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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 2 K 2709/03
Rechtsgebiete: EStG, LStDV


Vorschriften:

LStDV § 1 Abs. 2
LStDV § 1 Abs. 3
EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 40
EStG § 40a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 2. Senat unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Finanzgerichtes, des Richters am Finanzgericht, des Richters am Amtsgericht und der ehrenamtlichen Richter auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9. November 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Arbeitnehmereigenschaft von Servicekräften.

Die Klägerin produziert Reinigungsmittel im Wesentlichen für den Endverbraucher, die auch über Warenhäuser vertrieben werden. Mit der Regalpflege (Wareannahme, Regalauffüllung, Regalpflege u.a.) werden auf Forderung der Warenhäuser Servicekräfte betraut, die mit der Klägerin eine vertragliche Vereinbarung getroffen haben. Danach soll der Auftragnehmer als selbstständiger Unternehmer Serviceleistungen vor Ort durch die Warenannahme und das sofortige Auszeichnen der Produkte der Klägerin sowie deren fachgerechte Präsentation in Verbindung mit einer verantwortungsvollen Regalpflege (Säubern und Auffüllen der Ausstellungsregale) erbringen. Für die genannten Arbeiten wurde eine Vergütung von 9,00 DM pro Stunde, bei einem Maximalsatz von 1 Stunde bis 3,5 Stunden pro Kalenderwoche vereinbart. Der Auftragnehmer soll als Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Die Abrechnung erfolgt zum Monatsende derart, dass der Leiter des Warenhauses gegenüber der Servicekraft die Stunden bestätigt und die Servicekraft über den jeweiligen Gebietsverkaufsleiter der Klägerin abrechnet. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 22 der Akte im Verfahren 2 K 2709/03 und Seiten 60 bis 63 im Verfahren 2 V 2827/03 verwiesen.

Auf Grund der Feststellungen im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung wurden mit Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 9. Januar 2001, zuletzt geändert mit Bescheid vom 17. Oktober 2003, die an die Servicekräfte gezahlten Beträge der Besteuerung unterworfen. Der Beklagte sieht in den Servicekräften Arbeitnehmer der Klägerin, für die die Klägerin Lohnsteuern anzumelden und abzuführen hat.

Der Einspruch gegen den Lohnsteuernachforderungsbescheid blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2003), blieb ebenso erfolglos wie das gerichtliche AdV-Verfahren (2 V 2827/03 Beschluss vom 24. Februar 2004).

Die Klägerin ist in ihrer Klage der Auffassung, die Servicekräfte seien Selbstständige. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalles handele es sich bei ihnen nicht um Arbeitnehmer. Es fehle die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Klägerin. Die Servicekräfte seien auch im Auftrag anderer Unternehmen tätig und seien zudem nicht in die Klägerin organisatorisch integriert. Da die Servicekräfte in einer nach oben begrenzten Stundenzahl pro Kalenderwoche Leistungen für die Klägerin erbringen würden, verbleibe ihnen ein ausreichender Zeitraum für andere Tätigkeiten, wodurch es an einer Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit fehle. Es sei weder eine feste Arbeitszeit vereinbart noch bestünden Ansprüche auf Urlaub, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Überstundenvergütung oder auf sonstige Sozialleistungen. Den zeitlichen Umfang der Dienstleistungen bestimmten die Servicekräfte selbst. Schließlich seien nach der A-Krankenkasse C. sowie der B-Krankenkasse S.-A. die im Auftrag der Klägerin tätigen Servicekräfte nicht als Arbeitsnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn anzusehen, wie es sich aus den entsprechenden Schreiben (Anlage K 8 und K 9) ergäbe.

Die Klägerin beantragt,

den Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 9. Januar 2001, zuletzt geändert mit Bescheid vom 17. Oktober 2003, und die Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2003 aufzuheben und die nachzuerhebende Lohnsteuer für die Kalenderjahre 1996 - 2000 auf insgesamt

 - Lohnsteuer1.541,55 Euro
- Solidaritätszuschlag103,27 Euro
- evangelische Kirchensteuer65,51 Euro
- römisch-katholische Kirchensteuer11,56 Euro

feszusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die Servicekräfte Arbeitnehmer der Klägerin seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Die Klägerin ist Arbeitgeberin der Servicekräfte und demgemäß verpflichtet, für diese Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag einzubehalten und abzuführen.

Nach § 1 Abs. 2 und 3 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV), der nach der ständigen Rechtsprechung den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegt, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Die Frage, wer Arbeitnehmer ist, ist unter Beachtung dieser Bestimmung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Eine Würdigung nach dem Gesamtbild bedeutet, dass die für und gegen ein Dienstverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden (vgl. BFH, BFH/NV 2005, 1058; BFH, BStBl. II 1999, 534; BFH, BStBl. II 1985, 661 zugleich mit einer Aufzählung von für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechenden Merkmalen). Angesichts der Fülle denkbarer Abgrenzungskriterien kann es nicht darauf ankommen, wie eine Tätigkeit oder die tätige Person im Einzelfall bezeichnet worden ist, auch wenn die Vereinbarung darüber, dass ein Rechtsverhältnis nicht den Bestimmungen des Sozalversicherungsrechts unterstellt werden soll, ein Indiz gegen den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses darstellt (vgl. BFH, BStBl. II 1999, 534).

