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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 11.03.2008
Aktenzeichen: 6 V 2395/07
Rechtsgebiete: FGO, UStG, MwStSystRL


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2 S. 2
FGO § 69 Abs. 3
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG § 4 Nr. 16 Buchst. e
MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 lit. g
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

6 V 2395/07

Umsatzsteuer 2005,

Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das Jahr 2006,

(Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 Abs.3 FGO)

In dem Verfahren

...

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 6. Senat -

am 11. März 2008

durch

die Richterin am Finanzgericht Straub,

den Richter am Finanzgericht Amendt und

die Richterin am Finanzgericht Humbert

beschlossen:

Tenor:

I. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2005 vom 17.08.2007 wird aufgehoben.

Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2005 vom 17.08.2007, sowie der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juni bis Oktober 2006 wird wie folgt ausgesetzt:

 Umsatzsteuer 2005285.664,94 EUR
USt Juni 20063.111,27 EUR
USt August 2006183,47 EUR
USt September 20069.940,80 EUR
USt Oktober 20065.777,30 EUR

gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 320.000 EUR, die auch in Form einer Bankbürgschaft erbracht werden kann.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Antragsgegner zu tragen.

III. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob der Antragsteller (ASt) als Organträger die Umsatzsteuer für Umsätze der A GmbH schuldet und ob die Umsätze der A GmbH nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g) der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL) steuerfrei sind.

Der ASt ist Krankenpfleger. Seit 1995 betrieb er als Einzelunternehmer einen ambulanten Pflegedienst in E. Er hatte Verträge mit Krankenkassen, Pflegekassen und Sozialämtern, wobei er zunächst mit ca. fünf angestellten Pflegekräften sich der klassischen Krankenpflege widmete.

Seit Ende der 90er Jahre kam schwerpunktmäßig die 24-Stunden-Pflege hinzu.

Im Jahr 2003 gründete der Kläger die A GmbH mit Sitz in M, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftführer er war. Sodann übernahm die GmbH den Geschäftsbereich der 24-Stunden-Pflege.

AM 29.07.2004 schloss die GmbH mit verschiedenen Pflegekassen, Verbänden von Krankenkassen, der Bundesknappschaft, sowie der Stadt M als Sozialhilfeträger einen Versorgungsvertrag gemäß § 72 SGB XI. Bereits am 12.08.2003 im Vorgriff auf diesen Versorgungsvertrag und am 21.06.2005 auf der Basis des Vertrages hatte die GmbH Vergütungsvereinbarungen mit den Vertragspartnern getroffen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 09.11.2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und Rechtsanwalt E zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Beklagte führte ab Mitte 2006 bei der GmbH eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch, deren Ergebnis im Bericht vom 07.02.2007 dargestellt ist. Der Prüfer ist der Auffassung, dass der ASt Organträger der GmbH ist. Er vertritt weiter die Auffassung, dass die Umsätze der GmbH nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e) UStG steuerfrei sind, da die Schwellenwerte für 2004 nicht erreicht seien. Gemäß Ziffer 14.2 des Prüfungsberichtes hatte im Jahr 2004 der Sozialversicherungsträger, bzw. die Sozialhilfe in 287 von insgesamt 998 von der GmbH abgerechneten Fällen mehr als 50% der Pflegekosten übernommen; daraus errechnete sich in einem Anteil von 28,75% eine Kostenübernahme von mehr als 50%.

Der ASt reichte im Verlauf der Prüfung Voranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2006 ein, in denen er die Umsätze der GmbH erklärte. Er erklärte jedoch, dass mit der Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen keine Option für die Organschaft erklärt werde (Schreiben vom 05.06.2005, Bl. 59/60 Fg-Akte).

Der Beklagte erließ am 26.02.2007 einen Bescheid über die Festsetzung einer Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Quartal 2005 entsprechend den Prüfungsfeststellungen.

Der ASt legte gegen diesen Bescheid, sowie gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Januar bis Oktober 2006 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der Beklagte lehnte die AdV mit Bescheid vom 03.07.2007 ab.

Am 17.08.2007 erließ er einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2005. Über die Einsprüche ist noch nicht entschieden.

Zur Begründung seines Antrages gemäß § 69 Abs. 3 FGO trägt der ASt vor, die Annahme der Organschaft sei rechtswidrig. Zudem seien die Umsätze der GmbH nach Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g) der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 132 Abs. 1 lit. g) MwStSystRL) steuerfrei.

1. Der ASt sei nicht Organträger der GmbH. Folglich hätte der Antragsgegner Steuerbescheide gegenüber der GmbH erlassen und die Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden müssen.

