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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Thüringen
Urteil verkündet am 13.02.2008
Aktenzeichen: 3 K 177/07
Rechtsgebiete: EStG, BGB, BSHG


Vorschriften:

EStG § 74 Abs. 1 S. 1
EStG § 74 Abs. 1 S. 4
BGB § 1601 ff.
BSHG § 91 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Thüringen

3 K 177/07

Familienleistungsausgleich für X-Person

In dem Rechtsstreit

...

hat der III. Senat des Thüringer Finanzgerichts

mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung

am 13. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Abzweigung des für X-Person gezahlten Kindergeldes nach § 74 Einkommenssteuergesetz (EStG) zu Recht abgelehnt hat.

Die Klägerin gewährt seit dem 1. Januar 2005 der in einer Einrichtung vollstationär untergebrachten, von Kindheit an zu 100% behinderten am 30. März 1976 geborenen X-Person Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches XII (SGB XII). Im Schwerbehinderten-Ausweis (Bl. 39 d. KG-Akte) sind die Merkzeichen G, aG, H und RF eingetragen. Die beigeladene kindergeldberechtigte Kindesmutter unterhält zu ihrer Tochter regelmäßigen Kontakt, trägt finanzielle Aufwendungen und leistet regelmäßig den geforderten Unterhaltsbeitrag von 46,00 Euro monatlich an die Klägerin (Bl. 47 u. 62 d. KG-Akte). Sie kleidet ihre Tochter für etwa 25 Euro monatlich ein, verbringt mit ihr den Urlaub und betreut sie jedes Wochenende und an den Feiertagen bei sich im Haushalt. Dort gewährt sie ihr Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Sie holt wöchentlich Ihre Tochter vom 21 km entfernt liegenden "CJD Heilpädagogisches Heim für Erwachsene" mit dem PKW ab und fährt sie dann wieder zurück. Im Weiteren entstehen ihr Fahrtkosten für etwa 8 Fahrten monatlich sowie für vierteljährliche Fahrten zu Arztbesuchen und für Urlaubsreisen (Bl. 52, 53 d. KG-Akte). Die Beklagte zahlte bzw. zahlt das Kindergeld in vollem Umfang an die Eltern des Kindes aus. In diesem Zusammenhang trägt die Kindergeldberechtigte umfangreiche Kosten der Kontaktpflege.

Mit dem am 14. Juni 2006 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben stellte die Klägerin einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes ab sofort (Erstattungsantrag - Bl. 43 d. KGAkte). Mit Bescheid vom 02.02.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab und verwies zur Begründung auf die durch die beigeladene Kindesmutter erbrachten Unterhalts- und Betreuungsleistungen (Bl. 64 d. KG-Akte). In der Rechtsmittelbelehrung wies die Beklagte nicht auf die Möglichkeit zur Einlegung eines Einspruchs hin.

Da der Bescheid mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, erhob die Klägerin am 6. März 2007 Klage. Diese wertete die Beklagte als Einspruch, den sie als unbegründet zurückwies, da die Beigeladene nicht gegen ihre Unterhaltspflichten verstoßen habe. In ihrer Einspruchsentscheidung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Eine Abzweigung scheide aus, weil der kindergeldberechtigte Elternteil Unterhaltsleistungen mindestens in Höhe des auf das Kind entfallenden Kindergeldes erbringe, obwohl er nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen eigentlich leistungsunfähig bzw. nur teilweise leistungsfähig sei. Als Unterhaltsleistungen seien dabei nicht nur Geldzahlungen, sondern auch Sachleistungen und - insbesondere bei behinderten Kindern - auch Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des durch die Kindergeldberechtigten geleisteten Unterhalts seien folgende Aufwendungen zu berücksichtigen:

Unterhaltsbeitrag in Höhe von mtl. 46,00 EUR an die Klägerin (bis 31.12.2005: mtl. 23,00 EUR)

Bekleidungsgeld mtl. 25,00 EUR in bar

Mtl. Fahrtkosten zu und vom "CJD Heilpädagogisches Heim für Erwachsene": 21 km Fahrstrecke x 4,33 im Monat x 0,30 EUR ergibt 27,28 EUR.

an den Wochenenden zur Verfügung gestellte Verpflegung (Bewertung bis zum 31.12.2006 nach der Sachbezugsverordnung

-SachBezV- , ab 01.01.2007 entsprechend § 2 der Sozialversicherungsentgeltverordnung - SvEV - ):

205,00 EUR mtl. : 30 Tage x 8,66 Tage mtl. ergibt 59,18 EUR.

