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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 18.03.2009
Aktenzeichen: 2 K 1682/08
Rechtsgebiete: AO, InsO


Vorschriften:

AO § 226 Abs. 1
InsO § 287 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 2. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. März 2009

durch

den Richter am Finanzgericht Schulz als Berichterstatter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA-) mit einer Insolvenzforderung gegen einen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Einkommensteuererstattungsanspruch des Insolvenzschuldners aufrechnen darf, wenn der Erstattungsanspruch nach Ablauf der sog. "Wohlverhaltensphase" fällig wird und die Aufrechnung vor Erteilung der Restschuldbefreiung erklärt wird.

Mit Beschluss vom 28. Mai 2002 eröffnete das Amtsgericht H. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Im Rahmen des Schlusstermins wurde am 12. August 2003 u.a. die Einstellung des Insolvenzverfahrens beschlossen und gem. § 291 Insolvenzordnung (InsO) angekündigt, dass der Kläger Restschuldbefreiung erlangt, wenn er innerhalb der in § 287 Abs. 2 InsO bestimmten Laufzeit von 6 Jahren seinen Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt. Ferner wurde bestimmt, dass die Abtretungserklärungen wegen der pfändbaren Bezüge des Klägers auf den bestellten Treuhänder übergehen. Die Laufzeit der Abtretungserklärung betreffend die pfändbaren Bezüge des Klägers im Sinne des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO (Wohlverhaltensphase) endete am 28. Mai 2008.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2008 setzte das FA die Einkommensteuer des Klägers für 2007 auf 0 EUR fest. Da der Arbeitgeber des Klägers Lohnsteuer in Höhe von 260 EUR einbehalten hatte, kam es zu einem Guthaben in entsprechender Höhe, welches das FA mit Einkommensteuer 1995 (Insolvenzforderung) verrechnete. Auf Antrag des Klägers erließ das FA am 8. Oktober 2008 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, der Bundesfinanzhof -BFH- habe mit Urteil vom 21. November 2006 VII R 1/06 (BStBl II 2008, 272) entschieden, dass eine Aufrechnung nur innerhalb der Wohlverhaltensphase zulässig sei. Die "außerhalb des Restschuldbefreiungsverfahrens" erfolgte Aufrechnung sei daher unzulässig.

Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 12. November 2008 zurück. Zur Begründung führte es aus, nach der Insolvenzordnung trete der Schuldner für die Dauer der Wohlverhaltsphase seine pfändbaren Bezüge aus einem Dienstverhältnis an den Treuhänder ab. Nach Ablauf der Wohlverhaltensphase ende die Bindung des Schuldners. Die pfändbaren Bezüge gingen nicht länger auf den Treuhänder über und der Schuldner brauche auch nicht länger die Obliegenheiten gem. § 295 InsO erfüllen. In der Zeit zwischen dem Ende der Laufzeit der Wohlverhaltensphase und der Erteilung der Restschuldbefreiung bleibe die Beschränkung der Gläubigerrechte bestehen, wie sei während der Wohlverhaltensperiode geregelt seien. Dies entspreche der Zielsetzung der Insolvenzordnung, wonach die Gläubiger nicht in das Schuldnervermögen vollstrecken könnten. Von seinen nicht erfüllten Verbindlichkeiten werde der Schuldner aber erst durch den Beschluss des Insolvenzgerichts frei. Die Aufrechnung sei daher möglich gewesen.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger ergänzend vor, die Aufrechnung außerhalb der Wohlverhaltensphase verstoße gegen den Wortlaut des § 287 Abs. 2 InsO und gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 13. Juli 2006 IX ZB 117/04 (NJW-RR 2006, 1554). Die Abtretungserklärung des Klägers könne keinesfalls so ausgelegt werden, dass diese auch über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus gehe. Auch der BFH habe in seinem Urteil vom 21. November 2006 VII R 66/05 (BFH/NV 2007, 1066) die Aufrechnung nur während der Wohlverhaltensphase zugelassen. Diese habe am 28. Mai 2008 geendet. Bereits am 12. August 2003 habe das zuständige Insolvenzgericht die Erlangung der Restschuldbefreiung angekündigt. Eine sofortige Restschuldbefreiung sei verfahrensrechtlich jedoch nicht möglich, da die Insolvenzgläubiger zunächst angehört werden müssten.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Abrechnungsbescheides vom 8. Oktober 2008 und des hierzu ergangenen Einspruchsbescheides vom 12. November 2008 einen Erstattungsbetrag wegen Einkommensteuer 2007 in Höhe von 260 EUR festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist das FA auf seinen Einspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, dass zwischen dem Ablauf der Wohlverhaltensphase und dem Eintritt der Restschuldbefreiung aufgrund der Veröffentlichung des Beschlusses nach § 300 Abs. 3 InsO noch nicht festgestanden habe, ob Restschuldbefreiung erteilt werde. Die Aufrechnung sei daher zulässig gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet; der Abrechnungsbescheid vom 8. Oktober 2008 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Das FA durfte mit seiner Gegenforderung gegen die Forderung des Klägers aus der Einkommensteuerfestsetzung 2007 aufrechnen. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung des FA gegen einen Steuererstattungsanspruch des Klägers gem. § 226 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) liegen vor. Dies ist unstreitig und bedarf daher keiner weiteren Ausführung.