Von diesen Grundsätzen geht auch die Klägerin aus. Ihrer Wertung kann jedoch nicht gefolgt werden. Das Gesamtbild der Verhältnisse spricht hier dafür, die Servicekräfte als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen. Entscheidend ist, dass sie einfache Tätigkeiten ausführen, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist. Als einfache Tätigkeiten werden vor allem

Handarbeiten beurteilt, bei denen der Tätige kaum eine eigene Initiative entfalten kann und deshalb besonders den Weisungen des Auftraggebers unterliegt (vgl. BFH, BStBl II 1979, 131). Die im Streitfall zu beurteilenden Tätigkeiten der Servicekräfte sind solche einfacher Art. Die Tätigkeit beschränkt sich darauf, die von der Klägerin an die Warenhäuser gelieferten Produkte entgegenzunehmen, in die Regale einzusortieren, auszuzeichnen und die Regale zu pflegen. Es handelt sich dabei um reine Handarbeiten. Besondere persönliche Fähigkeiten verlangt diese Tätigkeit nicht.

Die gegen diese Wertung vorgebrachten Argumente der Klägerin überzeugen nicht. Der Senat folgt nicht dem Vortrag der Klägerin, die Servicekräfte unterlägen keiner Weisungsgebundenheit, sondern nur einer Vertragsbindung. Die Weisungsgebundenheit der Servicekräfte, die aus der vertraglichen Vorgabe folgt, die Waren entgegenzunehmen und einzuräumen, lässt sich nicht mit der Erwägung in Frage stellen, den Servicekräften seien keine weiteren Vorgaben gemacht. Diese Tätigkeiten sind rein mechanischer Natur, die ins einzelne gehender Weisungen nicht bedürfen. Ist eine Tätigkeit sogar so einfach, dass der Arbeitnehmer für die Art und Weise ihrer Erledigung keiner über die schriftlich niedergelegten Vereinbarungen hinausgehenden Weisungen bedarf, spricht dies gerade nicht gegen eine nichtselbständige Tätigkeit. Andernfalls hätten es die Vertragsparteien in der Hand, unabhängig von der Art der Tätigkeit durch eine genaue Beschreibung der auszuführenden Arbeiten im Vertrag zu einer selbständigen Tätigkeit zu kommen. Da dies bei einfachen Tätigkeiten besonders leicht fiele, wären die Maßstäbe zur Abgrenzung der selbständigen von der nichtselbständigen Tätigkeit in ihr Gegenteil verkehrt. Zudem überwacht die Klägerin die Erfüllung der vertraglichen Vereinbarungen mit den Servicekräften, in dem sie sich der Leitung der jeweiligen Einzelhandelshäuser bedient, da der konkrete Einsatzplan, die Erfüllung der Leistung und die Richtigkeit der Abrechnung durch die Warenhäuser erfolgt. Wenn sich die Klägerin der Warenhäuser, die das Einräumen der Regale im Rahmen der Lieferung der Produkte der Klägerin verlangen, bedient, um die Kontrolle über die Erfüllung der Serviceverträge auszuüben, vermag dadurch nicht die Arbeitnehmereigenschaft der Servicekräfte beseitigt werden.

Zudem fehlt es an dem Unternehmerrisiko. Ein eigenes Unternehmerrisiko trägt, wer sich auf eigene Rechnung und Gefahr betätigt und die Höhe der Einnahmen wesentlich durch eine Steigerung seiner Arbeitsleistung oder durch die Herbeiführung eines besonderen Erfolgs beeinflussen kann (Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 19, Rdnr 6). Die Verdienstmöglichkeiten der Servicekräfte ist durch den Vertrag begrenzt. Ein Unternehmerrisiko läßt sich auch nicht mit der Begründung bejahen, die Servicekräfte könnten weitere Regalpflegearbeiten in diesem oder anderen Warenhäusern übernehmen und dadurch ihre Einnahmen steigern. Damit hätten die Servicekräfte nach obigen Ausführungen nur mehrere Arbeitgeber. Der entsprechende Vortrag der Klägerin ist auch nicht belegt. Gegen das Unternehmerrisiko spricht auch die Einfachheit der Tätigkeit. Angesichts der einfachen Tätigkeiten besteht kein Risiko, dass die Regale nicht aufgefüllt werden könnten. Die Servicekräfte schulden ihre Arbeitskraft und keinen Arbeitserfolg. Das Risiko, das sie zu tragen haben, ist das Arbeitnehmerrisiko "ohne Arbeit kein Lohn". Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass die Servicekräfte keinen oder einen nur geringen Kapitaleinsatz erbringen. Schließlich ist den Servicekräften auch nur ein geringer zeitlicher Spielraum für die Erbringung ihrer Arbeitsleistung eingeräumt. Es wird erwartet, dass die Warenanlieferung der Klägerin baldmöglichst in die Regale eingeräumt wird, so dass sich enge zeitliche Vorgaben für die Erledigung der Aufgabe ergeben. Wenn die Klägerin deshalb keine - aus der Natur der Sache heraus - überflüssigen zeitlichen Vorgaben für die Aufgabenerledigung macht, ist der nur wegen des offenen Zeitpunkts der Warenanlieferung bestehende zeitliche Spielraum kein Ausdruck einer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit der Servicekräfte. Die Klägerin trägt im Übrigen das Risiko, dass ihr Kunde mit der Leistung der Klägerin, die Lieferung und dem Einräumen der Ware, unzufrieden ist.

Die übrigen Kriterien, die die Rechtsprechung für die Abgrenzung von selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit herausgearbeitet hat und die von der Klägerin auch erörtert worden sind, geben für die Entscheidung des Streitfalls nichts her. Dies gilt insbesondere für die fehlende Vereinbarung von Sozialleistungen, weil diese nicht Voraussetzung eines Arbeitsverhältnisses sind, sondern vielmehr umgekehrt das Arbeitsverhältnis Ansprüche auf Sozialleistungen begründet. Dass die Servicekräfte in den Verträgen als selbständige Unternehmer bezeichnet werden, ist nicht erheblich.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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