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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 20.01.2005
Aktenzeichen: VII 248/04
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 64 Abs. 1
EStG § 64 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

VII 248/04

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

...

hat der VII. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

unter Mitwirkung

...

aufgrund mündlicher Verhandlung

in der Sitzung vom 20.01.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld hat.

Die Klägerin bezog bis März 2003 Kindergeld für ihre Tochter, geb. am 02.01.1996. Die Tochter ist seit 19.08.2002 in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Der Vater des Kindes zahlt an das Jugendamt der Stadt A monatlich 231 EUR Barunterhalt. Die Klägerin erbringt keinen Unterhalt.

Mit Urteil vom 23.01.2004 (Az. VII 278/2003) hob das Finanzgericht Nürnberg den Bescheid über die Abzweigung des Kindergeldes an die Stadt A -Jugendamt- vom 01.04.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.08.2003 ab April 2003 auf, weil die beklagte Behörde bei der Ermessensausübung nicht alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hatte.

Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin am 30.03.2004 mit, dass der Kindsvater möglicherweise einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld habe und deshalb das Kindergeld für den Zeitraum September 2002 bis März 2003 zurückzufordern sei. Gleichzeitig wurde der Beklagten Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern.

Mit Bescheid vom 13.04.2004 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ab September 2002 auf und forderte das für den Zeitraum September 2002 bis März 2003 gezahlte Kindergeld i.H.v. 1.078 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kindergeld, weil das Kind seit 19.08.2002 nicht im Haushalt eines leiblichen Elternteiles lebe und der Kindsvater den überwiegenden Barunterhalt für das Kind leiste.

Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Dagegen richtet sich die Klage der Klägerin.

Zu deren Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die Tochter sei seit 19.08.2002 ohne rechtlichen Grund in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Dadurch werde in die Grundrechte der Tochter eingegriffen, die im Rahmen des § 64 EStG vorrangig zu prüfen seien. Zudem werde durch die rechtswidrige Unterbringung die häusliche Gemeinschaft nicht aufgehoben. Schließlich sei die Hälfte ihres Kindergeldanspruchs bereits im Kindesunterhalt des Kindsvaters berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 13.04.2004 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab September 2002 und die Rückforderung des Kindergeldes für die Zeit September 2002 bis März 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.07.2004 aufzuheben.

Die beklagte Behörde beantragt,

die Klage abzuweisen.

In Ergänzung zur Einspruchsentscheidung bringt sie sinngemäß vor, der Vater des Kindes sei vorrangig kindergeldberechtigt, weil die Klägerin keinen Unterhalt leiste.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Die beklagte Behörde hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung ab September 2002 aufgehoben und für die Zeit September 2002 bis März 2003 das Kindergeld zurückgefordert.

Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigtem Kindergeld gezahlt. Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, so erhält nach § 64 Abs. 3 EStG das Kindergeld derjenige, der dem Kind eine Unterhaltsrente zahlt. Zahlen mehrere Berechtigte dem Kind Unterhaltsrenten, so erhält Kindergeld derjenige, der dem Kind die höchste Unterhaltsrente zahlt. Das Kindergeld soll demjenigen gezahlt werden, der am meisten mit dem Kindesunterhalt belastet ist, sei es durch Aufnahme in seinen Haushalt, sei es durch Übernahme der Unterhaltskosten. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich jedoch nicht isoliert nach dem zivilrechtlichen Sorgerecht, sondern nach den tatsächlichen Obhutsverhältnissen.

Im Streitfall lebt die Tochter nicht in einem Haushalt eines Elternteils. Sie ist seit 19.08.2002 in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Da das Tatbestandsmerkmal der Haushaltsaufnahme an objektive Kriterien anknüpft, ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, aus welchen Gründen sich das Kind nicht im Haushalt eines Berechtigten aufhält.

