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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 23.04.2007
Aktenzeichen: 3 K 90/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 251 Abs. 2

Entscheidung wurde am 29.11.2007 korrigiert: im Tatbestand 4. Absatz erster Satz muß es statt "Hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 24.08.2006 einen Rechtsbehelf bei dem FA ein." richtig "Hiergegen legte die Klägerin am 24.08.2006 einen Rechtsbehelf bei dem FA ein." heißen
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen

3 K 90/07

Umsatzsteuer 2005

In dem Finanzrechtsstreit

...

hat der 3. Senat

unter Mitwirkung

des Präsidenten des Finanzgerichts ...

der Richterin am Finanzgericht ...

des Richters am Finanzgericht ...

der ehrenamtlichen Richterin ... und ...

des ehrenamtlichen Richters ...

ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 23. April 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Der Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 26.07.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2006 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist in Bezug auf die Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Umsatzsteuerbescheid mit einem Erstattungsbetrag für die Zeit vor Eröffnung des Verfahrens ergehen durfte.

Mit Beschluss des Amtsgerichts D. - Insolvenzgericht - vom 29.06.2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. GmbH (nachfolgend: die Gemeinschuldnerin) eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt. Die Gemeinschuldnerin war als Generalauftragnehmerin für Neubau und Sanierung von Gebäuden tätig. Die von der Gemeinschuldnerin für das Jahr 2005 abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen ergaben einen Vorsteueranspruch von 1.052,61 EUR.

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) setzte mit Bescheid vom 26.07.2006 die Umsatzsteuer 2005 gegen die Klägerin als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Gemeinschuldnerin auf - 1.052,61 EUR fest. In der Erläuterung führte er aus, die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29.06.2006 erfolgt. Es wurden umsatzsteuerbare Lieferungen und Leistungen von 0 EUR und abziehbare Vorsteuerbeträge von 1.052,61 EUR angenommen.

Hiergegen legte die Klägerin am 24.08.2006 einen Rechtsbehelf bei dem FA ein. Wegen der erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten lediglich Steuerberechnungen erlassen werden dürfen. Der Rechtsbehelf wurde mit Einspruchsentscheidung des FA vom 12.12.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Das FA führte aus, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dürften dann Steuerbescheide erlassen werden, wenn keine Zahllast, sondern ein Erstattungsbetrag ausgewiesen werde, da dann kein vermögensrechtlicher Anspruch gegen das Vermögen der Gemeinschuldnerin erhoben werde. Um Erstattungen zur Masse vornehmen zu können, sei hier sogar der Erlass eines Bescheides notwendig. Hiergegen hat die Klägerin am 15.01.2007 Klage zum Sächsischen Finanzgericht erhoben.

Ihres Erachtens hätte das FA nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Steuerbescheide mehr für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen dürfen. Daran ändere sich auch nicht deshalb etwas, weil die Grundlagen der Umsatzbesteuerung auf einen Erstattungsbetrag geschätzt wurden. Es komme nicht darauf an, ob die festgestellten Besteuerungsgrundlagen sich tatsächlich auf Steuerforderungen auswirken oder nicht. Es genüge insoweit eine abstrakte Eignung. Im Streitfall habe das FA über Besteuerungsgrundlagen entschieden, die geeignet seien, die Höhe der zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen zu beeinflussen. Steuerliche Auswirkungen seien schon dann gegeben, wenn durch die steuerliche Festsetzung die Geltendmachung von Steuererstattungsansprüchen verwehrt werde. Die Klägerin habe im übrigen begründete Aussichten auf eine Inanspruchnahme von Vorsteuerüberschüssen für das Streitjahr. So habe die Gemeinschuldnerin - die nach vereinbarten Entgelten versteuere - eine Forderung aus einer Schlussrechnung über 970.387,50 EUR bei dem Landgericht H. eingeklagt. Nach Klageabweisung im Jahr 2003 sei nach Einlegung der Berufung am 07.03.2006 vor dem OLG K. ein Vergleich geschlossen worden, nach dem der Gemeinschuldnerin eine Zahlung von nur noch 30.172,42 EUR zukam. Es werde derzeit noch geprüft, ob der Klägerin für 2005 nach § 17 UStG Erstattungsansprüche zustehen.

