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Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 30.08.2005
Aktenzeichen: 2 K 1393/01
Rechtsgebiete: UStG, EStG, RL 77/388/EWG
Vorschriften:
UStG § 4 Nr. 14 | |
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 | |
RL 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c |
Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Umsatzsteuer 1993 bis 1998
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 2. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30. August 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ... die Richterin am Finanzgericht ... den Richter am Finanzgericht ... den ehrenamtlichen Richter ... den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Umsatzsteuerbescheide 1993 bis 1998 vom 01. August 2000 bzw. 04.Oktober 2000 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2001 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten zugunsten der Klägerin vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die von der Klägerin erzielten Umsätze nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind.
Die Klägerin ist als Diplom-Sportlehrerin selbständig tätig. Sie führt folgende Maßnahmen durch: Rückenschule zur besseren Körperhaltung und Entlastung des Bewegungsapparates, Organgymnastik zur Kräftigung der inneren Organe, Atemtherapie zur besseren Durchblutung der Organe, Isometrisches Muskeltraining zur Vorsorge gegen Osteoporose und Funktionstraining (Trockengymnastik) in Rheumagruppen.
Für die Streitjahre hat sie keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben, da sie davon ausging, ausschließlich gem. § 4 Nr. 14 UStG steuerfreie Umsätze zu erzielen. Das Finanzamt gelangte nach Durchführung einer sich auf die Jahre 1996 bis 1998 beziehenden Außenprüfung jedoch zu der Ansicht, die Klägerin habe steuerpflichtige Umsätze ausgeführt, und setzte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Schätzungsbescheiden für 1993 bis 1995 vom 04. Oktober 2000 bzw. mit Umsatzsteuerbescheiden für 1996 bis 1998 vom 01. August 2000 Umsatzsteuern fest.
Mit ihren hiergegen fristgerecht eingelegten Einsprüchen (Bl. 1 und 20/Rechtsbehelfsverfahren 93 bis 98, USt-Akten) wendete die Klägerin ein, gem. § 4 Nr. 14 UStG seien auch die den dort genannten sog. Katalogberufen ähnlichen heilberuflichen Tätigkeiten steuerbefreit. Gem. dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 29.10.1999 (2 BvR 1264/90, BStBl II 2000, 155) sei eine berufsrechtliche Regelung zwar geeignet, die berufliche Qualifikation einzuschätzen, das Fehlen einer solchen Regelung reiche jedoch für sich genommen nicht aus, eine Ähnlichkeit im o. g. Sinne zu verneinen und die Berufstätigkeit als umsatzsteuerpflichtig einzustufen, denn erkennbarer Normzweck der Steuerbefreiung sei es, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten. Das heiße: Umsatzsteuerfrei seien Leistungen, die ihrer Art nach bei in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten normalerweise von den Krankenkassen gezahlt würden.
Die Klägerin hat hierzu eine Vereinbarung zwischen dem Landesverband Rheinland-Pfalz e. V. der Deutschen Rheuma-Liga vom 30. Juni 1994 sowie verschiedene Schreiben der DAK, der BEK, der BASF-Betriebskrankenkasse und der AOK aus dem Jahre 2000 zur Übernahme von Kosten bzw. zur Kostenbeteiligung für von der Klägerin erbrachte Leistungen und eine Vereinbarung zur Förderung von Funktionstraining in Rheuma-Gruppen zwischen der Deutschen Rheuma-Liga, Landesverband Rheinland-Pfalz e. V. und verschiedenen Krankenkassen bzw. Krankenkassenverbänden vorgelegt, wegen deren Inhalt auf Bl. 3 bis 15/Rechtsbehelfsverfahren 93 bis 98, USt-Akten, Bezug genommen wird.
Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2001 (Bl. 32 ff/Rechtsbehelfsverfahren 93 bis 98, USt-Akten) zurückgewiesen. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, im Streitfall komme als ähnliche heilberufliche Tätigkeit zwar die des Krankengymnasten in Betracht, ein Beruf sei einem der im Gesetz genannten Katalogberufe jedoch nur dann ähnlich, wenn das typische Bild des Katalogberufes mit seinen wesentlichen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufes vergleichbar sei. Zu diesen wesentlichen Merkmalen gehörten die Vergleichbarkeit der ausgeübten Tätigkeit, die Vergleichbarkeit der Ausbildung, die Vergleichbarkeit der berufsrechtlichen Regelungen betreffend Ausbildung, Prüfung und staatliche Anerkennung sowie hinsichtlich der staatlichen Erlaubnis und Überwachung der Berufsausübung. Ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit sei die Zulassung des jeweiligen Unternehmers bzw. die regelmäßige Zulassung einer Berufsgruppe gem. § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen. Die Berufsbilder der Gymnastiklehrerin (die Steuerberaterin der Klägerin hatte zunächst angegeben, die Klägerin sei Gymnastiklehrerin) und der Krankengymnastin seien einander jedoch nicht ähnlich. Die Gymnastiklehrerin sei unter ärztlicher Aufsicht tätig, vorwiegend in Kurkliniken und im Bereich von Gruppentherapien. Die Behandlung durch eine Gymnastiklehrerin sei durch eine pädagogische Zielsetzung gekennzeichnet, nämlich in der Einübung medizinisch richtiger und notwendiger Tätigkeiten für den Alltag. Die Gymnastiklehrerin sei rechtlich nicht in der Lage, medizinisch behandelnd tätig zu werden, denn ihr Beruf sei im Heilpraktikergesetz und daran anknüpfenden Gesetzen nicht aufgeführt. Demgegenüber werde ein Krankengymnast auf dem physiotherapeutischen Gebiet der staatlich erlaubnispflichtigen Heilkunde tätig. So könne er auch Rezepte zu Lasten der Krankenkassen abrechnen. Ein Krankengymnast werde in eigener Verantwortung tätig, er untersuche den Patienten selbständig und komme zu einem eigenen Befund. Außerdem seien die Ausbildungen einer Gymnastiklehrerin und eines Krankengymnasten nur etwa zu 5% nach Inhalt und Umfang identisch. Insbesondere fehlten einer Gymnastiklehrerin die anatomischen Kenntnisse eines Krankengymnasten.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin vorträgt, der Prüfungsansatz des Finanzamtes sei falsch. Wie das Bundesverfassungsgericht an bereits zitierter Stelle entschieden habe, sei bei der Regelung eines Ausnahmetatbestandes, nämlich hier der Befreiung gewisser Tätigkeiten von der Umsatzsteuer, die getroffene Entscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen. Dabei sei die berufsrechtliche Regelung kein eigenständiger Differenzierungsgrund, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG allein abhängig gemacht werden könne. Der umsatzsteuerrechtliche Belastungsgrund liege in der vom Unternehmer erbrachten Leistung, unabhängig von dessen beruflicher Qualifikation, denn der erkennbare Normzweck des § 4 Nr. 14 UStG sei allein die Entlastung der Sozialversicherung von der Umsatzsteuer. Dieser Zweck treffe auch auf die Leistungen der Klägerin zu, die - wie bereits belegt - an einem Vertrag der Deutschen Rheuma-Liga mit verschiedenen Kassen teilnehme und die Durchführung des Funktionstrainings für Rheuma-Gruppen übernommen habe, die außerdem für die DAK Bad Dürkheim und für die BASF-Betriebskrankenkasse Rückenschulkurse und damit ergänzende Leistungen zur Rehabilitation im Rahmen des § 43 Satz 1 Nr. 2 SGB V durchgeführt habe und die damit sowohl einerseits in der Therapie (Funktionstraining) als auch in der Prävention nach § 20 SGB V (Rückenschule/Wirbelsäulengymnastik) tätig werde. Im übrigen sei der Beruf des Gymnastiklehrers dem des Krankengymnasten erheblich ähnlicher als dem des Heileurythmisten, über den das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden gehabt habe. Nach der o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sei auch eine Bezugnahme auf § 124 Abs. 2 SGB V zur Beantwortung der Frage, ob eine einem Katalogberuf ähnliche Tätigkeit vorliege, ungeeignet. Außerdem seien neben Krankengymnasten auch Diplomsportlehrer und Gymnastiklehrer im neuen Konzept der gesetzlichen Krankenkassen nach § 20 SGB V in der Prävention und im betrieblichen Gesundheitssport als Leistungsanbieter vorgesehen. Soweit sich ein Diplomsportlehrer bzw. Gymnastiklehrer nur mit rehabilitativen bzw. präventiven Aufgaben befasse und nicht z.B. etwa mit Aerobic, sei seine Tätigkeit umsatzsteuerbefreit. Schließlich komme es auch nicht darauf an, ob eine Abrechnung zwischen einem Unternehmer und einer Krankenkasse direkt erfolge. Entscheidend sei ausschließlich, ob Leistungen erbracht würden, die letztlich von den Sozialversicherungsträgern für den Patienten gezahlt würden. Maßgeblich sei demnach, ob die Leistungen ihrer Art nach Heilkunde seien. Das sei hier der Fall, denn gesetzliche Krankenkassen dürften schon nach § 27 SGB V nur heilkundliche Leistungen abgeben.
