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Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 09.08.2006
Aktenzeichen: 4 K 2182/00
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen

4 K 2182/00

Grunderwerbsteuer

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 4. Senat

unter Mitwirkung

des Richters am Finanzgericht H als Vorsitzender,

des Richters am Finanzgericht G,

des Richters am Amtsgericht S sowie

der ehrenamtlichen Richter L und T

auf Grund mündlicher Verhandlung

in der Sitzung vom 9. August 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Grunderwerbsteuerbescheid des Finanzamtes L vom 13. Dezember 1999 und die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung des Finanzamtes E vom 9. Oktober 2000 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine Fondsgesellschaft (geschlossener Immobilienfonds), wendet sich gegen einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten geänderten Grunderwerbsteuerbescheid des Finanzamtes L vom 13. Dezember 1999 (GrESt-Akte Bl. 261), bestätigt mit Einspruchsentscheidung des Finanzamtes E vom 9. Oktober 2000 (GrESt-Akte Bl. 369 ff.), mit dem das Finanzamt unter Änderung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 2. Oktober 1992 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 3.539.002,00 DM festgesetzt hatte. Der Steuerfestsetzung zugrunde liegt der Erwerb eines Grundstückes in S durch die Klägerin aufgrund eines notariellen Kaufvertrages vom 24. Juni 1992 (GrESt-Akte Bl. 1 ff., ergänzt Bl. 51 ff.), auf dem später das Technische Zentrum L errichtet worden war, ein Verwaltungs- und Schulungszentrum der D AG. In die Bemessungsgrundlage (insgesamt 176.950.140,00 DM) einbezogen waren -bei Annahme eines sog. einheitlichen Vertragswerkes- neben dem Kaufpreis für das Grundstück (8.050.000,00 DM netto) weitere Kosten im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes (insbesondere Gebäudeherstellungskosten i.H. von 133.100.000,00 DM netto aufgrund eines Generalübernehmervertrages). Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zum Bescheid vom 13. Dezember 1999 verwiesen.

Ursprünglich hatte das Finanzamt L für den Grundstückserwerb mit Bescheid vom 2. Oktober 1992 Grunderwerbsteuer i.H. von 183.765,00 DM festgesetzt (GrESt-Akte Bl. 28). Bemessungsgrundlage war der im notariellen Kaufvertrag vom 24. Juni 1992 festgelegte Kaufpreis einschließlich Umsatzsteuer i.H. von 9.188.270,00 DM. Der Bescheid vom 2. Oktober 1992 war adressiert an die Klägerin unter ihrer damaligen Firma "D KG"; unter dieser Firma ist die Klägerin 1992 mit Sitz in B gegründet worden, vgl. Gesellschaftsvertrag vom 11. September 1992, GrESt-Akte Bl. 32 ff.) und unter der Anschrift B 42, F - diese Anschrift hatte der beurkundende Notar mit Einreichung der Veräußerungsanzeige mitgeteilt (vgl. notarielles Begleitschreiben vom 26. Juni 1992 und Veräußerungsanzeige, GrESt-Akte Bl. 24/25). Mit Schreiben vom 28. Oktober 1993 (GrESt-Akte Bl. 110) hatte die Klägerin eine Umfirmierung mitgeteilt (neue Firma: "D KG, Sitz und Postanschrift in B ).

