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Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: 3 K 2263/03
Rechtsgebiete: BGB, EWGRL 388/77, UStG 1993
Vorschriften:
UStG 1993 § 10 Abs. 1 S. 2 | |
UStG 1993 § 10 Abs. 1 S. 1 | |
UStG 1993 § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 | |
EWGRL 388/77 Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a | |
BGB § 812 Abs. 1 |
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
wegen Umsatzsteuer 1994
hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Schurwanz, den Richter am Finanzgericht Burckgard, den Richter am Finanzgericht Kerber, die ehrenamtliche Richterin ... den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Über- bzw. Doppelzahlungen.
Die Klägerin handelt mit Nahrungs- und Genussmitteln. Sie ermittelt ihrem Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich und versteuert ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten.
Im 2. Halbjahr 1990 und im Jahr 1991 kam es zu Über- bzw. Doppelzahlungen von Kunden, die sich bis Ende des Jahres 1991 auf insgesamt 84.884,87 DM beliefen. Hiervon wurden im Jahr 1993 26.623,58 DM zurückgezahlt. Die Klägerin hatte die Zahlungen umsatzsteuerneutral als Verbindlichkeiten verbucht. Im Streitjahr 1994 buchte sie die noch bestehende Verbindlichkeit von 58.260,89 DM in voller Höhe erfolgswirksam aus.
Bei einer im Jahr 1997 durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin diesen Sachverhalt ohne umsatzsteuerliche Auswirkungen belassen hatte. Der Prüfer meinte, die Klägerin habe auf der Grundlage von § 17 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eine Korrektur der Versteuern vornehmen müssen; die Umsatzsteuer des Jahres 1994 sei um die aus dem Betrag von 58.260,89 DM herauszurechnende Umsatzsteuer zu erhöhen. Da die Zahlungen aus den Jahren 1990 bzw. 1991 stammten, sei hierbei von einem Steuersatz von 14 v.H. auszugehen, was eine Steuer von 7.155,00 DM ergebe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tz. 12 des Betriebsprüfungsberichtes verwiesen.
In Auswertung der Prüfungsfeststellungen änderte der Beklagte mit Bescheid vom 09. Juni 2000 die bisher unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 1994. Er setzte die Umsatzsteuer um 7.154,80 DM erhöht auf 100.073,00 DM fest.
Die Klägerin legte hiergegen am 07. Juli 2000 Einspruch ein. Tz. 12 des Prüfungsberichtes sei nicht nachvollziehbar; Kundenüberzahlungen könnten nicht zu einer Korrektur der Vorsteuern führen. Es handele sich um Doppelzahlungen, die nicht steuerbar seien, denn die Leistung der Klägerin sei bereits mit der ersten Zahlung beglichen worden. Die Überzahlungen seien ohne Umsatzsteuer als Verbindlichkeiten ein- und auch ausgebucht worden, so dass eine Vorsteuerkorrektur nicht gerechtfertigt sei.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 18. November 2003 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 22. Dezember 2003 Klage erhoben. Sie hat zunächst die Auffassung vertreten, dass die Doppelzahlungen kein Entgelt für die von der Klägerin erbrachten Leistungen darstellen. Später hat sie ihre Rechtsauffassung dahingehend geändert, dass man wohl von Entgelt ausgehen müsse, die Umsatzsteuer hierfür jedoch im Jahr 1990 und nicht im Streitjahr entstanden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 09. Juni 2000 über Umsatzsteuer 1994 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18. November 2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner bisherigen Auffassung fest.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Doppel- bzw. Überzahlungen der Kunden der Klägerin zum Entgelt i. S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die ihnen erbrachten Leistungen gehören.
Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen nach dem Entgelt bemessen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG). Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Damit übereinstimmend ist nach Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (6. RLEWG) Besteuerungsgrundlage bei entgeltlichen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Dienstleistende für diese Umsätze vom Dienstleistungsempfänger erhält oder erhalten soll. Besteuerungsgrundlage im Sinne dieser Bestimmung ist die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung (vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 23. November 1988 Rs. 230/87, Slg. 1988, 6365, Rdnr. 16; vom 27. März 1990 Rs. C-126/88, Slg. 1990, I-1235, Rdnr. 19; vom 5. Mai 1994 Rs. C-38/93, Slg. 1994, I-1679, BStBl II 1994, 548, Rdnr. 8, und vom 2. Juni 1994 Rs. C-33/93, Slg. 1994, I-2329, Rdnr. 18).
Über den vertraglich vereinbarten Preis hinausgehende Aufwendungen (Mehraufwendungen) des Leistungsempfängers gehören dann i. S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG zum Entgelt für eine Leistung, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem der Leistung zugruneliegenden erbracht werden (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1995 XI R 16/95, BFHE 179, 465, BStBl II 1996, 208, m.w.N.; Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2001 1 K 1489/00, DStRE 2002, 242).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, denn die Kunden der Klägerin haben die im Streit befindlichen Zahlungen allein deshalb erbracht, um ihre Gegenleistung für die von der Klägerin erhaltenen Leistungen zu bewirken; ein anderer Zuwendungsgrund scheidet aus. Unerheblich ist, welche Gegenleistung die Klägerin erwartete, denn § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG bestimmt den Umfang des Entgelts aus der Sicht des Leistungsempfängers (vgl. BFH-Urteile vom 16. März 2000 V R 16/99, BFHE 191, 93, BStBl 2000, 360; vom 28. Januar 1988 V R 112/86, BFHE 152, 360, BStBl II 1988, 473, unter II.2.; vom 06. Oktober 1988 V R 124/83, BFH/NV 1989, 469, unter 1 b.).
2. Der Beklagte hat die Über- bzw. Doppelzahlungen zu Recht im Jahr 1994 der Umsatzsteuer unterworfen. Die Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist zutreffend erfolgt.
a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG hat im Falle der Änderung der Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag entsprechend zu berichtigen. Nach Satz 3 der Vorschrift ist die Berichtigung für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.
b) Die Klägerin hatte im 2. Halbjahr 1990 bzw. im Jahr 1991 richtigerweise nur die von ihren Leistungsempfängem vertraglich geschuldeten Entgelte der Umsatzsteuer unterworfen.
Maßgebend für die Höhe des Entgelts als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer, die mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes entstand, in dem die Leistungen ausgeführt wurden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a i. V. mit § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) war zunächst die vereinbarte Gegenleistung (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2003 V R 72/01, BFHE 201, 335, BStBl II 2003, 620, unter II. 1. a). Die Bemessungsgrundlage erhöhte sich mit umsatzsteuerlicher Wirkung für die jeweilige Leistung, als die Leistungsempfänger die Doppel- bzw. Überzahlungen leisteten, denn hierbei handelt es sich wie oben ausgeführt um Entgelt i. S. des § 10 Abs. 1 UStG. Diese Erhöhung ist jedoch nicht schon bereits im Besteuerungszeitraum der Zahlung zu berücksichtigen sondern erst im Streitjahr.
aa) Da die Ausführung der Leistung und die Doppel- bzw. Überzahlungen innerhalb desselben Besteuerungszeitraumes (Kalenderjahres) stattfanden, fällt die Frage, ob bereits durch die Zahlungen selbst eine Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist, nicht in den Anwendungsbereich des § 17 UStG (vgl. Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 17 Rz. 10). Ob eine Erhöhung des Entgelts vorliegt, ist allerdings nach denselben Grundsätzen zu beantworten, die im Rahmen des § 17 UStG gelten.
