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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 11.04.2007
Aktenzeichen: V 130/2006
Rechtsgebiete: EStG, SGB IV


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63
SGB IV § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

V 130/2006

In dem Rechtsstreit

hat der V. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

aufgrund mündlicher Verhandlung am 11.04.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Bescheid vom 25.04.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 09.05.2006 werden betreffend die Monate Oktober, November und Dezember 2005 aufgehoben.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Monate Oktober bis Dezember 2005 gegenüber der Klägerin zu Recht aufgehoben hat und den überzahlten Betrag zu Recht zurückgefordert hat.

Die Klägerin hatte für ihr am 01.07.1985 geborenes Kind A. Kindergeld bezogen. Nach der Ausbildung an der Staatlichen Berufsfachschule für Hauswirtschaft bis Juli 2004 war A. ab Juli 2004 beim Arbeitsamt B. als arbeitsuchend gemeldet. In den Monaten November und Dezember 2005 hat A. eine geringfügige Nebentätigkeit in einem Privathaushalt aufgenommen für monatlich 400 EUR. Sie arbeitete unter 15 Stunden pro Woche. Ab 01.01.2006 gründete A. einen eigenen Betrieb für Hauwirtschafts- und Reinigungsarbeiten.

Nach Aktenlage war die Tochter der Klägerin bis 26.09.2005 bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet. Laut einem dem Gericht vorliegenden Computerausdruck der Arbeitsverwaltung hatte A. letztmalig am 24.06.2005 bei der Arbeitsvermittlung vorgesprochen. Anlässlich dieser Vorsprache wurde sie auf den Drei-Monats-Termin hingewiesen. Nach einer Aktennotiz vom 29.09.2005 ist A. zum vereinbarten Termin nicht erschienen. Da A. ihr Arbeitsgesuch nicht spätestens nach drei Monaten erneuert hatte, wurde sie am 27.09.2005 bei der Arbeitsvermittlung abgemeldet und dort nicht mehr als Arbeitssuchende geführt.

Nachdem die Familienkasse im März 2006 erfahren hatte, dass A. seit 27.09.2005 nicht mehr als Arbeitssuchende bei der Agentur für Arbeit gemeldet war, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 25.04.2006 die Kindergeldfestsetzung von Oktober 2005 bis März 2006 auf und forderte den überzahlten Betrag von 924 EUR von der Klägerin zurück. Der Einspruch vom 05.05.2006 war erfolglos geblieben und mit Entscheidung vom 09.05.2006 als unbegründet zurück gewiesen geworden.

In ihrer Klage vom 09.06.2006 macht die Klägerin geltend, ihre Tochter sei bis einschließlich Dezember 2005 arbeitslos gewesen und auch arbeitslos beim Arbeitsamt C. gemeldet gewesen und dort immer wieder vorstellig geworden. Sie habe in diesen beiden Monaten eine geringfügige Nebentätigkeit aufgenommen und jeweils monatlich 400 EUR verdient. Diese Nebentätigkeit habe unter 15 Stunden pro Woche gelegen. A. habe zu diesem Zeitpunkt noch eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung gesucht. Sie habe eine Anstellung nicht nur über das Arbeitsamt, sondern auch über eigene Bewerbungen gesucht. Sie erfülle damit die Voraussetzungen des § 118 SGB III.

Ab 01.01.2006 habe sie eine selbständige Tätigkeit aufgenommen, die ebenfalls unter 15 Wochenstunden liege. Auch jetzt suche sie noch eine versicherungspflichtige mehr als 15 Stunden umfassende Tätigkeit.

A. sei bis Dezember 2005 arbeitslos gewesen und auch arbeitslos gemeldet gewesen. Sie sei mit ihrer Großmutter zusammen beim Arbeitsamt vorstellig geworden wegen eines Termins bzw. habe dort angerufen. Man habe ihr damals gesagt, sie müsse nicht nochmals kommen, da man ihr keine Arbeitsstelle vermitteln könne. Seitens der Arbeitsagentur habe man A. mitgeteilt, sie müsse nicht mehr vorsprechen. Ihrer Meldepflicht sei A. jedenfalls in vollem Umfang nachgekommen.

