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Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 6 K 1481/06
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

6 K 1481/06

Einkommensteuer 2001 - 2002

In dem Finanzrechtsstreit

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 6. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Mai 2006 durch die Richterin am Finanzgericht als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO für eine Änderung wegen neuer Tatsachen zuungunsten des Steuerpflichtigen vorliegen.

Der Kläger ist seit 1997 geschieden. In einer notariellen Unterhaltsvereinbarung vom 02.02.1998 einigten der Kläger und seine geschiedene Ehefrau sich auf eine monatliche Unterhaltszahlung des Klägers von 400 DM auf die Lebensdauer der früheren Ehefrau.

In den Jahren 1998 und 1999 wurden die Unterhaltszahlungen antragsgemäß als Sonderausgaben berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 10.09.2000 widerrief die frühere Ehefrau des Klägers die Zustimmung zur Versteuerung der Unterhaltsleistungen "ab sofort" (Bl. 2/Änderungen der ESt-Akte). Der für die Veranlagung der früheren Ehefrau zuständige Veranlagungsbezirk des Beklagten fertigte einen Vermerk, dass der Widerruf ab 2001 gültig sei.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2001 und 2002 machte der Kläger Unterhaltszahlungen in Höhe von 4.800 DM für 2001 und 2.454 EUR für 2002 geltend. Diese wurden antragsgemäß als Sonderausgaben berücksichtigt.

Am 05.09.2003 erhielt der für den Kläger zuständige Veranlagungsbezirk eine am 03.09.2003 gefertigte Kontrollmitteilung über den Widerruf der Zustimmung (Bl. 1/Änderung der ESt-Akte).

Am 29.10.2003 erließ der Beklagte nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2001 und 2002, in denen die Unterhaltsleistungen nicht mehr als Sonderausgaben berücksichtigt wurden. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2004 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, es fehle an einer neuen Tatsache. Deshalb hätten die Änderungsbescheide nicht ergehen dürfen. Der Widerruf der Zustimmung zur Versteuerung der Unterhaltsleistungen durch die frühere Ehefrau des Klägers sei dem für ihre Veranlagung zuständigen Bezirk bereits am 10.09.2000 zugegangen. Der Kläger habe von dem Widerruf keine Kenntnis gehabt. Im Zeitpunkt des Erlasses der erstmaligen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 am 26.03.2002, bzw. 2002 am 24.07.2003 sei die Tatsache des Widerrufs deshalb dem Beklagten bekannt gewesen. Dass der Sachbearbeiter des für die frühere Ehefrau zuständigen Bezirks es versäumt habe, zeitnah eine Kontrollmitteilung zu fertigen, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen. Auch der für die Veranlagung des Klägers zuständige Sachbearbeiter habe - da es sich um einen Dauer-Sachverhalt handele - in jedem Veranlagungszeitraum eine Ermittlungspflicht. Jedenfalls liege ein Organisationsmangel auf Seiten des Beklagten vor, der die Berufung auf eine neue Tatsache gemäß Treu und Glauben ausschließe.

Zudem habe sich anlässlich einer Vorsprache des Klägers wegen des Einkommensteuerbescheides für 1999 heraus gestellt, dass die Vorgänge betreffend die Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau nicht in der Steuerakte des Klägers abgeheftet gewesen seien, sondern in einem anderen Ordner. Bei einer solchen Organisationsform bestehe eine Pflicht zur Überprüfung der Angaben in der Steuererklärung, zumal der Kläger von dem Widerruf nichts gewusst habe.

Der Kläger beantragt,

die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 und 2002 vom 29.10.2003 und die Einspruchsentscheidung vom 15.10.2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt ergänzend zu der Begründung der Einspruchsentscheidung vor, der für den Kläger zuständige Veranlagungsbezirk müsse sich das Wissen des für die frühere Ehefrau zuständigen Veranlagungsbezirks nicht zurechnen lassen. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass nur das Wissen der für den Steuerpflichtigen zuständigen Dienststelle maßgeblich sei (z.B. Urteile vom 17.11.1998 - VIII R 24/98 und vom 02.07.2003 - XI R 8/03). Der für den Kläger zuständige Veranlagungsbezirk habe auch keine Aufklärungspflichten verletzt. Unklarheiten oder Zweifelsfragen hätten sich nicht aufgedrängt. Aus welchen Gründen die Kontrollmitteilung erst drei Jahre später gefertigt worden sei, spiele keine Rolle. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG können als Sonderausgaben Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten in beschränktem Umfang abgezogen werden, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt. Der Antrag kann jeweils nur für ein Kalenderjahr gestellt und nicht zurückgenommen werden. Die Zustimmung ist grundsätzlich bis auf Widerruf wirksam. Der Widerruf ist vor Beginn des Kalenderjahres, für das die Zustimmung erstmals nicht gelten soll, gegenüber dem Finanzamt zu erklären.