202,70 EUR mtl. : 30 Tage x 8,66 Tage mtl. ergibt 58,51 EUR)

-an den Wochenenden gewährte freie Unterkunft (Bewertung bis zum 31.12.2006 nach §§ 3 Abs. 1 i.V.m. 7 Abs. 1 der Sachbezugsverordnung - SachBezV-, ab 01.01.2007 entsprechend § 2 Abs. 1 und § 4 der Sozialversicherungsentgeltverordnung - SvEV - ):

205,00 EUR - 3% davon = 6,15 EUR ergibt 198,85 EUR mtl. : 30 Tage x 8,66 Tage mtl. ergibt 57,40 EUR.

182,00 EUR : 30 Tage ergibt 52,53 EUR.

Bis zum 31. Dezember 2006 betrügen damit die Sachaufwendungen mindestens insgesamt 143,86 EUR mtl., ab dem 1. Januar 2007 seien mindestens Sachaufwendungen in Höhe von 138,32 EUR anzurechnen. Ergänzend zu berücksichtigen sei zudem, dass die Tochter ihren Urlaub (Mindestanspruch nach dem BUrIG seien 18 Kalendertage) und sämtliche Feiertage ebenfalls bei den Eltern verbringe. Zudem entstünden den Eltern vierteljährlich Fahrtkosten für einen Arztbesuch. Da die Unterhaltsleistungen der Kindergeldberechtigten durchgehend höher seien als der Kindergeldanspruch sei für eine Abzweigung kein Raum mehr.

Nach erfolglosem Einspruch verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Klage weiter. Sie macht geltend: Der Ablehnungsbescheid sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 EStG gegeben seien. Die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes nicht ermessensgerecht ausgeübt. Bei richtiger Ausübung des Ermessens habe die Beklagte zu dem Ergebnis kommen müssen, das Kindergeld zumindest teilweise an die Klägerin abzuzweigen.

Da sich die Hilfeempfängerin in einer vollstationären Einrichtung befinde, werde ihr Lebensunterhalt fast ausschließlich durch die Leistungen der Klägerin sichergestellt. Die Eltern der Hilfeempfängerin erbrächten lediglich einen Unterhalt in Höhe von 46,00 EUR monatlich. Die Unterhaltsleistungen der Eltern seien damit erheblich geringer als das gewährte Kindergeld. Sie hätten ihre Unterhaltspflicht verletzt, weil sie nicht objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes aufkämen. Der Unterhaltsanspruch nach § 1610 Abs. 2 BGB umfasse den gesamten Lebensbedarf des Kindes. Dazu gehörten auch die krankheitsbedingten Mehrkosten eines behinderten und dauernd pflegebedürftigen Kindes. Vorliegend bestehe der Unterhaltsbedarf der Tochter der Beigeladenen im Wesentlichen in den in der vollstationären Einrichtung zu erbringenden Leistungen. Demgegenüber nehme sich der von den Eltern des Kindes geleistete Unterhaltsbeitrag als gering aus, auch wenn die Kindesmutter aus ihrer Sicht erhebliche Mühen auf sich nehme und das Kind regelmäßig an den Wochenenden zu sich hole. Den weitaus überwiegenden Anteil an dem Unterhaltsbedarf des Kindes leiste hingegen die Klägerin. Selbst wenn vorliegend die kindergeldberechtigte Kindesmutter einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 46,00 EUR leiste und ihrer Tochter an jedem Wochenende und an Feiertagen Unterkunft, Verpflegung und Betreuung gewähre, so decke dies nicht den wesentlichen Unterhaltsbedarf des Kindes. Sowohl objektiv als auch dauerhaft komme die Klägerin durch die von ihr gewährte Eingliederungshilfe für den wesentlichen Unterhalt des Kindes auf. Durch die geringfügige Erbringung von Betreuungsleistungen erfüllten die Eltern ihre Unterhaltspflicht nicht.

Der Gesetzgeber habe mit der Einfügung des § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass das Kindergeld auf Antrag an den Sozialleistungsträger abzuzweigen sei, wenn ein Kind in einer stationären Einrichtung betreut werde und die Kosten hierfür zu mehr als der Hälfte von einem Sozialleistungsträger übernommen würden (vgl. Bundesrat Drucksache 617/06, Begründung zu Artikel 01 des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch u.a. Gesetze).

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 02.02.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.04.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, sie habe den Abzweigungsantrag der Klägerin in ermessensgerechter Weise abgelehnt.

Der Bundesfinanzhof habe in den Urteilen zum Kindergeldanspruch für volljährige vollstationär untergebrachte behinderte Kinder festgestellt, dass die Leistungen der Sozialhilfeträger nicht ausreichten, um den gesamten Lebensbedarf eines behinderten Kindes zu decken (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.1999 VI R 40/98, BStBl. II 2000, 75). Das Bestehen eines Kindergeldanspruches der Eltern des Kindes sei daher regelmäßig zu bejahen. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass den Eltern trotz vollstationärer Unterbringung ihrer Kinder für diese existenzsichernde Aufwendungen entstünden, die im Rahmen des Familienleistungsausgleiches zu berücksichtigen seien. Der Zweck des Kindergeldes, existenzsichernde Ausgaben der Eltern vor dem Zugriff des Staates zu bewahren, bestehe auch im vorliegenden Fall.