Mit Schreiben vom 12. März 1993 (GrESt-Akte Bl. 30f.) hatte das Finanzamt B dem Finanzamt L IV neben weiteren Unterlagen den von der Klägerin abgeschlossenen Generalübernehmervertrag vom 6. Juli 1992 übersandt (GrESt-Akte Bl. 57-87), hatte auf eine bestehende personelle Verflechtung zwischen der Grundstücksverkäuferin und der Generalübernehmerin hingewiesen sowie darauf, dass seiner Auffassung nach die Kosten der Bebauung in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen seien. Das Finanzamt L hat am 10. Oktober 1997 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid erlassen, in dem es unter Änderung des Bescheides vom 2. Oktober 1992 Grunderwerbsteuer i.H. von 3.539.002,00 DM (Bemessungsgrundlage 176.950.140,00 DM) festgesetzt hat (GrESt-Akte Bl. 118). Wegen der Zusammensetzung der Bemessungsgrundlage hat das Finanzamt auf sein Schreiben vom 8. Oktober 1993 (GrESt-Akte Bl. 109 III) verwiesen. Der Änderungsbescheid vom 10. Oktober 1997 war gerichtet an die Klägerin unter der alten Firma "D KG" unter der angegebenen Anschrift B 42, F. In dem hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren hat die Klägerin materiellrechtliche Einwendungen erhoben gegen die Einbeziehung der Aufwendungen für die Gebäudeerrichtung in die Bemessungsgrundlage und der vom Finanzamt vertretenen Auffassung widersprochen, es bestehe ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und den Verträgen über die Gebäudeerrichtung. Im Einspruchsverfahren hat die Klägerin weitere von ihr abgeschlossene Verträge im Zusammenhang mit der Gebäudeerrichtung vorgelegt (Generalübernehmervertrag in vollständiger Fassung, Projektmanagement-, Geschäftsbesorgungs-, Konzeptions- und Marketingvertrag, vgl. GrESt-Akte Bl. 137 ff., 171 ff., 180 ff., 183f.). Zudem hat das Finanzamt B , das eine Außenprüfung auch in Bezug auf die Grunderwerbsteuer durchgeführt hatte, unter dem 5. März 1998 eine Stellungnahme abgegeben (vgl. GrESt-Akte Bl. 202 ff.). Hinsichtlich des Bescheides vom 10. Oktober 1997 ist ein Bekanntgabefehler oder eine fehlerhafte Bezeichnung des Bescheidadressaten weder von der Klägerin geltend gemacht worden noch war dies Gegenstand des Schriftverkehrs im Einspruchsverfahren. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Einspruchsverfahren wird verwiesen auf die Schriftsätze vom 4. November 1997, 20. November 1997 und 20. April 1998 (GrESt-Akte Bl. 132 ff., 188 ff., 214).

Mit Bescheid vom 14. Dezember 1998 hat das Finanzamt L den Grunderwerbsteuerbescheid vom 10. Oktober 1997 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgehoben (GrESt-Akte Bl. 229f.). Ausweislich des Erläuterungstextes erledigte sich hierdurch der Einspruch der Klägerin. Der Aufhebungsbescheid war ergangen auf der Grundlage eines -der Klägerin nicht zur Kenntnis gebrachten- Aktenvermerkes des Finanzamtes vom 26./27. Oktober 1998 (GrESt-Akte Bl. 216-218). Unter dessen Ziff. 2.1 heißt es: "Dem Einspruch ist abzuhelfen. Der geänderte Grunderwerbsteuerbescheid vom 10.10.1997 ist nicht wirksam bekanntgegeben (§ 124 Abs. 1 AO 1977). Dem FA war seit 1993 bekannt, dass sich die Firma der Erwerberin geändert hatte. Die Unterschiedlichkeit der Firmenbezeichnung schließt es aus, von einem bloßen Schreibversehen auszugehen (§ 129 AO 1977)." Unter Ziff. 2.2 war handschriftlich eingefügt: "Der mit Maßgabe .... erstellte neue GrESt-Bescheid ist an die geänderte Fa. bekanntzugeben".

Nachdem das Finanzamt B unter dem 25. März 1999 eine -im Wesentlichen der Stellungnahme vom 5. März 1998 entsprechende- Abschrift (Auszug) aus einem Betriebsprüfungsbericht übersandt hatte (GrESt-Akte Bl. 244 ff.), hat das Finanzamt L den streitgegenständlichen geänderten Grunderwerbsteuerbescheid vom 13. Dezember 1999 erlassen, gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und inhaltlich übereinstimmend mit dem aufgehobenen Bescheid vom 10. Oktober 1997.

Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 13. Dezember 1999. Der Bescheid habe nicht erlassen werden dürfen. Die von der Finanzbehörde herangezogene Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO komme als Rechtsgrundlage nicht in Betracht: Die Bescheidänderung beruhe nicht auf einer geänderten Sachverhaltskenntnis, sondern auf einer geänderten Rechtsauffassung. Außerdem komme es für das nachträgliche Bekanntwerden änderungsrelevanter Tatsachen auf den Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens durch den Abhilfebescheid vom 14. Dezember 1998 an. Zu diesem Zeitpunkt habe das Finanzamt den Sachverhalt und die Beweisgrundlage umfassend gekannt. Nach Ergehen des Abhilfebescheides vom 14. Dezember 1998 seien keine für die Änderung relevanten Tatsachen bekannt geworden. Zudem sei Festsetzungsverjährung eingetreten und die geltend gemachten Steueransprüche seien verwirkt. Der Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999 sei auch materiell rechtswidrig, weil die Kosten für die Bebauung nicht in die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage hätten einbezogen werden dürfen. Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 28. Dezember 2000 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Grunderwerbsteuerbescheid des Finanzamtes L vom 13. Dezember 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes E vom 9. Oktober 2000 aufzuheben,

hilfsweise

für den Fall eines vollständigen oder teilweisen Unterliegens

die Revision zuzulassen,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung geltend, der angefochtene Bescheid vom 13. Dezember 1999 sei rechtmäßig. Der Bescheid vom 10. Oktober 1997 sei zu Recht aufgehoben worden: Er sei an die nicht mehr existente Di KG bekanntgegeben worden und daher wegen inhaltlicher Unbestimmtheit unwirksam bzw. sei wegen fehlerhafter Adressierung nicht wirksam bekanntgegeben worden (vgl. Seiten 8-10 der Einspruchsentscheidung). Da nach erfolgter Aufhebung eine wirksame Steuerfestsetzung noch nicht vorgelegen habe, habe die Steuer mit Bescheid vom 13. Dezember 1999 festgesetzt werden können. Die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen Bescheides vom 2. Oktober 1992 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hätten vorgelegen, weil dem Finanzamt erst nach Erlass dieses Bescheides aufgrund der Mitteilung des Finanzamtes B vom 12. März 1993 bekannt geworden sei, dass im sachlichen Zusammenhang mit dem Kaufvertrag weitere Verträge abgeschlossen worden seien. Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Die Aufwendungen im Zusammenhang mit der Gebäudeerrichtung seien zutreffend in die Bemessungsgrundlage einbezogen worden, weil die Voraussetzungen für die Annahme eines sog. einheitlichen Vertragswerkes erfüllt seien. Wegen der Einzelheiten wird auf die vom Finanzamt in Bezug genommene Einspruchsentscheidung verwiesen.

Infolge eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels während des Klageverfahrens ist das Finanzamt L Beklagter im vorliegenden Rechtsstreit geworden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 13. Dezember 1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; folglich waren der Bescheid sowie die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung aufzuheben, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Dahingestellt bleiben kann, ob -wie die Klägerin geltend macht- Festsetzungsverjährung eingetreten ist und ob unzutreffenderweise die Aufwendungen für die Gebäudeerrichtung in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen worden sind. Denn das Finanzamt hat zu Unrecht den erneuten Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt, weil die für den Erlass dieses Bescheides herangezogenen steuererhöhenden Tatsachen nicht im Sinne dieser Vorschrift nachträglich bekannt geworden sind: Maßgeblich für die Frage, ob die den Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999 stützenden Tatsachen nachträglich im Rechtssinne bekannt geworden sind, ist nicht der Kenntnisstand des Finanzamtes bei Erlass des ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheides vom 2. Oktober 1992. Vielmehr ist maßgeblich der Kenntnisstand der Behörde bei Abschluss des Einspruchsverfahrens mit Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 1998. Bei Erlass dieses Bescheides waren aber dem Finanzamt, auch aufgrund der mit dem späteren Prüfungsbericht weitgehend identischen Stellungnahme des Prüfungsfinanzamtes vom 5. März 1998, sämtliche von ihm für die Änderung des Bescheides als relevant angesehenen Tatsachen bekannt, namentlich die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Gebäudeerrichtung abgeschlossenen Verträge und bestehende Verflechtungen zwischen der Klägerin und den von ihr beauftragten Unternehmen. Nach Ergehen des Aufhebungsbescheides vom 14. Dezember 1998 sind änderungsrelevante Tatsachen nicht mehr bekannt geworden, so dass der angefochtene Änderungsbescheid vom 13. Dezember 1999 mangels Vorliegen neuer Tatsachen nicht ergehen durfte:

