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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: 1 K 1195/03
Rechtsgebiete: BGB, GrEStG


Vorschriften:

GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 883
BGB § 888
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 1. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht S. der Richterin am Finanzgericht M. des Richters am Landgericht Dr. T. der ehrenamtlichen Richter H. und M. auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 29. November 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Finanzamt wird verpflichtet, den Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 10. Oktober 2001, die Ablehnungsverfügung vom 6. Juni 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 11. April 2003 aufzuheben.

2. Dem Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin und ihr Ehemann erwarben mit notariellem Vertrag vom 30. April 2001 jeweils einen halben Miteigentumsanteil an dem im Grundbuch des Amtsgerichts Dr., Gemarkung G. Blatt bb, Flurstück Nr. A/1 bezeichneten Grundstück zu einem Kaufpreis von insgesamt 500.000 DM. Zugunsten der Käufer wurde am 11. Juli 2001 eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 10. Oktober 2001 setzte das Finanzamt (FA) die Grunderwerbsteuer gegenüber der Klägerin auf 8.750 DM fest.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 30. November 2001 hoben die Parteien des oben genannten Kaufvertrages diesen auf. Die Parteien erklärten übereinstimmend, dass alle weiteren Ansprüche der Parteien ausgeschlossen seien und auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche verzichtet werde (III. 3 des Vertrages). Die Käufer bewilligten und beantragten die Löschung der zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Auflassungsvormerkung.

Mit weiterem notariell beurkundeten Vertrag vom 30. November 2001 (Bl. 73 ff. GrESt-Akte) kaufte die D.K. GmbH das Grundstück zum Preis von 550.000 DM. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH war der Ehemann der Klägerin, Gesellschafter der GmbH waren der Ehemann der Klägerin zu 52 % und die Klägerin zu 48 %. Nach III. 6. des Vertrages traten die Klägerin und ihr Ehemann der Kaufpreiszahlungsschuld der GmbH bei.

Am 2. Januar 2002 wurde die Auflassungsvormerkung gelöscht.

Mit Bescheid vom 6. Juni 2002 lehnte das FA den Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Steuerfestsetzung ab. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 11. April 2003).

Die Klägerin macht geltend, der ursprüngliche Kaufvertrag sei aufgehoben worden, weil sie und ihr Ehemann keinen Bankkredit erhalten hätten. Die Verkäufer hätten darauf gedrungen, den Kaufvertrag aufzuheben. Der GmbH seien hingegen Mitte 2001 Fördermittel zugesagt worden, mit denen sie den Kaufpreis habe begleichen können. Der Schuldbeitritt der Klägerin und ihres Ehemanns sei als Sicherheit für die Kaufpreisschuld zu sehen. In dem zweiten Vertrag sei ein höherer Kaufpreis vereinbart worden, weil die Verkäufer gemeint hätten, das Grundstück sei nunmehr mehr wert.

Die Klägerin beantragt,

das FA zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. Juni 2002 und der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2003 den Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 10. Oktober 2001 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Ansprach auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids nach § 16 Abs. 1 GrEStG.

1. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird die Steuerfestsetzung auf Antrag u.a. aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist und die Rückgängigmachung durch Vereinbarung innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer stattfindet.

a) Zur Erfüllung des Tatbestandes des § 16 Abs. 1 GrEStG reicht allein die zivilrechtliche (formale) Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Erwerbsvorgang dann rückgängig gemacht, wenn die Vertragspartner vollständig aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen werden, so dass die Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück beseitigt wird und der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung in Bezug auf das Grundstück wiedererlangt (BFH-Urteil vom 19. März 2003 - II R 12/01. BStBl II 2003, 770; BFH-Beschluss vom 17. April 2002 - II B 120/00, BFH/NV 2002, 1170 m.w.N). Der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbes über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits stehen - dem systematischen Verhältnis der Steuertatbestände des § 1 GrEStG zu der gegenläufigen Korrekturvorschrift des § 16 GrEStG entsprechend - in einem sachlichen Zusammenhang (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 770).

