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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 08.03.2006
Aktenzeichen: 1 K 1882/04
Rechtsgebiete: EStG, SGB XI, GG, GewStG, FGO


Vorschriften:

GewStG § 2 Abs. 1
GewStG § 2 S. 1
GewStG § 2 S. 2
GewStG § 3 Nr. 20 Buchst. d
SGB XI § 71 Abs. 1
SGB XI § 71 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
FGO § 74
EStG § 15 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 1. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht S. der Richterin am Finanzgericht M. des Richters am Verwaltungsgericht T.und der ehrenamtlichen Richter P. und R. auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 8. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin betrieb in der Rechtsform einer GmbH in den Streitjahren 1998, 1999 und 2000 ein Seniorenheim., die mobile Krankenpflege, den Blut- und Organtransport. und den Krankentransport/Rettungsdienst. Der Beklagte (das Finanzamt) setzte gegenüber der Klägerin nach einer Betriebsprüfung (vgl. zu deren Feststellungen den geänderten Prüfungsbericht vom 28. Juli 2003) mit nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Bescheiden am 12. November 2003 den Gewerbesteuermessbetrag 1998 auf 4.240 DM, 1999 auf 6.180 DM und 2000 auf 1.155 DM fest, wobei er die Erträge aus dem Betriebsbereich Krankentransport/Rettungsdienst beim Gewerbeertrag berücksichtigte.

Die Klägerin hat fristgerecht gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1999 und 2000 Einspruch eingelegt, der mit Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2004 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Am 23. Juli 2004 machte die Klägerin geltend, dass sich ihr Einspruch auch gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 1998 gerichtet habe; nur auf Grund eines Tippfehlers seien in diesem Schreiben nur die Bescheide 1999 und 2000 angegriffen worden. Aus dem Sachzusammenhang ergebe sich jedoch, dass auch das Jahr 1998 angegriffen werden sollte. Gleichzeitig beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist und legte Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2005 verworfen wurde.

Am 12. August 2004 hat die Klägerin Klage gegen die Bescheide über den Steuermessbetrag 1998 - 2000 vom 12. November 2003 erhoben. Sie ist der Meinung, dass die Ergebnisse des Betriebsbereichs Krankentransport/Rettungsdienst. von der Gewerbesteuer freigestellt werden müssten. Das Finanzamt habe die Gewerbesteuerpflicht allein auf Grund ihrer Rechtsform angenommen. Doch habe das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. November 1999 entschieden, dass eine allein nach der Rechtsform eines Unternehmers unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung nicht verfassungsgemäß sei. Das Finanzgericht (FG) des Landes Sachsen-Anhalt habe am 19. August 2003 entschieden, dass auch § 2 Abs. 2 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) nach den Grundsätzen des genannten Beschlusses vom 10. November 1999 gegen Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen dürfte. Daher sei allein darauf abzustellen, dass sie - die Klägerin - als zugelassene Mitwirkende im öffentlichen Rettungsdienst die gleiche Tätigkeit ausübe, die gleichen Vertragspartner habe und nach den gleichen Regelungen vergütet werde, wie die Feuerwehren und Hilfsorganisationen, die nicht der Gewerbesteuer unterlägen. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz und nach dem Zweck der steuerlichen Befreiungsvorschrift (Kostenentlastung der Sozialversicherungsträger) sei daher auch für ihren Betriebsbereich Krankentansport/Rettungsdienst Gewerbesteuerfreiheit festzustellen.

Auch dann, wenn man von der Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform ausgehe, sei ihre Tätigkeit unter § 3 Nr. 20 d GewStG einzuordnen. Denn bei einem R.Fz handle es sich um eine "Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme bzw. zur ambulanten Pflege" gemäß § 3 Nr. 20 GewStG. Dass eine ausdrückliche Gewerbesteuerbefreiungsvorschrift für den Transport von kranken und verletzten Personen fehle, könne nur darauf beruhen, dass der Gesetzgeber keinen Regelungsbedarf erkannt habe, weil er davon ausgegangen sei, dass der Rettungsdienst nur von Feuerwehren und Hilfsorganisationen durchgeführt werde.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Änderung der Bescheide über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 1998, 1999 und 2000 vom 12. November 2003 und der Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2004 den Gewerbesteuermessbetrag 1998 auf 315 EUR und den Gewerbesteuermessbetrag 1999 und 2000 auf jeweils 0 festzusetzen,