Der Aufrechnung steht § 294 Abs. 3 InsO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann das FA gegen Forderung aus Bezügen, die während der Wohlverhaltensphase an den Treuhänder abgetreten sind, nicht aufrechnen. Es ist jedoch höchstrichterlich geklärt, dass es sich bei überzahlter Lohnsteuer nicht um laufende Bezüge aus einem Dienstverhältnis handelt (Urteil des BGH vom 21. Juli 2005 IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391; Urteile des BFH vom 21. November 2006 VII R 1/06, BStBl II 2008, 272 und VII R 66/05, BFH/NV 2007, 1066).

Eine weitere Beschränkung der Aufrechnung ist nicht ersichtlich. Die Aufrechnungslage bestand bis Erteilung der Restschuldbefreiung am 4. Dezember 2008 fort. Die Ankündigung des Insolvenzgerichts gem. § 291 Abs. 1 InsO vom 12. August 2003, der Kläger erlange nach Ablauf der Wohlverhaltensphase Restschuldbefreiung, wenn er seine Obliegenheiten erfülle, hat nicht zur Restschuldbefreiung am 28. Mai 2008 geführt. Restschuldbefreiung tritt erst mit Rechtskraft der stattgebenden Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung ein (MünchKommInsO-Stephan § 300 Rz. 6 und Rz. 37; so wohl auch Vallender in Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 300 Rz. 29 a.E.). Erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses über die Erteilung der Restschuldbefreiung können die unbefriedigt gebliebenen Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nicht mehr durchsetzen. Das FA hat die Aufrechnung aber vor diesem Zeitpunkt erklärt.

Dieses Ergebnis steht im Übrigen im Einklang mit der Regelung des § 294 Abs. 1 InsO. Danach ist die Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit der Abtretungserklärung unzulässig. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wäre im vorliegenden Fall die Zwangsvollstreckung ab dem 28. Mai 2008 wieder zulässig gewesen. Nach einhelliger Meinung endet das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nicht bereits mit Ablauf der Wohlverhaltensphase, sondern erstreckt sich bis zur Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung oder ihrer Versagung (MünchKommInsO-Ehricke § 294 Rz. 12; Vallender in Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 294 Rz. 12). Hierdurch wird der während der Laufzeit der Abtretungserklärung bestehende "Status quo" bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung verlängert. Gleiches gilt für die von der Abtretungserklärung erfassten Forderungen. Mit dem Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung stehen diese zwar dem Schuldner wieder zu, Inhaber der Forderungen wird der Schuldner aber erst mit Rechtskraft der stattgebenden Entscheidung über die Restschuldbefreiung (Vallender in Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 301 Rz. 28). Wird aber der während der Laufzeit der Abtretungserklärung bestehende "Status quo" bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Restschuldbefreiung verlängert, kann das FA die Aufrechnung nicht nur während der Laufzeit der Abtretungserklärung aufrechnen, sondern auch drüber hinaus, und zwar bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung.

Der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen den Wortlaut des § 287 Abs. 2 InsO ist nicht erkennbar. Diese Vorschrift regelt lediglich, welche Unterlagen dem Antrag auf Restschuldbefreiung beizulegen sind.

Die vom Kläger zitierten Entscheidungen bestätigen nicht dessen Rechtsauffassung. In den beiden vom Kläger zitierten Entscheidungen des BFH ging es (ausschließlich) um die Frage, ob Steuererstattungsansprüche zu den an den Treuhänder abgetretenen Forderungen gehören. Dies hat der BFH in den beiden Entscheidungen jedoch verneint. Keiner der beiden Entscheidungen kann entnommen werden, dass die Aufrechnung nur während der Laufzeit der Abtretungserklärung der an den Treuhänder abgetretenen Forderungen zulässig sei. Soweit der Kläger im Einspruchsverfahren argumentiert hat, die Aufrechnung sei "außerhalb des Restschuldbefreiungsverfahrens" erfolgt, verkennt der Kläger, dass dieses Verfahren erst mit der Entscheidung über seinen Antrag auf Restschuldbefreiung, mithin erst mit Rechtskraft des Beschlusses vom 4. Dezember 2008 abgeschlossen wurde. Teil des Restschuldbefreiungsverfahrens ist nach § 300 Abs. 1 die Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Schuldners und des Treuhänders, ob der Insolvenzschuldner die ihn treffenden Obliegenheiten erfüllt hat.

Die Relevanz der vom Kläger zitierten Entscheidung des BGH für den Streitfall ist nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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