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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 09.07.2007
Aktenzeichen: 3 K 30/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
EStG § 64 Abs. 3 S. 3
EStG § 67 S. 2
EStG § 74 Abs. 1
Ein abzweigungsberechtigtes Kind im Sinne von § 74 Abs. 1 EStG kann nach § 67 Satz 2 EStG eine Kindergeldfestsetzung zugunsten des Berechtigten beantragen und ist nicht an einen vorherigen Ablehnungsbescheid gegenüber dem Berechtigten gebunden, wenn es im ersten Festsetzungsverfahren nicht beteiligt war und der Ablehnungsbescheid ihm auch nicht bekannt gegeben wurde.
Finanzgericht Schleswig-Holstein

3 K 30/07

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts

am 9. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1. November 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2006 verpflichtet, zu Gunsten der Beigeladenen Kindergeld für die Klägerin für den Zeitraum von Januar 2003 bis einschließlich April 2004 festzusetzen und in Höhe von monatlich 154,-- EUR die Auszahlung an die Klägerin anzuordnen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt 86% und die Klägerin 14% der Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Kindergeldfestsetzung und -auszahlung.

Die Klägerin ist die älteste Tochter der Beigeladenen und von Herrn A. Die Beigeladene und Herr A haben zusammen sechs Kinder und sind seit Januar 2003 rechtskräftig geschieden. Die Klägerin wurde im November 1981 geboren. Seit August 1998 und bis einschließlich Dezember 2002 erhielt die Beigeladene für die Klägerin Kindergeld. Die Klägerin absolvierte nach ihrer Schulausbildung von August 2001 bis Ende Juni 2004 eine Ausbildung. Sie lebte zur Zeit dieser Ausbildung in einer eigenen Wohnung und erhielt von ihren Eltern keine Unterhaltsleistungen.

Die Beigeladene stellte am 26. März 2004 bei der Beklagten einen Kindergeldantrag für die Klägerin. Mit Bescheid vom 27. April 2004 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil die Einkünfte und Bezüge der Klägerin im Jahr 2003 den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 7.188,-- EUR überschritten haben. Dieser Bescheid wurde von der Beigeladenen nicht mit dem Einspruch angefochten. Er wurde der Klägerin nicht bekannt gegeben.

Die Klägerin stellte am 29. August 2006 bei der Beklagten einen Antrag auf rückwirkende Auszahlung des Kindergeldes für den Zeitraum ihrer Ausbildung im zweiten und dritten Lehrjahr vom 01. August 2002 bis zum 23. Juni 2004. Sie bezog sich dabei auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164) und fügte ihre Lohnabrechnungen für 2002, 2003 und 2004 bei. Ferner bat sie um Übersendung eines Vordrucks, sofern für die rückwirkende Zahlung von Kindergeld eine formelle Antragstellung erforderlich sei.

Mit Bescheid vom 01. November 2006, gerichtet an die Beigeladene, setzte die Beklagte zu Gunsten der Beigeladenen Kindergeld für die Klägerin für die Monate Mai und Juni 2004 in Höhe von 179,-- EUR fest. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach Abzug der Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der Grenzbetrag der Einkünfte und Bezüge der Klägerin nicht überschritten worden sei. Eine darüber hinausgehende rückwirkende Änderung des Ablehnungsbescheides vom 27. April 2004 könne nicht erfolgen. Mit diesem Bescheid sei der Kindergeldanspruch ab Januar 2003 abgelehnt worden. Mit Ablauf der Einspruchsfrist sei er bestandskräftig geworden. Ein neuer Kindergeldanspruch könne erst ab dem Folgemonat nach Bekanntgabe des ursprünglichen bestandskräftigen Bescheides festgesetzt werden. Die Nachzahlung werde an die Klägerin ausgezahlt. Dieser Bescheid wurde der Klägerin mit Schreiben vom 01. November 2006 von der Beklagten bekannt gegeben.