In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin an, A. habe sich nach dem 24.06.2005 wiederholt telefonisch beim Arbeitsamt C. gemeldet.

Auch die Zeugin A. Steinwender äußerte sich im Rahmen ihrer Vernehmung dahin, dass sie ca. um den 26. des jeweiligen Monats sich telefonisch beim Arbeitsamt gemeldet habe. Dort habe man sie nicht mit dem zuständigen Sachbearbeiter verbunden, sondern es sei mitgeteilt worden, der Sachbearbeiter sei nicht da bzw. nicht zu sprechen. Man merke sie für weitere drei Monate als arbeitsuchend vor.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 25.04.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 09.05.2006 bezüglich der Monate Oktober bis Dezember 2005 aufzuheben.

Hilfsweise beantragt sie das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof anhängigen Verfahren zur Rechtsfrage des "arbeitsuchend gemeldeten Kindes" gem. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG.

Die Beklagte beantragt ebenfalls das Ruhen des Verfahrens. Hilfsweise beantragt sie Klageabweisung. Für den Fall des Unterliegens beantragt sie die Revision zuzulassen.

A. habe sich zuletzt am 24.06.2005 bei der Arbeitsvermittlung gemeldet. Das Arbeitsgesuch müsse alle drei Monate erneuert werden. Dies sei nicht geschehen. A. sei daher nach Ablauf von drei Monaten seit der letzten Meldung bei der Arbeitsverwaltung als arbeitslos bzw. arbeitsuchend registriert. Die Arbeitssuche auf eigene Initiative ohne gleichzeitige Beteiligung des Arbeitsamtes bzw. einer Agentur für Arbeit reiche nicht aus.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter des Senats einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Familienkasse hat zu Unrecht die Kindergeldfestsetzung für die Monate Oktober bis Dezember 2005 aufgehoben.

Nach § 62 Abs. 1 EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63 EStG. Dies sind u.a. Kinder, die im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandt sind (§ 63 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht Kindergeldanspruch unter den weiteren Berücksichtigungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG.

1. Gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG in der Fassung des Jahres 2005 besteht ein Anspruch auf Kindergeld für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als arbeitsuchend gemeldet sind.

1.1 Im Streitfall stand die Tochter der Kläger zwischen Oktober und Dezember 2005 in keinem schädlichen Beschäftigungsverhältnis.

Nach § 32 Abs. 4Nr. 1 EStG steht grundsätzlich jedes Beschäftigungsverhältnis dem Kindergeldanspruch eines über 18 Jahre alten bei einer Agentur für Arbeit im Inland als arbeitsuchend gemeldeten Kindes entgegen mit Ausnahme geringfügiger Beschäftigungen i.S.d. § 8 SGB IV.

In den Monaten November und Dezember 2005 übte A. eine geringfügige Beschäftigung aus gem. § 8 SGB IV, deren Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat 400 EUR nicht überstieg. Die wöchentliche Arbeitszeit ist für die Einstufung als geringfügig unerheblich.

Dies bedeutet für den Streitfall, dass die Beschäftigung von A. in einem Privathaushalt in den Monaten November und Dezember 2005 grundsätzlich den Kindergeldanspruch nicht ausschließt.

1.2 Nach Überzeugung des Gerichts war A. in den streitigen Monaten arbeitsuchend i.S.d. § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG gewesen. Erforderlich ist eine Meldung als Arbeitssuchender bei einer Agentur für Arbeit im Inland. Eine solche Meldung ist nach Aktenlage zuletzt im Juni 2005 erfolgt. Dies ist auch unter den Beteiligten unstreitig.

