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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 18.11.2004
Aktenzeichen: 3 K 50332/03
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, InsO


Vorschriften:

AO 1977 § 37 Abs. 2
AO 1977 § 218 Abs. 2
AO 1977 § 226 Abs. 1
BGB § 389
InsO § 286
InsO § 287 Abs. 2 S. 1
InsO § 294 Abs. 3
Während der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens ist eine Aufrechnung des Finanzamtes gegen Steuererstattungsforderungen zulässig.
Finanzgericht Schleswig-Holstein

3 K 50332/03

Aufrechnung

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts

am 18. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Befugnis des Beklagten zur Aufrechnung.

Die Klägerin ist gesamtschuldnerisch mit ihrem früheren Ehemann zu Einkommensteuernachzahlungen aus dem Veranlagungszeitraum 1995 und damit zusammenhängenden Nebenforderungen verpflichtet. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 6. Dezember 2001 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte meldete mit Schreiben vom 25. Januar 2002 eine Forderung von insgesamt 2.606,49 EUR an Steuerrückständen für 1995 und Nebenforderungen im Insolvenzverfahren an. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 20. August 2002 wurde die Restschuldbefreiung angekündigt und entschieden, dass sich die Laufzeit der Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) auf fünf Jahre verkürzt. Durch weiteren Beschluss des Amtsgerichts vom 13. September 2002 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.

Die Klägerin beantragte mit ihrem jetzigen Ehemann Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer (ESt) 2002. Mit Steuerbescheid vom 10. Juli 2003 wurde die ESt für die Eheleute auf 8.653 EUR, der Solidaritätszuschlag auf 330,88 EUR und die evangelische Kirchensteuer für den Ehemann auf 13 EUR festgesetzt. Aufgrund eines höheren Lohnsteuerabzuges ergab sich ein Guthaben von 3.309,75 EUR. Mit Schreiben vom 14. Juli 2003 berichtigte der Beklagte die Abrechnung des Steuerbescheides dahingehend, dass der Erstattungsanspruch auf die Klägerin und ihren Ehemann aufgeteilt wurde, wobei auf die Klägerin ein Betrag von 2.184,86 EUR entfiel. Der Beklagte erklärte in diesem Schreiben die Aufrechnung gegen diese Erstattungsforderung der Klägerin mit deren Steuerschulden aus 1995 nebst Nebenforderungen in Höhe von 1.121,40 EUR. Ferner wies der Beklagte darauf hin, dass ein Betrag von 1.063,46 EUR an einen Drittschuldner aufgrund einer Pfändung vom 12. März 2003 ausgekehrt worden sei. Für die Klägerin verbleibe deshalb kein auszuzahlendes Guthaben.

Die Klägerin legte am 4. August 2003 Einspruch gegen den Steuerbescheid 2002 in Form der berichtigten Abrechnung vor und beantragte gleichzeitig, gesonderte Abrechnungsbescheide für die Eheleute zu erteilen.

Mit Abrechnungsbescheid vom 6. August 2003 stellte der Beklagte die Verrechnung des Steuererstattungsguthabens der Klägerin in Höhe von 2.184,86 EUR mit dem gemäß Schreiben vom 14. Juli 2003 aufgerechneten und ausgekehrten Betrag fest, so dass der Erstattungsanspruch erloschen sei.

Nachdem die Klägerin die Pfändung des Drittschuldners erfolgreich angefochten hatte, zahlte der Beklagte den zunächst ausgekehrten Betrag von 1.063,46 EUR an die Klägerin aus.

Die Klägerin legte am 5. September 2003 Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid ein. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass die Aufrechnung von Insolvenzforderungen gegen eine nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstandene Hauptforderung unzulässig sei. Die Insolvenzforderung nehme mit sämtlichen Konsequenzen am Insolvenzverfahren teil. Vorrechte des Fiskus seien durch die Insolvenzordnung beseitigt worden. Die Restschuldbefreiung habe den Zweck, den Schuldner von den restlichen Verbindlichkeiten gegenüber allen Insolvenzgläubigern zu befreien, unbeschränkte Nachforderungsrechte auszuschließen und während der Wohlverhaltensperiode durch das Verbot der Zwangsvollstreckung die Befriedigungsaussichten der Gläubiger nicht untereinander zu verschieben. Für die Dauer der Treuhandperiode sei aus dem Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO ein Aufrechnungsverbot abzuleiten. Jedes andere Ergebnis stehe im Widerspruch zum neuen Insolvenzrecht, welches eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger vorsehe. Die vom Beklagten vorgenommene Verrechnung sei deshalb auch rechtsmissbräuchlich.