Die Klägerin legte am 27. November 2006 Einspruch gegen den Bescheid ein. Der Zeitraum vom 01. Januar 2004 bis einschließlich 31. April 2004 könne von der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 27. April 2004 nicht erfasst werden. Eine sachliche Prüfung der Voraussetzungen des Kindergeldanspruches sei ausweislich des Ablehnungsbescheides nebst Anlagen nur für das Kalenderjahr 2003 erfolgt. Darüber hinaus sei die Klägerin von der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides gegenüber ihrer Mutter selbst nicht erfasst. Ihr im eigenen Namen gestellter Antrag sei nicht als Antrag auf Änderung des Ablehnungsbescheides vom 27. April 2004 zu werten, sondern als ihr erstmaliger Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 67 Satz 2 EStG. Danach könne einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld außer dem Kindergeldberechtigten auch stellen, wer ein berechtigtes Interesse an der Leistung von Kindergeld habe. Diese Voraussetzungen lägen bei Abzweigungsberechtigten gemäß § 74 Abs. 1 EStG vor. Ihre Eltern seien geschieden und beide nicht erwerbstätig. Sie bezögen staatliche Leistungen und seien nicht unterhaltspflichtig. Deshalb läge eine Abzweigungsberechtigung vor. Durch ihren Antrag sei die Klägerin erstmals Beteiligte des Kindergeldfestsetzungsverfahrens geworden.

Mit Einspruchsentscheidung vom 27. November 2006 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 27. Dezember 2006 beim Gericht einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, dem mit Beschluss vom 26. März 2007 (3 S 261/06) im Wesentlichen stattgegeben wurde.

Die Klägerin hat am 30. März 2007 unter Bezugnahme auf den Prozesskostenhilfebeschluss Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung ihrer Klage trägt sie im Wesentlichen vor, das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, a.a.O.) klargestellt, dass Sozialversicherungsbeiträge des Kindes nicht auf den Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzurechnen seien. Die Ausbildungsvergütung der Klägerin habe deshalb den Grenzbetrag nicht überschritten und der Beigeladenen habe deshalb Kindergeld bewilligt werden müssen. Die Klägerin sei klagebefugt, weil sie gemäß § 67 Satz 2 EStG im Kindergeldfestsetzungsverfahren eine eigene Antragsbefugnis habe. Die Antragsbefugnis der Klägerin resultiere aus § 74 Abs. 1 EStG, wonach sie die Auszahlung des Kindergeldes an sich verlangen könne. Ihre Eltern seien geschieden und bezögen Arbeitslosengeld II. Sie seien daher nicht leistungsfähig im Hinblick auf die gesetzliche Unterhaltspflicht. Es werde auch kein Naturalunterhalt geleistet, weil die Klägerin seit dem 17. Lebensjahr in ihrer eigenen Wohnung lebe, was sie auch schon zur Zeit ihrer Ausbildung getan habe.

Die Klage sei begründet. Im Kern gehe es um die Frage, ob ein gegenüber dem kindergeldberechtigten Elternteil ergangener Ablehnungsbescheid materielle Bestandskraft auch für das nach § 67 Satz 2 EStG antragsberechtigte Kind entfalte. Diese Frage sei - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht geklärt. Der Bundesfinanzhof differenziere zwischen Festsetzungs- und Auszahlungsverfahren und habe in einer vergleichbaren Fallkonstellation Prozesskostenhilfe bewilligt. Aus dieser Entscheidung sei zu folgern, dass das antragstellende Kind nur dann von der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides erfasst sei, wenn es nur einen Antrag auf Auszahlung gemäß § 74 EStG, nicht aber selbst einen Festsetzungsantrag gestellt habe. Dies sei auch sachgerecht, weil im Falle eines reinen Abzweigungsantrages nach § 74 EStG an den vorangegangenen Festsetzungsbescheid angeknüpft werde. Im Falle eines Festsetzungsantrages des Kindes bestehe dagegen kein Anknüpfungspunkt an den früheren Ablehnungsbescheid gegenüber dem Elternteil. Deshalb könne das Kind nicht von dessen materieller Bestandskraft erfasst sein. Der Steuerfestsetzungsbescheid könne materielle Bestandskraft nur im Verhältnis der Behörde zu Verfahrensbeteiligten erlangen. Auch materiell sei es mit dem Sinn und Zweck der Antragsberechtigung des Kindes nach § 67 Satz 2 EStG nicht zu vereinbaren, wenn dieses durch eine frühere abschlägige Entscheidung gegenüber dem Kindergeldberechtigten gebunden wäre. Die verfahrensrechtlich eigenständige Rechtsstellung des Kindes werde ausgehebelt, wenn es sich auf eine frühere Entscheidung gegenüber den Eltern verweisen lassen müsse.