1. Auf den Kenntnisstand der Behörde bei Ergehen des Aufhebungsbescheides vom 14. Dezember 1998 ist deshalb abzustellen, weil der Aufhebungsbescheid nach den hier vorliegenden besonderen Umständen nur unter den Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) AO i.V. mit §§ 173 ff. AO geändert werden durfte. Denn seine Regelungswirkung beschränkte sich vorliegend nicht auf die bloße Aufhebung des zuvor ergangenen Änderungsbescheides vom 10. Oktober 1997 im Sinne eines sog. actus contrarius: Während des vorangegangenen Einspruchsverfahrens wurde eine Aufhebung der Steuerfestsetzung aus formellen Gründen weder von der Klägerin begehrt noch in sonstiger Weise zwischen den Beteiligten erörtert, noch war sie für die Klägerseite auch nur ansatzweise erkennbar. Infolgedessen musste die Klägerin aus ihrer maßgeblichen Sicht als Bescheidempfängerin den Aufhebungsbescheid als einen Abhilfebescheid verstehen (§ 367 Abs. 2 Satz 3 i.V. mit § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO), mit dem das Finanzamt ihrem Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 10. Oktober 1997 in der Sache entsprochen hat. Die Klägerin musste mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgehen, und durfte hierauf vertrauen, das Finanzamt habe die Sache im Einspruchsverfahren pflichtgemäß (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO) in vollem Umfang erneut inhaltlich geprüft und halte an der (höheren) Steuerfestsetzung in dem aufgehobenen Bescheid vom 10. Oktober 1997 aus materiellrechtlichen Gründen nicht fest (vgl. zu einem Aufhebungsbescheid mit materiellem Regelungsgehalt: BFH-Urteil vom 23. November 2001 VI R 125/00, BStBl II 2002, 296):

a) Die Klägerin hat im Einspruchsverfahren zu keinem Zeitpunkt gerügt, der geänderte Bescheid vom 10. Oktober 1997 sei fehlerhaft adressiert oder ihr nicht wirksam bekannt gegeben. Stattdessen hat sie ausschließlich materiellrechtliche Einwendungen gegen die Einbeziehung der Aufwendungen für die Gebäudeerrichtung in die Bemessungsgrundlage erhoben. Zuletzt, mit Schriftsatz vom 20. April 1998 (GrESt-Akte Bl. 214), hat die Klägerin gegenüber dem Finanzamt L mitgeteilt, das Finanzamt B habe nach Beendigung der von ihm durchgeführten Betriebsprüfung die Entscheidung über den Einspruch "an Ihr Haus zurückverwiesen"; sie hat die Erwartung geäußert, dass dem Einspruch stattgegeben werde und um eine "entsprechende Entscheidung" gebeten. In der Folge hat sie ohne vorangegangene Stellungnahme der Behörde den Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 1998 erhalten, ausweislich dessen Erläuterungen "der Bescheid vom 10.10.1997 ... "nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO aufgehoben" wurde und sich der Einspruch erledigt hatte.

b) Dass es sich hierbei aus Sicht der Klägerin nicht nur um eine Aufhebung aus formalen Gründen handelte, folgt außerdem daraus, dass die Finanzbehörde ihren in dem Aktenvermerk vom 26./27. Oktober 1998 niedergelegten Willen der Klägerin gegenüber zu keiner Zeit zum Ausdruck gebracht hat, wonach der Bescheid vom 10. Oktober 1997 nicht aufgrund einer inhaltlichen Prüfung aufgehoben werden sollte, sondern aus formalen Gründen wegen einer angenommenen unwirksamen Bekanntgabe:

