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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 05.08.2009
Aktenzeichen: 4 K 503/08
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 52 Abs. 2
GKG § 63 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 4. Senat -

am 5. August 2009

durch

den Richter am Finanzgericht XY. als Berichterstatter

beschlossen:

Tenor:

Die Festsetzung des Streitwertes in dem Beschluss vom 23. Juni 2009 wird dahingehend geändert, dass der Streitwert für das Verfahren 2.032,80 Euro beträgt.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 06. Dezember 2005 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für ein Kind mit Wirkung ab Januar 2006 auf. Die Beklagte ließ den dagegen gerichteten, fristgerecht erhobenen Einspruch zunächst unbeantwortet. Der Kläger erhob am 14. Februar 2008 bei dem Sozialgericht S. Untätigkeitsklage, die das Sozialgericht S. mit Beschluss vom 03. März 2008 an das Finanzgericht verwiesen hat. Im Rahmen dieser Klage wurde ein Klageantrag nicht ausdrücklich formuliert bzw. angekündigt. Zur Klagebegründung schilderte der Kläger den Ablauf des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens und die von ihm unternommenen Bemühungen, das Einspruchsverfahren voranzutreiben. Im Verlaufe des finanzgerichtlichen Verfahrens half die Beklagte dem Begehren zunächst durch Festsetzung des Kindergeldes für das Jahr 2006 ab. Auf Nachfrage des Gerichts, ob im Hinblick auf diese Reaktion der Beklagten eine verfahrensbeendende Prozesserklärung abgegeben werde, teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass dies nicht möglich sei, weil für das Jahr 2007 noch keine Nachzahlung erfolgt sei. In der Folgezeit legte der Kläger die zur Prüfung des für 2007 geltend gemachten Anspruches erforderlichen Erklärungen und Belege vor. Nach entsprechender Prüfung setzte die Beklagte sodann auch Kindergeld für 2007 fest. Danach erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.

Der Berichterstatter bestimmte mit Beschluss vom 23. Juni 2009, dass die Beklagte die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens zu tragen habe, und setzte den Streitwert für das Verfahren auf (24 Monate a 154,00 Euro =) 3.696,00 Euro fest.

Die Beklagte legte dem Gericht mit Schriftsatz vom 08. Juli 2009 dar, dass ihrer Auffassung zufolge entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes lediglich 10 v.H. der letztlich streitigen Summe als Streitwert anzunehmen sei, weil lediglich eine Untätigkeitsklage vorgelegen habe. Der hierzu angehörte Kläger vertritt die Auffassung, dass die Streitwertfestsetzung nicht zu beanstanden sei. Es sei nicht einzusehen, dass das Fehlverhalten der Beklagten durch eine Verminderung des Streitwertes honoriert werde. Abgesehen davon, dass sich die Beklagte zur Begründung ihrer Rüge auf etwa 40 Jahre alte Entscheidungen berufe, werde eine Streitwertreduzierung mutmaßlich Anreizwirkung haben, das bisherige Fehlverhalten - die Untätigkeit - in vergleichbaren Fällen auch weiterhin beizubehalten.

II.

1. Das Gericht wertet die von der Beklagten erhobenen Einwände gegen die erfolgte Festsetzung des Streitwertes als Anregung, den festgesetzten Streitwert von Amts wegen zu ändern.

2. Die Änderung der mit Beschluss vom 23. Juni 2009 vorgenommenen Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Verbindung mit § 79 a Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG kann das Gericht die von ihm getroffene Entscheidung über den Streitwert von Amts wegen ändern. Dabei ist die in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG geregelte Frist - deren Einhaltung im vorliegenden Verfahren zweifelsfrei ist - zu beachten.