2. festzustellen, dass das Ergebnis des Betriebsbereichs Kr./R.D. nicht der Gewerbesteuer unterliegt.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen verweist der Senat auf die eingereichten Schriftsätze und das protokollierte Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 8. März 2006.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Die Feststellungsklage ist unzulässig. Denn die Klägerin kann ihre Rechte durch Anfechtung der ergangenen oder künftig ergehenden Gewerbesteuermessbescheide verfolgen (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

2. Die Anfechtungsklage gegen den Gewerbesteuermessbescheid 1998 ist gem. § 46 FGO zulässig geworden. Zwar hat die Klägerin bereits zwei Wochen nach Einspruchseinlegung Klage erhoben, doch ist die Klage "in die Zulässigkeit hineingewachsen" (Gräber, FGO, 5. Auflage, § 46 Tz. 13).

3. Die Anfechtungsklage gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1998, 1999 und 2000 ist unbegründet.

3.1 Die Klägerin unterliegt gemäß § 2 Abs. 1 GewStG der Gewerbesteuer. Zum einen gilt die Tätigkeit einer GmbH nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb im Sinne des Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift. Zum anderen hat die Klägerin mit dem Krankentransport/Rettungsdienst die Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 Einkommensteuergesetz erfüllt, so dass auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG gegeben sind.

Der Umstand, dass Feuerwehen und Hilfsorganisationen möglicherweise im Gegensatz zur Klägerin nicht der Gewerbesteuer unterliegen, wenn sie Krankentransporte durchführen, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG). Denn dies kann nur darin seine Ursache haben, dass diese Organisationen keinen Gewerbebetrieb im Sinn des Gewerbesteuergesetzes unterhalten (BFH, Urteil vom 08.09.1994 - IV R 85/93, BStBl II 1995, 67).

3.2 Die Klägerin ist auch nicht gemäß § 3 Nr. 20 d GewStG von der Gewerbesteuer befreit, da der Transport von kranken und verletzten Personen, den die Klägerin in den Streitjahren durchgeführt hat, weder in einer Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen noch in einer Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen erfolgt ist.

3.2.1 Nach § 3 Nr. 20 d GewStG sind "Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und ... zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen" von der Gewerbesteuer befreit, wenn die Pflegekosten in mindestens 40 vom Hundert der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.

Im GewStG sind die in § 3 Nr. 20 d GewStG genannten Einrichtungen nicht definiert. Da Tatbestandsvoraussetzung der Befreiung eine 40-prozentige Kostenübernahme durch Sozialversicherung oder Sozialhilfe ist, knüpft der Wortlaut der Vorschrift an die im Sozialgesetzbuch (SGB) enthaltenen Begriffsbestimmungen an.

Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen sind stationäre Pflegeheime, in denen pflegebedürftige Personen zeitweise ganztägig (vollstationär) oder nur tagsüber oder nur nachts (teilstationär) untergebracht und verpflegt werden können (Kurzzeitpflegeeinrichtungen, Tages- und Nachteinrichtungen; vgl. § 71 Abs. 2 SGB XI). Die Abgrenzung zum Pflegeheim erfolgt über die vorübergehende Aufnahme (vgl. § 1 Heimgesetz). AmbulantePflegeeinrichtungen (Pflegedienste) sind nach § 71 Abs. 1 SGB XI solche, die kranke und pflegebedürftige Personen in deren Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich versorgen (siehe zur Abgrenzung ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen auch § 71 Abs. 1 und 2 SGB XI).

Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass Krankenwagen und Rettungsfahrzeuge hiernach weder Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen noch ambulante Pflegeeinrichtungen sein können.