Zum gesetzlichen Leistungskatalog der Krankenkassen gehörten gem. § 32 SGB V auch "Heilmittel". Die Atemtherapie beispielsweise sei ein erstattungsfähiges Heilmittel, denn sie sei Gegenstand des Leistungskatalogs in den Heilmittelrichtlinien. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen seien allerdings keine klassischen Satzungsleistungen. Satzungsleistungen seien solche Leistungen, die eine Krankenkasse für sich und ihre Versicherten verbindlich durch Satzung zu Pflichtleistungen erkläre, aber nicht erklären müsse. Bei den von der Klägerin erbrachten Leistungen handele es sich jedoch auch nicht um Leistungen, die aufgrund einer besonderen Prüfung im jeweiligen Einzelfall erfolgt sei, sondern die Krankenkasse habe diese Leistung jedem Versicherten gegenüber abgegeben, ohne den Versicherten konkret als Leistungsempfänger zu kennen. Es habe sich deshalb um eine von der Krankenkasse selbst gewählte Leistung zugunsten ihrer Versicherten gehandelt, die allerdings ohne besondere Prüfung oder Genehmigung eines Einzelfalles abgegeben worden sei. Sie sei deshalb schlicht und einfach jeweils eine Regelleistung der Krankenkasse gewesen.
Die Klägerin hat hierzu neben bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Unterlagen ein Schreiben der Techniker-Krankenkasse vom 28. März 2001 zur Bezuschussung der von der Klägerin ausgeführten Leistungen, ein Schreiben der VdAK vom 04.04.2001, wonach die Klägerin die Qualitätsnormen nach den gemeinsamen und einheitlichen Handlungsfeldern und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs.1 und 2 SGB V für Rückenschule und Wirbelsäulengymnastik erfülle, sowie einen Entwurf "gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 und 2 SGB V" vom 26. Januar 2000 eingereicht. Wegen des Inhalts dieser Unterlagen wird auf Bl. 34 und 51 bis 73 Prozessakten verwiesen. Außerdem legte sie einen Auszug aus den Heilmittelrichtlinien, Stand 16. Oktober 2000/6. Februar 2001 vor, Bl. 99 - 101 Prozessakten.
