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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 5 K 901/03 Kg
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 1
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EStG § 64 Abs. 3
FGO § 60 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen

5 K 901/03 Kg

Familienleistungsausgleich

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 5. Senat

durch

den Berichterstatter gem. § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Finanzgerichtsordnung

ohne mündliche Verhandlung

am 23.11.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um Kindergeld für B , geb. 17.9.1986, ab September 2002.

Die Klägerin bezog für die in ihrem Haushalt lebende Tochter B bis August 2002 Kindergeld. Ab 12.8.2002 ging die damals 16 Jahre alte B in das Kinderheim L . Nach Darstellung der Klägerin verblieb dieser Schritt als einziger zur Hilfe für die Entwicklung der Tochter, die sich dort auch in ärztliche Behandlung begab. Besuchskontakte zwischen B und dem Elternhaus fanden zunächst nicht statt. Nach einer Auskunft des Heimleiters des Kinder- und Jugendzentrums L in L wurden Besuchskontakte zwischen B und dem Elternhaus zunächst von beiden Seiten abgelehnt und fanden deshalb auch nicht statt. B wurde erstmals an Weihnachten, 24. bis 25.12.2002, zu ihrer Mutter nach Hause beurlaubt; im Monat Januar 2003 fand keine solche Beurlaubung statt. Seit 10.7.2004 befindet sich die Tochter wieder im Haushalt der Klägerin.

Das Jugendamt des Landratsamts F gewährte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe der Tochter seit dem 12.8.2002 Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27ff Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) in Höhe von monatlich 2.577,95 EUR. Es zog die beiden getrennt lebenden Elternteile zum Kostenbeitrag heran und forderte von der Klägerin Unterhaltszahlung von monatlich 21.98 EUR und von dem Vater T, W in K , einen monatlichen Unterhalt von 441 EUR (364 EUR zuzüglich 1/2 Kindergeld von 77 EUR).

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 30.1.2003 die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab September 2002 auf, da B nicht im Haushalt eines leiblichen Elternteils lebe und der andere Elternteil den überwiegenden Barunterhalt für das Kind leiste. Der dagegen erhobene Einspruch wurde unter Verweis auf die Höhe der Unterhaltsleistungen am 25.3.2003 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin vorträgt: Die angegriffenen Bescheide seien offenkundig fehlerhaft. Neben den hohen Betreuungskosten für die kleinere Tochter (2 Jahre) trage die Klägerin trotz Heimunterbringung ihrer Tochter B alle fortlaufenden Kosten wie sämtliche Versicherungsleistungen, Aufwendungen jeder Natur bei Wochenendbesuchen u.v.m. In den Verwaltungsentscheidungen würden jegliche zahlenmäßigen Angaben fehlen. Bis zur Zeit der Heimunterbringung habe B nur bei ihrer Mutter gewohnt. Trotz Heimeinweisung habe die Haushaltszugehörigkeit zu keinem Zeitpunkt geendet (unter Hinweis auf die Urteile des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. April 2005 Az. 3 K 2592/03 und des Finanzgerichts Köln vom 5. Juni 2002 Az. 10 K 7322/98). Erst zu Weihnachten sei eine Besuchsmöglichkeit gelungen. B habe fortlaufend ihr Zimmer in der Wohnung der Klägerin. Die Verantwortung und Fürsorge der Klägerin für ihre Tochter bestehe auch für die Zeit der Heimunterbringung fort. Sie habe sich gekümmert, aufgeopfert und auf die Suche nach weiterführenden erzieherischen Möglichkeiten gemacht. Sie habe insoweit auch ab September 2002 weitergewirkt. Daher sei sie der vorrangig kindergeldberechtigte Elternteil. Die Leistung des Barunterhalts durch den Vater falle offenkundig kaum ins Gewicht. Der in Frankfurt lebende Vater habe erstmals im Herbst 2002 einen Versuch zu näherem persönlichen Kontakt mit seiner Tochter unternommen, der aber wieder abgebrochen sei. B s familiäre Bindungen würden nur zur Klägerin bestehen. B s Aufenthalt im Heim sei eine periodische Maßnahme und könne bei hinreichenden Fortschritten von der Klägerin jederzeit beendet werden. Ein Hilfeplan sei nur über die Dauer von zunächst einem halben Jahr erstellt worden. Es handele sich um eine vorübergehende und nicht um eine dauernde Heimunterbringung. Man könne von einer internatsgleichen Situation sprechen, da B in der Nähe des Heims eine Lehrausbildung in M (25 km vom Haushalt der Klägerin entfernt) verfolge.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 30.1.2003 in Form der Einspruchsentscheidung vom 25.3.2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und trägt zur Begründung vor, für die Haushaltsaufnahme sei es zwar nicht schädlich, dass sich ein Kind auswärts in Schul- oder Berufsausbildung befinde oder vorübergehend in einem Krankenhaus verweile oder sich vorübergehend in einer Erziehungsanstalt oder in einem Jugendheim befinde, es sei denn, dass es sich um eine dauernde Heimunterbringung oder Fürsorgeerziehung auf Kosten Dritter handele. In diesen Fällen diene die Heimerziehung gerade dem Zweck, das Kind aus seiner bisherigen Umgebung zu entfernen und in einem günstigen Sinn auf seine Erziehung einzuwirken. Die Heimerziehung soll in einem solchen Fall an die Stelle der Erziehung durch die Eltern treten. Alle für die Haushaltsaufnahme bedeutsamen Merkmale würden nunmehr durch die Heimleitung verwirklicht. B sei auf Bitten der Klägerin aus erzieherischen Maßnahmen im Heim untergebracht mit dem Ziel der Haushaltsaufnahme im Heim. Damit sei die Haushaltsaufnahme bei der Klägerin beendet worden. Die Tochter B sei im streitigen Zeitraum September 2002 bis Januar 2003 im Heim betreut und versorgt worden. Der besuchsweise Aufenthalt an Wochenenden und in den Ferien sei nicht als Haushaltsaufnahme zu werten. Aus den Kostenfestsetzungbescheiden des Landratsamts F sei ersichtlich, dass der Kindesvater den höheren Barunterhalt leiste. Damit sei er vorrangig Kindergeldberechtigter nach § 64 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Beklagte beantragt, den Kindesvater T, W in K , nach § 60 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) und später nach § 175 Abs. 4 und 5 Abgabenordnung 1977 (AO) zum Verfahren beizuladen, da eine Entscheidung zum Kindergeldanspruch für B nur einheitlich gegenüber der Klägerin und Herrn L ergehen könne.