Das Organschaftsverhältnis folge nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Zwar spreche der Wortlaut der Vorschrift für die Rechtsfolge der Organschaft, wenn die Eingliederungsmerkmale vorlägen. Bei dieser Auslegung würden jedoch die von der Ermächtigung gemäß Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie gezogenen Grenzen des Umsetzungsermessens überschritten. Durch die unterschiedlichen Rechtsfolgen je nachdem ob die eingegliederte Gesellschaft eine Kapitalgesellschaft oder eine GmbH & Co KG sei, werde der Grundsatz der Rechtsformneutralität verletzt.

Soweit der BFH in früheren Entscheidungen die zwingende Rechtsfolge der Organschaft angenommen habe, sei diese Rechtsprechung überholt. Europarechtlich ergebe sich vielmehr bei Vorliegen der Eingliederungsmerkmale ein Optionsrecht.

Für die Annahme eines Optionsrechts spreche im Streitfall auch, dass bei zwingender Annahme von Organschaft die "schädlichen Fälle" im Sinne des § 4 Nr. 16 e UStG bei der Organgesellschaft auf die Verhältnisse des Organträgers durchschlagen würden; dies wiederum würde gegen Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. G der 6. EG-Richtlinie verstoßen und wäre mit dem Grundsatz der Neutralität nicht vereinbar. Systemgerecht sei daher nur ein Wahlrecht.

Der ASt habe mit der Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen kein Wahlrecht für die Organschaft ausgeübt, da er diese nur unter dem Druck der Sonderprüfung eingereicht habe. Vorsorglich werde jedoch eine etwaige Option widerrufen.

2. Zur Begründung der Steuerfreiheit der Umsätze der GmbH könne der ASt sich unmittelbar auf Art. 13 A Abs. 1 lit. g) der 6. EG-Richtlinie berufen. Auf das Erfordernis des Erreichens der Schwellenwerte des § 4 Nr. 16 lit. e) UStG komme es daher nicht an.

Der Gesetzgeber habe § 4 Nr. 16 lit. e) UStG eingeführt in Folge der Gesundheitsreform und sich dabei an den bereits bestehenden Befreiungstatbeständen orientiert. Sein Anliegen sei dahin gegangen, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten. Die 40%-Klausel habe dazu dienen sollen, das Merkmal der "eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Tätigkeiten" zu definieren.

Erstmals mit Urteil vom 10.09.2002 Rs. C-141/00 "ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH" habe der EuGH entschieden, dass der Steuerpflichtige sich unmittelbar auf die Richtlinie berufen könne. Mittelbar habe der EuGH dies mit demUrteil vom 06.11.2003 Rs. C-45/01 "Christoph-Dornier-Stiftung" bestätigt.

In seinem zu § 4 Nr. 16 c UStG ergangenen Urteil vom 08.06.2006 Rs. C-106/05 "L+P GmbH" habe der EuGH auf den begünstigten Personenkreis und damit die Herkunft der Mittel abgestellt. Zwar sei die Bedingung der 40%-Grenze vom EuGH für zulässig erachtet worden. Die nationalen Gerichte müssten jedoch beurteilen, ob die Bedingungen dem Grundsatz der Neutralität gerecht würden. Der BFH habe in der Nachfolgeentscheidung vom 15.03.2007 - V R 55/03 maßgeblich auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität abgestellt und klar gestellt, dass die Differenzierung nicht davon abhängen könne, ob die Bezahlung bei gleichem Leistungsspektrum von den Krankenkassen erfolge oder nicht.

Zweck der 40%-Klausel sei die Gewährleistung, dass die Preise der Leistungsanbieter nicht höher seien als die behördlich genehmigten. Vor diesem Hintergrund sei die EuGH-Entscheidung zu interpretieren. Es müsse also geprüft werden, ob die 40%-Klausel ein geeignetes Instrument dafür sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Soweit die 40%-Klausel gegen die Neutralität verstoße, dürfe sie nicht angewendet werden. Sie sei gemeinschaftsrechtskonform als eine hinreichende aber nicht notwendige Bedingung für die Steuerbefreiung zu verstehen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 26.05.2005 Rs. C-498/03 "Kingscrest", Rz. 43 - 47 und Antwort Nr. 2) schließe der Begriff der von dem betreffenden Mitgliedsstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannten Einrichtung die privaten Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht nicht aus. Demnach sei Gemeinnützigkeit entgegen der Auffassung des Ag keine Voraussetzung der Steuerbefreiung.

Der BFH habe mit Urteil vom 15.03.2007 - V R 55/03 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Nr. 16 UStG geäußert. Da das BVerfG keine eigene Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vornehme, wenn eine Materie europarechtlich geregelt sei, komme es auf die Maßstäbe des EuGH an. Der EuGH stelle ausschließlich darauf ab, ob aus der Sicht des Leistungsempfängers gleichartige Leistungen vorlägen. Sei dies der Fall, dann sei jede steuerliche Ungleichbehandlung zugleich eine unzulässige Wettbewerbsverzerrung (Urteil vom 28.06.2007 Rs. C-363/05 "J.P. Morgan Fleming Claverhouse). Die Entwicklung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität sei in den Schlussanträgen in dem Verfahren Marks & Spencervom 13.12.2007 Rs. C-309/06 (Rz. 56 ff.) dargestellt.