Der Beklagte hält dem entgegen, die in dem Erlass des Bundesministers der Finanzen zur Frage der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG vom 28.02.2000, IV D - S7170 - 12/00, BStBl 2000 I, Seite 433 aufgestellten Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt, weil die Klägerin weder gem. § 124 Abs. 2 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen sei, noch als Vertragspartnerin von Krankenkassen oder als Ausführungsberechtigte hinsichtlich ärztlicher Verordnungen in Erscheinung trete. Sie habe vertragliche Vereinbarungen lediglich mit dem Landesverband Rheinland-Pfalz e. V. der Deutschen Rheuma-Liga, könne jedoch mangels Krankenkassenzulassung nicht mit den Kassen abrechnen, weshalb sich eine Belastung der Krankenkassen mit Umsatzsteuer aus dem hier vorliegenden Abrechnungsverfahren noch nicht ergeben habe. Da sich der Beklagte nicht auf die Vergleichbarkeit der berufsrechtlichen Regelung, sondern vielmehr auf die Vergleichbarkeit der ausgeübten Tätigkeit sowie der Ausbildung berufen habe, sei der bereits zitierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes hier nicht ausschlaggebend. Auch das von der Klägerin vorgelegte Schreiben der Techniker-Krankenkasse sei kein Nachweis dafür, dass die Klägerin dieser gegenüber direkt abgerechnet habe und die TK deshalb durch einen Umsatzsteuerausweis der Klägerin belastet worden wäre.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 hat die Berichterstatterin sowohl die Klägerin als auch verschiedene Krankenkassen um Mitteilung gebeten, ob in den Streitjahren für die eingangs genannten von der Klägerin erbrachten Leistungen eine Kostenerstattung im gesetzlichen Leistungskatalog der Krankenkasse bzw. als Satzungsleistung vorgesehen war oder eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse nur aufgrund einer besonderen Prüfung im jeweiligen Einzelfall erfolgte.
(Wegen der von den angeschriebenen Krankenkassen abgegebenen Erklärungen wird auf Bl. 105 ff Prozessakten Bezug genommen.)
In einer ersten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht am 19. März 2003 hat die persönlich anwesende Klägerin klarstellt, dass sie Diplom-Sportlehrerin ist, und ergänzend vorgetragen, ein Ausbildungsschwerpunkt ihres Studiums habe auf dem Gebiet der Rehabilitation gelegen. Darüber hinaus besitze sie eine Rückenschulleiter-Lizenz des DVGS (Deutscher Verband für Gesundheitssportport und Sporttherapie).
Die Streitsache wurde im Hinblick auf das damals beim BFH unter dem Aktenzeichen V R 44/02 anhängige Revisionsverfahren vertagt, das mit Urteil vom 25. November 2004 (abgedruckt z.B. in BStBl. II 2005, 190) seinen Abschluss fand.
Hierauf angesprochen, hält der Beklagte an seiner Rechtsauffassung fest. Er meint, die Klägerin führe zwar Heilbehandlungen aus, sie habe jedoch ihre berufliche Befähigung hierzu nicht nachgewiesen. Indizien hierfür, wie z.B. die Zulassung durch die Krankenkassen nach § 124 Abs. 2 SGB V oder die Aufnahme der Leistungen in den Leistungskatalog nach § 92 SGB V, lägen nicht vor.
Auf Nachfrage der Berichterstatterin, ob die Klägerin ausschließlich die eingangs ausgeführten Kurse abgehalten habe und nicht z.B. auch sonstige Sport- und Gymnastikkurse, ließ diese wissen, sie habe keine allgemeinen Sport-, Gymnastik- oder sonstigen Kurse angeboten. Die von ihr in mehreren Einkommensteuererklärungen als Fortbildungsaufwendungen geltend gemachten Kosten für Stretchingkurse, Callaneticsschulungen usw. seien für die von ihr abgehaltenen Rückenschulungen und die Osteoporosevorsorge benötigt worden. Hierzu reichte sie detaillierte Beschreibungen der Fortbildungskurse nach (Bl. 136 bis 144 Prozessakten).
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 1993 bis 1998 vom 01. August 2000 bzw. 04. Oktober 2000 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 S. 1 UStG liegen vor. Die Klägerin übte Tätigkeiten aus, die der eines Krankengymnasten vergleichbar sind.
Nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei.