Zuständig für die Entgegennahme des Widerrufs der Zustimmung zum Realsplitting sind sowohl das für den Unterhalt Leistenden als auch das für den Unterhaltsempfänger zuständige Wohnsitz-Finanzamt.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG ist der Widerruf "gegenüber dem Finanzamt" zu erklären. Da § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG den Abzug von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben beim Unterhaltsleistenden regelt, ist nach der Stellung der Regelung im EStG (§ 2 Abs. 4 EStG) stets das Finanzamt des Unterhaltsleistenden für die Entgegennahme des Widerspruchs zuständig. Der Wortlaut der Vorschrift lässt außerdem die Auslegung zu, dass der Widerruf auch gegenüber dem für den Unterhaltsempfänger zuständigen Finanzamt erklärt werden kann (Urteil des BFH vom 02.07.2003 - XI R 8/03).

Der Widerruf der Zustimmung zum Realsplitting ist &hibar; wie die Zustimmung selbst &hibar; eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Mit dem Widerruf soll eine materielle Rechtsfolge, nämlich der künftige Ausschluss des Sonderausgabenabzugs (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 3 und 4 EStG) und der Versteuerung der Unterhaltsleistungen (§ 22 Nr. 1a EStG) ausgelöst werden. Eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die einer Behörde gegenüber abzugeben ist, wird in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dieser zugeht. Da der Widerruf der Zustimmung zum Realsplitting mit Eingang bei dem für die Unterhaltsberechtigte zuständigen Veranlagungsbezirk im Jahr 2000 wirksam geworden ist, führt der Mangel der Zustimmung ab dem Jahr 2001 notwendigerweise zur Versagung des vom Kläger begehrten Sonderausgabenabzugs. Dies gilt auch, wenn der Widerruf der Zustimmung den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den geschiedenen Eheleuten widersprechen oder missbräuchlich sein sollte. Ein ggf. rechtswidriges Verhalten der früheren Ehefrau ist auf zivilrechtlichem, nicht abgabenrechtlichem Weg zu klären (BFH Urteil vom 02.07.2003 - XI R 8/03).

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Dem Finanzamt ist es jedoch verwehrt, solche nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismittel zu verwerten, die es bei gehöriger Erfüllung der ihm nach § 88 AO obliegenden Ermittlungspflicht schon vor der Steuerfestsetzung hätte feststellen können, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat (BFH Urteil vom 28.10.1998 - II R 32/97, BFH/NV 1999, 586).

Dem Beklagten ist der Widerruf der Zustimmung zum Realsplitting erst nachträglich im Sinne dieser Vorschrift bekannt geworden. Nach dem Urteil des BFH vom 02.07.2003 - XI R 8/03 kann das Wissen des Wohnsitz-Finanzamt der früheren Ehefrau um den Widerruf kann dem für die Veranlagung des Ehemannes zuständigen Finanzamt nicht zugerechnet werden; maßgeblich ist der Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalles berufenen Dienststelle. Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass innerhalb eines Finanzamtes verschiedene Veranlagungsbezirke für den Kläger und dessen frühere Ehefrau zuständig sind, denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt es für die Frage, ob eine Tatsache neu im Sinne des § 173 AO ist, allein auf das Wissen des zuständigen Veranlagungsbezirks an (Loose in Tipke/Kruse § 173 AO, Rz. 38 m.w.N.).

Eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch den für den Kläger zuständigen Veranlagungsbezirk liegt ebenfalls nicht vor, denn für diesen ergaben sich nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zustimmung der Ehefrau möglicherweise widerrufen wurde.

Dass der für die frühere Ehefrau zuständige Bezirk seiner Pflicht zur Fertigung einer Kontrollmitteilung nicht nachgekommen ist, führt dagegen nicht zu einer Zurechnung des Wissens dieses Bezirks beim Veranlagungsbezirk des Klägers; insoweit spielt es keine Rolle, ob ein anderer Bezirk desselben Finanzamts oder ein anderes Finanzamt die Mitteilungspflicht nicht erfüllt hat. Auch aus dem Urteil des BFH vom 23.03.1983 - I R 182/82 (BStBl II 1983, 548) ergibt sich nichts anderes, denn dort ging es um die Zurechnung von Kenntnissen der Veranlagungsstelle bei der Rechtsbehelfstelle.

Somit lagen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Änderung der streitigen Einkommensteuerbescheide vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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