Weder ist im Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 1998 ein Grund für die Aufhebung angegeben noch enthält der Bescheid einen Hinweis darauf, dass die Aufhebung nur aus formalen Gründen erfolgen sollte. Der Aktenvermerk vom 26./27. Oktober 1998, in dem der Wille des Finanzamtes dokumentiert ist, wurde der Klägerin nicht zur Kenntnis gegeben. Ebensowenig hat das Finanzamt während des Einspruchsverfahren in irgendeiner Weise die in dem Aktenvermerk vom 26./27. Oktober 1998 erörterte Frage eines möglichen Bekanntgabemangels gegenüber der Klägerin zur Sprache gebracht. Eine mögliche Aufhebung des Bescheides vom 10. Oktober 1997 aus diesen Gründen war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Schriftwechsels im Einspruchsverfahren. Eine Klarstellung seitens des Finanzamtes, dass der Bescheid (nur) aus formalen Gründen aufgehoben werden sollte, wäre jedoch zwingend erforderlich gewesen, weil Verwaltungsakte unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 133 BGB auszulegen sind und es grundsätzlich nicht darauf ankommt, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Vielmehr ist maßgeblich für die Auslegung der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. BFH-Urteile vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BStBl II 1995, 4, 7; vom 2. Juli 1997 I R 32/95, BStBl II 1998, 176f.; Tipke/Kruse, AO, § 118 Rn. 51 m.w.N.). Zudem ist im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BStBl II 1995, 4, 7).

c) Ebensowenig musste die Klägerin aufgrund der sonstigen ihr bekannten Umstände davon ausgehen, dass der Änderungsbescheid vom 10. Oktober 1997 nach dem Willen des Finanzamtes nur aus formalen Gründen aufgehoben werden sollte:

Die im Bescheid vom 10. Oktober 1997 erfolgte unzutreffende Bezeichnung der Klägerin unter ihrer früheren Firma ("Di" anstelle "D") gab keinen Anlass zu der in dem Aktenvermerk vertretenen Annahme, der Bescheid vom 10. Oktober 1997 sei wegen einer unwirksamen Bekanntgabe aufzuheben, ebensowenig drängte sich für die Klägerin die in der Einspruchsentscheidung vertretene Auffassung auf, der Verwaltungsakt sei "wegen inhaltlicher Unbestimmtheit unwirksam". Diese Auffassung ist unzutreffend, die fehlerhafte Bezeichnung der Klägerin unter ihrer alten Firma führte nicht zur Unwirksamkeit des Bescheides vom 10. Oktober 1997: Vielmehr war die Klägerin als Inhaltsadressatin des Bescheides anhand der ihr bekannten Umstände durch Auslegung eindeutig zu bestimmen, weshalb die fehlerhafte Firmenbezeichnung unschädlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 2004 II R 10/02, BFH/NV 2005, 1365). Der Änderungsbescheid vom 10. Oktober 1997, gerichtet an die Klägerin unter ihrer ehemaligen Firma und unter der vom Notar mitgeteilten Anschrift, nimmt Bezug auf den Grundstückserwerb der Klägerin mit dem von ihr unter ihrer damaligen Firmenbezeichnung abgeschlossenen notariellen Kaufvertrag vom 24. Juni 1992. Der Bescheid vom 10. Oktober 1997 ist der Klägerin auch bekanntgegeben worden, sie hat sich tatsächlich als Inhaltsadressatin empfunden und dementsprechend Einspruch eingelegt.

Soweit das Prüfungsfinanzamt B seine im Schreiben an das Finanzamt L vom 5. März 1998 (GrESt-Akte Bl. 202 ff.) vertretene Auffassung, es liege ein einheitlicher Leistungsgegenstand vor, auch -wovon auszugehen ist- der Klägerin gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, musste die Klägerin aus derartigen Äußerungen seitens des Prüfungsfinanzamtes nicht den Schluss ziehen, das Finanzamt L vertrete die gleiche Rechtsauffassung und habe demzufolge den Bescheid aus formellen Gründen aufgehoben: Die Entscheidungszuständigkeit über den Einspruch lag allein beim Finanzamt L , dieses war an die Rechtsauffassung des prüfenden Finanzamtes nicht gebunden.

