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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 05.03.2009
Aktenzeichen: 5 K 861/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 5. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 5. März 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Schurwanz,

die Richterin am Finanzgericht Dr. Waterkamp-Faupel,

den Richter am Finanzgericht Simböck,

den ehrenamtlichen Richter ... und

den ehrenamtlichen Richter ...

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1997 vom 09.12.2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 17.05.2005 wird dahingehend geändert, dass der Ansatz eines Spekulationsgewinns aus Grundstücksgeschäften in Höhe von 370.970,00 DM unterbleibt.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird Vollstreckungsnachlass gegen Sicherheitsleistung gewährt, es sei denn, die Klägerin leistet zuvor Sicherheit in gleicher Höhe.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin im Streitjahr 1997 einen Spekulationsgewinn gemäß § 23 EStG zu versteuern hat.

Die Klägerin ist Erbin nach dem Agrarindustriellen C. W. Dieser gehörte dem Widerstandskreis des 20. Juli um K. G. an. Er wurde verraten. Der Volksgerichtshof hatte ihn zum Tode verurteilt und den Vermögenseinzug verfügt. Das Urteil wurde vollstreckt. Das Vermögen des C. W. wie auch seiner Ehefrau wurde eingezogen.

Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ... (im folgenden LaRoV) hatte mit Grundlagenbescheid aus dem Jahre 1991 die Berechtigung der Klägerin gemäß § 1 Absatz 6 Vermögensgesetz festgestellt.

Das Vermögen war nach der sowjetischen Besetzung, soweit es die landwirtschaftlichen Vermögenswerte betraf, in den Bodenfonds überführt, im Übrigen gemäß den SMAD-Befehlen der Sowjetischen Besatzungsmacht in Volkseigentum.

Zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen des C. W. gehörte auch die Wirtschaft W. in T., die in den Bodenfonds fiel und aufgesiedelt wurde. Darunter befand sich der Grundbesitz Flur Nr. ..., Flurstücke ... zur Größe von 1,9 ha. Es handelte sich dabei um Ackerland. Dieses Flurstück enthielt den Bodenreformvermerk im Grundbuch. Es war der Frau K. W., geb. am ..., im Jahre 1965 zugeteilt worden. Frau W. war nach Angaben der Klägerin ehemals im Unternehmen des Erblassers C. W. beschäftigt gewesen.

Frau W. verstarb am 17.01.1991. Nach ihrem Testament vom 26.07.1977 hatte sie als unbeschränkte Alleinerbin ihre Tochter G. J., geb. am ..., berufen. Diese wurde im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Der Bodenreformvermerk wurde gelöscht.

Das LaRoV hatte durch Teilbescheid vom 02.09.1994 die Rückübertragung des betreffenden Flurstücks unter Hinweis auf § 4 Absatz 2 Vermögensgesetz abgelehnt, da Frau W. das Bodenreformgrundstück redlich erworben habe. Es hat gemäß § 20 a Vermögensgesetz zu Gunsten der Klägerin auf der betreffenden Liegenschaft ein Vorkaufsrecht eintragen lassen. Zeitgleich mit dem Grundbuchersuchen des LaRoV hinsichtlich des Vorkaufsrechts wurde indes eine Auflassungsvormerkung zu Gunsten des Landes ... ins Grundbuch am 19.11.1995 eingetragen.

Mit notariellem - als Kaufvertrag bezeichneten - Vertrag hat Frau J. die Flurstücke ... und ... der Flur ... an die Klägerin zum Preise von 46.500,- DM veräußert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 12.08.1997 Bezug genommen, Bl. 47 ff Gerichtsakte. Dieser Vertrag wurde während der mündlichen Verhandlung dem Gericht und in Kopie dem Beklagten überreicht.

Mit Vertrag vom 20.11.1997 veräußerte die Klägerin das Flurstück ... für einen Kaufpreis von 392.300,- DM an die neue Betreiberin der Raffinerie ..., die dieses Grundstück für die Durchleitung der Rohölpipeline zu ihrer Raffinerie in L. benötigte.

Die Klägerin ist vermögensverwaltend tätig. Sie hat die Bewirtschaftung der seinerzeitigen W. Flächen einem Agrarunternehmen gegen Pachtzahlungen übertragen.

Anlässlich einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung beurteilten der Prüfer und ihm folgend das Finanzamt das Rechtsgeschäft hinsichtlich der streitbefangenen Fläche als Spekulationsgeschäft im Sinne des § 23 EStG und setzte einen - der Höhe nach unstreitigen - Spekulationsgewinn im Streitjahr 1997 an.

Hier gegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage, mit der die Klägerin vorträgt, dass es sich letztlich um einen Restitutionsakt gehandelt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1997 vom 09.12.2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 17.05.2005 dahingehend zu ändern, dass der Ansatz eines Spekulationsgewinns in Höhe von 370.970,- DM unterbleibt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid und ist der Auffassung, dass es sich im Streitfall, da ein Rechtsgeschäft in der Form eines Kaufvertrages in Ausübung eines Vorkaufsrechts getätigt sei, um einen Anschaffungsvorgang gehandelt habe. Daher sei zwingend ein Spekulationsgewinn anzusetzen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die im Betriebsprüfungs-, Einspruchsverfahren und Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Das Gericht hat die das streitbefangene Flurstück betreffende Restitutionsakte beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg. Der angefochtene Feststellungsbescheid ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

§ 23 EStG setzt einen Anschaffungsvorgang voraus. Nur dieser kann einen Spekulationsgewinn ergeben, wenn nachfolgend eine Veräußerung innerhalb der gesetzlichen Frist erfolgt. An einem solchen mangelt es im Streitfall.

