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Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 29.05.2006
Aktenzeichen: 2 K 2142/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 33 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen

2 K 2142/05

Einkommensteuer 2003

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 2. Senat

durch den Berichterstatter RiFG ... ohne mündliche Verhandlung am 29. Mai 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Aufwendungen für die Entnahme und Einlagerung von Nabelschnurblut als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

Die zusammen veranlagten Kläger haben bei der Geburt ihres Sohnes Nabelschnurblut entnehmen und einlagern lassen. Dafür haben sie im Jahr 2003 einen Betrag von 1.800 Euro aufgewandt. Mit ihrer Einkommensteuererklärung 2003 begehren die Kläger, diesen Aufwand als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anzuerkennen. Der Beklagte berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid vom 10. Mai 2004 diese Aufwendungen nicht. Hiergegen erhoben die Kläger erfolglos Einspruch. Auf die Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005 wird Bezug genommen.

Mit der hiergegen fristgerecht eingereichten Klage begehren die Kläger weiterhin die Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen in Höhe von 1.800 Euro. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass das Nabelschnurblut Stammzellen des Menschen enthalte, welche schon jetzt zur Behandlung von Krankheiten zum Einsatz kämen. In Zukunft könne ein noch größerer Anwendungsbereich eröffnet sein. Wegen der Einsatzmöglichkeiten würde auf die Webseite des Unternehmens AG verwiesen (www.v.de). Eine problemlose Gewinnung von Stammzellen sei ausschließlich im Rahmen der Geburt aus dem Nabelschnurblut möglich. Geschehe die Entnahme von Nabelschnutblut nicht unmittelbar nach der Entbindung, ginge es und damit die wertvollen Stammzellen verloren. Zwar könnten auch nach der Geburt mit anderen Methoden Stammzellen gewonnen werden, die sei jedoch nur im Rahmen eines äußerst risikobehafteten, operativen Eingriffs möglich. Das bei der Geburt gewonnene Nabelschnurblut könne mindestens 20 Jahre eingelagert werden. Es könne nur dann abgerufen werden, wenn dies unter Vorlage einer schriftlichen Verordnung des behandelnden Arztes erfolge. Hierdurch werde dokumentiert, dass die Maßnahme ausschließlich der Behandlung von Krankheiten diene.

Da die Entnahme und Einlagerung von Nabelschnurblut nur im Rahmen der Geburt möglich sei, müssten die Aufwendungen dafür schon jetzt als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, weil bei Auftreten einer Erkrankung die Aufwendungen für Behandlungsmaßnahmen - auch eine dann notwendige Entnahme von Stammzellen durch einen operativen Eingriff - ebenfalls als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen seien. Krankheitskosten seien grundsätzlich als zwangsläufig anzusehen. Eine unterschiedliche steuerliche Würdigung von vergleichbaren Vorgängen sei - auch unter den Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes - nicht zu rechtfertigen. Dies gelte umsomehr, als die Eigenvorsorge und die Eigenbeteiligung der Betroffenen an Bedeutung gewinne. Ein amtsärztliches Attest sei nicht erforderlich, da die Entnahme des Nabelschnurblutes, eine Gewinnung und der Einsatz von Stammzellen immer krankheitsbedingt erfolgen würden. Eine anderweitige Verwendung, die durch ein amtsärztliches Attest ausgeschlossen werden solle, sei nicht denkbar. Der Ansatz im Jahr 2003 rechtfertige sich aus § 11 Abs. 2 EStG, da die Aufwendungen durch den Abfluss 2003 ihren Niederschlag gefunden hätten.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 10. Mai 2005 in der Fassung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung weiterer außergewöhnlicher Belastungen in Höhe von 1.800 Euro niedriger festgesetzt wird

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 90 Abs. 2 FGO, § 79 Abs. 3 und 4 FGO).

Die Klage ist nicht begründet. Der Einkommensteuerbescheid 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Die geltend gemachten Aufwendungen stellen keine außergewöhnlichen Belastungen dar. Dazu wird auf die Begründung der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005 Bezug genommen (§ 105 Abs. 5 FGO). Ergänzend ist auszuführen:

1. Gemäß § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Voraussetzung ist danach, dass Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen. Das ist der Fall, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 EStG ). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen derart auf die Entscheidung eines Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag (vgl. BFH, BStBl. II 2004, 867 m.w.N.).

Krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlassten Aufwendungen sind regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit - in der Person des Kranken - erträglich zu machen (vgl. BFH, BStBl. II 1996, 88 m.w.N). Krankheit ist dabei als einen anormaler, regelwidriger (körperlicher, geistiger oder seelischer) Zustand zu definieren (vgl. BFH, BStBl. II 1997, 805 m.w.N.). Entscheidend für die Annahme einer Krankheit ist, ob es sich um einen allenfalls als missliebig anzusehenden Zustand handelt oder um einen anormalen Zustand, der Störungen oder Behinderungen in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen von solchem Gewicht zur Folge hat, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf, was unter Umständen von der persönlichen Lage des Betroffenen, z.B. seinem Alter oder seinem Beruf, abhängen kann. Ein krankhafter Zustand ist dabei (einkommensteuerrechtlich) um so eher anzunehmen, je stärker die freie Entfaltung der Persönlichkeit in ihrem wesentlichen Kernbereich betroffen ist.

Der Begriff der Heilbehandlung umfasst alle Eingriffe und anderen Behandlungen, die nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zu dem Zweck angezeigt sind und vorgenommen werden, Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern (vgl. BFH, BStBl. II 1997, 805 ). Bei der Anschaffung von Hilfsmitteln (im engeren Sinne), die - wie Brillen, Hörapparate, Rollstühle etc. - nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen eines Steuerpflichtigen erforderlich ist, kann typisierend davon ausgegangen werden, dass ihr Kauf medizinisch indiziert ist. Auf eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach kann bei solchen Hilfsmitteln im engeren Sinne daher verzichtet werden. Keine außergewöhnliche Belastung wird allerdings durch Aufwendungen für solche Maßnahmen begründet, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung im hier maßgeblichen Sinne fallen. Nur vorbeugende, der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen oder die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten erwachsen nicht zwangsläufig (vgl. BFH, BStBl. II 1996, 88 m.w.N.; Bordewin/Brandt, Kommentar zum EStG, § 33 EStG Rdnr. 74). Für die mitunter schwierige Trennung von Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits ist in besonders schwer zu beurteilenden Einzelfällen die Vorlage eines zeitlich vor der Aufwendung erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attests erforderlich, dem sich zweifelsfrei entnehmen lässt, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Maßnahme medizinisch indiziert ist (vgl. BFH, BStBl. II 1991, 920 m.w.N.).

2. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:

Die Anerkennung der Aufwendungen für die Entnahme und Einlagerung von Nabelschnurblut zur Konservierung der dort enthaltenen Stammzellen stellt keine außergewöhnliche Belastung dar. Es fehlt an dem Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit. Den Klägern sind keine Aufwendungen erwachsen, denen sie sich aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen konnten. Insbesondere liegt kein Krankheitsfall vor, denn die Maßnahme diente allein der Vorsorge für später eventuell auftretende Krankheiten und deren Heilung oder Linderung durch eine Stammzellentherapie. Dass der Sohn der Kläger im oben beschriebenen Sinne krank und heilbehandlungsbedürftig sei, haben die Kläger nicht vorgetragen. Diese Unterscheidung in Aufwendungen zur Behandlung möglicher späterer Erkrankungen und in Aufwendungen von vorhandenen Erkrankungen ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Denn die Möglichkeit einer späteren Erkrankung ist offen. Ob sich die Entnahme und Einlagerung des Nabelschnurblutes jemals zur Behandlung einer vorhandenen Krankheit als erforderlich erweisen wird, ist ungewiss. Dem Gesetzgeber ist es unter diesem Gesichtspunkt nicht verwehrt, nur die Aufwendungen steuerlich zu begünstigen, die zur Behandlung einer derzeitigen Krankheit notwendig sind und Aufwendungen, die für hypothetische Umstände getätigt werden, davon auszunehmen.

Aus diesem Grunde kann es offen bleiben, ob es zudem an einem amtsärztlichen Attest fehlt, welches bestätigen würde, dass die Entnahme und Einlagerung von Nabelschnurblut zur Konservierung der dort enthaltenen Stammzellen medizinisch notwendig ist, weil eine andere Behandlung nicht oder kaum Erfolg versprechend ist (vgl. Bordewin/Brandt, a.a.O. Rdnr. 75).

Selbst wenn die Sorge der Kläger um die Chancen einer zukünftigen Heilbehandlung ihres Sohnes ausschlaggebendes Motiv für die Maßnahme gewesen sein mag, kann offen bleiben, ob aus diesem Grunde eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen (vgl. dazu Bordewin/Brandt, a.a.O. Rdnr. 85) zu bejahen ist, da in diesem Fall die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung daran scheitern würde, dass den Klägern keine größeren Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen wären. In diesem Fall würden nämlich die überwiegende Mehrzahl der Elternteile von der Möglichkeit der Entnahme und Einlagerung des Nabelschnurblutes ihrer Kinder Gebrauch machen, so dass vergleichbaren Aufwendungen vergleichbare Steuerpflichtige treffen würden. Dass bei den Klägern ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen sollte, der ihre Sorge um die Chancen einer zukünftigen Heilbehandlung ihres Sohnes als besonders gegenüber anderen Eltern erscheinen ließe, ist nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1



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