2. Vorliegend entspricht die Rechtslage derjenigen im Falle der Änderung des angefochtenen Steuerbescheides durch eine Einspruchsentscheidung: Dabei hat das Finanzamt alle ihm bekannten Tatsachen zu berücksichtigen und darf die in der Einspruchsentscheidung unberücksichtigt gebliebenen Tatsachen nicht zum Anlass einer späteren Änderung nach § 173 AO nehmen (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1983 I R 182/82, BStBl II 1983, 548). Gleiches gilt, wenn das Finanzamt einer Einspruchsentscheidung dadurch ausweicht, dass es dem Antrag des Steuerpflichtigen gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 8/88, BStBl II 1989, 438). Nichts anderes kann gelten, wenn wie vorliegend aus Sicht des Bescheidempfängers einem Einspruch nach der zu erwartenden und vorgenommenen Gesamtfallprüfung inhaltlich nicht nur teilweise, sondern vollständig entsprochen worden ist (vgl. hierzu auch von Wedelstädt, in: Beermann/Gosch, AO, § 173 Rn. 52: Maßgeblich für das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen ist der Zeitpunkt der abschließenden Willensbildung im Einspruchsverfahren, d.h. bei Zeichnung der Verfügung zur Einspruchsentscheidung oder -wie hier- der Verfügung zum Abhilfebescheid).

3. Der Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 1998 kann nicht als ein sog. actus contrarius angesehen werden, dessen Regelungswirkung sich allein beschränkt auf die Beseitigung des Änderungsbescheides vom 10. Oktober 1997. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von demjenigen, der dem BFH-Urteil vom 13. September 2001 IV R 79/99 (BStBl II 2002, 2 ) zugrunde gelegen hat. Soweit der BFH in dieser Entscheidung die Aufhebung von mit Einspruch angefochtenen Änderungsbescheiden als einen actus contrarius qualifiziert hat, lag dem ein Aufhebungsbescheid zugrunde, in dem das Finanzamt -anders als im vorliegenden Fall- ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hat, dass die angefochtenen Änderungsbescheide wegen fehlender Begründung und Anhörung aus formellen Gründen aufgehoben würden und außerdem den Erlass erneuter Änderungsbescheide nach Abschluss einer Fahndungsprüfung in Aussicht gestellt hat. Nichts anderes ergibt sich aus dem im BFH-Urteil vom 13. September 2001 enthaltenen Hinweis auf die mit einem Aufhebungsbescheid vergleichbare Rechtslage bei einem Ablehnungsbescheid, dessen Regelungswirkung sich nicht auf die Steuerfestsetzung erstrecke und der deshalb ebenfalls nicht als ein Änderungsbescheid beurteilt werde, bei dessen Erlass das Finanzamt alle ihm bezüglich der Festsetzung bekannten Tatsachen berücksichtigen müsse. Dem insoweit in Bezug genommenen BFH-Urteil vom 18. Dezember 1996 XI R 36/96 (BtBl II 1997, 264) hatte ebenfalls ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen: Dort hatte das Finanzamt die beantragte Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide ausdrücklich aus verfahrensrechtlichen Gründen wegen der Bestandskraft der Bescheide abgelehnt, ohne die Steuerfestsetzungen in materieller Hinsicht zu überprüfen, und anders konnte, hierauf hat der BFH in dem Urteil vom 18. Dezember 1996 hingewiesen, der Kläger jenes Verfahrens im Unterschied zur Klägerin im Streitfall, den Gehalt des Ablehnungsbescheides auch nicht verstehen.

Vielmehr enthält der hier zu beurteilende Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 1998 im Ergebnis der Auslegung anhand aller Umstände des Einzelfalles einen materiellrechtlichen Regelungsgehalt. Insoweit entspricht der Streitfall -unter Berücksichtigung des hier gefundenen Auslegungsergebnisses- eher dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil vom 23. November 2001 VI R 125/00, BStBl II 2002, 296 zugrunde gelegen hatte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen. Insbesondere weicht der Senat nicht ab von den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 13. September 2001 IV R 79/99 (BStBl II 2002, 2 ), dem, wie oben dargelegt, ein vom Streitfall abweichender Sachverhalt zugrunde liegt. Die Entscheidung, die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, findet ihre Grundlage in § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Ende der Entscheidung

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