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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: 4 V 1114/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 62
EStG § 22 Nr. 1 S. 2
EStG § 22 Nr. 1 S. 3 a)
EStG § 22 Nr. 1 S. 3 bb)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen-Anhalt

4 V 1114/07

Einkommensteuer 2005

(Aussetzung der Vollziehung)

In dem Verfahren

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 4. Senat -

am 09. Juli 2008

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Görlitz,

den Richter am Finanzgericht Simböck und

den Richter am Finanzgericht Just

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu tragen.

Gründe:

Die Antragsteller sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die im Februar 1957 geborene Ehefrau bezieht seit Juli 1999 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die zum 1. Januar 2001 durch eine Erwerbsminderungsrente abgelöst wurde. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Antragsteller die Anwendung der Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) bb) Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Als Ertragsanteil gaben sie 50% an. Der Antragsgegner setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß fest.

Dagegen legten die Antragsteller Einspruch ein und wiederholten ihren Antrag auf Anwendung der Öffnungsklausel. Die Rente der Antragstellerin beruhe auf freiwilligen Beiträgen, die in mehr als zehn Jahren oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung der ehemaligen DDR von 600 Mark der DDR monatlich bzw. 7.200 Mark der DDR jährlich gezahlt worden seien. Zum Nachweis reichten sie eine Kopie einer Darstellung des Versicherungsverlaufs der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ein. Daraus geht hervor, dass die gesamte Versicherungszeit im Beitrittsgebiet zurückgelegt wurde und in den Jahren 1977 bis 1990 Zeiten und Entgelte enthalten sind, die auf dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) beruhen. Nach einer von den Antragstellern eingereichten Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung sind keine bis zum 31. Dezember 2004 gezahlten Beiträge oberhalb des Höchstbeitrags der Allgemeinen Rentenversicherung (früher: Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten) vorhanden.

Die Antragsteller sind der Ansicht, es verstoße gegen den Gleichheitssatz, soweit im Zusammenhang mit der Öffnungsklausel auf die Beitragsbemessungsgrenze (West) abgestellt werde. Denn kein Rentner der ehemaligen DDR habe Beiträge oberhalb dieser Grenze zahlen können, weil er sie in Mark der DDR und auf der Grundlage des im Vergleich zu den alten Bundesländern wesentlich niedrigeren Lohnniveaus habe entrichten müssen. Bei der Umrechnung der Renten seien gerade wegen der völlig verschiedenen Lohnsysteme besondere Umrechnungsfaktoren verwendet und für die Einbeziehung der über die Höchstgrenzen hinaus gezahlten freiwilligen Beiträge das AAÜG geschaffen worden. Ohne diese freiwilligen Zahlungen wäre die Rente der Antragstellerin heute wesentlich niedriger und wahrscheinlich nicht der Besteuerung unterworfen. Es entspreche deshalb durchaus der Intention des Gesetzgebers, diese Renten genauso zu behandeln wie Renten von berufsständischen Versorgungswerken.

Der Antragsgegner wies den Einspruch zurück. Für die Prüfung, ob Beiträge oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags gezahlt worden seien, sei auf den im Jahr der jeweiligen Zahlung geltenden Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter (West) abzustellen. Dass die Rentenzahlungen der Antragstellerin diese Voraussetzung erfüllten, hätten die Antragsteller nicht nachgewiesen. Dazu hätten sie eine entsprechende Bescheinigung des Versorgungsträgers vorlegen müssen. Der vorgelegten Bescheinigung sei im Gegenteil zu entnehmen, dass die Antragstellerin in der Zeit bis zum 31. Dezember 2004 keine derartigen Beiträge gezahlt habe.

Dagegen haben die Antragsteller zum Aktenzeichen 4 K 1032/07 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist, und im vorliegenden Verfahren die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides beantragt, nachdem der Antragsgegner einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 5. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2007 i.H.v. 474 EUR auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält an seiner im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

a) Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn die Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Auflage 2006, Rdnr. 86 zu § 69). Da durch die Aussetzung der Vollziehung dem Antragsteller nur ein vorläufiger Rechtsschutz zu Teil werden soll, beschränkt sich das Verfahren auf eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage und die Verwertung der dem Gericht vorliegenden Beweismittel. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind ferner die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu berücksichtigen (Koch, a.a.O. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Derartige Zweifel bestehen im Streitfall nicht.