Im Anschluss an die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes vom 29. Oktober 1999, II BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155 (Umsätze eines Heileurythmisten) und vom 10. November 1999, 2 BvR 1820/92, BStBl. II 2000, 158 (Umsätze eines medizinischen Fußpflegers) hat der BFH in einer Reihe von Entscheidungen (vgl. das im Tatbestand zitierte Urteil sowie z.B. das Urteil vom 12. August 2004, V R 18/02, BStBl II 2005, 227 oder das Urteil vom 11. November 2004, V R 34/02, BStBl II 2005, 316) folgende nunmehr maßgebliche Grundsätze für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG herausgearbeitet:
Die Steuerbefreiung setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dafür die erforderliche Befähigung hat. Unter Heilbehandlung i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG sind nur solche Tätigkeiten zu verstehen, die zum Zwecke der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und - soweit möglich - der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen beim Menschen vorgenommen werden. Von der beruflichen Befähigung ist grundsätzlich dann ohne weiteres auszugehen, wenn der Unternehmer die Voraussetzungen einer für seinen Beruf einschlägigen berufsrechtlichen Regelung erfüllt. Vom Vorliegen des Befähigungsnachweises kann, insbesondere in dem Fall, in dem keine berufsrechtliche Regelung existiert, außerdem dann ausgegangen werden, wenn die Leistungen des Unternehmers in der Regel ihrer Art nach (nicht jedoch unbedingt vollumfänglich) von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Indiz hierfür ist die Zulassung des Unternehmers bzw. die regelmäßige Zulassung seiner Berufsgruppe nach § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständige Stelle der gesetzlichen Krankenkassen. Darüber hinaus kommt als Indiz für eine entsprechende Befähigung die Aufnahme der Leistungen der betreffenden Art in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, der gem. § 92 SGB V durch die entsprechenden Heilmittelrichtlinien konkretisiert wird, in Betracht.
Diese Voraussetzungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach den oben zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Sinn und Zweck des § 4 Nr. 14 UStG ist, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten. Nach der Rechtsprechung des EuGH verfolgt diese Vorschrift darüber hinaus den Zweck, ganz allgemein die Kosten von Heilbehandlungen zu senken (BFH, Urteil vom 10. März 2005, V R 54/04, abgedruckt in JURIS unter der Nr. StRE 200510197 sowie das Urteil vom 11. November 2004, V R 34/02, a.a.O.).
Für die Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG ist es dagegen irrelevant, wem gegenüber die Leistungen erbracht werden bzw. mit wem der Leistungserbringer abrechnet. So kann auch ein Unternehmer, der freier Mitarbeiter eines Reha-Zentrums ist und mit diesem, nicht aber mit der Krankenkasse oder dem Patienten abrechnet, von der Umsatzsteuer befreit sein (vgl. BFH, Urteil vom 25. November 2004, V R 44/02, BStBl. II 2005, 190). Unerheblich ist auch, ob die zugrundeliegenden berufsrechtlichen Regelungen des Katalogberufes mit denen des zu beurteilenden Berufes vergleichbar sind bzw. ob für den Vergleichsberuf überhaupt berufsrechtliche Regelungen existieren (BFH, Urteil vom 12. August 2004, V R 18/02, a.a.O.).
Andererseits reicht es für die Steuerbefreiung nicht aus, dass die streitbefangene Leistung bzw. Leistungen dieser Art tatsächlich von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden. Entsprechend den o.g. Zwecken der Regelung müssen die Leistungen ihrer Art nach vielmehr entweder in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen worden sein oder aber es muss sich zumindest um Maßnahmen handeln, die nicht der persönlichen Lebensführung zuzuordnen sind und deren therapeutischer Nutzen nachgewiesen ist, mithin um Heilbehandlungen in einem Sinne, der einer ausufernden Heranziehung des § 4 Nr. 14 UStG entgegensteht.
Nach diesen Maßstäben erfüllen die von der Klägerin in den Streitjahren ausgeführten Umsätze die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG. Die Klägerin hielt - wovon auch das beklagte Finanzamt ausgeht - ausschließlich die oben aufgeführten Kurse. Diese stellten Heilbehandlungen im o.g. engeren Sinne dar. Sie dienten weder der Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse, insbesondere handelte es sich nicht um Fitnesstrainingskurse o.ä., noch ist ihr therapeutischer Nutzen fraglich. Letzteres ergibt sich aus einem Abgleich mit der Anlage zu den einschlägigen Heilmittelrichtlinien, in der nicht verordnungsfähige Heilmittel, nämlich Maßnahmen der persönlichen Lebensführung, Maßnahmen ohne therapeutischen Nutzen sowie Maßnahmen bei nichtanerkannten Indikationen aufgeführt sind. Die von der Klägerin durchgeführten Maßnahmen/Kurse etc. finden sich nicht in dieser Auflistung. So nahmen denn auch ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen an den Funktionstrainingseinheiten, die aufgrund der Vereinbarung mit der Deutschen Rheumaliga durchgeführt wurden, ausschließlich an Rheuma erkrankte Personen aufgrund ärztlicher Verordnung teil. Die Rückenschule, die Organgymnastik, die Atemtherapie sowie das isometrische Muskeltraining fanden im Rahmen - so ausdrücklich auch der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung - vorbeugender Maßnahmen zur Gesundheitsförderung statt (Entlastung des Bewegungsapparates, Kräftigung der inneren Organe, Verbesserung der Durchblutung, Osteoporosevorsorge).
