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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: VI 210/2006
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

VI 210/2006

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

...

hat der VI. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

ohne mündliche Verhandlung

am 22.12.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der volljährige Sohn des Klägers wegen seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten und diese Behinderung vor dem 27. Lebensjahr eingetreten ist.

Der Kläger bezog für seinen Sohn A (geb. 26.05.1978), der im Juli 2000 das Abitur machte, im Wintersemester 2000/2001 sowie im Sommersemester 2001 an der Technischen Universität X in der Fachrichtung Maschinenwesen, ab dem Wintersemester 2001/2002 an der Universität Y bis zum Wintersemester 2004/2005 die Fachrichtung Volkswirtschaftslehre und ab dem Wintersemester 2004/2005 an der Universität Y die Fachrichtung Allgemeine Pädagogik/Soziologie / Politikwissenschaft studierte, laufend Kindergeld.

Mit Schreiben vom 31.01.2005 beantragte der Kläger,

Kindergeld für A über das 27. Lebensjahr hinaus weiter zu bewilligen, da A wegen seiner Behinderung außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten. A leide seit Jahren unter Ängsten und Depressionen, die das Beenden einer Ausbildung bisher unmöglich gemacht hätten. Aufgrund der psychischen Erkrankung sei er nach wie vor unfähig, sich selbst zu unterhalten. Von der Vorlage eines amtlichen Nachweises für die Behinderung möge abgesehen werden, da sich das Verfahren zur Erlangung dieses Nachweises nachteilig auf die weitere Behandlung und den Gesundheitszustand von A auswirken würde.

Dem Schreiben waren verschiedene ärztliche Bescheinigungen beigefügt. Danach sei aufgrund der psychischen Erkrankung, aus der die Unfähigkeit resultiere, für den Lebensunterhalt selbständig zu sorgen, der Kindergeldanspruch über das 27. Lebensjahr hinaus indiziert.

Mit Schreiben vom 04.04.2005 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Festsetzung von Kindergeld für A mit Ablauf des Monats Mai 2005 aufgehoben werde.

In der Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes teilte der Kläger mit, A befinde sich in Hochschulausbildung und könne sich wegen seelischer Behinderung nicht selbst unterhalten. Beigefügt war eine Immatrikulationsbescheinigung für A, gültig bis 30.09.2005, aus der sich ergab, dass A im Studienfach Allgemeine Pädagogik/Soziologie/Politikwissenschaft im zweiten Fachsemester immatrikuliert war.

Mit Bescheid vom 26.07.2005 wurde der Antrag auf Weiterbewilligung von Kindergeld für A über das 27. Lebensjahr hinaus, d.h. ab Juni 2005, abgelehnt. Zur Begründung war ausgeführt, von einer Behinderung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG könne bei A nicht ausgegangen werden, da er sein Studium zum Wintersemester 2004/2005 wieder aufgenommen habe und damit davon auszugehen sei, dass A genesen sei.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit seiner Klage beantragt der Kläger,

den Ablehnungsbescheid vom 26.07.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 26.06.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für A über das 27. Lebensjahr hinaus, d.h. ab Juni 2005, weiter zu bewilligen.

Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen, A sei behinderungsbedingt nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Ein Studienabschluss sei krankheitsbedingt nicht möglich. Ein Kind, das sich noch in Ausbildung befinde, sei in jedem Fall unfähig, sich selbst zu unterhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, ausweislich der Stellungnahme der Reha-SB-Stelle vom 02.10.2006 sei A in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Damit sei nachgewiesen, dass A nicht außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten.

Darüber hinaus sei nachgewiesen, dass bei A, selbst wenn bei diesem schon vor Vollendung des 27. Lebensjahres eine Behinderung vorgelegen hätte, diese nicht die Unmöglichkeit verursacht habe, den Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Zwar sei ein über 27 Jahre altes Kind, das in Schul- oder Berufsausbildung stehe, dann als unfähig zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit anzusehen, wenn es wegen seiner Behinderung noch in Schul- oder Berufsausbildung stehe. Dies sei bei A jedoch nicht der Fall. A habe sein Studium wiederholt abgebrochen. A stehe nicht wegen einer Behinderung noch in Berufsausbildung, sondern weil er mehrfach sein Studienfach gewechselt und dadurch insgesamt vier Jahre bzw. acht Semester verloren habe. Die wiederholte Neuaufnahme eines Studienganges spreche gegen eine dauerhafte Behinderung von A i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch den zum Berichterstatter bestellten Richter anstelle des Senats und mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden, §§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 FGO.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht kein Kindergeld für seinen Sohn A über das 27. Lebensjahr hinaus zu.

