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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 26.06.2008
Aktenzeichen: 6 K 1808/06
Rechtsgebiete: AO, AO 1997, UStG


Vorschriften:

AO § 233a
AO 1997 § 233a
UStG § 3a Abs. 3
UStG § 3a Abs. 4 Nr. 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

6 K 1808/06

Erlass von Zinsen zur Umsatzsteuer 1998-2001

In dem Finanzrechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 6. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. Juni 2008

durch

die Richterin am Finanzgericht ... als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Zinsen gemäß § 233a AO zur Umsatzsteuer 1998 bis 2001 aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind.

Die Klägerin erzielt Umsätze aus der Durchführung und Vermittlung von Reisen. Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1996 bis 1999 wurde eine tatsächliche Verständigung getroffen mit dem Inhalt, dass die Vercharterung von Bussen an die ukrainische Schwestergesellschaft der Klägerin als Beförderungsleistung gemäß § 3 b Abs. 1 UStG i.V.m. Abschnitt 33 Abs. 4 Satz 4 und Abschnitt 42 a Abs. 1 UStR anzusehen seien; der steuerpflichtige inländische Streckenanteil wurde mit 35% der in der Lizenz angegebenen Gesamtstrecke geschätzt. Die Klägerin ermittelte ihre Umsätze in den Folgejahren 2000 und 2001 entsprechend dieser tatsächlichen Verständigung.

Im Zuge einer im Jahr 2003 für die Jahre 1999 bis 2002 durchgeführten Betriebsprüfung wurde bekannt, dass die Klägerin sich gegenüber ihrer Schwestergesellschaft in der Ukraine mit Vertrag vom 10.03.1997 verpflichtet hatte, Omnibusse zur Durchführung von Linienfahrten von Deutschland in die Ukraine und zurück, teilweise mit Fahrer, zur Verfügung zu stellen. Die Verantwortung für Organisation und Durchführung lag bei der ukrainischen Schwestergesellschaft.

Der Prüfer vertrat aufgrund dieser Feststellungen die Auffassung, dass es sich nicht um Beförderungsleistungen, sondern um Vermietungsleistungen handele. Der Leistungsort bestimme sich somit gemäß § 3 a Abs. 4 Nr. 11 i.V.m. § 3 a Abs. 1 UStG nach dem Ort, von dem aus der leistende Unternehmer sein Unternehmen betreibt.

Die Klägerin berichtigte daraufhin ihre Rechnungen gegenüber der Schwestergesellschaft und wies für den gesamten Rechnungsbetrag Umsatzsteuer aus.

Mit Änderungsbescheiden vom 15.08.2003 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für die Jahre 1998 bis 2001 entsprechend den Prüfungsfeststellungen fest; daraus ergaben sich Nachzahlungen in der Gesamthöhe von 522.049,89 EUR. Zugleich wurden Zinsen zur Umsatzsteuer in folgender Höhe festgesetzt:

 1998 16.199,89 EUR
1999 12.306,00 EUR
2000 8.332,00 EUR
2001 2.434,00 EUR

Entsprechend einer zuvor getroffenen Vereinbarung trat die ukrainische Schwestergesellschaft ihre Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche gegenüber dem Finanzamt M ab. Die auf dem Vorsteuerabzug aus den berichtigten Rechnungen resultierenden Erstattungsansprüche wurden mit Wertstellung 12.11.2003 verrechnet. Die Umsatzsteuer-Nachforderungen waren damit beglichen.

Mit Schreiben vom 23.10.2003 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihren Steuerberater, den Erlass der Zinsen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 20.01.1997, BStBl II 1997, 716 mit Schreiben vom 03.11.2003 ab; das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2003 die Stundung der Zinsen unter Hinweis darauf, dass beim Finanzamt M ein Verfahren wegen Antrags auf Festsetzung von Erstattungszinsen unter Berufung auf das beim EuGH anhängige Verfahren C-152/02 Terra Baubedarf-Handel GmbH anhängig sei. Der Beklagte verfügte daraufhin die Stundung.

Nachdem der EuGH mit Urteil vom 29.04.2004 und nachfolgend der BFH mit Urteil vom 01.07.2004 - V R 33/01 entschieden hatten, dass der Unternehmer die Vorsteuern erst in dem Besteuerungszeitraum abziehen kann, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen einschließlich der Rechnung mit Umsatzsteuerausweis des leistenden Unternehmers vorliegen, hob der Beklagte die Stundung auf.

