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Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 19.10.2005
Aktenzeichen: 4 K 318/02
Rechtsgebiete: GrEStG 1983, AusglLeistG, GG, VermG


Vorschriften:

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1
VermG § 34 Abs. 4
AusglLeistG § 3
AusglLeistG § 6 Abs. 2
GG Art. 20
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 4. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ..., des Richters am Finanzgericht ..., des Richters am Amtsgericht ... sowie der ehrenamtlichen Richter ... und ... auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 19.10.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 19.9.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.1.2002 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Grunderwerbsteuerfreiheit des Rückerwerbs während der Bodenreform enteigneter Grundstücke.

Der Kläger wendet sich gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 19.9.1997, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 14.1.2002, mit dem der Beklagte die Grunderwerbsteuer aus einer Bemessungsgrundlage von 747.764,- DM auf 26.171,- DM festsetzte. Der Festsetzung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mit Vertrag vom 16.12.1996 (Bl. 4 d. Steuerakte) kaufte der Kläger nach dem Flächenerwerbsprogramm der §§ 3 ff. AusglLeistG als Wiedereinrichter von der BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH bzw. der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (Verkäuferin) die im Vertrag genannten Wald- bzw. landwirtschaftlichen Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 422,0239 ha zu einem Kaufpreis von 747.464,45 DM. Die Grundstücke stammen im wesentlichen aus dem 1945 während der sogenannten "Bodenreform" enteigneten Familienbesitz der Adoptivmutter des Klägers, deren Alleinerbe er ist. Zu den erworbenen Flächen gehören nach § 2 Abs. 2 d "sonstige Flächen außerhalb des AusglLeistG von 1,4200 ha" mit einem Kaufpreisanteil von 13.120,80 DM. Dabei handelt es sich um das Waldflurstück Nr. 81 (91,2 ha), zu dem bereits vor der Enteignung von 1945 eine landwirtschaftliche Teilfläche gehörte.

Der Kläger ist der Ansicht, der Erwerbsvorgang sei sowohl nach § 34 Abs. 3 Vermögensgesetz - VermG - als auch nach § 11 Eigentumsübertragungsgesetz vom 22.7.1990 - EigentÜbertrG - von der Grunderwerbsteuer befreit. § 11 Satz 2 der Flächenerwerbsverordnung - FlErwV - stehe dem nicht entgegen. Dem Verordnungsgeber stehe keine steuerrechtliche Gesetzgebungskompetenz zu, aufgrund derer er die Regelung des § 11 EigentÜbertrG habe ändern oder außer Kraft setzen können. Nicht einmal der Wortlaut von § 11 FlErwV - "Der Erwerber soll zur Übernahme der ... Grunderwerbsteuer verpflichtet werden" - lasse erkennen, daß der Verordnungsgeber mehr als eine Zuweisung, wenn Grunderwerbsteuer denn anfallen würde, habe in die Kaufverträge aufnehmen lassen wollen. Der Verweis in § 6 Abs. 2 AusglLeistG auf das VermG sei nicht beschränkt, sondern gelte für alle Ausgleichsleistungen. Mit der ursprünglichen Zweckbindung des Rückerwerbs als Wiedergutmachungsprogramm vor allem für Alteigentümer sei die Erhebung von Grunderwerbsteuer schon per se unvereinbar.

Der Kläger beantragt,

den Grunderwerbsteuerbescheid vom 19.9.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.1.2002 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, eine gesetzliche Grundlage für die Befreiung von Grunderwerbsteuer sei nicht ersichtlich. Die Befreiung nach § 11 EigentÜbertrG sei nicht gegeben, weil das EigentÜbertrG einen vom AusglLeistG verschiedenen Anwendungsbereich habe. Das AusglLeistG regele die Ausgleichsleistungen für Vermögenswerte, die in der Zeit von 1945 bis 1949 entschädigungslos enteignet worden seien und die nach Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Staaten vom 15.6.1990 nicht mehr hätten rückgängig gemacht werden können. Übertragungen nach dem AusglLeistG unterlägen der Grunderwerbsteuer. Eine Steuerbefreiung sei für diese Vorgänge nicht vorgesehen. Aus § 11 Abs. 2 FlErwV ergebe sich, daß der Erwerber bei allen derartigen Kaufverträgen zur Übernahme der Grunderwerbsteuer verpflichtet sei. Das AusglLeistG gehe somit von der Grunderwerbsteuerbarkeit der Grundstücksübertragungen aus. Eine Auslegung des AusglLeistG dahingehend, daß die in § 11 EigentÜbertrG genannte Steuerfreiheit auch dort gelte, sei nicht möglich. Die Grunderwerbsteuerbefreiung ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs. 2 AusglLeistG a.F. i.V.m. § 34 Abs. 3 VermG. Auch bei § 6 Abs. 2 AusglLeistG a.F. seien die anzuwendenden Regelungen jeweils nach dem Gesichtspunkt der Spezialität zu ermitteln. Treffe das AusglLeistG keine Sonderregelung, sei auf das VermG, das Landesverwaltungsverfahrensrecht bzw. die VwGO zurückzugreifen. Hinsichtlich des Anspruchs auf Flächenerwerb nach den §§ 3, 3 a AusglLeistG werde § 6 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG durch § 4 AusglLeistG i.V.m. der FlErwV als Sonderregel für die Durchführung des AusglLeistG verdrängt. Gerade das deutlich zu machen, sei Zweck der Klarstellung des § 6 Abs. 2 i.d.F. des VermRErgG vom 15.9.2000.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorgelegten Steuerakten und der Gerichtsakte 4 K 318/02 Bezug genommen.