Der Antragsgegner hat die Anwendung der Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) bb) Satz 2 EStG auf die Rente der Antragstellerin zu Recht abgelehnt. Durch diese Vorschrift werden nur Renten begünstigt, die auf Beiträgen beruhen, welche innerhalb von mindestens zehn Jahren oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Zwar beruht die von der Antragstellerin bezogene Rente auf von ihr bis zum 31. Dezember 2004 geleisteten Beiträgen, welche innerhalb von mehr als zehn Jahren oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung der ehemaligen DDR gezahlt wurden. Dies ergibt sich aus dem von den Antragstellern vorgelegten Verlauf der Rentenversicherung der Antragstellerin, dass ihr in den Jahren 1978 bis 1981 und 1983 bis 1990 Entgelte angerechnet wurden, die oberhalb dieser Grenze von 7.200 Mark der DDR jährlich lagen. Dies genügt für eine Anwendung der Öffnungsklausel im Streitfall gleichwohl nicht.

§ 22 Nr. 1 Satz 3 a) bb) Satz 2 EStG bezieht sich - auch wenn dies aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht klar ersichtlich ist - auf bestimmte Leistungen der Basisversorgung, die ab dem Veranlagungszeitraum 2005 grundsätzlich der sogenannten nachgelagerten Besteuerung unterliegen. Im Gesetzgebungsverfahren waren nämlich Bedenken aufgetreten, sämtliche Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und den berufsständischen Versorgungswerken ausnahmslos und auf dieselbe Art den Übergangsregelungen zur nachgelagerten Besteuerung zu unterwerfen, weil dies in besonderen Konstellationen zu einer verfassungswidrigen Zweifachbesteuerung hätte führen können.

Hintergrund der Regelung ist, dass der Gesetzgeber in der Übergangsphase zur vollständigen nachgelagerten Rentenbesteuerung bei allen Steuerpflichtigen grundsätzlich von denselben Prozentsätzen zur Ermittlung der Besteuerungsanteile ausgegangen ist, obwohl die steuerliche Behandlung der Beiträge in der Erwerbsphase bei Arbeitnehmern und Selbständigen in der Vergangenheit vollkommen unterschiedlich ausgestaltet war.

Arbeitnehmer erhielten in der Erwerbsphase einen nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreien Arbeitgeber-Anteil. Außerdem beruhen die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung in hohem Maße auf staatlichen Subventionen, die in der Ansparphase zu keiner steuerlichen Belastung beim Arbeitnehmer geführt haben. Selbständige, die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder einem berufsständischen Versorgungswerk erhalten, mussten die vollen Beiträge dagegen selbst aufbringen und konnten sie nur im Rahmen des Sonderausgabenabzugs steuerlich geltend machen. Der Vorwegabzug (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F.) stellte dafür häufig keinen Ausgleich dar, weil er durch Kürzungstatbestände beim zusammenveranlagten Ehegatten aufgezehrt wurde und damit faktisch nicht zur Verfügung stand. Außerdem zahlen Selbständige nicht selten Beiträge oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung. Damit blieben Beiträge Selbständiger unter bestimmten Umständen in erheblich geringerem Umfang steuerlich unbelastet als bei Arbeitnehmern (vgl. Bundestags-Drucksache 15/2563, S. 8 und 15/3004, S. 12, Risthaus in Hermann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG und KStG, Rdnr. 311 zu § 22 EStG).

Allein dieser in der Vergangenheit eingetretenen ungleichen steuerlichen Belastung soll durch die Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) bb) Satz 2 EStG Rechnung getragen werden. Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner die Prüfung, ob die Rente der Antragstellerin auf Beiträgen beruht, welche oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden, anhand der Beitragsbemessungsgrenze (West) vorgenommen hat (so auch BMF-Schreiben vom 30.01.2008, BStBl. I 2008, 390, Rdnr. 136) und nicht anhand der Bemessungsgrenze (Ost), wie es die Antragsteller generell für richtig halten.

