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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 26.11.2007
Aktenzeichen: 6 KO 2195/07
Rechtsgebiete: RVG, VV RVG


Vorschriften:

RVG § 13
VV RVG Nr. 1003
VV RVG Nr. 1004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

6 KO 2195/07

Erinnerung gegen Kostenfestsetzung vom 28. August 2007

In dem Finanzrechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 6. Senat -

am 26. November 2007

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts als Vorsitzenden,

die Richterin am Finanzgericht den Richter am Finanzgericht

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Erinnerung vom 29.08.2007 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.02.2007 mit der Maßgabe geändert, dass die Erledigungsgebühr im gerichtlichen Verfahren auf 3.894,80 EUR zzgl der gesetzlichen Mehrwertsteuer festgesetzt wird.

Somit betragen die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten 12.841,89 EUR (in Worten: Zwölftausendachthunderteinundvierzig und 89/100 Euro).

Der festgesetzte Betrag ist ab 25. Juli 2007 mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu verzinsen (§§ 155 FGO, 104 Abs. 1 ZPO).

II. Die außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsführers hat der Erinnerungsgegner zu tragen.

Gründe:

Streitig ist, ob dem Kläger und Erinnerungsführer - Ef - eine anteilige Erstattung der Erledigungsgebühr in Höhe des 1,3 fachen Satzes statt des 1,0 fachen Satzes zusteht.

I. Mit seiner Klage verfolgte der Ef die Aufhebung eines Haftungsbescheides für Steuerschulden einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, dessen Gesellschafter er war. Während des Klageverfahrens kam es zu einer tatsächlichen Verständigung, an der der Prozessbevollmächtigte mitgewirkt hatte, und zur Erledigung der Hauptsache, in deren Folge das Gericht mit Beschluss vom 10.07.2007 die Kosten des Verfahrens zu 25 v.H. dem Kläger und zu 75 v.H. dem Beklagten überbürdete. Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 25.07.2007 beantragte der Kläger, für das gerichtliche Verfahren die 1,3 fache Erledigungsgebühr "wie in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren" gem. Teil 1 Nr. 1004 VV - Vergütungsverzeichnis - (Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 RVG) auf 3.894,80 EUR festzusetzen. Dem folgte der Kostenbeamte im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.08.2007 nicht, sondern setzte nach Nr. 1003 VV die 1,0 fache Erledigungsgebühr von 2.996,00 EUR an. Zur Begründung führte er aus, dass in Teil 1 VV lediglich eine Unterscheidung zwischen "anderen gerichtlichen Verfahren" (Nr. 1003) und "Berufungs- und Revisionsverfahren" (Nr. 1004) getroffen sei. Das finanzgerichtliche Verfahren sei den "anderen gerichtlichen Verfahren" zuzuordnen, soweit es um Gebührentatbestände des Teils 1 VV "Allgemeine Gebühren" gehe. Die Gleichstellung von "Berufung, Revision ..." mit .."Verfahren vor dem Finanzgericht" nach Teil 3 Abschn. 2, Unterabschnitt 1 VV gelte nur für die dort geregelten Gebühren, nicht aber für die Erledigungsgebühr, die in Teil 1 Nrn. 1002 bis 1004 VV geregelt sei.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Erinnerung. Der Ef trägt vor, dass gem. Teil 3 Abschn. 2 Unterabschn. 1 Vorbemerkung 3.2.1. Abs. 1 Nr. 1 VV die Vorschriften des Berufungs- und Revisionsverfahrens auch für die Verfahren vor den Finanzgerichten gelten würden, so dass die dort genannten Gebührensätze Anwendung fänden. Folgerichtig sei nach Nr. 1004 VV der erhöhte Gebührensatz von 1,3 anzusetzen.

II. Die gem. § 149 Abs. 2 FGO zulässige Erinnerung ist begründet.

Erledigt sich ein Rechtstreit nach anwaltlicher Mitwirkung durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes, entsteht eine Erledigungsgebühr nach Teil 1 Nr. 1002 VV in Höhe des 1,5 fachen der Gebühr nach § 13 RVG, wenn nicht die Sache bereits bei Gericht anhängig ist. In diesem Fall bemisst sich die Gebühr, wenn ein "anderes gerichtliches Verfahren" anhängig ist, nach Nr. 1003 VV mit dem 1,0 fachen und wenn ein "Berufungs- und Revisionsverfahren" anhängig ist, nach Nr. 1004 VV mit dem 1,3 fachen Satz.