Die gemeinschaftsrechtliche Befreiungsvorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der 6. EG-Richtlinie stelle nicht auf das Fehlen von Gewinnstreben ab. Soweit der Bürger sich direkt auf diese Vorschrift berufen könne, dürfe ihm nicht entgegen gehalten werden, dass nach dem nationalen Recht nur gemeinnützige Einrichtungen unter die Steuerbefreiung fielen (BFH Urteil vom 08.11.2007 - V R 2/06).

Der ASt sei aufgrund seiner Vermögenslage nicht imstande, in voller Höhe der streitigen Umsatzsteuerforderungen Sicherheit zu leisten.

Zur weiteren Begründung wird auf die Antragsschrift vom 15.10.2007 (Bl. 3 - 61 Fg-Akte) und die Schriftsätze vom 19.12.2007 (Bl. 80/81 Fg-Akte) und 15.02.2008 (Bl. 113/114 Fg-Akte) Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 2005 vom 17. August 2007 aufzuheben und auszusetzen, und die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Januar bis Oktober 2006 auszusetzen

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide seien nicht gegeben.

1. Die GmbH sei finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in das Einzelunternehmen des ASt eingegliedert; damit lägen die Voraussetzungen der Organschaft vor. Die Rechtsfolge sei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zwingend; die Vorschrift sei mit diesem Inhalt gemeinschaftsrechtskonform. Das BFH-Urteil vom 17.01.2002 - V R 37/00 sei nicht überholt. Der Grundsatz der Neutralität werde durch die Organschaft nicht verletzt, auch nicht durch deren Rechtsfolgen im Fall der Insolvenz der Organgesellschaft.

2. Der ASt habe in 2004 die 40%-Grenze des § 4 Nr. 16 lit. e UStG nicht erreicht. Seine Umsätze seien deshalb der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Die Ermittlung des genauen Prozentsatzes für 2005 habe sich erübrigt, da der ASt für 2006 seine Umsätze als steuerpflichtig erklärt habe.

EuGH und BFH hätten bestätigt, dass die 40%-Grenze nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoße.

Der ASt könne sich nicht unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g der 6. EG-Richtlinie berufen, weil er keine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter sei. Als privater Anbieter von Pflegeleistungen handele er vielmehr mit Gewinnerzielungsabsicht. Es sei Sache der nationalen Behörden, zu bestimmen, welche Einrichtungen anerkannt würden. Die Richtlinienbestimmung sei zutreffend und vollständig mit § 4 Nr. 16 UStG mit der Koppelung an die Herkunft der Entgelte umgesetzt worden. Dort sei bestimmt, unter welchen Voraussetzungen der ASt als soziale Einrichtung angesehen werde; diese Voraussetzungen erfülle der ASt nicht. Die vom ASt mit den Kostenträgern geschlossenen Rahmenverträge könnten der 40%-Grenze nicht gleichgesetzt werden. Dies verstoße nicht gegen den Grundsatz der Neutralität, da die 40%-Grenze für alle gleichermaßen gelte.

3. Wegen überwiegender öffentlicher Belange an einer gesicherten Haushaltsführung und wegen der gewollten Entlastung der Sozialträger durch die Umsatzsteuerbefreiung müsse das Interesse des ASt an der AdV auch bei der Bejahung ernstlicher Zweifel zurückstehen.

4. Hilfsweise sei die AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Die Gefährdungslage ergebe sich aus der Höhe des Steueranspruchs und der finanziellen und wirtschaftlichen Lage des ASt.

Ergänzend wird auf den Schriftsatz vom 11.12.2007 (Bl. 71 - 78 Fg-Akte) Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist mit der Maßgabe begründet, dass die Vollziehung gegen Sicherheitsleistung auszusetzen ist.

1. Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder dessen Vollziehung eine für den Betroffenen unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellen würde.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten bei der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Gräber § 69 FGO, Rz. 77 m.w.N.). Dabei genügt, dass ein Erfolg der Klage in der Hauptsache ebenso wenig auszuschließen ist wie deren Misserfolg (Tipke/Kruse § 69 FGO, Tz. 10). Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (Beschluss des BFH vom 25.11.2005 - V B 75/05). Soweit die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf ungeklärten Rechtsfragen beruhen, ist über diese nicht im summarischen Verfahren abschließend zu entscheiden; vielmehr ist in diesem Fall AdV zu gewähren (Beschluss des BFH vom 25.11.2005 - V B 75/05).