Die Antragsteller haben nicht dargelegt, dass sie durch die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze (West) in nicht gerechtfertigter Weise gegenüber Steuerpflichtigen aus den alten Bundesländern benachteiligt werden. Dafür genügt es nicht, wenn sie - formal zutreffend - darauf verweisen, dass sie - wie alle anderen Steuerpflichtigen, die in der Vergangenheit in den neuen Bundesländern gelebt haben - von vornherein nicht in der Lage sind, Beiträge oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze (West) nachzuweisen, weil sie nach dem damaligen Rentensystem der DDR Beiträge oberhalb dieser Grenze gar nicht zahlen konnten. Nicht jede Ungleichbehandlung ist aber ungerechtfertigt und verstößt deshalb gegen die Verfassung.

Ein Verfassungsverstoß liegt vielmehr nur dann vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird, die Ungleichbehandlung also ohne ausreichenden sachlichen Grund erfolgt. (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Rdnr. 45 ff. zu § 3 AO m.w.N.).

Ein solcher sachlicher Grund liegt hier jedoch vor. Wie bereits ausgeführt, dient die Öffnungsklausel lediglich der Vermeidung einer durch den Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung ungerechtfertigterweise verursachten Zweifachbesteuerung. Es handelt sich mithin nicht um eine bloße Steuervergünstigung, die allen Steuerpflichtigen gleichermaßen zu gewähren wäre, sondern lediglich um die Vermeidung einer ungerechtfertigten steuerlichen Belastung einer bestimmten Personengruppe. Dass dieser Gruppe voraussichtlich nur Steuerpflichtige angehören werden, die während ihrer aktiven Erwerbstätigkeit in den alten Bundesländern gelebt haben, verstößt mithin nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung. Denn es geht nicht um die Gleichbehandlung von Steuerpflichtigen aus den alten und den neuen Ländern, sondern um die Vermeidung einer ungerechtfertigen doppelten steuerlichen Belastung, die durch den Wechsel im System der Rentenbesteuerung zu nachgelagerten Besteuerung wohl allein bei Steuerpflichtigen aus den alten Bundesländern auftreten kann.

Es ist nämlich nicht erkennbar, ja es erscheint bei summarischer Betrachtungsweise angesichts der unterschiedlichen Systeme der sozialen Sicherung und der Besteuerung von Arbeitseinkommen in den alten Bundesländern und in der ehemaligen DDR geradezu ausgeschlossen, dass eine solche doppelte steuerliche Belastung bei Renten auftreten könnte, die auf Beitragszahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung der ehemaligen DDR beruhen. Die Antragsteller haben weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen, dass für den Streitfall etwas anderes gelten könnte. Dazu hätten sie insbesondere die Höhe der steuerlichen Belastung des versicherungspflichtigen Erwerbseinkommens der Antragstellerin in der ehemaligen DDR im Einzelnen darlegen müssen.

b) Auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nicht in Betracht. Die Vollziehung eines Bescheides kann nicht allein deshalb ausgesetzt werden, weil seine Vollziehung allgemein eine Härte für den Steuerpflichtigen darstellt. Vielmehr müsste gerade die Vollziehung des Bescheides vor seiner Unanfechtbarkeit unbillig sein, weil aus der sofortigen Vollziehung dem Steuerpflichtigen z.B. wirtschaftliche Nachteile drohten, die über die Vollziehung des Bescheids durch Zahlung des geforderten Steuerbetrags hinausgingen und nicht oder nur schwer wieder gutzumachen wären oder sogar zu einer Existenzgefährdung führen würden (vgl. z.B. Beschlüsse des BFH vom 19.04.1968 IV B 3/66, BStBl. II 1968, 538, und vom 03.12.1968 II B 39/68, BStBl. II 1969, S. 170). Solche Umstände sind aber weder aus den Akten ersichtlich noch vorgetragen worden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, da die Beschwerde nicht zugelassen worden ist (§ 128 Abs. 3 FGO).



Ende der Entscheidung

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