1. Im Streitfall ist die Gebühr nach dem 1,3 fachen des Gegenstandswertes zu bemessen, weil die Erledigung im Verfahren vor dem Finanzgericht der Erledigung in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren gleichzusetzen ist, Teil 1 Nr. 1004 VV.

a) Zwar sprechen gewichtige Gründe für die Annahme, dass die Erledigung in einem Finanzrechtsstreit unter Nr. 1003 VV fällt. Die Erledigungsgebühr ist als allgemeine Gebühr in Teil 1 VV geregelt und damit "vor die Klammer gezogen worden" mit der Folge, dass die allgemeinen Regeln den spezielleren Tatbeständen in den folgenden Teilen der VV vorgehen. Hieraus könnte geschlossen werden, dass die in Teil 1 VV getroffene Unterscheidung in "Berufungs- und Revisionsverfahren" einerseits und "andere gerichtliche Verfahren" andererseits jedenfalls in Bezug auf die Erledigungsgebühr so zu verstehen ist, dass das Verfahren vor dem Finanzgericht den "anderen gerichtlichen Verfahren" nach Teil 1 Nr. 1003 VV zuzuordnen ist, weil die Regelung in Teil 1 VV aufgrund des eindeutigen Wortlautes das finanzgerichtliche Verfahren gerade nicht den Berufungs- und Revisionsverfahren gleichstellt. Eine Stütze dieser Auffassung kann in der Vorbemerkung 3.2.1. zu Teil 3 Abschn. 2 Unterabschnitt 1 VV gesehen werden. Hierin heißt es unter Bezugnahme auf die Überschrift zu Teil 3 Abschn. 2 Unterabschnitt 1 VV, dass "dieser Unterabschnitt 1 ... anzuwenden ist in Verfahren vor dem Finanzgericht". Unterabschnitt 1 bezieht sich nur auf bestimmte Gebührentatbestände wie Termins- und Verfahrensgebühr, die keinen Bezug auf die Erledigung eines Rechtsstreits erkennen lassen. Aus dieser spezielleren Regelung ließe sich folgern, dass die höheren Gebühren im Finanzrechtsstreit sich nur auf die in Teil 3 Abschn. 2 Unterabschnitt 1 VV genannten Gebührentatbestände beschränken sollen, die Erledigungsgebühr aber von Nr. 1003 VV - "anderes gerichtliches Verfahren" - erfasst wird .

b) Gleichwohl vertritt der Senat die Auffassung, dass eine Erledigung in einem Finanzgerichtsverfahren die Anwendung des 1,3 fachen Satzes rechtfertigt (Nr. 1004 VV). Hierbei stützt er sich auf folgende Erwägungen:

(1) Nach der Vorbemerkung 1 zu Teil 1 VV entstehen die Gebühren dieses Teils (gemeint: Teil 1 Allgemeine Gebühren) neben den in den anderen Teilen bestimmten Gebühren. Da diese Gebühren somit (zusätzlich) in allen Verfahrensstadien entstehen können, ist bei der Auslegung der Frage, ob das finanzgerichtliche Verfahren den Nrn. 1003 oder 1004 VV zuzuordnen ist, zu prüfen, wie das finanzgerichtliche Verfahren in den anderen Teilen der VV gebührenrechtlich behandelt wird. In der Überschrift zu Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV heißt es: "Berufung, Revision ... und Verfahren vor dem Finanzgericht". (Dem entspricht die Vorbemerkung 3.2.1. zu Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 VV wonach der Unterabschnitt 1 "in den Verfahren vor dem Finanzgericht" anzuwenden ist). Aufgrund der Verknüpfung der Begriffe "Berufung, Revision" mit dem Begriff "Verfahren vor dem Finanzgericht" durch die Konjunktion "und" wird deutlich, dass der Gesetzgeber durch die Neuregelung des RVG und der Vergütungsverordnung die Gebühren für finanzgerichtliche Verfahren denen eines Berufungs- oder Revisionsverfahrens anpassen wollte. Nach der früheren Regelung in § 11 Abs. 1 S. 4 f BRAGO berücksichtigten die dort enthaltenen Erhöhungstatbestände nämlich nur das Berufungs- oder Revisionsverfahren. Für Verfahren vor dem Finanzgericht galten die allgemeinen Vorschriften für ein erstinstanzliches Verfahren. Da Teil 3 Abschn. 1 VV die Gebühren nur für Verfahren im ersten Rechtszug regelt, aber das finanzgerichtliche Verfahren durch Aufnahme in Teil 3 Abschn. 2 gerade von den erstinstanzlichen Verfahren ausgenommen wird, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang und aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes , dass das Finanzgerichtsverfahren dem Berufungsverfahren (Teil 1 Nr. 1004) und gerade nicht dem "anderen gerichtlichen Verfahren" nach Teil 1 Nr. 1003 VV zugeordnet werden soll.