Die Beklagte hat die Kindergeld-Akte vorgelegt. Nach den im Verwaltungsverfahren abgegebenen Erklärungen und Belegen (Blatt 73ff dieser Akte) zu den Unterhaltsleistungen für ihre Tochter B hatte die Klägerin jährliche Aufwendungen in Höhe von insgesamt 372,66 EUR für folgende Versicherungen:

 28,08 EURfür Unfallversicherung für B
75,80 EUR(151,60 DM) für Privathaftpflichtversicherung für Familien
61,87 EUR für ADAC Verkehrsrechtsschutz (gilt auch für Familienangehörige als Fußgänger und Radfahrer)
141,97 EURfür Privat- und Berufs-Rechtsschutz (mitversichert sind T und Minderjährige) sowie für Rechtsschutz für Hauseigentümer
19,94 EURfür Auslandskrankenschutz (ADAC-Familienvertrag)

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter zugestimmt.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht das Kindergeld für B in der Zeit von September 2002 bis Januar 2003 nicht zu.

Das Gericht konnte nur über den Kindergeldanspruch für die Zeit von September 2002 bis Januar 2003 entscheiden, weil es darauf ankam, ob der angefochtene Bescheid vom 30.1.2003 rechtmäßig war oder nicht (vgl. § 100 Abs. 1 FGO). Als Verwaltungsakt traf dieser Aufhebungsbescheid eine Regelung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung und erschöpfte sich daher in der Regelung des Kindergeldanspruchs für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum. Über die danach entstandenen Kindergeldansprüche kann ein Aufhebungsbescheid noch keine Regelung treffen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFH/NV 2001, 1652, undvom 28. Januar 2004 VIII R 12/03, BFH/NV 04, 786).

Die Klägerin ist zwar Anspruchsberechtigte im Sinne des § 62 Abs. 1 EStG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 32 Abs. 1 EStG, aber sie hatte in der oben genannten Zeit B nicht in ihren Haushalt aufgenommen. Da B auch nicht in den Haushalt des ebenfalls anspruchsberechtigten Kindsvaters aufgenommen war, erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind die höchste Unterhaltsrente zahlt, § 64 Abs. 3 EStG. Nach den vorliegenden Zahlen leistete die Klägerin weniger Unterhalt als der Kindsvater. Dabei berücksichtigte das Gericht nicht nur die monatlichen Unterhaltsleistungen der Klägerin in Höhe von 21.98 EUR an das Jugendamt, sondern auch ihre im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Versicherungsleistungen, die monatlich 27,30 EUR (327,66 EUR / 12) betragen, wobei bei allen Versicherungen außer der Unfallversicherung der Anteil für B noch herauszurechnen wäre.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Haushaltsaufnahme im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG dann gegeben, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein. Danach gehört ein Kind dann zum Haushalt eines Elternteils, wenn es dort wohnt, versorgt und betreut wird, so dass es sich in der Obhut dieses Elternteils befindet (vgl. BFH-Urteile vom 14. November 2001 X R 24/99, BStBl II 2002, 244, undvom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BFH/NV 2005, 616 mit vielen weiteren Nachweisen).