Mit Schreiben vom 29.11.2004 beantragte die Klägerin erneut den Erlass der Zinsen zur Umsatzsteuer 1998 bis 2001. Sie begründete ihren Antrag damit, dass nach Aussage des Prüfers Steuernachzahlung und -erstattung kostenneutral seien und von Zinsen nicht die Rede gewesen sei. Dies sei Grundlage des Einvernehmens über das Prüfungsergebnis gewesen; die Klägerin habe im Vertrauen auf diese Aussage des Prüfers auf Rechtsmittel gegen die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen verzichtet. Außerdem widerspreche die Belastung mit Zinsen gemäß § 233 a AO im Streitfall der gesetzgeberischen Intention.

Der Beklagte lehnte den erneuten Erlassantrag mit Schreiben vom 08.06.2005 ab. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19.05.2006 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, die Erhebung der Nachzahlungszinsen sei sachlich unbillig.

Die sachliche Unbilligkeit ergebe sich bereits daraus, dass die geänderten Umsatzsteuerbescheide rechtswidrig seien und die Klägerin bei zutreffender rechtlicher Würdigung nicht zu der Umsatzsteuernachzahlung verpflichtet gewesen wäre. Dass die Klägerin gleichwohl keine Rechtsbehelfe eingelegt habe, erkläre sich allein durch die Äußerung des Prüfers, dass die Vorgänge kostenneutral seien. Dass in Höhe der Zinsfestsetzungen kein kostenneutraler Vorgang vorliege, habe der Prüfer nicht erwähnt. Die Klägerin sei deshalb davon ausgegangen, durch die Änderungen nicht beschwert zu sein.

Im Zeitpunkt der Änderung der Umsatzsteuerbescheide sei der Klägerin zudem noch nicht bekannt gewesen, dass auf die Erstattungsansprüche beim Finanzamt Magdeburg keine Zinsen festgesetzt würden.

Tatsächlich liege kein Mietvertrag vor, sondern eine Beförderungsleistung. In dem Vertrag vom 10.03.1997 habe die Klägerin sich lediglich verpflichtet, "Busse für Fahrten aus der Ukraine nach Deutschland und zurück je nach Verfügbarkeit zur Disposition zu stellen". Diese Formulierung lasse keinen näheren Aufschluss über die Leistung zu. Deshalb komme es auf die tatsächliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen an.

Die Bestandskraft der Umsatzsteuerbescheide stehe dem Erlass der Zinsen nicht entgegen, da - wie in dem mit Beschluss des BFH vom 05.06.2003 (BFH/NV 2003, 1531) entschiedenen Fall - die Steuerfestsetzungen offensichtlich und eindeutig fehlerhaft seien und es der Klägerin nicht zumutbar gewesen sei, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren, da sie über die Kostenneutralität getäuscht worden sei. Zudem habe die Klägerin aufgrund der Verständigung im Rahmen der Steuerfahndungsprüfung darauf vertrauen dürfen, dass es bei der entsprechenden rechtlichen Würdigung auch für die Folgezeit verbleibe, zumal der vollständige Sachverhalt bereits damals bekannt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides über die Ablehnung des Erlasses von Zinsen zur Umsatzsteuer für die Jahre 1998 bis 2001 vom 8. Juni 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2006 den Beklagten zu verpflichten, Zinsen zur Umsatzsteuer zu erlassen in Höhe von

 16.199,89 EUR für 1998,
12.306,00 EURfür 1999,
8.332,00 EUR für 2000 und
2.434,00 EUR für 2001.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt ergänzend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor, nach dem Beschluss des BFH vom 05.06.2003 (BFH/NV 2003, 1531) könne der Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen grundsätzlich nicht mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung begehrt werden. Nur zinsspezifische Gründe seien geeignet, sachliche Billigkeitsgründe anzunehmen (BFH Beschluss vom 06.04.2005, BFH/NV 2005, 1976). Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen müssten im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Umsatzsteuerbescheide geltend gemacht werden (BFH Urteil vom 12.04.2000, BFH/NV 2000, 1178). Der Klägerin wäre es unabhängig davon, dass der Prüfer die Kostenneutralität angesprochen und die Zinsen nicht thematisiert habe, möglich und zumutbar gewesen, Rechtsbehelfe gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen einzulegen. Spätestens im Zeitpunkt des Vorliegens der Bescheide vom 15.08.2003 habe die steuerlich beratene Klägerin feststellen können, dass mit den Festsetzungen auch zinsmäßige Konsequenzen verbunden gewesen seien. Dass sie zunächst davon ausgegangen sei, dass beim Finanzamt M Erstattungszinsen in entsprechender Höhe angefallen seien, habe sie allein zu vertreten.

