahren durchgeführt worden ist. Diese Aussetzung endete nach der Wiederaufnahme und Einstellung des Verfahrens am 13.05.2005. Die Frage, ob ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Aussetzung rechtfertigt oder nicht, spielt hier keine Rolle, weil dieses Verfahren sich auf den Änderungsbescheid bezog. Das Hauptverfahren, in dem es um den geschuldeten Betrag ging, war ausgesetzt und wurde endgültig erledigt mit der Wiederaufnahme und Einstellung des Verfahrens. Es lag im Belieben der Kläger, wie lange sie den ursprünglichen Steuerbescheid ausgesetzt haben wollten. Sie waren es, die einer früheren Wiederaufnahme und Erledigung des Verfahrens widersprochen haben. Sie haben den Vorteil gehabt, dass der ursprüngliche Steuerbescheid über 7,4 Millionen, der fällige Betrag, nicht gezahlt worden ist. Dieser Vorteil ist ihnen nach den Vorschriften der Abgabenordnung wieder zu nehmen, durch die Verzinsung dieses Betrages.

3. Kosten

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Revision

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen. Die Frage, wie nach Ergehen eines Änderungsbescheides Aussetzungszinsen zu berechnen sind, ist von grundsätzlicher Bedeutung.



Ende der Entscheidung

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