Der Erlass von Steuerbescheiden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei unabhängig von dem nach § 89 InsO bestehenden Vollstreckungsverbot wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger unzulässig. Wie jeder andere Gläubiger auch, habe das Finanzamt nach § 174 InsO seine Forderungen zur Tabelle anzumelden und könne sich nicht auf den Erlass eines Bescheides beschränken. Dem Finanzamt müsse nicht nur die eigene Festsetzung von Forderungen untersagt werden, sondern auch die Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen zur Vereitelung oder zur Abwehr von Steuererstattungsansprüchen. Da eine Steuererstattungsforderung gegen eine Steuerforderung aufgerechnet werden könne, betreffe auch eine Steuererstattungsforderung die Höhe der zur Insolvenztabelle festzustellenden Steuerforderungen.

Entgegen der Ansicht des FA sei für die Vornahme einer Steuererstattung kein vorheriger Erlass eines Steuerbescheides erforderlich. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens genüge auch hierfür eine Steuerberechnung. Dies sei bei den sächsischen Finanzämtern auch ständige Praxis. Im übrigen könne ein zur Erstattung an die Insolvenzmasse ergehender Bescheid nicht das Gleichbehandlungsgebot der Insolvenzgläubiger verletzen, da auch die anderen Gläubiger hieraus nur Vorteile hätten.

Die Feststellungswirkung des Bescheides bestehe im Übrigen bereits darin, dass das FA die abziehbare Vorsteuer auf 1.052,61 EUR, die Bemessungsgrundlage der Lieferungen und sonstigen Leistungen auf 0 EUR festgesetzt habe. Dieser Teil des Steuerbescheides sei auch mit "Besteuerungsgrundlagen" überschrieben; er sei nicht dem Abrechnungsteil zuzuordnen.

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 26.07.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 12.12.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage, hilfsweise die Zulassung der Revision.

Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid habe erlassen werden dürfen. Begründung für ein Verbot des Erlasses von Steuerbescheiden sei nur das mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretende Vollstreckungsverbot. Aus dem angefochtenen Steuerbescheid ergebe sich jedoch keine Zahllast, aus ihm könne das FA also auch keinen vollstreckbaren Titel schaffen, der zur Tabelle anzumelden wäre.

Die Rechtsprechung des BFH, derzufolge nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden dürfen, sei auf den Streitfall nicht anwendbar. Diese Entscheidungen seien zur Feststellung nach § 47 KStG a.F. und zur einheitlichen und gesonderten Feststellung nach §§ 179 ff AO ergangen. Der hier streitige Umsatzsteuerbescheid stelle jedoch keinen Grundlagenbescheid dar. Er sei auch nicht abstrakt geeignet, sich auf die zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen auszuwirken. Der Umsatzsteuerbescheid regele nur die festzusetzende Steuer und treffe keine Aussage zu Besteuerungsgrundlagen.

Die Ansicht der Klägerin führte dazu, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch keine Steuererstattungen an die Insolvenzmasse mehr erfolgen dürften, da ein Erstattungsanspruch erst nach seiner Festsetzung fällig werde ( §§ 218 Abs. 1 Satz 1, 220 Abs. 2 Satz 2 AO). Auf Grundlage lediglich einer Steuerberechnung wäre keine Steuererstattung zu gewähren.