Mit Einspruchsentscheidung vom 6. November 2003 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Aufrechnung gegen Steuererstattungsansprüche sei im Restschuldbefreiungsverfahren grundsätzlich möglich.

Die Klägerin hat am 8. Dezember 2003 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, dass der Beklagte durch dessen Rechtsauffassung aufgrund der fiskalischen Monopolstellung gegenüber den sonstigen Gläubigern privilegiert werde. Der Gesetzgeber habe mit der neuen Insolvenzordnung jedoch den Gedanken der Gleichbehandlung aller Gläubiger verfolgt und die bisherigen Vorrechte des Fiskus nach der Konkursordnung abgeschafft. Die Aufrechnungspraxis der Finanzämter während der Dauer der Wohlverhaltensperiode stelle einen Systembruch dar, der eine Erweiterung des Anwendungsbereiches der §§ 96, 294 Abs. 1 InsO gebiete.

Die Klägerin beantragt,

den Abrechnungsbescheid der Beklagten zum ESt-Bescheid 2002 vom 6. August 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an sie das darin verrechnete Guthaben der Klägerin in Höhe von 1.121,40 EUR zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2003 auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass der Fiskus durch die wahrgenommene Aufrechnungsmöglichkeit nicht gegenüber anderen Insolvenzgläubigern privilegiert werde, weil diese ebenfalls die Aufrechnungsmöglichkeit hätten, soweit ihre Verbindlichkeit nicht dem Treuhänder auszukehren sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter anstelle des Senats ( § 79 a Abs. 3 und 4 FGO) ohne mündliche Verhandlung ( § 90 Abs. 2 FGO) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter ( § 79 a Abs. 3 und 4 FGO) ohne mündliche Verhandlung ( § 90 Abs. 2 FGO) erfolgen.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Abrechnungsbescheid des Beklagten vom 6. August 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2003 ist rechtmäßig.

In dem gemäß § 218 Abs. 2 AO auf Antrag der Klägerin erteilten Abrechnungsbescheid ist zu Recht festgestellt worden, dass der noch streitige Teil des Steuererstattungsguthabens der Klägerin in Höhe von - unstreitig - 1.121,40 EUR durch Aufrechnung erloschen ist ( § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 389 BGB). Nach § 226 Abs. 1 AO gelten die Vorschriften des bürgerlichen Rechts für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche sinngemäß, so weit nichts anderes bestimmt ist. Der Beklagte hat die streitgegenständliche Aufrechnung mit Schreiben vom 14. Juli 2003 über die berichtigte Abrechnung des Steuerbescheides 2002 gemäß § 388 BGB erklärt. Die aufgerechneten Forderungen sind der Höhe nach unstreitig und waren im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung fällig ( § 387 BGB).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Aufrechnung nicht durch die Vorschriften der Insolvenzordnung über die Restschuldbefreiung ( § 286 ff. InsO) ausgeschlossen. Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom 14. Juli 2003 war das mit Beschluss des Amtsgerichts vom 6. Dezember 2001 eröffnete Insolvenzverfahren wieder aufgehoben worden (Beschluss des Amtsgerichts vom 13. September 2002). Das Amtsgericht hatte mit Beschluss vom 20. August 2002 die Restschuldbefreiung angekündigt und entschieden, dass die Laufzeit der Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO auf fünf Jahre verkürzt ist. Diese so genannte Wohlverhaltensphase begann gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also am 6. Dezember 2001. Sie war dementsprechend zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom 14. Juli 2003 noch nicht abgelaufen. Aus den Vorschriften der Insolvenzordnung über die Restschuldbefreiung ergibt sich aber kein Verbot der streitgegenständlichen Aufrechnung.