Die Klägerin weist auch die für diese Heilbehandlungen erforderliche berufliche Qualifikation auf. Sie ist zwar nach eigenem Vortrag nicht nach § 124 Abs. 2 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen allgemein als Leistungserbringerin zugelassen, und für Sportlehrer fehlt es an einer entsprechenden berufsrechtlichen Regelung, die es einzuhalten gälte. Der Nachweis der beruflichen Befähigung kann jedoch auf jede erdenkliche Art und Weise erbracht werden. Der BFH hat hierzu in den oben zitierten Entscheidungen lediglich verschiedene Indizien aufgezeigt, dabei aber andere Möglichkeiten des Nachweises nicht ausgeschlossen.
Die entsprechende Befähigung der Klägerin ist im vorliegenden Fall schon deshalb zu bejahen, weil sie als Diplom-Sportlehrerin ein (in der Regel 8-semestriges) Hochschulstudium abgeschlossen hat, in dessen Rahmen Grund- und vertiefende Kenntnisse u.a. in den Bereichen Sportmedizin, Sportpädagogik, Trainingslehre und Bewegungslehre erworben werden (vgl. hierzu z.B. die über das Internet abrufbaren aktuellen Informationen der Universität Mainz zum Sportstudium). Die Klägerin hat außerdem bekundet, einen Studienschwerpunkt auf die Rehabilitation durch Sport gelegt zu haben. Darüber hinaus hat sie in eigenverantwortlicher Weiterbildung die Lizenz einer Rückenschulleiterin erworben.
Auch die DAK bezeichnet in ihrer auf die o. g. gerichtliche Anfrage hin gegebenen Auskunft (Bl. 112 u. 113 Prozessakten) Sportlehrer ausdrücklich als zur Leitung von Rückenschulkursen, Kursen in Organgymnastik und Osteoporosevorsorge qualifiziert. Diese Einschätzung wird durch den von der Klägerin vorgelegten Entwurf gemeinsamer und einheitlicher Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung des § 20 Abs. 1 u. Abs. 2 SGB V n.F. vom 26. Januar 2000 (Bl. 52 ff. Prozessakten) bestätigt, wonach für bestimmte präventive Übungen auf dem Gebiet des Bewegungsverhaltens und der Bewegungsgewohnheiten unter "Anbieterqualifikation" ausdrücklich auch Dipl.-Sportlehrer (und im übrigen auch Sport- und Gymnastiklehrer) benannt werden.
Bei Gesamtschau dieser Umstände hat der Senat keine Zweifel an der beruflichen Befähigung der Klägerin zur Durchführung der in den streitbefangenen Maßnahmen liegenden heilberufähnlichen Tätigkeiten.
Vor diesem Hintergrund und weil damit der Zweck des § 4 Nr. 14 S. 1 UStG, die Kosten für Heilbehandlungen im oben dargestellten engeren Sinne auch gegenüber dem Endverbraucher möglichst niedrig zu halten, erfüllt wird, kommt es nicht mehr darauf an, ob die in Frage stehenden Kurse gem. § 11 i.V.m. § 92 Abs. 1 SGB V i.V.m. den hierzu ergangenen Heilmittelrichtlinien in der für die Streitjahre jeweils einschlägigen Fassung ihrer Art nach von den Krankenkassen zu tragen bzw. zu bezuschussen waren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagte zu tragenden Kosten aus §§ 155, 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
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