Die Umsatzsteuerbescheide seien auch nicht offensichtlich und eindeutig falsch.

Auch sei irrelevant, ob Leistender und Leistungsempfänger wirtschaftlich identisch seien.

Die erst im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen zur Erlassbedürftigkeit könnten nicht mehr berücksichtigt werden (Beschluss des BFH vom 31.01.1996 - III B 75/95, BFH/NV 1996, 565).

Ergänzend wird auf den Schriftsatz vom 25.09.2006 (Bl. 43 - 44 Fg-Akte) Bezug genommen.

Das Gericht hat eine schriftliche Auskunft des Prüfers eingeholt. Auf das Schreiben des Prüfers vom 25.03.2008 (Bl. 65 Fg-Akte) wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie die hier angegriffenen Zinsfestsetzungen (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 AO 1977).

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Diese Nachprüfung der Erlassablehnung ist darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

1. Der Beklagte hat nach diesem Prüfungsmaßstab nicht ermessensfehlerhaft entschieden. Sachliche Billigkeitsgründe, die hier allein in Betracht kommen und auf die die Klägerin den Erlassantrag stützt, sind nicht gegeben.

1.1. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen. Diese Grundsätze gelten entsprechend für den Erlass festgesetzter Zinsen nach § 233a AO 1977 (vgl. BFH-Urteile vom 20.01.1997 - V R 28/95, BStBl II 1997, 716 und vom 16.08.2001 - V R 72/00, BFH/NV 2002, 545).

Sachlich unbillig ist die Einziehung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, soweit sie, obwohl der gesetzliche Tatbestand erfüllt wird, im atypischen Einzelfall aufgrund eines Überhangs des Gesetzes dessen Wertungen dem auch von der Finanzbehörde zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben dem Vertrauensschutz oder verfassungsrechtlichen Wertungen nicht entspricht (Stöcker in Beermann/Gosch § 227 AO Rz. 76).

Der Erlass ist grundsätzlich nicht dazu bestimmt, die Folgen der Versäumung von Rechtsbehelfsfristen auszugleichen. Steuern - und steuerliche Nebenleistungen wie hier die Zinsen -, die bestandskräftig festgesetzt worden sind, können deshalb im Billigkeitswege nur dann sachlich überprüft werden, wenn die Festsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es kumulativ dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit im Festsetzungsverfahren rechtzeitig zu wehren (Stöcker in Beermann/Gosch § 227 AO, Rz. 22 m.w.N.).

1.2. Führt die Festsetzung von Umsatzsteuer zu einer Steuernachforderung oder Steuererstattung, ist diese nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in den in den Streitjahren geltenden Fassungen zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977).

Zweck der Vorschrift ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (so die Gesetzesbegründung in BTDrucks 11/2157, S. 194; vgl. auch BFH-Urteile v. 20.01.1997 - V R 28/95, BStBl II 1997, 716 und vom 16.08.2001 - V R 72/00, BFH/NV 2002, 545). Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO 1977 ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat (vgl. BFH-Urteile vom 20.01.1997 - V R 28/95, BStBl II 1997, 716, vom 16.08.2001 - V R 72/00, BFH/NV 2002, 545 und vom 24.02.2005 V R 62/03, DStRE 2005, 915).

Soweit zweifelsfrei feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil oder Nachteil hatte, kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden Steuernachforderung oder Steuererstattung kein Vorteil oder Nachteil ausgeglichen werden. Für den durch die Vorschrift des § 233 a AO 1977 bezweckten "Ausgleich" ist insoweit kein Raum (BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524).