3.2.2 Das gefundene Ergebnis wird gestürzt durch den Zweck, den der Gesetzgeber mit der Befreiungsvorschrift verfolgen wollte. Mit der Regelung sollte dem veränderten Altersaufbau der Bevölkerung in Großstädten Rechnung getragen werden, in denen die genannten Einrichtungen zunehmende Bedeutung gewinnen und die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen verbessert werden. Daher hat der Gesetzgeber die bis dahin vorhandene Befreiungsregelung für Krankenhäuser, Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime gemäß Art.13 Nr.2 c des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) durch Anfügung des § 3 Nr.20 d GewStG auf sog. Kurzzeitpflegeeinrichtungen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen ausgedehnt, um der zunehmenden Bedeutung dieser Einrichtungen Rechnung zu tragen und die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern (vgl. zu dem gleichlautenden § 4 Nr. 16 e Umsatzsteuergesetz (UStG) Bundestagsdrucksache 12/1368, 27 und 12/1506, 178, zu § 3 Nr. 20 d GewStG Bundestagsdrucksache 12/5764, 43, zitiert in BFH - Urteil vom 8.9.94 IV R 85/93, BStBl II 1995, 67; vgl. auch Abschn. 99a USt-Richtlinien 2005).

3.2.3 An diesem Ergebnis ändert der nicht näher begründete Hinweis der Klägerin nichts, dass angeblich Krankentransporte von der Finanzverwaltung gemäß § 4 Nr. 16 e UStG als umsatzsteuerfreie Leistungen behandelt würden. Dies wäre ein Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben.

4. Das Verfahren war nicht nach § 74 FGO auszusetzen.

Eine Aussetzung des Klageverfahrens gemäß § 74 FGO ist bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen dann geboten, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist.

Es kann dahinstehen, ob angesichts des dem BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvL 2/04 vorliegenden Vorlagebeschlusses des Niedersächsischen FG vom 21. April 2004 4 K 317/91 (EFG 2004, 1065) diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben sind. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht zu erwarten ist, dass sich die Entscheidung des BVerfG, selbst wenn sie die Gewerbeertragsteuer für verfassungswidrig erklären sollte, auf das anhängige Besteuerungsverfahren auswirken wird. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO hängt auch davon ab, ob mit einer Aufhebung des verfassungswidrigen Gesetzes für die Vergangenheit zu rechnen oder nur zu erwarten ist, dass das BVerfG dem Gesetzgeber eine angemessene Frist zur Herbeiführung eines verfassungsgemäßen Zustandes setzen wird. Letzteres ist hier anzunehmen. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG ist nämlich nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass normverwerfende Entscheidungen dieses Gerichts zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes -und sei es auch nur im Rahmen einer Übergangsregelung für alle noch offenen Fälleführen.

Auch der BFH hat eine solche Möglichkeit insbesondere für die Gewerbeertragsteuer verneint und deshalb in seinem Urteil vom 11. November 1997 VIII R 49/95 (BStBl II 1998, 272) ausgeführt, eine rückwirkende Nichtigkeitserklärung des GewStG würde zu einem derart schwerwiegenden Eingriff in das Wirtschaftsgefüge führen, dass der sich danach ergebende Zustand der verfassungsmäßigen Ordnung ferner stünde als der bestehende. Das Gericht teilt diese Einschätzung. Es wäre deshalb selbst für den Fall, dass das Gewerbesteuergesetz gegen den Gleichheitssatz verstoßen sollte, nicht mit einer Nichtigkeits-, sondern lediglich mit einer Unvereinbarkeitserklärung und einer Änderungsverpflichtung des Gesetzgebers für die Zukunft zu rechnen.

5. Das Gericht sieht auch keinen Anlass, die Rechtssache dem BVerfG nach Art.100 Abs. 1 Satz 1 GG vorzulegen. Er folgt dem BFH insoweit, dass die Gewerbeertragsteuer mit der Verfassung vereinbar ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. September 2003 X R 2/00, BStBl II 200 4,17) und erwartet insbesondere unter Berücksichtigung des jüngsten Beschlusses des BVerfG zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG vom 26. Oktober 2004 2 BvR 246/98 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2005, 56) nicht, dass das BVerfG zu einem anderen Ergebnis gelangen wird (BFH, Urteil vom 07.04.2005 - IV R 34/03, BFH/NV 2005, 1201).

6. Nachdem die Klage aus den dargestellten Gründen keinen Erfolg hat, kann dahinstehen, ob die Klage gegen den Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 1998 vom 12. November 2003 schon deshalb unbegründet ist, weil Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist nicht gewährt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Zulassung der Revision aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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