§ 294 Abs. 3 InsO enthält ein solches Verbot nicht. Danach kann gegen die Forderung auf die Bezüge, die von der Abtretungserklärung erfasst werden, der Verpflichtete eine Forderung gegen den Schuldner nur aufrechnen, soweit er bei einer Fortdauer des Insolvenzverfahrens nach § 114 Abs. 2 InsO zur Aufrechnung berechtigt wäre. Der streitgegenständliche Steuererstattungsanspruch wird nicht von der Abtretungserklärung erfasst. Darunter fallen gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO pfändbare Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge. Teilweise wird zwar vertreten, dass die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO auch Ansprüche auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer oder ESt umfasst (vgl. AG Gifhorn, Urteil vom 12.06.2001, 2 C 1055/00, NZI 2001, S. 491). Dem ist indes nicht zu folgen. Ansprüche auf Rückzahlung von Lohnsteuer oder ESt beruhen auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO. Laufende Bezüge, die unter § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO fallen, haben demgegenüber ihren Rechtsgrund in einem zivilrechtlichen Dienstverhältnis und nicht in einem öffentlich-rechtlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der zudem regelmäßig nicht laufend im Sinne von § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO entsteht, sondern bezüglich der Erstattung von Lohnsteuern bzw. ESt je nach den steuerlichen Verhältnissen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums für diesen durch Steuerbescheid festgestellt wird (vgl. auch AG Göttingen, Beschluss vom 19.03.2004, 74 IK 74/02, NZI 2004, S. 332 m.w.N.).

Auch im Übrigen lässt sich aus den Vorschriften der Insolvenzordnung im vorliegenden Fall kein Aufrechnungsverbot ableiten. Die §§ 95 und 96 InsO greifen nicht mehr, weil die Aufrechnungserklärung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erfolgte. Aus § 294 InsO ist zwar zu schließen, dass auch in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens die Insolvenzgläubiger grundsätzlich gleichbehandelt werden sollen. Daraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin aber nicht, dass auch Aufrechnungen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Diese stellen weder Zwangsvollstreckungen in das Vermögen des Schuldners im Sinne von § 294 Abs. 1 InsO dar, noch handelt es sich dabei um ein Abkommen des Schuldners oder anderer Personen mit einzelnen Insolvenzgläubigern, durch das diesen ein Sondervorteil verschafft wird ( § 294 Abs. 2 InsO). Die Aufrechnung wird durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Aufrechnenden gemäß § 388 BGB herbeigeführt. Im Übrigen bestimmt § 294 Abs. 3 InsO, dass der Arbeitgeber des Schuldners auch in der Wohlverhaltensphase soweit zur Aufrechnung befugt bleibt, wie er es auch bei einer Fortdauer des Insolvenzverfahrens nach § 114 Abs. 2 InsO wäre. § 114 Abs. 2 Satz 2 InsO nimmt ausdrücklich § 96 Nr. 1 InsO von der Verweisung aus. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Auch dieser Regelungszusammenhang zeigt, dass ein allgemeines Aufrechnungsverbot für sämtliche am Restschuldbefreiungsverfahren teilnehmenden Gläubiger nicht aus dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung hergeleitet werden kann, zumal auch im Insolvenzverfahren durch §§ 94 und 95 InsO unter bestimmten Voraussetzungen das Vertrauen des Insolvenzgläubigers auf das Bestehen einer Aufrechnungslage durch die Möglichkeit der Aufrechnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschützt wird. Die Insolvenzordnung bringt dadurch zum Ausdruck, dass der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung auch während des Insolvenzverfahrens durch die Erhaltung bzw. Eröffnung von Aufrechnungsmöglichkeiten durchbrochen wird. Somit ist weder die Aufrechnung des Finanzamts gegen einen Steuererstattungsanspruch noch die Aufrechnung durch andere Insolvenzgläubiger in dieser Phase (abgesehen von der Regelung des § 294 Abs. 3 InsO) ausgeschlossen (vgl. LG Kiel, Beschluss vom 6.04.2004, 13 T 150/03, ZVI 2004, S. 401; LG Koblenz, Beschluss vom 13.06.2000, 2 T 162/00, ZInsO 2000, S. 507; Römermann in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 294 Rn. 16 [Stand: Juli 2002]; Wenzel, in: Kübler/Prütting, Insolvenzordnung, § 294 Rn. 7 [Stand: Oktober 2003]; a.A.: AG Göttingen, Beschluss vom 27.02.2001, 74 IK 136/00, NZI 2001, S. 270).

Der Klägerin steht nach alledem auch der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu, so dass die Klage in vollem Umfang abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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