Diese Voraussetzungen liegen für den Zeitraum September 2002 bis Januar 2003 nicht vor, denn B wohnte in dieser Zeit nicht im Haushalt ihrer Mutter und wurde von ihr auch nicht versorgt, betreut oder erzogen. Vielmehr hielt sie sich - bis auf zwei Weihnachtstage, die hier nicht ins Gewicht fallen - im Kinderheim auf. Dort sollte auch die Erziehung stattfinden.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt (vgl. zum Beispiel BFH-Urteil vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324), dass bei einer nicht nur vorübergehenden Unterbringung des Kindes in einem Heim der Kindergeldberechtigte, in dessen Wohnung sich das Kind auch aufhält, die größeren Lasten, die zu einer Vorrangstellung im Sinne des § 64 EStG führen, dann trägt, wenn die Betreuung in der Wohnung einen auch zeitlich bedeutsamen Umfang erreicht. So liegt es hier aber nicht, denn zum einen geht die Verweildauer von B im Kinderheim L von insgesamt 23 Monaten über den kurzfristigen und deswegen kindergeldunschädlichen Aufenthalt zum Beispiel in einem Krankenhaus oder Sanatorium weit hinaus. Und zum anderen ist der besuchsweise Aufenthalt an zwei Weihnachtsfeiertagen nicht als bedeutend anzusehen. Denn die Betreuung des Kindes im Haushalt des Berechtigten hat dann keinen zeitlich bedeutsamen Umfang, wenn der Aufenthalt des Kindes erkennbar nicht über Besuche bei den Eltern in den Ferien oder im Urlaub hinausgeht. Da nach dem vorgelegten Hilfeplan jedenfalls bis Januar 2003 auch kein darüber hinausgehender Aufenthalt bei der Klägerin geplant oder tatsächlich stattgefunden hat, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob für die Zeit nach Januar 2003 ein Aufenthaltszeitraum von insgesamt mehr als drei Monaten pro Jahr gegeben ist, den der BFH als eine den Besuchscharakter überschreitende Dauer angesehen hat.

Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 5.6.2002 stützen, denn in nach dem dort zugrundeliegenden Sachverhalt wohnte das Kind während des Heimaufenthaltes regelmäßig und für längere Zeiträume im Haushalt der kindergeldberechtigten Mutter.

Auch der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. April 2005 überzeugt nicht, da dort über einen Sachverhalt entschieden wurde, der durch eine rechtswidrige Inobhutnahme durch das Jugendamt gekennzeichnet war und sich der kindergeldberechtigte Elternteil umgehend und erfolgreich gegen die behördliche Maßnahme zur Wehr gesetzt hatte. Wie oben dargestellt, liegt im vorliegenden Streitfall ein nicht vergleichbarer Sachverhalt vor.

Der Kindsvater T war nicht nach § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beizuladen. Nach dem BFH-Beschluss vom 16. April 2002 VIII B 171/01, BStBl II 2002, 578, ist bei der Klage eines Elternteils mit dem Ziel, ihm das Kindergeld zu gewähren, der andere Elternteil selbst dann nicht notwendig zum Verfahren beizuladen ist, wenn er bei Stattgabe der Klage das bisher zu seinen Gunsten festgesetzte Kindergeld verliert. Der BFH hat den Umstand, dass die Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des einen Elternteils Auswirkungen für den anderen Elternteil haben werde, nicht als ausreichenden sachlogischen und verfahrensrechtlichen Zusammenhang angesehen, weil die Entscheidung des FG gegenüber dem einen Elternteil nicht - wie § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO voraussetzt - unmittelbar in die Rechtssphäre des anderen Elternteils eingreift. Es sei Sache der Verwaltung, diesem gegenüber bei Erfolg der Klage durch Aufhebung der Kindergeldfestsetzung die materiell-rechtlich zutreffende Rechtslage herzustellen. Da nach dem Ausgang dieses Verfahrens die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kindsvater nicht korrigiert zu werden braucht, ging der Antrag der Beklagten nach § 175 Abs. 4 und 5 AO ins Leere.

Die Kostenentscheidung ergab sich aus § 135 FGO.



Ende der Entscheidung

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