Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 12.10.2006
Aktenzeichen: 2 K 1859/04
Rechtsgebiete: EStG, SGB XII, BGB


Vorschriften:

EStG § 33 Abs. 1
EStG § 33 Abs. 2 S. 1
BGB § 1601
BGB § 1610
SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 2. Senat unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Finanzgerichtes ..., des Richters am Finanzgericht ..., der Richterin am Landgericht ... und ... der ehrenamtlichen Richter ... auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 12. Oktober 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 27. Dezember 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2004 werden dahingehend abgeändert, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von DM 28.687,52 berücksichtigt werden. Die Berechnung der Einkommensteuer 2001 wird dem Beklagten aufgegeben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 20% und der Beklagten 80%.

3. Das Urteil ist für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden erstattungsfähigen Kosten der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob Aufwendungen der Kläger zugunsten ihres Sohnes für den Einbau eines Treppenschrägliftes sowie für einen Feuerwehreinsatz als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten im Streitjahr 2001 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ihr am 1. Juni 1981 geborener Sohn hatte am 19. Februar 2001 einen Verkehrsunfall, infolgedessen er eine Querschnittslähmung erlitt, die zu einer 100%igen Körperbehinderung führte. Er erzielte keine eigenen Einkünfte. Die Klägerin erhielt von der zugunsten ihres Sohnes abgeschlossenen Unfallversicherung im Jahr 2002 eine Invaliditätsentschädigung und ein Krankenhaustagegeld in Höhe von insgesamt EUR 55.758,56. Von der AOK Sachsen erhielt ihr Sohn 2002 für wohnumfeldverbessernde bauliche Maßnahmen einen Zuschuss von EUR 2.556,46. In ihrer Einkommensteuererklärung 2001 machten die Kläger Aufwendungen u.a. für den behindertengerechten Umbau des Bades in Höhe von DM 5.946,48, für den Einbau eines Treppenschrägliftes in ihrem Einfamilienhaus in Höhe von DM 28.687,52 und für einen Feuerwehreinsatz zur Bergung des Fahrzeuges in Höhe von DM 562,00 als außergewöhnliche Belastung geltend. In ihrem Haus, in dem ihr Sohn lebt, befindet sich im Erdgeschoss die Küche, der Sanitärbereich und ein Arbeitsraum. Im ersten Stock ist u.a. das Wohnzimmer und das Zimmer ihres Sohnes. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2002 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2001 auf DM 14.850,00 und den Solidaritätszuschlag 2001 auf DM 595,65 fest. Er berücksichtigte dabei die Kosten für den Umbau des Bades, den Einbau des Treppenliftes und den Feuerwehreinsatz nicht. Dagegen legten die Kläger am 27. Januar 2003 Einspruch ein, den der Beklagte am 21. Juli 2004 zurückwies. Mit der am 16. August 2004 eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Die Kläger bringen vor, ihr Sohn sei trotz der von der Unfallversicherung erhaltenen Leistungen bedürftig. Das vorhandene Vermögen sei für die Sicherung seiner Zukunft, insbesondere wenn sie ihren Sohn nicht mehr unterstützen könnten, notwendig. Zu berücksichtigten sei, dass die Leistung der Unfallversicherung nicht für Folgekosten des Unfalles bestimmt sei, sondern für die erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen und die durch den Unfall entstandenen Einnahmeverluste aufgrund der fehlenden Erwerbsmöglichkeiten. Ohne die durchgeführten Umbaumaßnahmen hätten sie auch eine angemessene Betreuung ihres Sohnes nicht gewährleisten können.

Die Kläger beantragen zuletzt,

den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 27. Dezember 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2004 dahingehend abzuändern, dass für Einbau des Treppenliftes der Betrag von DM 28.687,52 und einen Feuerwehreinsatz in Höhe von DM 562,00 als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bringt vor, die für die Geltendmachung von außergewöhnlichen Belastungen erforderlich Zwangsläufigkeit sei nicht gegeben. Eine Zwangsläufigkeit aus rechtlichen Gründen ergebe sich nicht, da die Kläger insoweit nicht unterhaltsverpflichtet seien. Ihr Sohn verfüge durch die Leistungen der Unfallversicherung über eigenes Vermögen. Unerheblich sei, ob die Leistungen auf die dauernde Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und den daraus entstehenden finanziellen Mehrbedarf oder als Ausgleich entgehender Einnahmen gezahlt worden seien. Die Zahlungen seien ihm als Begünstigen aus der Versicherung zuzurechnen. Falls die Leistungen der Versicherung den Klägern als Versicherungsnehmer zuzurechnen seien, fehle es an einer endgültigen Belastung der Kläger, da die Leistungen die Aufwendungen übersteigen würden. Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen oder sittlichen Gründen liege ebenfalls nicht vor.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze, die zu Gericht gereichten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2006 Bezug genommen. Die geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von DM 5.946,48 als außergewöhnliche Belastungen für den Einbau eines behindertengerechten Bades machten die Kläger nicht mehr zum Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet, soweit die Kläger Aufwendungen in Höhe von ... DM 28.687,52 als außergewöhnliche Belastung geltend machen.

