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Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: 4 K 855/07
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 32 Abs. 4 |
In dem Rechtsstreit
...
hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 4. Senat -
ohne mündliche Verhandlung
am 16. Juni 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Görlitz,
den Richter am Finanzgericht Just,
den Richter am Finanzgericht Keilig,
die ehrenamtliche Richterin ... und
den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit Streitgegenstand die Festsetzung von Kindergeld für den Monat März 2007 ist.
Unter Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 10. April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2007 wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für das Kind K. für den Zeitraum August bis Oktober 2006 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten (noch) um die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum August bis Oktober 2006. Streitig ist die Frage, ob der am 19. Juli 1986 geborene Sohn K. bei einer Agentur für Arbeit als Arbeitsuchender im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) gemeldet war.
Soweit zunächst die Kindergeldgewährung des Monats März 2007 streitig war, hat die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2007 zwischenzeitlich Kindergeld gewährt. Der Streitgegenstand Kindergeld März 2007 hat sich erledigt, da die Beklagte dem Begehren der Klägerin entsprochen hat. Das Verfahren war daher insoweit einzustellen.
Mit Antrag vom 31. August 2006 beantragte die Klägerin Kindergeld für ihren Sohn und gab an, dass das Kind bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Eigenbetrieb Kommunale Beschäftigungsagentur Landkreis W. (...) gemeldet sei. Zu den Einkünften erklärte sie, dass das Kind ALG II-Leistungen erhalte. Sie legte des Weiteren eine Ziel-/Eingliederungsvereinbarung vom 26. Juni 2006 zwischen der ... und dem Sohn vor, die die Vermittlung eines Ausbildungsplatzes zur Zielstellung hatte.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2006 bewilligte die ... für die Klägerin und den Sohn vom 01. Juli 2006 bis zum 30. September 2006 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Ausweislich der gespeicherten "Kundenhistorie" der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 107 der Kindergeldakte, Druckdatum des Ausdrucks 24. Oktober 2006) erfolgte der letzte Kontakt zur Berufsberatung am 26. Juli 2006 und wurde der Sohn am 26. Juli 2006 aus der Berufsberatung abgemeldet. Handschriftlich ist auf dem Ausdruck "AV nicht gemeldet" vermerkt.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2006 erbat die Beklagte bei der Klägerin eine Bestätigung der für die Arbeitsvermittlung zuständigen Stelle, dass der Sohn als arbeitsuchend geführt werde.
Mit Bescheid vom 28. November 2006 lehnte die ... Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Klägerin und ihren Sohn ab dem 01. Oktober 2006 wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten ab. Mit weiterem Bescheid vom 28. November 2006 hob die ... den Bewilligungsbescheid vom 05. Juli 2006 (gemeint ist wahrscheinlich 10. Juli 2006) mit Wirkung vom 01. Juli 2006 auf und berechnete das Arbeitslosengeld II / Sozialgeld für den Zeitraum Juli bis September 2006 neu.
Am 30. November 2006 erfolgte sodann für den Sohn die Meldung "Arbeitslosigkeit".
Mit Schreiben vom 15. Januar 2007 und nochmals am 16. Februar 2007 forderte die Beklagte die Klägerin auf, Nachweise über eigenes Bemühen um einen Ausbildungsplatz ab August 2006, Nachweise über die Höhe des Einkommens ab Oktober 2006 und die Bestätigung der Arbeitsvermittlung als arbeitsuchend sowie Eigenbemühungen vorzulegen.
Am 19. März 2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass der Sohn sich ab 16. März 2007 in Arbeit befinde.
Mit Bescheinigung vom 27. März 2007 teilte die ... der Beklagten mit, dass der Sohn vom 24. August 2005 bis zum 30. Juni 2006 als Arbeitsuchender gemeldet war.
Mit Bescheid vom 10. April 2007 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Sohn ab August 2006 auf und forderte überzahltes Kindergeld für August 2006 in Höhe von 154 EUR zurück. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage bewilligte die Beklagte Kindergeld für den Zeitraum November 2006 bis Februar 2007.
Gegen die Bescheide richtete sich der Einspruch vom 19. April 2007, der mit Einspruchsentscheidungen vom 25. Mai 2007 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Beklagte führte aus, dass der Sohn nicht bei einer Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet gewesen sei und ab März 2007 sich in einer nicht geringfügigen Beschäftigung befunden habe.