Unabhängig davon erfasse der Ablehnungsbescheid vom 27. April 2004 nicht den Zeitraum von Januar bis April 2004, weil eine sachliche Prüfung des Kindergeldanspruches nur für das Kalenderjahr 2003 durchgeführt worden sei. Die Eltern der Klägerin hätten gemäß § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG die Beigeladene als Kindergeldberechtigte bestimmt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01. November 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2006 zu verpflichten, für sie gegenüber der Beigeladenen nachträglich Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2003 bis einschließlich April 2004 in Höhe von monatlich 179,-- EUR festzusetzen und die Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass durch einen Antrag auf Abzweigung die Bestandskraft eines Festsetzungsbescheides nicht durchbrochen werden könne. Durch den Ablehnungsbescheid vom 27. April 2004 sei der Kindergeldanspruch für den beschiedenen Zeitraum erloschen. Erst ab Mai 2004 könne wieder Kindergeld bewilligt werden. Der Umfang der Bindungswirkung des Ablehnungsbescheides ergebe sich aus seinem Regelungsgehalt. Die Lehre vom Verwaltungsakt, wonach ein Verwaltungsakt nur dem gegenüber bestandskräftig sei, dem er auch bekannt gegeben worden sei, könne hier keine Anwendung finden, denn es werde generell über den Anspruch auf Kindergeld für einen bestimmten Zeitraum entschieden. Für einen rückwirkenden Abzweigungsanspruch sei deshalb kein Raum. Eine Abzweigung sei nur aus dem originären Anspruch des Kindergeldberechtigten möglich. Wenn dieser aber aufgrund eines bestandskräftigen Bescheides erloschen sei, sei eine Abzweigung rückwirkend nicht mehr möglich.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und hat sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Gerichtsakte zum Verfahren 3 S 261/06 sowie auf den Inhalt des beigezogenen Kindergeldvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

Der Zulässigkeit der Klage steht die Versäumung der Klagefrist von einem Monat seit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2006 (§ 47 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-) nicht entgegen. Der Klägerin ist gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in die versäumte Klagfrist zu gewähren. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat am 27. Dezember 2006, und damit innerhalb der Klagefrist, einen vollständigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Ein mittelloser Steuerpflichtiger ist bis zur Entscheidung über seinen PKH-Antrag unverschuldet verhindert, Rechtsmittel einzulegen. Nach Entscheidung über das PKH-Gesuch (Bewilligung oder Ablehnung) ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er vernünftigerweise nicht mit einer Ablehnung wegen fehlender Bedürftigkeit oder Mutwilligkeit rechnen musste (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 56, Rdnr. 20 m.w.N.). Dies ist hier der Fall, wie der weitgehend stattgebende Prozesskostenhilfebeschluss vom 26. März 2007 (3 S 261/06) zeigt. Die Klägerin hat am 30. März 2007 - und damit binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses ( § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) durch Ergehen des PKH-Beschlusses vom 26. März 2007 - Wiedereinsetzung beantragt und Klage erhoben.

Die Klage hat in der Sache weitgehend Erfolg. Der Bescheid vom 01. November 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin die Festsetzung des Kindergeldes zu Gunsten der Beigeladenen für die Klägerin im Zeitraum von Januar 2003 bis einschließlich April 2004 sowie die Anordnung der Auszahlung des festgesetzten Kindergeldes in Höhe von 154 EUR monatlich an die Klägerin abgelehnt wurde. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Festsetzung des Kindergeldes gegenüber der Beigeladenen für den streitgegenständlichen Zeitraum (1) und auf Anordnung der Auszahlung des Kindergeldes an sie in Höhe von monatlich 154 EUR (2). Soweit die Klägerin darüber hinaus die Auszahlung von weiteren 25 EUR Kindergeld monatlich begehrt (insgesamt 179 EUR monatlich), ist die Klage indes unbegründet.