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die nachträglich festgesetzte Umsatzsteuer und die von den Leistungsempfängern abgezogenen Vorsteuerbeträge sich per Saldo ausgeglichen haben. Denn § 233 a AO 1977 stellt auf einen Vorteil nicht des Fiskus, sondern des Steuerpflichtigen ab (vgl. BFH-Urteil, DStRE 2005, 915 unter II. 2. c der Gründe). Für die Beurteilung, ob dem Steuerpflichtigen ein Liquiditätsvorteil entstanden ist, ist dabei allein darauf abzustellen, wann die entstandene Umsatzsteuer festgesetzt wurde. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise unter Einbeziehung der zivilrechtlichen Leistungsbeziehung zum Abnehmer und dessen Steuerschuldverhältnis zum Fiskus ist nicht vorzunehmen. Im Übrigen sind die Entstehungsvoraussetzungen für die Steuer des Leistenden und den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nicht deckungsgleich. Die Umsatzsteuer des Leistenden entsteht unabhängig von einer Rechnungserteilung. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug hängt zusätzlich Besitz der Originalrechnung des leistenden Unternehmers gemäß § 14 UStG ab.

1.3. Die Zinsfestsetzungen sind rechtswidrig. Im Streitfall fehlt es nämlich an einem Liquiditätsvorteil der Klägerin in Höhe der Jahres-Umsatzsteuer, die auf die in den Streitjahren 1998 bis 2001 ausgeführten Umsätze entfiel. Diese mit den bestandskräftigen Steuerbescheiden vom 15.08.2003 festgesetzten Steuern waren nämlich nicht bereits mit dem Ende des jeweiligen Kalenderjahres entstanden, wie es der Beklagte für den Zinslauf zugrunde gelegt hat.

Die Klägerin hat zu Recht keine Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis erteilt. Die nicht auf das Inland entfallenden Streckenanteile sind nämlich nicht steuerbar.

Der Ort der sonstigen Leistung ist nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG zwar grundsätzlich der Sitz des leistenden Unternehmers.

§ 3a Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 11 UStG bestimmen hiervon eine Ausnahme. Danach ist bei der Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen der Sitz des Leistungsempfängers Leistungsort, wenn dieser Unternehmer ist. Davon sind jedoch Beförderungsmittel ausgenommen. Die Ausnahme des § 3a Abs. 3, 4 Nr. 11 UStG kommt damit im Streitfall nicht zum Tragen. Für die Vermietung von Beförderungsmitteln bleibt es somit zunächst bei der Grundregel des "Sitzes des leistenden Unternehmers" als Leistungsort.

§ 3a Abs. 5 UStG enthält allerdings eine Ermächtigung zur abweichenden Bestimmung des Leistungsorts bei der Vermietung von Beförderungsmitteln danach, wo diese genutzt werden, jedoch nur statt im Inland im Drittlandsgebiet (und umgekehrt, was hier nicht relevant ist). § 1 UStDV enthält Regelungen entsprechend dieser Ermächtigung. § 1 Abs. 2 UStDV regelt für die Vermietung eines Beförderungsmittels durch einen inländischen Unternehmer an einen im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmer für dessen Unternehmen, dass der Leistungsort von § 3a Abs. 1 UStG abweichend im Drittland liegt, wenn das Beförderungsmittel dort genutzt wird.

Diese Bestimmungen sind gemeinschaftsrechtskonform. Art. 43 MwStSystRL bestimmt als Leistungsort von Dienstleistungen grundsätzlich den Sitz des Erbringers der Dienstleistung. Davon abweichend regelt Art. 56 Buchst. g) MwStSystRL den Sitz des außerhalb des Gemeinschaftsgebiets ansässigen Leistungsempfängers als Leistungsort bei der Vermietung beweglicher körperlicher Gegenstände, nimmt davon jedoch Beförderungsmittel aus. Art. 58 MwStSystRL ermächtigt die Mitgliedsstaaten, den Leistungsort für die Vermietung von Beförderungsmitteln unter den dort genannten Voraussetzungen abweichend zu bestimmen, u.a. dergestalt dass der Leistungsort vom Inland in das Drittlandsgebiet in dem der Leistungsempfänger ansässig ist, zu verlagern, wenn das Beförderungsmittel dort genutzt wird.

§ 1 UStDV enthält ebenso wie Art. 58 MwStSystRL keine Aussage darüber, ob damit eine ausschließliche Nutzung im Drittlandsgebiet gemeint ist.