I.

Soweit die Kläger keinen Antrag mehr zu den Umbaukosten im Bad stellten, hat der Senat dies als zulässige Klagrücknahme gewertet.

II.

Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit der Beklagte außergewöhnliche Belastung aufgrund des Einbaus eines Treppenschrägliftes nicht anerkannt hat. Er ist rechtmäßig, soweit außergewöhnliche Belastungen für die Übernahme der Kosten des Feuerwehreinsatzes nicht berücksichtigt wurden.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastungen), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).

Voraussetzung für die Anwendung des § 33 Abs. 1 EStG ist zunächst, dass der Steuerpflichtige die Belastung zu tragen hat. Daran fehlt es, wenn der Steuerpflichtige Gegenstände anschafft, die für ihn einen Gegenwert zu den aufgewandten Kosten darstellen (sog. Gegenwerttheorie, s. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996,BStBl. II 1997, 491).

Der Einbau eines Treppenliftes bildet mit dem Gebäude kein einheitliches Wirtschaftsgut, sondern ist ein steuerlich zu bewertendes medizinisches Hilfsmittel (BFH, s. ebenda; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. September 1997, ArztuR 1999, 183), bei dem die Marktfähigkeit, die in einem bestimmten Verkehrswert zum Ausdruck kommt, zurücktritt, so dass ein Gegenwert nicht vorliegt (BFH-Urteil vom 9. August 1991,BStBl. II 1991, 920).

Weiteres wesensbestimmendes Merkmal der außergewöhnlichen Belastung ist, dass sie zwangsläufig eintritt. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG). Die Kläger konnten sich den Aufwendungen aus sittlichen Gründen nicht entziehen.

Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen setzt voraus, dass nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen ein Steuerpflichtiger sich zu der Leistung verpflichtet halten kann (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1962,BStBl. III 1963, 135) und die Sittenordnung das Handeln erfordert (BFH-Urteil vom 24. Juli 1987,BStBl. II 1987, 715). Bei der Entscheidung, ob das Unterlassen der Aufwendungen Sanktionen im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge hat, ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Dabei sind vor allem die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung. Unterstützt der Steuerpflichtige einen Angehörigen im Sinne des § 15 AO, der keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch besitzt, so wird man in der Regel dem Grunde nach eine sittliche Verpflichtung annehmen können (BFH-Urteil vom 24. Juli 1987, a.a.O.). Dabei ist jedoch auch das Vermögen und die Lebensstellung der Beteiligten zu berücksichtigen. Der Sohn der Kläger ist Angehöriger im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 3 AO. Er hatte keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegenüber den Klägern, der sich auf Aufwendungen für einen Treppenlift erstreckt.

Die Kläger sind ihrem Sohn zur Leistung eines angemessenen Unterhalts verpflichtet (§§ 1601, 1610 BGB), soweit er bedürftig ist (§ 1602 BGB). Behinderten Kindern gegenüber bleiben die Eltern auch nach Eintritt der Volljährigkeit voll unterhaltspflichtig (Palandt, BGB, 62. Auflage, § 1602, Rn. 15). Der Unterhaltsanspruch umfasst den gesamten Lebensbedarf (§ 1602 Abs. 2 BGB). Dieser ist, auch bei einem körperbehinderten Kind, in Abgrenzung des Sonderbedarfs so zu bemessen, dass er sämtliche voraussehbaren Bedürfnisse abdeckt und hinreichend Spielraum für eine vernünftige Planung voraussehbarer größerer Aufwendungen belässt (BFH-Urteil vom 27. Februar 1987,BStBl. II 1987, 433, zur Anschaffung eines behindertengerechten PKWs). Nach diesen Grundsätzen umfasst die Unterhaltspflicht nicht die einmalige Finanzierung eines Treppenliftes, vielmehr ist der monatliche Unterhaltsbedarf so anzupassen, dass der Sohn der Kläger entsprechenden Bedarf aus dem Unterhalt bestreiten kann.