(2) Dass der Gesetzgeber unabhängig von dem einzelnen Verfahrensabschnitt und dem Entstehungstatbestand der Gebühr eine Gleichstellung des finanzgerichtlichen Verfahrens mit dem Berufungs- oder Revisionsverfahren beabsichtigte, folgt aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT.Drucks. 15/1971, Seite 213) Darin heißt es:

"Absatz 1 Nummer 1 der Vorbemerkung (zu Teil 3 Abschnitt 1 VV) sieht in Abkehr vom geltenden Recht darüber hinaus vor, dass der Rechtsanwalt in Zukunft auch in erstinstanzlichen Verfahren vor den Finanzgerichten die für Rechtsmittelverfahren erhöhten Gebühren nach (Teil 3) Abschnitt 2 erhalten soll. Das Finanzgericht ist seiner Struktur nach ein Obergericht wie das Oberverwaltungsgericht (der Verwaltungsgerichtshof). Es hat als Obergericht die Senatsverfassung, und die Richter am Finanzgericht werden wie die Richter an anderen Obergerichten besoldet. Die höheren Gebühren sind auch gerechtfertigt, da das Finanzgericht die erste und gleichzeitig letzte Tatsacheninstanz ist und in der Regel die einzige und letzte gerichtliche Instanz darstellt. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Finanzgerichtsprozess ist daher nicht vergleichbar mit seinen Tätigkeiten vor den sonstigen erstinstanzlichen Gerichten. Sie ist vielmehr vergleichbar mit der anwaltlichen Tätigkeit vor den Berufungsgerichten. Im Unterschied zu dem Vortrag vor den erstinstanzlichen Gerichten ist der Sachverhaltsvortrag vor dem Finanzgericht stets zwingend abschließend. Für die rechtliche Begründung gilt regelmäßig das Gleiche. Sie muss daher stets zu allen denkbaren Einzelheiten umfassend und eingehend vorgetragen werden. Die Tätigkeit vor dem Finanzgericht stellt deshalb an den Rechtsanwalt besondere Anforderungen."

Aus der Gesetzesbegründung ergeben sich somit keine Hinweise auf eine Differenzierung nach Art der anwaltlichen Tätigkeiten in Bezug auf deren Gebührenbemessung. Vielmehr stellt der Gesetzgeber auf den Status des Finanzgerichtes und auf die besonderen Anforderungen ab, die an einen Anwalt im finanzgerichtlichen Verfahren zu stellen sind. Angesichts dieser klaren Aussage ist kein Grund ersichtlich, in bestimmten Fällen wie z.B. bei einer Erledigung im anhängigen Finanzstreit , den Anwalt so zu stellen, als führe er einen Prozess in einem erstinstanzlichen Verfahren und andererseits die Termins- oder Verfahrensgebühr des gleichen Verfahrens nach den Grundsätzen eines Berufungsverfahrens zu bemessen. Bei einer am Gesetzeszweck orientierten Auslegung ist somit auf das in der Gesetzesbegründung zutage tretende Gebot der Gleichstellung des finanzgerichtlichen Verfahrens mit dem Berufungs- und Revisionsverfahren abzuheben. Dies ist bei der Auslegung der Begriffe "anderes gerichtliches Verfahren" und "Berufungsverfahren" zu beachten. Wegen der Gleichstellung von Berufungs- und Finanzgerichtsverfahren ist das finanzgerichtliche Verfahren als "Berufungsverfahren" i.S.d.. Nr. 1004 VV zu verstehen und nicht als "anderes gerichtliches Verfahren" nach Nr. 1003 VV.

(3) Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Wortlaut der Nrn. 1003 und 1004 VV diese Auslegung verbiete (so aber Wolf, JurBüro 2007,229). Weder in Nr. 1003 noch in Nr. 1004 VV ist das Verfahren vor dem Finanzgericht ausdrücklich genannt. Es bedarf somit stets einer Auslegung, welcher Vorschrift der Gebührentatbestand "Erledigung im Finanzgerichtsprozess" zuzuordnen ist. Diese Auslegung ist aber - wie oben ausgeführt - anhand des Gesetzeszwecks vorzunehmen. Danach ist das finanzgerichtliche Verfahren dem Berufungs- oder Revisionsverfahren gleichgestellt.

(4) Es besteht auch keine Spezialität der Regelung in Teil 3 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 VV im Verhältnis zu Teil 1 VV in dem Sinne, dass die in Teil 3 VV ausdrücklich ausgesprochene Gleichstellung für die Auslegung des Teils 1 VV nicht gelten darf. Da in Teil 1 VV keine ausdrückliche Bestimmung über die Zugehörigkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens zu Nr. 1003 oder Nr. 1004 VV getroffen wurde, ist auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zurückzugreifen. Danach soll unabhängig von dem einzelnen Verfahrensabschnitt und dem Entstehungstatbestand der Gebühr eine Gleichstellung des Finanzgerichtsverfahrens mit dem Berufungsverfahren erfolgen. Hieraus folgt, dass die Regelung in Teil 3 Abschnitt 2 VV keine Spezialregelung ist, die nur in Bezug auf die dort geregelten Gebühren Anwendung findet, sondern einen allgemeinen Auslegungsgrundsatz für die gesamte Vergütungsverordnung wiedergibt (gl.A. FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.12.2006 8 Ko 11/06, JurBüro 2007, 198; Stapperfend in Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 139 Rn. 80; a.A Hollatz, NWB Fach 2, Seite 8677, 8717; Wolf, JurBüro 2007,229).

III. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben, § 128 Abs. 4 FGO.

Ende der Entscheidung

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