Am 28. Juni 2007 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie geht davon aus, dass das Kind in dem streitigen Zeitraum bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet gewesen sei, da die ... mit Bescheid vom 10. Juli 2006 für die Monate Juli bis September 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt habe. Durch Aufnahme des Sohnes in diesen Bescheid würden alle aufgeführten Personen als arbeitsuchend gelten. Zudem sei in die Leistungsberechnungen das Kindergeld einbezogen worden. Soweit der Monat Oktober 2006 betroffen sei, sei der Sohn mit Schreiben der ... vom 17. Oktober 2006 aufgefordert worden, ab dem 20. Oktober 2006 an dem Projekt "Mit Elan" teilzunehmen. Damit sei der Sohn gemeldet gewesen, da er andernfalls nicht hätte vermittelt werden können. Dass der Sohn aufgrund Erkrankung nicht an der Maßnahme haben teilnehmen können, ändere nichts an dem Kindergeldanspruch für Oktober 2006.
Weiter habe die Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 14. März 2008 angegeben, dass der Sohn bis zum 26. Juli 2006 bei der Berufsberatung als Ratsuchender gemeldet gewesen, aufgrund fehlender Ausbildungsreife für eine Berufsausbildung jedoch nicht in Frage gekommen sei, so dass das Bewerberangebot abgeschlossen und er an die ... zur Vermittlung einer Arbeitsstelle verwiesen worden sei. Die erneute Arbeitslosmeldung sei am 30. November 2006 erfolgt. Weder die Bundesagentur noch die ... hätten auf die erforderlichen Meldungen aufmerksam gemacht und der Klägerin sei die Unterscheidung zwischen arbeitslos und arbeitsuchend nicht bekannt gewesen. Insoweit meint die Klägerin, dass die Behörden eine Unterstützungs- und Informationspflicht hätten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin von August bis Oktober 2006 Kindergeld für das Kind K. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Kind nicht bei der zuständigen Stelle gemeldet gewesen sei. Dies ergebe sich auch aus den Bescheinigungen der ... vom 27. März 2007 und vom 22. Oktober 2007. Es gebe auch keine Registrierung bei der Berufsberatung und Nachweise über Eigenbemühungen seien nicht vorgelegt worden. Auch habe das Kind nach Angaben der ... nicht im Leistungsbezug gestanden.
Soweit die Klägerin meint, dass die Behörden zur Unterstützung verpflichtet seien, würde ein entsprechender Mangel bei Fehlen der Unterstützung nicht die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen ersetzen.
Das Gericht hat im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 76 Finanzgerichtsordnung (FGO) die ... um Auskunft ersucht. Diese teilte mit Schreiben vom 07. Oktober 2008 mit, dass aufgrund der Neuberechnung des Leistungsbezuges ab Juli 2006 mit Bescheid vom 28. November 2006 kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mehr bestanden habe, so dass sich auch der Sohn nicht mehr im Leistungsbezug befunden habe. Mit Schreiben vom 06. November 2006 teilte die ... sodann mit, dass der Sohn auch nach dem 30. Juni 2006 als Arbeitsuchender hätte geführt werden müssen. Die rückwirkende Aufhebung des Leistungsbezuges sei aufgrund Verstoßes gegen Mitwirkungspflichten der Klägerin erfolgt, so dass erst rückwirkend eine Neuberechnung habe erfolgen können. Aufgrund der Rückwirkung müsse davon ausgegangen werden, dass der Sohn eigentlich als arbeitsuchend geführt worden sei. Aus diesem Grunde sei der Sohn auch nicht darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass er sich arbeitsuchend hätte melden müssen. Wäre die Mitwirkung zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt, wäre der Sohn auch früher abgemeldet worden, es sei denn, der Sohn hätte sich entsprechend selbst gemeldet.
Bezugnehmend auf die Stellungnahme der ... meint die Klägerin, dass der Sohn - unabhängig vom Leistungsbezug - als Arbeitsuchender hätte geführt werden müssen, so dass ein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe. Die ... sei zudem nicht berechtigt oder autorisiert gewesen, die Entscheidung über die Löschung als Arbeitsuchender zu treffen bzw. diese aufzuheben.