Ernstliche Zweifel in tatsächlicher Hinsicht sind zu bejahen, wenn in Bezug auf die im Einzelfall entscheidungserheblichen Tatsachen Unklarheiten bestehen, die anhand der vorliegenden Akten sowie präsenter Beweismittel nicht beseitigt werden können. Weiter gehende Sachverhaltsermittlungen braucht das Gericht nicht vorzunehmen (Gräber § 69 FGO, Rz. 82 und 105).

Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Dabei ist auf den Grad der Gefährdung des Steueranspruchs durch die Aussetzung abzustellen, der einerseits von den Erfolgsaussichten des Klageverfahrens und andererseits von den Vermögensverhältnissen des Antragstellers abhängig ist. Der Antragsteller, der Aussetzung ohne Sicherheitsleistung begehrt, muss die Umstände glaubhaft machen, die dem Sicherungsbedürfnis des Finanzamts genügen oder dieses als unangemessen erscheinen lassen (Tipke/Kruse § 69 FGO, Tz. 109 m.w.N.).

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Eine diesbezügliche Gefahr kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen. Andererseits entfällt das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt es im Rahmen sachgerechter Ausübung des richterlichen Ermessens, die dem Antragsteller zugebilligte Aussetzung der Vollziehung mit der Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Umfangs der Aussetzung zu verknüpfen (BFH Beschluss vom 25.11.2005 - V B 75/05).

2. a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt - umsatzsteuerliche - Organschaft vor, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftliche und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Folge dieser Regelung ist, dass die Organgesellschaft nicht selbst Unternehmer ist, sondern dass ihre Umsätze dem Organträger zugerechnet werden.

Gemeinschaftsrechtliche Grundlage des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist Art. 4 Abs. 4 2. Unterabsatz der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 11 MwSystRL). Danach können die Mitgliedsstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

Da es sich dabei um gemeinschaftsrechtliche Begriffe handelt, sind diese einheitlich gemeinschaftsrechtlich auszulegen. Wie die Organschaft im Einzelnen aussehen muss, überlässt die Vorschrift der Auslegung durch die EU-Mitgliedstaaten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Bestimmt wird lediglich, dass eine rechtliche Unabhängigkeit der beteiligten Unternehmen vorliegen und eine finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Verbindung bestehen muss. Eine Legaldefinition dieser Begriffe gibt die Vorschrift nicht (Langer in Reiß/Kraeusel/Langer Art. 4 6. EGRL, Rz. 15).

Das Merkmal der finanziellen Eingliederung liegt beim Alleingesellschafter als Organträger unzweifelhaft vor.

Die wirtschaftliche Eingliederung bedeutet, dass die Organgesellschaft die von dem Organträger ausgeübte Tätigkeit sinnvoll ergänzt (Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, § 2 UStG, Rz. 112). Zwischen den von der Organgesellschaft getätigten Umsätzen und denen des Organträgers muss zumindest ein Zusammenhang bestehen (Langer in Reiß/Kraeusel/Langer Art. 4 6. EGRL,Rz. 15).

Das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung ist bei finanzieller Eingliederung regelmäßig gegeben (Stadie Rz. 5.230 und BFH Urteil vom 03.04.2003 - V R 63/01, BStBl II 2004, 434). Dies gilt insbesondere für den Alleingesellschafter, der die wirtschaftliche Tätigkeit der Organgesellschaft bestimmt. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Organgesellschaft vom Organträger ist nicht Voraussetzung.

Die organisatorische Eingliederung liegt vor, wenn sicher gestellt ist, dass der Wille des beherrschenden Gesellschafters in der beherrschten Gesellschaft durchgesetzt werden kann. Dies ist bei einem Alleingesellschafter unzweifelhaft.

Damit liegen im Streitfall die Voraussetzungen für die Annahme einer Organschaft vor.

b) Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend; ein Wahlrecht besteht nicht (BFH Urteil vom 17.01.2002 - V R 37/00, BStBl II 2002, 373; bestätigt mit Urteil vom 07.07.2005 - V R 78/03).

Die Vorschrift wurde während der Geltung der Allphasensteuer eingeführt zur Vermeidung nicht gerechtfertiger Steuerentstehung bei Innenumsätzen; mit der Einführung des Vorsteuerabzugs dient sie in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle nur noch Vereinfachungszwecken (Stadie Umsatzsteuerrecht 2005, Rz. 5.208 m.w.N., Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer § 2 UStG, Rz. 98). Die Organschaft ist allerdings dann vorteilhaft für den Organkreis, wenn einer der Beteiligten nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist § 2 UStG, Rz. 632, 633). Im Falle der Insolvenz der Organgesellschaft wirkt die Organschaft insoweit nachteilig für den Organträger, als dieser als Schuldner der Umsatzsteuer für vor Insolvenzeröffnung entstandene Steuerverbindlichkeiten der Organgesellschaft in Anspruch genommen werden kann.

Aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG folgert der BFH, dass es sich um zwingendes Recht handelt. Die Rechtsfolgen der Organschaft im Falle der Insolvenz des Organträgers oder der Organgesellschaft habe der Gesetzgeber zumindest nicht ausgeschlossen und damit bewusst herbeigeführt. Ihr Ausschluss ergibt sich nach Auffassung des BFH insbesondere nicht daraus, dass der Gesetzgeber des UStG 1967 die Organschaft seinerzeit "zur Vermeidung unnötiger Verwaltungsarbeit in der Wirtschaft beibehalten" hat und dabei davon ausging, dass damit steuerliche Auswirkungen wegen des Vorsteuerabzugs "grundsätzlich" nicht verbunden seien. Auch gemeinschaftsrechtlich sei kein Wahlrecht vorgeschrieben.

Stadie greift die Interpretation des gesetzgeberischen Willens an; er ist er Auffassung, dass der Gesetzgeber nur Vereinfachung, aber keine materiell-rechtlichen Rechtsfolgen gewollt habe, da insbesondere bereits der Reichsfinanzhof die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bei Insolvenz nicht als Zweck der Organschaft angesehen habe (Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist § 2 UStG, Rz. 621, 622, 641.3). Dieser Auffassung hat der BFH jedoch mit dem o.g. Urteil vom 17.01.2002 widersprochen unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und den Umstand, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der Organschaft bei Insolvenz ausdrücklich hätte ausschließen müssen, wenn er diese nicht gewollt hätte.

Stadie vertritt weiter die Auffassung, § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei nur dann gemeinschaftsrechtskonform und verfassungsmäßig, wenn die Vorschrift im Sinne eines Wahlrechts interpretiert werde (a.a.O. Rz. 623, 642 aE, 642.1).

Gegen die zwingende Annahme einer Organschaft spricht lt. Stadie auch die dadurch entstehende Notwendigkeit eines zivilrechtlichen Ausgleichs der durch die Verlagerung der Steuerschuld entstehenden Vermögensnachteile (Stadie a.a.O. Rz. 639). Weiter sei zu beachten, dass aufgrund des zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs (s. hierzu Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer § 2 UStG, Rz. 100 m.w.N.) der Organträger Einblick in die Verhältnisse der Organgesellschaft erhalten müsse (Stadie a.a.O. Rz. 641.2).

Reiß (Reiß/Kraeusel/Langer § 2 UStG, Rz. 98) kritisiert die zwingende Annahme einer Organschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen unter dem Aspekt der zivilrechtlichen Auswirkungen:

"Der Sache nach handelt es sich um die nicht zwingende Anerkennung einer besonderen Form des Unterordnungskonzerns als einheitliches Unternehmen der herrschenden Gesellschaft oder des herrschenden Einzelunternehmers. Diese Anerkennung geht weit über vergleichbare Rechtsfolgen zivilrechtlicher Art im Unterordnungskonzern hinaus. Insbesondere durch die Annahme einer Steuerschuldnerschaft des herrschenden Unternehmens wie auch der Haftung der Organgesellschaft für eben diese Schulden der Muttergesellschaft werden die zivilrechtlich vorgegebenen Strukturen getrennter Vermögensmassen massiv zum Nachteil eventueller Minderheitsgesellschafter sowohl bei der Muttergesellschaft als auch bei den Tochtergesellschaften tangiert und vor allem die Gläubigerinteressen. Dies alles ist nicht zu rechtfertigen."

Reiß begründet seine Kritik weiter, letztlich würden durch die Organschaft ggf. auch Minderheitsgesellschafter und Gläubiger des Organträgers benachteiligt. Auch die insoweit gegebene Verletzung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen spreche dafür, das grundsätzlich umsatzsteuerlich überflüssige und im Bereich des Vorsteuerausschlusses möglicherweise den Gleichheitssatz verletzende Institut der umsatzsteuerlichen Organschaft aufzugeben (a.a.O. Rz. 104.1).

Der Senat schließt sich insoweit den rechtlichen Bedenken gegen die zwingende Annahme einer Organschaft an. Diese Umstände sind insbesondere auch im Fall von Minderheitsbeteiligungen bei nur einem der betroffenen Gesellschaftern relevant. Dadurch könnten Minderheitsgesellschafter unter Umständen gezwungen sein, einen Ausgleichsanspruch auch gerichtlich verfolgen zu müssen, bzw. muss an der Organgesellschaft nicht beteiligten Personen zwecks Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs Einblick in deren wirtschaftliche Verhältnisse gewährt werden. Ebenso ist von der Steuerschuldnerschaft des Organträgers bei Insolvenz der Organgesellschaft mangels tatsächlicher Rückgriffsmöglichkeit auch der Minderheitsgesellschafter betroffen, ohne dass hierfür eine zivilrechtliche Rechtfertigung vorliegen muss. Zudem ergeben sich für die Insolvenzmasse Verschiebungen, die insolvenzrechtlich nicht vorgesehen sind; mittelbar können auch andere Insolvenzgläubiger dadurch Zuteilungen aus dem Vermögen des Organträgers erlangen.