1) Die Beigeladene hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG, § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG einen Anspruch auf Kindergeld für die Klägerin im Zeitraum von Januar 2003 bis einschließlich April 2004.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr (ab Veranlagungszeitraum 2007 das 25. Lebensjahr) vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Dies war bei der im November 1981 geborenen Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2003 bis einschließlich April 2004 der Fall. Sie war während ihrer Berufsausbildung im streitgegenständlichen Zeitraum 22 bzw. 23 Jahre alt. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein Kind, dass unter § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG fällt, indes nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.188 EUR (ab Veranlagungszeitraum 2004: 7.680 EUR) im Kalenderjahr hat. Diese Grenzbeträge sind im Streitjahr 2003 und anteilig für den Zeitraum der Berufsausbildung von Januar bis einschließlich Juni 2004 ( § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG) unstreitig nicht überschritten. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass bei der Berechnung die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung abzuziehen sind (vgl. BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005, 2 BvR 167/02, a.a.O.). Für 2003 ergeben sich nach Abzug des Arbeitnehmerpauschbetrages von 1.044,-- EUR Einkünfte der Klägerin aus ihrer Ausbildungsvergütung in Höhe von 5.832,90 EUR und für 2004 ergeben sich bis einschließlich Juni unter Berücksichtigung des hälftigen Arbeitnehmer-Pauschbetrages von 460,-- EUR Einkünfte in Höhe von insgesamt 2.871,41 EUR, die unterhalb des hälftigen Grenzbetrages von 3.840,-- EUR liegen.

Die Beigeladene ist auch kindergeldberechtigt. Die Klägerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum in ihrem eigenen Haushalt und erhielt weder von ihrem Vater noch von der Beigeladenen Unterhaltsleistungen. In diesem Falle bestimmen die Berechtigten untereinander, wer das Kindergeld erhalten soll ( § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG). Vorliegend haben die Eltern der Klägerin bestimmt, dass die Beigeladene kindergeldberechtigt sein soll.

Die Klägerin ist auch verfahrensrechtlich berechtigt, die Kindergeldfestsetzung zu Gunsten der Beigeladenen zu erstreiten. Nach § 67 Satz 2 EStG kann den Antrag auf Kindergeld außer dem Berechtigten auch stellen, wer ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes hat. Die Klägerin hat einen solchen Antrag am 29. August 2006 bei der Beklagten gestellt. Ihr Antragsschreiben war bei verständiger Würdigung des Antragsbegehrens so auszulegen, weil die Klägerin nur durch eine Festsetzung des Kindergeldes gegenüber der Beigeladenen eine Abzweigung an sich erreichen konnte. Die Beklagte hat den Antrag auch so verstanden, wie der Bescheid vom 1. November 2006 zeigt, und die Klägerin hat ihr Begehren im Einspruch vom 27. November 2006 ausdrücklich dahingehend klargestellt.

Ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes haben jedenfalls solche Personen, die die Auszahlung von Kindergeld an sich verlangen können. Das kann gemäß § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG auch ein Kind sein, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt bzw. mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder Unterhalt nur in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Wie auch sonst im Steuerrecht ist bei der Steuervergütung Kindergeld zwischen dem Festsetzungs- und dem Erhebungs- bzw. Auszahlungsverfahren zu unterscheiden, mit der Besonderheit, dass die Festsetzung des - fremden - Steuer(vergütungs)-anspruchs gemäß § 67 Satz 2 EStG auch von einem Auszahlungsberechtigten beantragt werden kann. Durch diese Vorschrift erlangt dieser im Festsetzungsverfahren eine Beteiligtenstellung (vgl. § 78 Nr. 1 der Abgabenordnung -AO-). Im Übrigen können in solchen Fällen Auszahlungsberechtigte durch im Festsetzungsverfahren ergangene ablehnende Bescheide selbst betroffen sein (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Januar 2001 VI B 310/00, BFH/NV 2001, 896; vgl. auch FG Köln, Urteil vom 19. September 2002, 10 K 1162/02, EFG 2003, 101).