Es sei schon nicht erkennbar, weshalb die Klägerin klage. Es fehle bei einem Erstattungsanspruch an einem Rechtsschutzbedürfnis. Eine höhere Erstattung wäre zugunsten der Masse festzusetzen. Nach der Rechtsansicht der Klägerin wäre dies dann jedoch nicht möglich. Dies könne jedoch nicht der Wille der Klägerin und der des Gesetzgebers sein.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze, das Protokoll über den Erörterungstermin zu diesem Verfahren im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Verfahrens 3 K 2092/06 am 23.04.2007 sowie die beigezogenen Steuerakten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid durfte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der T. GmbH nicht mehr erlassen werden. Er ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung.

Wegen des aus § 251 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) abgeleiteten grundsätzlichen Vorrangs des Verfahrensrechts der Insolvenzordnung (InsO) gegenüber der AO ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen der dort speziell und für alle Insolvenzgläubiger einheitlich geregelten Verfahrensabläufe der Erlass von Steuerbescheiden für Insolvenzforderungen des FA, die zur Tabelle anzumelden sind, unzulässig. Neben dem Erlass von derartigen Steuerbescheiden ist auch der Erlass von Feststellungsbescheiden, in denen Besteuerungsgrundlagen mit Auswirkung für das Vermögen des Gemeinschuldners festgestellt werden, unzulässig. Es genügt insoweit bereits, dass die festgesetzten und festgestellten Besteuerungsgrundlagen für das Insolvenzverfahren insoweit präjudiziell sind, als sie Steuern betreffen können, die Insolvenzforderungen sein können; insoweit genügt bereits eine abstrakte Eignung (BFH, Urteil vom 18. Dezember 2002 I R 33/01, BStBl II 2003, 630; so auch der erkennende Senat mit Urteil vom heutigen Tag in dem Verfahren 3 K 2092/06 zu einem Nullbescheid aufgrund Körperschaftsteuerrechts nach Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren). Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind offene außergerichtliche Verwaltungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) von Gesetzes wegen unterbrochen (BFH, Urteile vom 24. August 2004 VIII R 14/02, BStBl II 2005, 246).

Der vorliegende Fall mit einer festgesetzten negativen Umsatzsteuer ist ebenso zu entscheiden. Zwar wirkt sich die gegenwärtig festgesetzte Umsatzsteuer-Erstattung zunächst nicht auf eine zur Tabelle nach § 174 ff InsO anzumeldende Forderung aus. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Insolvenzverwalterin gegen eine zur Tabelle angemeldete Steuerforderung mit Steuererstattungsforderungen aufrechnen kann. Diese Steuererstattungsforderung könnte das FA durch den Erlass eines Bescheides, der eine Erstattungsforderung festsetzt, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens präjudizieren. Nach Sinn und Zweck des vorrangigen Verfahrens der Insolvenzordnung in §§ 174 ff InsO soll dies vor Abschluss der Prüfungen nicht stattfinden. Der Erlass eines Erstattungsbescheides war damit unzulässig.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der angefochtene Bescheid nicht nur rechtswidrig, sondern auch nichtig ist (vgl. BFH, Urteile vom 24. August 2004 und 18. Dezember 2002, jeweils a.a.O., sowie vom 2. Juli 1997 I R 11/97, BStBl II 1998, 428). Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen hat die Klägerin aber ein berechtigtes Interesse, auch einen derartigen nichtigen Bescheid beseitigen zu lassen, da von ihm ein sie belastender Rechtsschein ausgeht.

Da die speziellen Verfahrensvorschriften der §§ 176 ff InsO einen Schutz des Insolvenzverwalters und die Gleichrangigkeit der Insolvenzgläubiger bewirken sollen, schließt sich der erkennende Senat den Ausführungen des BFH in dem Urteil vom 18. Dezember 2002 (a.a.O., II 2 d der Gründe) an, wonach der Insolvenzverwalter bei ausdrücklichem Antrag einen Erstattungsanspruch durch Steuerverwaltungsakt festgesetzt bekommen kann. Im Streitfall fehlt es jedoch gerade an einem solchen Willen der Klägerin.

Die Kostenentscheidung war nach § 135 Abs. 1 FGO zulasten des FA zu treffen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache war die Revision nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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