Der Senat hält es für zweifelhaft, ob durch steuerliche Vorschriften unerwünschte, bzw. nicht vorgesehene zivilrechtliche Folgen herbeigeführt werden dürfen.

Zwar spielen diese Argumente im konkreten Streitfall keine Rolle. Wenn sie aber dazu führen, dass der Zwang zur Organschaft generell in Frage zu stellen ist, ist die AdV im Streitfall gleichwohl geboten.

Stadie sieht weiterhin einen Verstoß gegen das Gebot der Rechtsformneutralität darin, dass die Rechtsfolgen der Organschaft zwingend eintreten, wenn die beherrschte Gesellschaft eine Kapitalgesellschaft, nicht jedoch, wenn sie eine Personengesellschaft (z.B. GmbH & Co KG) ist (a.a.O. Rz. 642). Auch Reiß (a.a.O. Rz. 102 m.w.N.) hält die Vereinbarkeit der umsatzsteuerlichen Organschaft mit Art. 3 GG angesichts der Rechtsprechung des BVerfG keineswegs für zweifelsfrei, insbesondere unter dem Aspekt der Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer.

Der BFH hatte bisher zu dieser Kritik noch nicht Stellung genommen. Insoweit kann die Rechtslage trotz der Urteile vom 17.01.2002 - V R 37/00, BStBl II 2002, 373 und vom 07.07.2005 - V R 78/03 als offen angesehen werden.

3. a) Nach § 4 Nr. 16 lit. e UStG sind die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn im voran gegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40% der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.

Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 132 Abs. 1 lit. g MwStSystRL). Danach befreien die Mitgliedsstaaten die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen, soweit sie durch von dem betreffenden Mitgliedsstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen erbracht werden.

Nach Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Absatz 1 Buchstabe g vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von einer oder mehreren der anschließend in diesem Artikel angegebenen Bedingungen abhängig machen; eine der danach zulässigen Bedingungen lautet: "Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden."

Mit Urteil vom 8. Juni 2006 Rs. C-106/05, L. u. P. GmbH hat der EuGH entschieden, dass es nicht gegen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-Richtlinie verstößt, dass nach § 4 Nr. 16 c UStG die Befreiung dieser Analysen von der Bedingung abhängt, dass mindestens 40% von ihnen Personen zugute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind."

Daraus folgt, dass der ASt sich hinsichtlich der begehrten Nichtanwendung der 40%-Grenze des § 4 Nr. 16 e UStG nicht unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie berufen kann.

Der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen in diesem Verfahren dazu ausgeführt, dass - obwohl diese Bedingung nicht ausdrücklich in der Sechsten Richtlinie vorgesehen ist - davon ausgegangen werden kann, dass sie der Umsetzung der in Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a dritter Gedankenstrich vorgesehenen fakultativen Bedingung dient, wonach von den Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, als Voraussetzung dafür, dass sie eine Steuerbefreiung erhalten können, Preise angewendet werden [müssen], die von den zuständigen Behörden genehmigt sind oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen (Rz. 43). Ob diese Bedingung allerdings ein geeignetes Instrument darstellt, diese Preisgestaltung zu gewährleisten, haben seiner Ansicht nach die nationalen Gerichte zu beurteilen. Nach Auffassung des EuGH kann jedoch für die Gewährung der Steuerbefreiung der Umstand berücksichtigt werden, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (Urteil vom 06.11.2003 Rs. C-45/01 Dornier, Rz. 72 und 73 undvom 08.06.2006 Rs. C-106/05 L+P, Rz. 53).

Zwar haben nach dem Urteil des EuGH vom 08.06.2006 die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten bei Beachtung der Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, bei der Aufstellung solcher Bedingungen die Grenzen ihres Ermessens überschritten haben. Daraus folgt, dass maßgeblich darauf abzustellen ist, dass für alle Kategorien privatrechtlicher Einrichtungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie in Bezug auf die Erbringung vergleichbarer Leistungen nach dem nationalem Recht die gleichen Bedingungen für ihre Anerkennung gelten (V R 55/03).

Bei der Beurteilung, ob ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung derselben Leistungen verschiedener Wirtschaftsteilnehmer vorliegt, muss berücksichtigt werden, dass der Zweck der Steuerbefreiung nach nationalem Recht - die Entlastung der Sozialversicherung von der Umsatzsteuer - sich nicht mit dem Zweck der Steuerbefreiung nach Gemeinschaftsrecht deckt, der in der Senkung der Kosten der Heilbehandlung schlechthin liegt (V R 55/03 unter Hinweise auf die ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. Vorabentscheidung L.u.P. GmbH, Rz 25, m.N.).