Für die Vereinbarung einer Minderung der Gegenleistung hat der BFH entschieden, dass sie jedenfalls dann im Besteuerungszeitraum ihres Abschlusses den Umfang des Entgelts mindert, wenn sie wirksam und ernsthaft vereinbart worden ist (BFH-Urteil vom 30. November 1995 V R 57/94 BFHE 179, 453, BStBl II 1996, 206). Der EuGH (Urteil vom 29. Mai 2001 C-86/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2001, 815, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 2001, 349) hat für Recht erkannt, dass Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b und Teil C Absatz 1 der 6. RLEWG dahin auszulegen sei, dass die Besteuerungsgrundlage für die Lieferung von Waren, die ein Kunde aus einem Versandhauskatalog für seinen Eigengebrauch bestellt, im vollen Katalogpreis der dem Kunden verkauften Waren bestehe, auch wenn der Lieferer dem Kunden einen Rabatt auf den Katalogpreis gewährt, der dem Kunden bei Zahlung der Raten an den Lieferer auf einem gesonderten Konto gutgeschrieben wird und den er sich sofort auszahlen lassen oder über den er sofort in anderer Weise verfügen kann; von dem Katalogpreis sei der genannte Rabatt abzuziehen, sobald der Kunde ihn sich auszahlen lässt oder in anderer Weise darüber verfügt. Der EuGH stellt darauf ab, dass es mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht im Einklang stehe, wenn die Mehrwertsteuer von Anfang an nach dem Katalogpreis abzüglich der gutzuschreibenden Beträge berechnet werde, denn so erhielte der Lieferant einen Betrag, der einem Teil des die Gegenleistung für die gelieferten Gegenstände darstellenden Kaufpreises entspräche, ohne dass dieser Betrag jedoch Teil der Besteuerungsgrundlage wäre.
bb) Der Streitfall unterscheidet sich von den vorstehend dargestellten Fällen dadurch, dass es hier nicht um die Minderung auf ein Entgelt geht, das unter der (ursprünglich) vertraglich geschuldeten Gegenleistung liegt. Die Leistungsempfänger hat vielmehr über den vereinbarten und berechneten Preisen liegende Beträge erhalten. In diesen Fällen gebietet der als systemimmanentes Prinzip zu beachtende Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Über- bzw. Doppelzahlungen erst dann der Umsatzbesteuerung zu unterwerfen sind, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistungsempfänger seinen ihm nach § 812 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zustehenden bereicherungsrechtlichen Anspruch nicht geltend machen wird.
Wie die Klägerin durch ihre Verbuchung der Doppel- bzw. Überzahlungen als Verbindlichkeiten gegenüber ihren Kunden in den Jahren 1990 (2. Halbjahr) und 1991 zum Ausdruck brachte, war seinerzeit mit der ernsthaften Möglichkeit zu rechnen, dass die Über- bzw. Doppelzahlungen zurückgefordert werden. Die Klägerin hat mit ihrer buchmäßigen Behandlung dokumentiert, dass sie die bereicherungsrechtlichen Ansprüche ihrer Kunden offensichtlich als begründet ansah und sie anstandslos erfüllt hätte. In diesen Jahren war folglich nicht damit zu rechnen, dass die Leistungsempfänger ihre bereicherungsrechtlichen Ansprüche nicht geltend machen würden; die Klägerin hat zutreffend nur die vereinbarten und berechneten Entgelte umsatzversteuert.
c) Im Streitjahr 1994 war eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG durchzuführen.
Mit der Ausbuchung der Verbindlichkeiten zum 31. Dezember 1994, hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass mit Ablauf des Jahres 1994 bei objektiver Betrachtung nicht mehr damit zu rechen war, dass ihre Kunden die bis zum diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgezahlten Doppel- bzw. Überzahlungen noch zurückfordern würden; es manifestierte sich, dass die Klägerin die überzahlten Betrag endgültig würde behalten dürfen. Mithin ist zu diesem Zeitpunkt eine Veränderung der Bemessungsgrundlage eingetreten, die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zu einer Berichtigung des für den jeweiligen Umsatz geschuldeten Steuerbetrages führt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Ende der Entscheidung
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