Ammann (UR 2008, S. 175 ff.) schlägt in den Fällen, in denen sowohl Inland, als auch übriges Gemeinschaftsgebiet, als auch Drittland tangiert ist, eine Aufteilung dergestalt vor, dass nur hinsichtlich der Nutzung des Beförderungsmittels im Inland der Leistungsort im Inland liegt, also die außerhalb des Inlands liegenden Streckenanteile nicht steuerbar sind.

Das Gericht folgt dieser Auffassung für die im Streitfall allein relevante Aufteilung von auf Drittland und Inland entfallende Streckenanteilen (die in Betracht kommenden Transitländer Polen, Tschechien und Slowakei waren in den Streitjahren noch keine EU-Mitglieder). Maßgeblich für diese Auslegung ist die Formulierung des Art. 58 MwStSystRL. Danach liegt der Grund für die Verlagerung des Leistungsorts außerhalb des Gemeinschaftsgebiets, bzw. in das Gemeinschaftsgebiet, wenn dort die tatsächliche Nutzung des vermieteten Beförderungsmittels erfolgt, in der Vermeidung von Doppelbesteuerung und Nichtbesteuerung, sowie Wettbewerbsverzerrungen (die daraus resultieren können). Findet die Nutzung sowohl im Gemeinschaftsgebiet, als auch außerhalb statt, so erscheint es deshalb konsequent, nach Streckenanteilen innerhalb und außerhalb des Gemeinschaftsgebiets aufzuteilen. Die Frage wie Streckenanteile im übrigen Gemeinschaftsgebiet zu behandeln wären, kann im Streitfall allerdings dahin stehen. Hinsichtlich der Nutzung im Inland, also den inländischen Streckenanteilen, liegen die Voraussetzungen für die Verlagerung des Leistungsortes nicht vor, während sie hinsichtlich der Nutzung im Drittland, also den übrigen Streckenanteilen gegeben sind.

Im Ergebnis war die Sachbehandlung durch die Klägerin in den Streitjahren damit zutreffend.

Dies hat zur Folge, dass die Steuer nicht mit Ablauf der jeweiligen Kalenderjahre entstanden ist, sondern erst mit der Festsetzung durch die Bescheide vom 15.08.2003.

1.4. Da die Klägerin die Zinsfestsetzungen nicht angefochten hat, sind sie bestandskräftig geworden. Grundsätzlich ist dem Steuerpflichtigen zuzumuten, sich mit einem fristgerechten Einspruch gegen die Rechtswidrigkeit von Bescheiden über Steuern und steuerliche Nebenleistungen zu wehren. Im Erlassverfahren können keine Einwendungen vorgebracht werden, die der Steuerpflichtige mit der rechtzeitigen Einlegung eines Einspruchs hätte geltend machen können.

Etwas anderes gilt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nur, wenn die Finanzbehörde die Veranlassung zur Nichteinlegung des Rechtsbehelfs gegeben hat. Hierfür liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte vor. Allein dass die Finanzbehörde zu erkennen gibt, dass der Rechtsbehelf aussichtslos sei, genügt nicht.

Soweit die Klägerin sich darauf stützt, dass der Prüfer ihr gegenüber geäußert habe, die Sache sei neutral, ohne auf die Zinsen hinzuweisen, ist aufgrund der schriftlichen Auskunft des Prüfers davon auszugehen, dass nur über die Kostenneutralität hinsichtlich der Umsatzsteuer gesprochen wurde, die Konsequenzen hinsichtlich der Zinsen jedoch überhaupt nicht angesprochen wurden.

Dieser Umstand mag die Klägerin veranlasst haben, die - unrichtigen - Umsatzsteuerfestsetzungen selbst nicht anzugreifen. Mit der Bekanntgabe der Bescheide waren der Klägerin jedoch die zinsmäßigen Auswirkungen bekannt und damit auch die Notwendigkeit der Anfechtung dieser Bescheide.