Die automatische Löschung als Arbeitssuchender bei der Agentur für Arbeit führt nicht zwingend zum Wegfall des Kindergeldanspruchs. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kann es nicht in der Macht der Agentur der Arbeit liegen, durch automatische Streichungen in der von ihr geführten Meldeliste darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für den Kindergeldbezug weiterhin vorliegen und damit die Befreiung der existenzsichernden Aufwendungen vom staatlichen Zugriff zu beenden. Das gilt im Streitfall um so mehr, als weder A. noch die Klägerin vor der Streichung über die beabsichtigte Löschung auf der Liste informiert worden sind und ihnen auch keine Gelegenheit eingeräumt worden ist, diese Löschung bei schuldlosem Verhalten rückwirkend zu beseitigen.

Hinzu kommt im Streitfall die Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und die in der Sache übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung. Alle befragten Personen haben übereinstimmend geäußert, dass sich A. im maßgeblichen Zeitraum September 2005 telefonisch mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt habe. Nach ebenfalls übereinstimmender Aussage habe man A. ebenfalls telefonisch den Kontakt zum Sachbearbeiter verweigert, ihr andererseits versichert, dass sie weiterhin als arbeitsuchend geführt werde.

Ob A. im Dezember erneut mit dem Arbeitsamt Verbindung aufgenommen hat, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da der streitige Zeitraum allein aufgrund einer Meldung im September entschieden werden kann. Nach Überzeugung des Gerichts hat sich A. rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der gesetzlich verankerten Drei-Monats-Frist mit der Agentur für Arbeit in Verbindung gesetzt und sich um einen Vorsprachetermin bemüht. Es gab für sie auch keinen Grund, der Aussage, sie werde weiterhin als arbeitsuchend geführt, zu misstrauen.

Das Gericht hat nicht feststellen können, dass A. schuldhaft einem Beratungsgespräch ferngeblieben ist. Die Aussage der als Zeugin vernommenen A. blieb auch unwiderlegt. Nachweise, dass diese Telefongespräche mit der Arbeitsverwaltung nicht stattgefunden haben, sind nicht aktenkundig. Die Beklagte verfügt lediglich über einen Computerausdruck, der einen Vermerk über ein nicht wahrgenommenes Beratungsgespräch enthält. Im Streitfall kann keinesfalls ausgeschlossen werden, dass die Bemühungen von A. gar nicht bis zum Sachbearbeiter der Arbeitsverwaltung vorgedrungen sind, dieser dann im guten Glauben den Computervermerk über ein nicht wahrgenommenes Beratungsgespräch gefertigt hat und nach den für ihn maßgeblichen Vorschriften die Löschung aus der Liste der Arbeitssuchenden vorgenommen hat.

Dies schließt jedoch einen Kindergeldanspruch der Klägerin für den streitigen Zeitraum nicht aus. Dies hat zur Folge, dass nach Überzeugung des Gerichts A. im streitigen Zeitraum als arbeitsuchend gemeldet war.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Ein Revisionsgrund i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO ist nicht gegeben. Insbesondere ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar mit verschiedenen Entscheidungen von Finanzgerichten, wegen deren Klärung beim Bundesfinanzhof derzeit Verfahren anhängig sind (III R 10/06, III R 12/06). In den genannten Verfahren geht es um die Frage, ob ein Kind weiterhin als "arbeitsuchend gemeldetes Kind" gem. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. EStG zu berücksichtigen ist, wenn es seine Arbeitssuchendmeldung nicht innerhalb von drei Monaten erneuerte. In den diesen Verfahren zugrundeliegenden Fällen haben sich die Arbeitssuchenden überhaupt nicht mehr bei der Arbeitsvermittlung gemeldet. Im vorliegenden Fall geht das erkennende Gericht jedoch davon aus, dass sich die Tochter der Klägerin tatsächlich in der gebotenen Weise bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat und somit ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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