b) Eine § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ausschließende Bindung von grunderwerbsteuerrechtlicher Bedeutung kann sich auch aus einer dem Erwerber unabhängig von dem zivilrechtlich beseitigten Anspruch auf Grundstücksübereignung verbliebenen Rechtsposition (Auflassungsvormerkung zugunsten des Erwerbers) ergeben (BFH-Beschluss vom 21. Januar 2005 - II B 165/03; BFH-Urteil in BStBl II 2003, 770). Als der Klägerin verbliebene Rechtsposition kommt die Auflassungsvormerkung in Betracht, die, als der zweite Kaufvertrag geschlossen wurde, noch im Grundbuch eingetragen war. Nach BFH-Beschluss vom 10. Juli 1996 - II B 139/95, BFH/NV 1997, 61 soll die zivilrechtliche Wirkung der Auflassungsvormerkung, nämlich der von ihr erzeugte Schutz des Vormerkungsberechtigten vor rechtsvereitelnden Zwischenverfügungen (§§ 883 Abs. 2, 888 BGB), zur Folge haben, dass der Verkäufer trotz der wieder erlangten (zivilrechtlichen) Verfügungsfreiheit seine ursprüngliche Rechtsposition nicht vollständig wieder zurückerlangt, da bereits der bloße Rechtsschein einer wirksamen Vormerkung (an der es wegen der Vertragsaufhebung fehlt, s. Bassenge in Palandt, BGB, 63. Aufl., § 886 Rz. 4) geeignet sei, die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks faktisch zu beschränken. Solange daher der Antragsteller einer Löschung der zu seinen Gunsten eingetragenen Vormerkung noch nicht zugestimmt hat und der vor Vertragsabschluss bestehende Grundbuchstand nicht wiederhergestellt ist, sei die Rückabwicklung noch nicht vollzogen mit der für die Grunderwerbsteuer beachtlichen Folge, dass weder der festgesetzte Steueranspruch erlischt noch zugunsten des Steuerpflichtigen ein gegenläufiger Anspruch auf seine Aufhebung entsteht (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 61).

c) Jedoch steht eine solche Rechtsposition der Rückgängigmachung nicht entgegen, wenn der Erwerber diese Rechtsposition bei der Weiterveräußerung nicht tatsächlich ausübt oder insoweit im ausschließlichen Interesse eines Dritten handelt (BFH-Beschluss vom 21. Januar 2005 - II B 165/03; BFH-Urteil in BStBl II 2003, 770). Die Klägerin müsste also tatsächlich die Weiterveräußerung an die GmbH beeinflusst haben und dies müsste ihr "als Ausfluss" der ihr verbliebenen Rechtsposition möglich gewesen sein (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2003, 770). Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Verkäufer das Grundstück auf die Initiative der Klägerin hin an die GmbH verkauft haben, reicht dies allein nicht aus. Das Handeln des Erwerbers "im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse" ist für sich allein kein Tatbestandsmerkmal, das die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausschließt. Es indiziert nicht den Fortbestand einer dem Erwerber verbliebenen Möglichkeit zur Verwertung des Grundstücks, sondern setzt eine solche Möglichkeit voraus (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 770). Die (wirtschaftlichen) Interessen der Klägerin und ihres Ehemannes am "faktischen Fortbestand" des ersten Kaufvertrages und an der Weiterveräußerung des Grundstücks an die GmbH (hinter der die Klägerin und ihr Ehemann standen) begründen allein nicht die Annahme, die Klägerin habe aufgrund einer ihr aus dem Erstvertrag verbliebenen Rechtsposition Einfluss auf die Weiterveräußerung des Grundstücks gehabt (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 770). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Verkäufer das Grundstück deswegen an die GmbH verkauft haben, weil sie, solange die Auflassungsvormerkung noch im Grundbuch eingetragen war, einen anderen Käufer nicht finden konnten. Vielmehr gaben alle drei Verkäufer auf Frage des FA an, dass sie auch einen anderen Erwerber als die GmbH hätten suchen können (Bl. 31, 34 f. GrESt-Akte). Der Senat brauchte auch nicht eine der Verkäuferinnen als Zeugin zu vernehmen, da es auf sonstige Umstände, die zur Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags geführt haben, entgegen der Auffassung des FA nicht ankommt.

d) Dass die Klägerin und ihr Ehemann der in dem zweiten Vertrag begründeten Schuld der GmbH beigetreten sind, schließt eine Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht aus. Nach Aufhebung des ersten Kaufvertrages und Verzicht der Verkäufer auf weitere Ansprüche hatten die Verkäufer keinen rechtlichen Anspruch auf einen Schuldbeitritt. Der Schuldbeitritt kann nicht als Fortsetzung der ursprünglichen vertraglichen Bindung angesehen werden, vielmehr waren die Klägerin und ihr Ehemann - wenn auch nur für kurze Zeit - frei von jeglicher vertraglicher Bindung.

e) Aus den vom FA in der Begründung zum Antrag auf mündliche Verhandlung zitierten Entscheidungen (BFH-Beschlüsse vom 14. August 2001 - II B 85/00, BFH/NV 2001, 1605; vom 2. Dezember 1987 - II R 94/85, BFH/NV 1989, 253) ergibt sich nichts anderes. Beide Entscheidungen betreffen Fälle, in denen es um den Rückerwerb des Eigentums an dem veräußerten Grundstück ging (§ 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war zuzulassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Das FG Münster hat in dem Urteil vom 26. Januar 2004 (8 K 2328/01 GrE) in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertreten, als der Senat sie hier vertritt (vgl. Ruban in Gräber, FGO, 5. Aufl., § 115 Rz. 53).

Ende der Entscheidung

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