2. Andere Gründe, die einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

2.1. Dass die Klägerin aufgrund der Abrechnung der Leistungen ohne gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer keine Umsatzsteuer vereinnahmt hatte, die sie dem Fiskus hätte vorenthalten können, stellt keinen sachlichen Billigkeitsgrund dar. Die Steuer für diese Leistungen entstand unabhängig davon, ob die Klägerin sie in einer Rechnung gesondert ausgewiesen und ob sie sie beim Finanzamt vorangemeldet hatte, § 13 Abs. 1 Nr. 1 a) UStG. Keine Rolle spielt auch, ob die Klägerin die Umsatzsteuer bei ihrer Kalkulation berücksichtigt hatte. Für Umsätze, die ein Steuerpflichtiger in seinen Voranmeldungen oder Steuererklärungen nicht angibt (auch bei Rechtsirrtum über deren Steuerbarkeit), entsteht die Umsatzsteuer ebenso wie bei ordnungsgemäß erklärten Umsätzen. Der für steuerbare und steuerpflichtige Leistungen geschuldete Steuerbetrag ist durch das Entgelt vorgegeben, d.h. den Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten (vgl. § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980). Das gilt auch, wenn die Beteiligten rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer vereinbaren. Der ursprünglich vereinbarte Betrag war daher in Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer aufzuteilen. Eine etwaige nachträgliche Änderung der Bemessungsgrundlage war gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980 im Besteuerungszeitraum der Änderung zu berücksichtigen. (BFH-Urteil vom 20.01.1997 - V R 28/95 a.a.O.).

2.2. Ein Verstoß gegen Belastungsneutralität der Umsatzsteuer, der aus Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie hergeleitet werden könnte, liegt nicht vor. Bei richtiger Sachbehandlung wären weder beim Leistenden, noch beim Leistungsempfänger Zinsen angefallen. Die endgültige Belastung des Leistenden mit Zinsen ohne Korrektur beim Leistungsempfänger resultiert nur aus der falschen Sachbehandlung und deren Nicht-Anfechtung. Die gleiche Situation entsteht auch, wenn die Umsatzsteuer in der Rechnung falsch ausgewiesen ist. Der Leistende schuldet die ausgewiesene zu hohe Umsatzsteuer, während der Leistungsempfänger nur die zutreffende Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen kann; bzw. der Leistende schuldet die sich aus dem gezahlten Betrag heraus zu rechnende Umsatzsteuer, während der Leistungsempfänger nur die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen kann. Diese der Belastungsneutralität widersprechende Rechtslage besteht bis zur Rechnungsberichtigung. Nur zinsspezifische Gründe können einen Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen rechtfertigen (BFH Beschluss vom 06.04.2005 - V B 60/04, BFH/NV 2005, 1976).

2.3. Auch ein Verstoß gegen Art. 33 der 6. EG-Richtlinie ist nicht gegeben. Diese Vorschrift ist dahin auszulegen, dass sie die Beibehaltung und Einführung nur solcher nationalen Steuern, Gebühren oder Abgaben auf Lieferung von Gegenständen, Dienstleistungen und Einfuhren gestattet, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben. Die Umsatzsteuer zeichnet sich durch vier wesentliche Merkmale aus (vgl. EuGH-Urteil vom 03.10.2006 C-475/03, Banca di Cremona, IStR 2006, 783, Rz. 28):

Allgemeine Geltung der Steuer für alle sich auf Gegenstände und Dienstleistungen beziehenden Geschäfte;

Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält;

Erhebung der Steuer auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe einschließlich der Einzelhandelsstufe, ungeachtet der Zahl der vorher bewirkten Umsätze; Abzug der auf den vorhergehenden Stufen bereits entrichteten Beträge von der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer, so dass sich die Steuer auf einer bestimmten Stufe nur auf den auf dieser Stufe vorhandenen Mehrwert bezieht und die Belastung letztlich vom Verbraucher getragen wird.

Keine dieser Merkmale trifft auf Aussetzungszinsen zu, so dass ein Rückgriff auf Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie nicht möglich ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage, wo der Leistungsort bei der Vermietung von Beförderungsmitteln an einen im Drittland ansässigen Unternehmer anzunehmen ist, wenn Streckenanteile sowohl auf das Inland, als auch auf das übrige Gemeinschaftsgebiet, als auch auf Drittland entfallen, letztlich nicht entscheidungsrelevant war.

Das Urteil entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des BFH (s. a. Urteil vom 24.05.2005 - V R 62/03, DStRE 2005, 915 und Beschlüsse vom 06.04.2005 - V B 60/04, BFH/NV 2005, 1976 und vom 28.10.2005 - V B 196/04, BFH/NV 2006, 245).

Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Verkündet am: 26.06.2008

Ende der Entscheidung

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