Gründe

II.

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 FGO).

Der Kaufvertrag vom 16.12.1996 unterfällt nicht der Grunderwerbsteuer, weil der Flächenerwerb des Klägers als Wiedereinrichter nach dem Flächenerwerbsprogramm der §§ 3 ff. AusglLeistG kein Grundstückserwerb i.S.d. § 1 Abs. 1 GrEStG ist, sondern Teil des verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleichs für den Kläger, der Opfer der sogenannten demokratischen Bodenreform ist (vgl. Nr. 1 Satz 4 der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990; dazu BVerfG-Urteil vom 23. April 1991, 1 BvR 1170/90, NJW 1991, 1597). Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Grundgesetz - GG - verlangt, daß die staatliche Gemeinschaft in der Regel die Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einzelne Bürger oder bestimmte Gruppen von ihnen getroffen haben (BVerfG-Urteil vom 22. November 2000, 1 BvR 2307/94, HFR 2001, 164). Die sich hieraus hieraus ergebende Pflicht zu einer Lastenverteilung nach Maßgabe einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber durch Erlaß des AusglLeistG erfüllt.

Darüber hinaus wäre der Kläger, selbst wenn von einem Grundstückserwerb i.S.d. § 1 Abs. 1 GrEStG auszugehen wäre, als Erbe seiner während der sogenannten demokratischen Bodenreform entschädigungslos enteigneten Adoptivmutter von der Grunderwerbsteuer befreit (§ 34 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Buchstabe a VermG). Die Vorschrift des § 34 Abs. 3 VermG ist auch auf Erwerbsvorgänge nach dem AusglLeistG anwendbar (§ 6 Abs. 2 AusglLeistG a.F. i.V.m. § 34 Abs. 3 VermG, vgl. Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, § 34 VermG, Rn. 133; Wendenburg/Seidenfus, Keine Grunderwerbsteuer auf begünstigten Flächenerwerb, DStZ 2004, 231).

§ 6 Abs. 2 AusglLeistG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Gesetzesänderung durch das Vermögensrechtsergänzungsgesetz - VermRErgG - vom 15.9.2000 bestimmt unter der Überschrift "Zuständigkeit und Verfahren" die entsprechende Anwendung des VermG für die Durchführung des AusglLeistG und damit die Geltung der Grunderwerbsteuerbefreiung des § 34 Abs. 3 VermG. Zwar handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine Vorschrift des materiellen Steuerrechts, gleichwohl ist die Verweisung in § 6 Abs. 2 AusglLeistG als eine Verweisung auf den gesamten Abschnitt VI. des Vermögensgesetzes mit der Überschrift "Verfahrensregelungen" zu verstehen, in dem vollumfänglich die Durchführung der Rückübertragung geregelt ist unter Einschluß materieller Rechtsvorschriften wie Grunderwerbsteuerbefreiung, Verzinsung (§ 33 a VermG) und Eigentumsübergang (§ 34 Abs. 1 VermG). Dieser Auslegung entspricht, daß nach § 1 Abs. 8 a VermG die "Bestimmungen über Zuständigkeit und Verfahren" des Vermögensgesetzes auch für Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage anwendbar bleiben. Diese Verweisung innerhalb des Vermögensgesetzes kann nur als Verweisung auf den gesamten Abschnitt VI. und nicht auf einzelne Normen verstanden werden.

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Verweisung in § 6 Abs. 2 AusglLeistG a.F. auch auf die Vorschriften des Flächenerwerbsprogramms anwendbar, da der Gesetzeswortlaut keine Einschränkung enthält. Zu einer anderen Beurteilung kann auch nicht die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 6 Abs. 2 AusglLeistG durch das VermRErgG (BT-Drs. 14/1932, S. 17) führen, wonach es sich um eine "Klarstellung [handelt], dass das Vermögensgesetz für die Durchführung der § 3, 3a und der aufgrund von § 4 Abs. 3 ergangenen Rechtsverordnung nicht gilt": Tatsächlich handelt es sich dabei um eine inhaltliche Änderung des § 6 Abs. 2 AusglLeistG - vor der Änderung durch das VermRErgG war diese Einschränkung nicht gegeben.