Trotz der Formulierung des § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG als "Kann-Bestimmung" handelt es sich nicht um eine Ermessensvorschrift. Angesichts der Obliegenheit des Gerichts, ohne dahingehende Anregung der Beteiligten oder deren förmlichen (Änderungs-) Antrag von Amts wegen tätig zu werden, begründet die Vorschrift die Pflicht des Gerichts, den Streitwertbeschluss zu ändern, wenn er mit der Rechtslage nicht übereinstimmt; das Verbot der Schlechterstellung gilt hier nicht [ OLG Köln, Beschluss vom 13. März 1992 - 13 W 14/92 - VersR 1992, S. 1028; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. März 1990 - 1 S 81/90 - DÖV 1990, S. 937 (938); OLG Koblenz, Beschluss vom 29. Juni 1987 - 14 W 429/87 - AnwBl. 1988, S. 294 (295)]. Gegenstand der "Kann-Regelung" ist insoweit allein die Bestimmung der Zuständigkeit für die vorzunehmende Änderung [ Hartmann, Kostengesetze, 39. Auflage, München 2009, § 63 GKG RdNr. 38]. Entscheidendes Kriterium für die Frage, ob und ggf. in welcher Hinsicht die Festsetzung des Streitwertes zu ändern ist, ist mithin allein die Übereinstimmung des Streitwertes mit der Prozessrechtslage. Die Unrichtigkeit einer Wertfestsetzung berechtigt das Prozessgericht deshalb unter anderem auch dann zur Änderung, wenn sie darauf beruht, dass das Gericht bei der Festsetzung wesentliche Gesichtspunkte übersehen hat oder nach erfolgter Festsetzung neue Gesichtspunkte zutage treten [ Meyer, Gerichtskostengesetz, 8. Auflage, Berlin 2006, § 63 RdNr. 36].

3. Nach dem Inhalt der Gerichtsakten und dem Vorbringen der Beteiligten ist als Streitwert ein Betrag von 2.032,80 Euro anzusetzen.

Gemäß § 52 Abs. 2 GKG ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen, wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist nach § 52 Abs. 3 GKG deren Höhe maßgebend.

Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Regelung ist der Streitwert im Falle einer Untätigkeitsklage mit 10 v.H. des streitigen Steuerbetrages - hier also 10 v.H. des gemäß § 31 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes als Steuervergütung gezahlten Kindergeldes - anzunehmen, wenn die Klage (abweichend vom Inhalt des § 46 Abs. 1 FGO) nur auf das Tätigwerden der beklagten Behörde gerichtet ist [ BFH, Urteil vom 15. November 1962 - IV 70/59 S - BStBl. III 1963, S. 270, Beschluss vom 30. August 1967 - VI B 63/67 - BFHE 90, S. 95 = BStBl. III 1967, S. 786]. Die Verminderung des Streitwertes auf 10 v.H. des letztlich streitigen Betrages rechtfertigt sich in dieser Fallgestaltung daraus, dass das Gericht nicht mit der Prüfung der materiellen Rechtsfragen befasst wird, sondern lediglich dazu angerufen wird, um die Behörde zum Tätigwerden anzuhalten.

Ist die Untätigkeitsklage demgegenüber entsprechend der Ausgestaltung des § 46 Abs. 1 FGO darauf gerichtet, dass das angerufene Finanzgericht selbst in der Sache entscheidet, ist der streitige Steuerbetrag bzw. Kindergeldbetrag in voller Höhe als Streitwert in Ansatz zu bringen [ BFH, Beschluss vom 11. Juni 1987 - III R 92/85 - [...],Beschluss vom 26. April 1972 - VII B 38/70 - BFHE 105, S. 334 = BStBl. II 1972, S. 574 (575),Beschluss vom 19. Februar 1969 - I B 41, 42, 43/68 - BFHE 95, S. 27 = BStBl. II 1969, S. 319 (320),Beschluss vom 25. Januar 1967 - I B 11/66 - BFHE 88, S. 19 = BStBl. III 1967, S. 253].

Die zum Streitwert der Untätigkeitsklage angeführte, mittlerweile über 30 Jahre alte Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof - soweit erkennbar - bislang weder aufgegeben noch geändert [vgl. Ruban, in: Gräber, FGO, 6. Auflage, München 2006, Vor § 135 RdNr. 35 Stichwort "Untätigkeitsklage"; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2009, Vor § 135 FGO RdNr. 261].

a) Von dem dargelegten Maßstab ausgehend, ist in Bezug auf das Kindergeld für das Jahr 2006 als Streitwert 10 v.H. des streitigen Jahresbetrages (1.848,00 Euro) - mithin 184,80 Euro - anzunehmen.

Entscheidend ist insoweit, dass der Kläger mit der im Februar 2008 erhobenen Untätigkeitsklage erkennbar ausschließlich das Ziel verfolgte, die beklagte Familienkasse zum Tätigwerden zu bewegen. Zum einen hat der Kläger für 2006 keinen Sachantrag formuliert, aus dem sich ergeben könnte, dass das angerufene Gericht mit der Sache befasst werden soll. Zum anderen hat er zur Begründung seiner ausdrücklich "Untätigkeitsklage" bezeichneten Klage allein mit einer ausführlichen Schilderung des Verfahrensablaufs und seiner Bemühungen, das Einspruchsverfahren voranzutreiben, begründet. Angaben dazu, ob und in welcher Hinsicht materiell ein Anspruch auf Kindergeld bestehen soll, fehlen in der Klagebegründung, so dass auch hiernach allein der Fortgang des Verfahrens angestrebt wurde. Klagegegenstand ist insoweit ausschließlich der verfahrensrechtliche Anspruch des Klägers auf Bescheidung seines (fristgerecht erhobenen) Einspruchs durch die beklagte Familienkasse.