Vorliegend kann die Klägerin als Abzweigungsberechtigte im Sinne von § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG die Auszahlung des Kindergeldes an sich beantragen. Ihre Eltern waren im maßgeblichen Zeitraum als Bezieher von Sozialleistungen mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig und haben auch keinen Unterhalt geleistet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Ablehnungsbescheid vom 27. April 2004 einer Kindergeldfestsetzung zu Gunsten der Beigeladenen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht entgegen. Dieser Ablehnungsbescheid entfaltet keine Bindungswirkung im Verhältnis zur Klägerin. Der Bescheid erging auf Antrag der Beigeladenen und war nur an sie gerichtet. Die Klägerin war weder im Sinne von § 78 AO in dem Kindergeldfestsetzungsverfahren gegenüber ihrer Mutter beteiligt, noch wurde ihr der Ablehnungsbescheid im Sinne von § 122 Abs. 1 Satz 1 AO bekannt gegeben. Dieser Bescheid konnte somit weder formelle noch materielle Bestandskraft im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten erlangen.

Das gesetzliche Antragsrecht gemäß § 67 Satz 2 EStG dient unter anderem der Durchsetzung von Abzweigungsansprüchen gemäß § 74 Abs. 1 EStG. Es würde in dieser Funktion leerlaufen, wenn der Antragsteller an bestandskräftige Ablehnungsbescheide gegenüber dem Kindergeldberechtigten gebunden wäre, ohne dass er als Verfahrensbeteiligter im Sinne von § 78 AO in die personelle Bindungswirkung dieses Bescheides einbezogen war oder jedenfalls durch eine Bekanntgabe des Bescheides in die Lage versetzt worden war, dagegen Einspruch einzulegen (vgl. auch FG Niedersachsen, Urteil vom 26. September 2000, 6 K 781/98 KI; BFH-Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 181/97, BFHE 194, 368; BStBl II 2001, 443). Die Klägerin kann somit auf der Grundlage von § 67 Satz 2 i.V.m. § 74 Abs. 1 EStG eine Kindergeldfestsetzung zu Gunsten der Beigeladenen für den streitgegenständlichen Zeitraum beanspruchen.

2) Die Klägerin hat nach § 74 Abs. 1 EStG auch einen Anspruch auf Anordnung der Auszahlung des Kindergeldes in Höhe von monatlich 154,-- EUR an sich. Allerdings steht ihr kein Anspruch auf die darüberhinaus geltend gemachten weiteren 25,-- EUR monatlich zu (insgesamt 179,-- EUR). Der Beigeladenen steht für die Klägerin als ältestes und damit erstes Kind im Sinne von § 66 Abs. 1 EStG (vgl. Felix, Kindergeldrecht, 1. Aufl. 2005, § 66 EStG Rdn. 12 m.w.N.) monatlich jeweils 154,-- EUR Kindergeld zu. Das Kindergeld beträgt nach dieser Bestimmung erst ab dem vierten Kind monatlich 179,-- EUR.

Die Abzweigungsvoraussetzungen des § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG liegen - wie oben dargestellt - vor. Die Anordnung der Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin liegt im Ermessen der Beklagten. Vorliegend ist ihr Ermessen dahingehend auf Null reduziert, dass nur die Anordnung der Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin als rechtmäßige Ermessensentscheidung in Betracht kommt.

Das Ermessen der Familienkasse ist regelmäßig dahingehend auszuüben, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG eine Abzweigung des Kindergeldes erfolgt. Im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Kindergeldes sollte dieses nach Möglichkeit an die Personen ausgezahlt werden, denen es letztlich zu Gute kommen soll (vgl. Felix, a.a.O., § 74 EStG Rdnr. 25). Hier kommt hinzu, dass die Beklagte in der Vergangenheit ihr Ermessen zu Gunsten der Klägerin ausgeübt hat. Sie hat mit Bescheid vom 01. November 2006 angeordnet, dass das für die Monate Mai und Juni 2004 rückwirkend festgesetzte Kindergeld an die Klägerin ausgezahlt wird. Es sind keine Umstände ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, abweichend davon nunmehr eine andere Ermessensentscheidung zu treffen, zumal sich die Eltern der Klägerin mit einer Auszahlung an sie einverstanden erklärt haben.

Nach alledem war der Klage überwiegend stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen Antrag gestellt und sich deshalb nicht am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 139 Abs. 4 i.V.m. § 135 Abs. 3 FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 1, § 151 Abs. 2 Nr. 1, § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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