Demgegenüber meint die Beklagte, dass mit Wegfall des Leistungsbezuges die Zuständigkeit der ... entfallen sei, so dass diese den Sohn nicht hätte als arbeitsuchend registrieren können. Dies hätte bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit geschehen müssen. Da diese Registrierung fehle, bestehe kein Anspruch auf Kindergeld. Die Meldung bei der Agentur für Arbeit sei zwingende gesetzliche Voraussetzung. Zudem sei zu beachten, dass jede Person einer Bedarfsgemeinschaft ALG II gesondert und eigenständig gemeldet sein müsse. Hieran fehle es soweit der Sohn K. betroffen sei.
Dem Senat hat die von der Beklagten geführte Kindergeldakte vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung übereinstimmend verzichtet haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Entscheidung der Beklagten, Kindergeld für den Streitzeitraum August bis Oktober 2006 nicht zu gewähren, verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn K. für diesen Zeitraum nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG.
Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitssuchender gemeldet ist. Nach Überzeugung des Senats sind die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen im Streitfall erfüllt gewesen.
Im Streitzeitraum war der am 19. Juli 1986 geborene Sohn 20 Jahre alt und stand nicht in einem Beschäftigungsverhältnis.
Die ... hat mit Schriftsatz vom 06. November 2008 angegeben, dass der Sohn sich im Streitzeitraum ursprünglich im Leistungsbezug nach SGB II befunden habe und demnach auch bei ihr gemeldet gewesen sei. Wörtlich führt die ... aus, dass der Sohn "... nach dem 30. Juni 2006 in dem Eigenbetrieb Kommunale Beschaeftigungsagentur des Landkreises als Arbeitssuchender geführt werden musste..." und " Da erst zu einem späteren Zeitpunkt der Leistungsanspruch rückwirkend ab Juli 2006 entfallen ist, muss davon ausgegangen werden, dass Herr O. in dem Eigenbetrieb Kommunale Beschaeftigungsagentur des Landkreises als arbeitssuchend geführt wurde."
Der (nach dem SGB X zulässigerweise) rückwirkende Widerruf des Leistungsbezuges ändert jedoch nichts daran, dass das Kind ursprünglich im Rahmen der familiären Bedarfsgemeinschaft bei der ... gemeldet war. An diesem tatsächlichen Sachverhalt ändert ein späterer Widerruf aufgrund fehlender Mitwirkung oder eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten der Klägerin im Rahmen des Leistungsbezuges nichts. Aufgrund der Rückwirkung des Widerrufes konnte der Sohn auch nicht darüber unterrichtet werden, dass er sich hätte gesondert melden müssen bzw. ist auch nicht die Zuständigkeit der ... für die Meldung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG entfallen. Solange sich der Sohn im Leistungsbezug der familiären Bedarfsgemeinschaft befunden hat, war die ... für ihn zuständig. Die Rückwirkung des Widerrufs kann nicht dazu führen, dass diese Zuständigkeit ebenfalls mit Rückwirkung entfallen ist.
Darüber hinaus hat die ... den Sohn im Oktober in das Projekt "Mit Elan" vermittelt. Auch diese Vermittlung zeigt auf, dass der Sohn bei der ... gemeldet sein musste, da andernfalls eine Vermittlung nicht erfolgt wäre.
Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, dass jedes Mitglied einer familiären Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II sich (noch einmal) gesondert melden müsse, folgt der Senat dem nicht. Dem Senat ist aus verschiedenen anderen Verfahren gerichtsbekannt, dass die Agentur für Arbeit familiäre Bedarfsgemeinschaften im Ganzen betreut und im Rahmen dieser Betreuung für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auch individuelle Leistungen bzw. Vermittlungsbemühungen eingeleitet werden. Es erschließt sich daher nicht, dass für Zwecke des Kindergeldes betroffene Kinder sich noch einmal gesondert bzw. eigenständig bei der Agentur für Arbeit registrieren lassen sollen.
Zudem genügt die Meldung als Arbeitssuchender bei der Agentur für Arbeit. Eigenbemühungen oder Verfügbarkeit brauchen nicht mehr nachgewiesen zu werden, vgl. BFH Urteil vom 20. November 20008 - III R 10/06, BFH/NV 2009, 567. Auf das eigene Bemühen des Kindes zu Erlangung eines Arbeitsplatzes kommt es nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 138 Abs. 2 FGO
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Bislang ist nicht ersichtlich, dass die Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt wurden, ob das rückwirkende Entfallen des Leistungsbezuges Auswirkungen auf das Tatbestandsmerkmal "bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitssuchender gemeldet" hat und ob bei einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II jedes Mitglied einer gesonderten Meldung bei der Agentur für Arbeit bedarf.
Ende der Entscheidung
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