Das in diesem Sinne ausgelegte Klagebegehren ist im Verlaufe des finanzgerichtlichen Verfahrens weder erweitert noch umgestellt worden, denn die Beklagte hat - ohne dass der Kläger weitere Ausführungen gemacht hätte - bereits kurz nach der Verweisung des Rechtsstreites an das Finanzgericht über den Einspruch des Klägers entschieden und Kindergeld für das Jahr 2006 festgesetzt und ausgezahlt.

Soweit der Kläger dieser Wertung sinngemäß entgegenhält, es sei nicht einzusehen, dass das Fehlverhalten durch eine Verminderung des Streitwertes honoriert werde, verkennt er, dass sich der Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach dem sich aus dem Antrag - bei Fehlen eines ausdrücklich formulierten Antrages hilfsweise nach dem aus dem Vorbringen - des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache bemisst. Die Bedeutung einer auf ein bloßes Tätigwerden der Behörde gerichteten Klage ist naturgemäß deutlich geringer als eine Klage, mit der das Gericht zur Entscheidung über den materiellen Anspruch aufgerufen wird. Daran hat sich im Kern in den vergangenen 40 Jahren nichts geändert. Deshalb ist die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes - obwohl sie entsprechend dem zutreffenden Einwand des Klägers überwiegend bereits über 30 Jahre alt ist - keineswegs überholt. Die in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Wertungen entsprechen vielmehr unverändert der Bedeutung der Sache.

Im Übrigen ist dem genannten Einwand entgegenzuhalten, dass der Kläger mit der Beschränkung seiner Untätigkeitsklage auf das Begehren, die Beklagte zum Tätigwerden zu veranlassen, das Prozesskostenrisiko im beiderseitigen Interesse gering gehalten hat.

Auch die weitergehende Vermutung des Klägers, dass eine Streitwertreduzierung für Behörden mutmaßlich eine Anreizwirkung habe, das bisherige Fehlverhalten - die Untätigkeit - in vergleichbaren Fällen auch weiterhin beizubehalten, vermag eine Anhebung des Streitwertes nicht zu rechtfertigen. Dem Kläger ist zwar zuzubilligen, dass die im Streitfall aufgetretenen Verzögerungen bei der Bearbeitung des Einspruchs erheblich und schwer zu erklären sind. Gleichwohl basiert der Einwand des Klägers letztlich auf der Unterstellung, dass die Behörden - insbesondere die Familienkassen - nicht gewillt seien, rechtmäßig zu handeln, ohne dass dafür konkrete Anhaltspunkte ersichtlich wären. Darüber hinaus ist dem Kläger entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist, durch eine Erhöhung des Streitwertes behördliche Fehler zu sanktionieren. Eine dahingehende Befugnis lässt sich im Übrigen auch nicht aus § 52 GKG herleiten.

b) In Bezug auf das Kindergeld für das Jahr 2007 ist demgegenüber als 1.848,00 Euro als Streitwert anzunehmen.

Der Kläger hat zwar auch insoweit einen konkreten Sachantrag nicht formuliert, so dass danach auch für 2007 ein Streitwert in Höhe von 184,80 Euro in Betracht käme. Im Unterschied zu dem Streitjahr 2006 hat der Kläger aber für 2007 durch Vorlage der für die Prüfung des Kindergeldanspruches erforderlichen Erklärungen und Belege und die Erklärung, dass sich der Rechtsstreit insoweit nicht erledigt habe, weil die Beklagte den von ihm verfolgten Kindergeldanspruch für 2007 (noch) nicht erfüllt habe, auch den materiellen Anspruch auf Kindergeld zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht. Gegenstand des Verfahrens der Untätigkeitsklage war mithin nicht nur der Anspruch auf Tätigwerden der Behörde. Der Kläger hat vielmehr auch das Gericht angerufen, selbst in der Sache zu entscheiden. Dies bedeutet indes, dass der gesamte Jahresbetrag des Kindergeldes als Streitwert anzunehmen ist.

Ende der Entscheidung

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