1. Gem. § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Kind muss nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur behindert sein, vielmehr muss die Behinderung auch ursächlich für die Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt sein. Der Gesetzgeber hat in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG die Form des Nachweises der Behinderung nicht ausdrücklich geregelt.

Von der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt ist nach zutreffender Auffassung der Verwaltung grundsätzlich auszugehen, wenn der Grad der Behinderung 50 v.H. oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (vgl. BFH-Urteil vom 16.04.2002 VIII R 62/99. BStBl. II 2002, 738 m.w.N.).

Außerdem setzt die Berücksichtung eines behinderten Kindes über das 27. Lebensjahr hinaus voraus, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 2. Halbsatz EStG (BFH in BStBl. II 2001, 832).

2. Im vorliegenden Fall steht aufgrund des Gutachtens der Reha-SB-Stelle vom 02.10.2006 fest, dass nach dem Begutachtungsergebnis A in der Lage ist, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Diese Begutachtung steht grundsätzlich der Annahme entgegen, A sei nicht in der Lage sich aufgrund einer Behinderung selbst zu unterhalten.

3. Auch der Umstand, dass A sich noch in Berufsausbildung befindet und dies bei Vorliegen einer Behinderung die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt fingiert, überzeugt im Streitfall nicht aufgrund der besonderen Umstände. Die Frage, ob die Behinderung ursächlich für das Außerstandesein des Kindes zum Selbstunterhalt ist, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen (BFH-Urteil vom 26.08.2003 VIII R 58(99, BFH/NV 2004, 326).

a) Eine nachweislich schwerbehinderte Person, die nach Vollendung des 27. Lebensjahrs noch in der Berufsausbildung steht, kann sowohl wegen ihrer Behinderung als auch wegen ihrer Berufsausbildung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Nach den einschlägigen Verwaltungsanweisungen kann die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt grundsätzlich angenommen werden, wenn im Schwerbehindertenausweis oder im Feststellungsbescheid das Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist oder der Grad der Behinderung 50 v. H. oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (H 180d, erster Querstrich EStH; Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG) 63.3.6.3.1 Abs. 2 Satz 1, BStBl. I 2002, 366, 369, 398). Es handelt sich bei diesen Regelungen um eine im Interesse der Rechtsanwendungsgleichheit vorgenommene Konkretisierung des Grundsatzes, dass die Frage, ob die Behinderung ursächlich für das Außerstandesein des Kindes zum Selbstunterhalt ist, nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (BFH, in BFH/NV 2004, 326).

b) Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger Kindergeld für A nicht zu. Eine Behinderung von A ist nicht mit Schwerbehindertenausweis nachgewiesen. Auch kann dahinstehen, ob und inwieweit eine schwerwiegende seelische Erkrankung von A vorliegt, die einer seelischen Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG entspricht, denn A ist nicht wegen seiner Behinderung nach Vollendung ihres 27. Lebensjahres noch in Berufsausbildung und damit außerstande, sich selbst zu unterhalten.

A ist ein mehrfacher Studienwechsler. Dieser Umstand bedingt, dass er das zuletzt im Wintersemester 2004/2005 aufgenommene Studienfach keinesfalls vor Vollendung des 27. Lebensjahres abgeschlossen hätte. Der Beklagten ist zuzustimmen, dass der wiederholte Studienfachwechsel gegen die Annahme spricht, A sei behinderungsbedingt nicht in der Lage, seine Berufsausbildung abzuschließen. Die Wiederaufnahme verschiedener Studiengänge zeigt vielmehr, dass A leistungsfähig und ausbildungsfähig ist. Er war nicht aufgrund einer Behinderung außer Stande das gewählte Studiumsfach vor Vollendung des 27. Lebensjahres abzuschließen und sich selbst zu unterhalten, sondern aufgrund des wiederholten Studienwechsels.

Dass A an sich nicht außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten ergibt sich schlüssig aus den Feststellungen der Reha-SB-Stelle vom 02.10.2006, die vom Kläger nicht substanziiert, sondern lediglich mit schlichten Pauschaleinwendungen angegriffen worden sind.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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