Darüber hinaus besteht eine Unterhaltspflicht nur, soweit der Berechtigte auch bedürftig ist. Volljährige haben vorhandenes Vermögen zu verwerten (Luthin in Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage, § 1602, Rn. 45). Der Sohn der Kläger hat 2002 aus der Unfallversicherung EUR 55.758,56 und von der AOK Sachsen EUR 2.556,46 erhalten. Der Anspruch aus der Unfallversicherung stand ihm dem Grund nach bei Eintritt des Versicherungsfalles, dem Unfall am 19. Februar 2001, zu. Die Leistungen der Unfallversicherung stehen auch ihm und nicht der Klägerin als Versicherungsnehmerin zu, da die Versicherung gemäß § 179 Abs. 2 VVG für seine Rechnung abgeschlossen wurde. Dieses Vermögen in Form des Anspruches gegenüber der Versicherung übersteigt auch den dem Unterhaltsberechtigten zustehenden "Notgroschen" (s. dazu Palandt, BGB, 62. Auflage, § 1602, Rn. 5), der als Kapitalreserve für plötzlich auftretenden Sonderbedarf dem Berechtigten zu belassen ist. Für die Bemessung des Sonderbedarfs sind die Vorschriften des Sozialhilferechtes heranzuziehen (BGH, NJW 1998, 978; Luthin in Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage, § 1602, Rn. 45). Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (vormals § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG) darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Gemäß § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII sind kleinere Geldbeträge oder sonstige Geldwerte lediglich Beträge von EUR 2.600,00 bei voll erwerbsgeminderten Personen. Das Vermögen des Sohnes der Kläger übersteigt dieses Schonvermögen zweifelsohne. Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII (vormals § 88 Abs. 3 BSHG) liegt ebenfalls nicht vor, da das Vermögen objektiv zur langfristigen Alterssicherung nicht geeignet ist, da es ihm ohne Zweckbindung zur Verfügung stand (BVerwG, NJW 2004, 3647; BVerwGE 47, 103).

Die Kläger waren jedoch aus sittlichen, wenn auch nicht aus rechtlichen Gründen (siehe hierzu aber auch BFH-Urteil vom 18. Mai 2006, Az. III R 26/05), verpflichtet, den Treppenlift einzubauen, da die Versicherung und die AOK erst 2002 und nicht im Streitjahr 2001 Zahlungen geleistet haben. Im Jahr 2001 hatte der Sohn der Kläger nur die Ansprüche in seinem Vermögen. Es war noch ungewiss, wann und in welcher Höhe Leistungen erfolgen würden. Ggf. wären die Ansprüche - bei unberechtigter Zahlungsverweigerung - gerichtlich durchzusetzen gewesen, was erhebliche Zeit hätte in Anspruch nehmen können. Während dieser Zeit hatte der Sohn der Kläger mangels Vermögen nicht die Möglichkeit gehabt, einen Treppenlift anzuschaffen. Ihm hätte dann kein hinreichender Wohnraum zur Verfügung gestanden, da er nicht in die Wohnräume des 1. Stockes hätte gelangen können. Es bestand daher nur die Möglichkeit, dass die Kläger auf ihre Kosten einen Treppenlift anschaffen, um ihrem Sohn einen angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Bei den Aufwendungen für den Einbau des Treppenliftes waren auch der Höhe nach notwendig und angemessen, da der Sohn der Kläger ansonsten keinen Zugang zu seinem Zimmer gehabt hätte. Eine andere Möglichkeit um angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist nicht ersichtlich. Im Erdgeschoss standen keine hinreichenden Räumlichkeiten zur Verfügung.

2. Die Kläger waren aus sittlichen Gründen jedoch nicht verpflichtet, die Kosten für den Feuerwehreinsatz zu übernehmen. Laut Gebührenbescheid vom 23. Mai 2001 war der Sohn Gebührenschuldner. Es ist nicht ersichtlich, dass die Sittenordnung erfordert, dass die Kläger auch diese Kosten übernimmt. Der Sohn der Kläger hätte z.B. versuchen können, eine Stundung der nur geringen Gebühren zu erreichen, bis ihm die Mittel aus der Unfallversicherung zur Verfügung stehen. Tatsächliche Gründe der Zwangsläufigkeit sind nicht gegeben, da es sich nicht um eine Zwangslage der Steuerpflichtigen, sondern um Aufwendungen für einen Dritten handelte (s. dazu Schmidt, EStG, 25. Auflage, § 33, Rn. 24; Blümich, EStG, § 33, Rn. 120). Rechtliche Gründe liegen aufgrund der fehlenden Unterhaltspflicht ebenfalls nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1, 2 FGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 155 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes erfordert.

Ende der Entscheidung

Zurück