Der Bundesfinanzhof hat, soweit ersichtlich zuletzt mit Urteil vom 22.02.2006 I R 61/04, BFH / NV 2006 Seite 1007 entschieden, dass Rückübertragungen nach dem Vermögensgesetz keine Anschaffungen begründen. Weiterhin hat der BFH mit Urteil vom 18.08.2004 II R 43/02, BFH/NV 2005 Seite 242 erkannt, dass innerhalb eines Restitutionsverfahrens Grundstückserwerbe durch den Berechtigten einer Restitutionsentscheidung durch die zuständige Behörde gleichzustellen sei. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtssprechung an und verweist zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf diese Entscheidungen a.a.O..

Daraus folgt für den Streitfall, dass der rechtsgeschäftliche Erwerb der streitbefangenen Flurstücke durch die Klägerin einer Restitution gleichzustellen ist. Damit ist im Grundsatz auch keine Anschaffung gegeben.

Als alleinige Frage bleibt mithin, ob das Restitutionsverfahren durch den Ablehnungsbescheid des LaRoV abgeschlossen war. Dies ist nach Auffassung des Senats mitnichten der Fall. Denn zum Zeitpunkt des "Kaufvertrages" zwischen den Beteiligten war die vermögensrechtliche Angelegenheit wieder völlig offen. Denn es war keineswegs so, dass die Verkäuferseite Volleigentümer geworden war. Dies konnte nach Artikel 233 EGBGB nach § 11, 12 nur der Fall sein, wenn sie auch Berechtigte nach den Bestimmungen der Besitzwechselverordnungen nach der DDR vom 07.08.1975, Gesetzblatt der DDR 1975 Seite 629 f , und 08.02.1988, Gesetzblatt der DDR Seite 25 gewesen waren. Dies dürfte schon bei der Frau W. angesichts ihres Alters von 85 Jahren im Jahre 1990 nicht gegeben sein. Die Zuteilungsberechtigung der Frau J. ist demgemäß auch zweifelhaft, aus ihrer Erbenstellung folgt sie nicht, wie sich aus Art. 233 §§ 11, 12 EGBGB ergibt.

Letztlich dürften auch die Zweifel an der eigentumsrechtlichen Befähigung der Frau J. zu dieser Konstellation, wie sie hier vorliegt, geführt haben. Die Käuferin ... wollte mit J. nicht abschließen, weil deren Eigentumsposition ausweislich des Grundbuchvermerks zweifelhaft war. Andererseits war die Berechtigung der Klägerseite festgestellt. Die Seite J. hatte selbst Zweifel, so dass sie an die Klägerin wegen des Verkaufs herangetreten ist. So jedenfalls hat es die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen. Zudem spricht hierfür, dass von einem Vorkaufsfall, wovon das Finanzamt ausgeht, die Rede nicht sein kann. Denn ein solcher setzt ein vorhergehendes Rechtsgeschäft, zu mindestens dessen Anbahnung voraus. Hierfür ergeben die Akten nichts. Ein solcher Vorgang befindet sich auch nicht in den Arbeitsakten der Betriebsprüfung - wie im Übrigen auch nicht der Kaufvertrag mit J. zu dieser Frage etwas hergibt. Bei der Annahme der Ausübung eines Vorkaufsrechts dürfte es sich um eine "Spekulation" des Betriebsprüfers gehandelt haben, der der Beklagte ungeprüft gefolgt ist.

Mit der Eintragung der Auflassungsvormerkung zugunsten des Landes hatte trotz der Ablehnungsentscheidung des LaRoV der Anspruch der Klägerin eine neue Qualität erhalten. Ob damit ein Wiederaufnahmegrund des Verfahrens gegeben war oder aber letztlich ein Dahinwarten der Klägerin abgekürzt worden war: Das Land hätte den Rückübertragungsanspruch der Klägerin nicht vereiteln können. Das Land wäre nie Eigentümer geworden. Insoweit greift der Grundsatz der Restitution zugunsten NS-verfolgter Alteigentümer, dass sich die öffentliche Hand an NS-Unrecht nicht bereichern darf.

Insofern stellt sich das Verfahren zwischen der Klägerin und J. als - durch die zeitlichen Anforderungen der ...Betreiber dringlich gewordene - gütliche Einigung zwischen Berechtigten und Verfügungsberechtigten in Form eines Kaufvertrages dar.

Ein Anschaffungsgeschäft ist in diesem Vorgang mithin nicht zu erkennen. Es handelt sich vielmehr um einen Erwerb nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes.

Die Richtigkeit dieses Ergebnisses erweist eine Kontrollüberlegung. Wäre das Grundstück als Bestandteil eines Betriebsvermögens in einen Betrieb der Klägerin gefallen, so wäre eine Versteuerung der seinerzeit vom 01.07.1990 bis zum Erwerb des Grundstücks im Jahre 1997 angesammelten stillen Reserven unterblieben. Dies ergibt sich nach allgemeiner Auffassung aus § 51 DM-Bilanzgesetz.

Die Kostenentscheidung beruft auf § 135 FGO. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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