Im Streitfall ist hinsichtlich der Gleichbehandlung auf die Kategorie der Einrichtungen, die ambulante Pflegeleistungen erbringen, abzustellen. Insoweit stellt das Erfordernis, dass in mindestens 40% der Fälle die Pflegekosten vom gesetzlichen Sozialversicherungsträger oder der Sozialhilfe zumindest überwiegend getragen wurden, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, bzw. der Neutralität der Umsatzsteuer dar, da es gleichermaßen für alle Einrichtungen dieser Art gilt.

Auch der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen im Verfahren C-106/05 (Rz. 39) ausgeführt, dass, was die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b 6. EGRL vorgesehenen Leistungen angeht, die Befugnis, über die die Mitgliedstaaten verfügen, die Gewährung der Steuerbefreiung von Bedingungen abhängig zu machen, sie nicht verpflichtet, Leistungen der ärztlichen Heilbehandlung und die mit ihnen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, gleich zu behandeln. Aus seinen Ausführungen kann geschlossen werden, dass er insoweit nicht von relevantem Wettbewerb und damit einer Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes im Falle der Ungleichbehandlung ausgeht.

Übertragen auf die ambulanten Pflegeleistungen hätte er in der Regelung des § 4 Nr. 16 e UStG ebenfalls keine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes gesehen.

Aus den Ausführungen des EuGH im Urteil vom 06.11.2003 Rs. C-45/01 Dornier ergibt sich nichts anderes:

Dort führt der EuGH aus: "Enthalten die innerstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung Beschränkungen, die die Grenzen des den Mitgliedstaaten durch die genannte Bestimmung eingeräumten Ermessens überschreiten, so ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller relevanten Gesichtspunkte zu ermitteln, ob ein Steuerpflichtiger gleichwohl als andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist." Dass die 40%-Grenze dieses Ermessen nicht überschreitet, ergibt sich jedoch aus dem Urteil vom 08.06.2006 Rs. C-106/05 L+P GmbH.

Im Urteil vom 06.11.2003 Rs. C-45/01 Dornier führt der EuGH weiter aus: "Die Auslegung des Wortlauts dieser Bestimmung muss jedoch mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden" (Rz. 42). Zum Ziel der Befreiung führt er aus, diese sei, die Kosten der Heilbehandlungen zu senken und diese Behandlungen dem Einzelnen zugänglicher zu machen (Rz. 43). Dass die 40%-Grenze mit diesem Ziel vereinbar ist, hat der EuGH ebenfalls mit Urteil vom 08.06.2006 Rs. C-106/05 L+P GmbH bejaht.

Soweit der EuGH betont, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es insbesondere verbietet, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden (Urteile vom 10.09.2002 - C-141/00 Kügler, Randnr. 30 u.vom 06.11.2003 Rs. C-45/01 Dornier Rz. 44), führt der EuGH im Urteil vom 06.11.2003 Rs. C-45/01 Dornier aus:

"Zum Begriff andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen gleicher Art ist festzustellen, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie die Bedingungen und Modalitäten dieser Anerkennung nicht festlegt. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen eine solche Anerkennung den Einrichtungen gewährt werden kann, die sie beantragen" (Rz. 64).

Die nationalen Gerichte haben zu prüfen, ob - wenn ein Steuerpflichtiger die Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter beansprucht - die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen durch Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie eingeräumten Ermessens bei der Anwendung der Gemeinschaftsgrundsätze, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, beachtet haben (Urteile Kügler, Rz. 56 und Dornier Rz. 69). Bei der Bestimmung der Einrichtungen, die als Einrichtungen mit sozialem Charakter im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie anzuerkennen sind, haben die nationalen Behörden nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dazu gehören das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, sowie der Umstand, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (Urteile Kügler Rz. 57 u. 58 und Dornier Rz. 72).

Dass die 40%-Grenze diesen Anforderungen entspricht, wurde mit Urteil vom 08.06.2006 Rs. C-106/05 L+P GmbH bejaht. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liegt nicht vor, weil alle Einrichtungen die ambulante Pflegeleistungen erbringen, hinsichtlich der 40%-Grenze gleich behandelt werden und deshalb Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen sind. Eine Differenzierung hinsichtlich gleichartiger Leistungen findet nicht statt.

Soweit der Kläger in dem Verfahren V R 55/03 die Frage aufgeworfen hat, ob die 40%-Grenze gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) verstößt, weil diese Bedingung nicht erfüllbar sei, musste der BFH darauf nicht eingehen. Dem Gericht liegen insoweit keinerlei Erkenntnisse darüber vor, dass es sich um eine nicht erfüllbare Bedingung handelt. Da auch der ASt dies nicht behauptet hat, braucht dieser Frage nicht weiter nachgegangen zu werden.