Eine einschränkende Auslegung ist auch nicht aus systematischen Gründen vorzunehmen. Zutreffend ist, daß die aufgrund der Ermächtigungsnorm des § 4 Abs. 3 AusglLeistG erlassene Flächenerwerbsverordnung gegenüber den Regelungen des § 6 Abs. 1 AusglLeistG und den Verfahrensregelungen des VermG speziellere Verfahrensregelungen enthält. Es sind jedoch weder der Flächenerwerbsverordnung noch dem Ausgleichsleistungsgesetz Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß diese spezielleren Regelungen abschließend sein sollen. Vielmehr kann auch bei vorrangiger Anwendung der Regelungen des § 4 Abs. 3 AusglLeistG i.V.m. §§ 7 ff. FlErwV bei Regelungslücken auf die Regelungen des VermG zurückgegriffen werden.

Dem Rückgriff auf § 34 Abs. 3 VermG steht auch nicht § 11 Satz 4 FlErwV entgegen, wonach der Erwerber zur Übernahme der Erwerbskosten, insbesondere auch der Grunderwerbsteuer, verpflichtet werden soll: § 11 Satz 4 FlErwV begründet nach dem eindeutigen Wortlaut keine Grunderwerbsteuerpflicht, sondern setzt das Bestehen einer solchen voraus. Eine solche Grunderwerbsteuerpflicht besteht tatsächlich im Rahmen des landwirtschaftlichen Strukturprogramms (§§ 3 Abs. 1 - 4 AusglLeistG; dazu Fieberg/Reichenbach, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, AusglLeistG Einf, Rn. 3), weil diese Erwerber nicht zum Kreis der Betroffenen i.S.d. § 34 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 VermG gehören.

Daß § 34 Abs. 3 VermG auf den Flächenerwerb nach dem AusglLeistG anzuwenden ist, wird durch andere Vorgänge bestätigt, für die der Gesetzgeber im Zuge der Wiedervereinigung Grunderwerbsteuerfreiheit angenommen hat (vgl. Wendenburg/Seidenfus, Keine Grunderwerbsteuer auf begünstigten Flächenerwerb, DStZ 2004, 231). So bestimmt § 2 Abs. 3 Satz 1 Mauergrundstücksgesetz - MauerG -, daß Erwerbe i.S.d. § 2 Abs. 1 MauerG, mit denen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger ihre früheren, nunmehr bundeseigenen Mauer- und Grenzgrundstücke zurückerwerben konnten, von der Grunderwerbsteuer befreit sind. Einer solchen ausdrücklichen Regelung bedurfte es im MauerG im Gegensatz zum AusglLeistG, weil im MauerG die subsidiäre Geltung des VermG nicht angeordnet wurde. Ebenso finden sich Regelungen zur Grunderwerbsteuerfreiheit in § 11 EigentÜbertrG hinsichtlich der Erwerbe von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken durch Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder und andere Bürger sowie in § 67 Landwirtschaftsanpassungsgesetz hinsichtlich der Maßnahmen zur "strukturelle[n] Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft" (dazu Viskorf, in: Boruttau, GrEStG, Anh. 1 zu § 4, Rn. 13 ff.). Das Gericht sieht sich nicht imstande zu begründen, daß der Gesetzgeber im Fall der Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage eine abweichende Regelung treffen wollte und durfte. Vielmehr war er bei der Ausgestaltung der Wiedergutmachung früheren, von einer anderen Staatsgewalt zu verantwortenden Unrechts an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (BVerfG-Urteil vom 22. November 2000, Az. 1 BvR 2307/94) mit der Folge, daß es nicht vertretbar wäre, Rückerwerbe der während der Bodenreform Enteigneten abweichend von den anderen Vorgängen der Grunderwerbsteuer zu unterwerfen.

Die Grunderwerbsteuerfreiheit bezieht sich auf den gesamten Rückübertragungsvorgang, auch auf die im Kaufvertrag unter § 2 Nr. 2 d) bezeichnete Fläche "außerhalb des AusglLeistG". Der Kauf dieser Teilfläche beruht ebenso auf dem AusglLeistG wie der Kauf der restlichen Flächen. Er hat lediglich nicht an der Kaufpreisbegünstigung des § 6 Abs. 4 FlErwV für Waldflächen teilgenommen, weil es sich bei diesem Teilstück um eine landwirtschaftliche Fläche handelte. Der Kaufpreis der landwirtschaftlichen Fläche war deshalb nach § 5 FlErwV zu ermitteln.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 155 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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