Hierzu ist anzumerken, dass für das Kind durch Beschluss des Amtsgerichts A vom 14.02.2002 Ergänzungspflegschaft zugunsten des Jugendamts der Stadt A angeordnet worden ist. Gleichzeitig ist der Klägerin das elterliche Sorgerecht hinsichtlich des Rechts zur Auswahl und Bestimmung des Besuchs vorschulischer und schulischer Einrichtungen und das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden. Nach diesem Beschluss ist der Ergänzungspfleger berechtigt, Leistungen nach SGB VIII und BSHG zu beantragen und weitere notwendige Untersuchungen und Behandlungen des Kindes im Rahmen der Gesundheitsvorsorge zu veranlassen. Weiter ist er berechtigt, im Falle der Verweigerung der Herausgabe des Kindes durch die Mutter zur notwendigen Umsetzung der ihm übertragenen Teilbereiche der elterlichen Sorge erforderlichenfalls die Hilfe der polizeilichen Vollzugsorgane in Anspruch zu nehmen (vgl. hierzu Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Finanzgerichts Nürnberg, VII. Senat vom 23.10.2004, Az. VII 278/2003). Danach war das Jugendamt der Stadt A als bestellter Ergänzungspfleger berechtigt, in Ausübung des ihm übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts das Kind in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie unterzubringen.

Der Senat muss nicht darüber befinden, ob der Hinweis der Klägerin zutrifft, dass Maßnahmen der Aufenthaltsbestimmung nur vorübergehender Natur sein dürften. Denn ihrer Art nach ist die Unterbringung in einer Kinder - und Jugendpsychiatrie eine nicht endgültige, sondern nur vorübergehende Maßnahme, auch wenn sie - wie im Streitfall - den Streitzeitraum September 2002 - März 2003 überschreitet. Selbst wenn das Jugendamt insoweit seine Befugnisse überschritten hätte, kann dies entgegen der Auffassung der Klägerin nicht einer Kindesentführung gleichgestellt werden kann, für diese nach dem BFH-Urteil vom 20.06.2001 VI R 224/98, BFHE 195, 564, BStBl. II 2001, 713, ein Abweichen von dem Grundsatz denkbar ist, dass es zu der Frage der Haushaltsaufnahme allein auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt (vgl. auch BFH-Urteil vom 30.10.2002 VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464).

Unabhängig davon sind die Fragen zu sehen, ob die Maßnahmen zur Umsetzung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, also das Eindringen in die Wohnung der Klägerin mit Hilfe von Polizei und Schlüsseldienst, rechtmäßig waren und inwieweit diese Vorgänge einer gerichtlichen Überprüfung bedürfen. Die Rechtmäßigkeit dieser Handlungen und deren gerichtliche Überprüfung sind im Streitfall nicht entscheidungserheblich, weil das Tatbestandsmerkmal der Haushaltsaufnahme auf den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes im Haushalt eines Elternteils abstellt. Hinzu kommt, dass die vom Jugendamt erzwungene Wegnahme des Kindes zur Durchsetzung des dem Jugendamt zustehenden Aufenthaltsbestimmungsrechts diente und der letztlich eingetretene Zustand - Unterbringung des Kindes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie - grundsätzlich keinen Rechtsverstoß darstellte. Die Tatsache schließlich, dass bei Wegnahme des Kindes der Beschluss vom 14.02.2002 noch nicht rechtskräftig war (die Entscheidung des OLG erging erst am 21.08.2002), ändert hieran ebenfalls nichts, weil Beschlüsse des Familiengerichts nach dem Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit - von Unterbringungsangelegenheiten abgesehen - mit Bekanntgabe wirksam und sofort vollziehbar sind. Der Beschluss vom 14.02.2002 betraf in diesem Sinne keine Unterbringungsmaßnahme, sondern u.a. die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts.

Der Kindsvater erbringt monatliche Unterhaltszahlungen an die Tochter i.H.v. 231 EUR. Da die Klägerin keinen bzw. keinen entsprechenden Unterhalt leistet, hat der Kindsvater einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld. Die beklagte Behörde hat deshalb zu Recht ab September 2002 die Kindergeldfestsetzung aufgehoben und die gezahlten Kindergeldbeträge zurückgefordert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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