Auf die Frage, ob die ambulante Pflegeleistungen erbringende Einrichtung als gemeinnützig anerkannt ist, kommt es nach den o.g. Grundsätzen nicht an.

Soweit der BFH verfassungsrechtliche Zweifel daran geäußert hat, ob der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 4 Nr. 16 c UStG den Beschluss des BVerfG vom 26.10.1976 - 1 BvR 191/74 zutreffend umgesetzt hat, sind diese für den Ausgang des hier streitigen Verfahrens nicht relevant. Mit diesem Beschluss hatte das BVerfG die Differenzierung in der umsatzsteuerlichen Belastung zwischen ärztlichen Laborgemeinschaften jeglicher Größenordnung einerseits und gewerblichen Analyseunternehmen andererseits als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt.

Anders als in dem mit BFH-Urteil vom 08.11.2007 - V R 2/06 entschiedenen Fall wurde im Streitfall die gemeinschaftsrechtliche Befreiungsvorschrift in nationales Recht umgesetzt. Da die Umsetzung gemeinschaftsrechtskonform ist, kann der ASt nicht aufgrund einer unmittelbaren Berufung auf Gemeinschaftsrecht eine günstigere Behandlung erreichen.

b) Für die Voranmeldungszeiträume Januar bis Oktober 2006 ist AdV bereits deshalb zu gewähren, weil die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 e UStG hinsichtlich der 40%-Grenze in 2005 nicht festgestellt wurden. Diese Feststellungen waren nicht entbehrlich, da die Frage der Steuerpflicht der Umsätze auch in 2006 streitig ist und die Voranmeldungen nur abgegeben wurden, um eine Schätzung zu vermeiden. Im summarischen Verfahren kann das Gericht nach Aktenlage entscheiden und ist nicht verpflichtet, diese Ermittlungen selbst vorzunehmen.

Für das Jahr 2004 hat der Ag die Berechnung zutreffend vorgenommen. Die Berechnung der 40%-Grenze bezog sich ausschließlich auf die Organgesellschaft (s. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer § 2 UStG, Rz. 101.1) und umfasste ausschließlich die in § 4 Nr. 16 e UStG genannten Umsätze (BFH-Urteil vom 15.03.2007 - V R 55/03). Danach wurde die 40%-Grenze nicht erreicht.

Insoweit beurteilt sich die Frage, ob AdV zu gewähren ist, ausschließlich danach, ob zwingend von einer Organschaft auszugehen ist.

4. Der Anspruch des ASt auf effektiven Rechtsschutz tritt nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück.

Im Falle von ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift ist zwar nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als erforderlich angesehen worden. Danach ist eine Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten (z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 6. November 2001 I B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.). Diese Rechtsprechung wurde vom BVerfG bestätigt (Beschluss vom 3. April 1992 - 2 BvR 283/92).

Der BFH hat jedoch in seinem zur Entfernungspauschale ergangenen Beschluss vom 23.08.2007 - VI B 42/07 offen gelassen, ob er sich der vorgenannten Rechtsprechung, die ein besonderes Interesse an der AdV als erforderlich ansieht, anschließt, da ein überwiegendes öffentliches Interesse im Falle der Entfernungspauschale nicht vorliege. Den Hinweis der Finanzverwaltung auf die Größenordnung der mit der Neuregelung verbundenen Steuermehreinnahmen hielt der BFH nicht geeignet, das öffentliche Interesse als vorrangig zu beurteilen, denn dies würde der Haushaltsvorbehalt jeden (legislativen) Verfassungsverstoß mit genügender finanzieller Breitenwirkung sanktionieren.

Ob diese, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen betreffende BFH-Rechtsprechung übertragbar ist auf Fälle der behaupteten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von nationalen Vorschriften, kann für den Streitfall ebenso dahin stehen wie die Frage, ob eine dem Beschluss zur Entfernungspauschale vergleichbare Situation gegeben wäre, da die haushaltsmäßigen Auswirkungen sowohl im Fall der Nichtanwendung von § 4 Nr. 16 e UStG als auch der zwingenden Organschaft weitaus geringer sind. Deshalb ist nach den allgemeinen Grundsätzen bei der Bejahung ernstlicher Zweifel vorzugehen.

5. Die Aussetzung kann nach den unter 1. dargestellten Grundsätzen im Hinblick auf die Höhe der Steuerforderungen und die wirtschaftliche und finanzielle Lage des ASt nur gegen Sicherheitsleistung erfolgen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Dabei ist nicht zu berücksichtigen, dass die Aussetzung der Vollziehung entgegen dem Antrag nur gegen Sicherheitsleistung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss vom 21.06.2005 - X B 72/05).

7. Die Beschwerde wird zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts (§ 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).



Ende der Entscheidung

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