Soweit die Kindergeldberechtigte umfangreiche Kosten der Kontaktpflege trage, habe die Beklagte diese Unterhaltsleistungen bei der Beurteilung, ob und in welcher Höhe das Kindergeld abzuzweigen ist, berücksichtigt (Bl. 65 d. KG-Akte). Der Zweck des Kindergeldes sei, die Eltern wegen ihrer Unterhaltsaufwendungen für ihre Kinder zu entlasten, wovon jeder kindbedingte Aufwand erfasst werde. Das Kindergeld diene der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes und, soweit es dafür nicht erforderlich sei, der Förderung der Familien (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Der erkennbare Zweck des § 74 Abs. 1 EStG liege darin, dass dann, wenn der Kindergeldberechtigte keine Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes trage, das Kindergeld nicht ihm, sondern entweder dem Kind selbst oder aber demjenigen zugute kommen solle, der dem Kind tatsächlich Unterhalt gewähre. Ein solcher Sachverhalt sei vorliegend nicht gegeben.

Im Rahmen der Entscheidung, ob und in welcher Höhe das Kindergeld abzuzweigen sei, habe die Beklagte nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen auch die tatsächlichen durch die Kindergeldberechtigten erbrachten Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen. Dabei sei der Unterhaltsbeitrag der Eltern, die den Kontakt zu ihren erwachsenen behinderten Kindern weiterpflegten, finanziell schwer zu bewerten, aber für die Kinder wichtig und stelle für die betroffenen Eltern im Verhältnis zur "normalen" elterlichen Belastung eine ungewöhnliche - auch finanzielle - Belastung dar.

Der Beklagte weise darauf hin, dass im Streit lediglich die Auszahlung des Kindergeldes ab Juli 2006 stehen könne, da die Klägerin den Antrag auf Auszahlung erst am 14.06.2006 gestellt habe.

Zwar habe der BFH mit Urteil vom 23. Februar 2006 - III R 65/04 entschieden, dass die Familienkasse das Kindergeld nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG an den Sozialhilfeträger abzweigen könne, wenn ein behindertes volljähriges Kind auf Kosten des Sozialhilfeträgers vollstationär in einer Pflegeeinrichtung untergebracht sei und der Kindergeldberechtigte auf Grund der Billigkeitsregelung in § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG a.F. nicht in Anspruch genommen werde und dieser somit seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Auch wenn der Kindergeldberechtigte neben den Leistungen des Sozialhilfeträgers nur geringe eigene Unterhaltsleistungen für das Kind erbringe, sei die Ermessensentscheidung der Familienkasse, ob und in welcher Höhe das Kindergeld an den Sozialhilfeträger abgezweigt werde, nicht dahingehend auf Null reduziert, dass das gesamte Kindergeld an den Sozialhilfeträger auszuzahlen sei. Es sei jedoch nicht ermessensfehlerhaft, den gewährten Unterhalt pauschal zu berücksichtigen und nur die Hälfte des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger abzuzweigen. Der dort entschiedene Sachverhalt sei aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Denn in dem der BFH- Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hätten die Kindergeldberechtigten - anders als im hiesigen Streitfall - keinen Kostenbeitrag geleistet und die von ihnen erbrachten Aufwendungen für Unterhalt und Kosten der Kontaktpflege seien weitaus geringer als im vorliegenden Verfahren gewesen.

Soweit - wie vorliegend - der finanzielle Aufwand (Kostenbeitrag) und/oder der pauschal beurteilte durch den Kindergeldberechtigten erbrachte Betreuungsunterhalt nach dem Ermessen der Familienkasse die Höhe des monatlich zu leistenden Kindergeldes erreiche oder überschreite, sei das pflichtgemäße Ermessen stets dahingehend auszuüben, dass eine Abzweigung des Kindergeldes an den Kostenträger nicht in Betracht komme. Der dargelegte Gesamtumfang der - unstreitig - von der Beigeladenen getragenen Aufwendungen für Betreuung, Fahrtkosten usw. rechtfertige es in Ausübung des Ermessens, von einer Abzweigung des Kindergeldes abzusehen. Nach alldem stehe der Klägerin kein Anspruch auf Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 EStG zu.

Der Umstand, dass die Klägerin den wesentlichen Unterhalt des Kindes bestreite, rechtfertige nicht einen Zugriff auf den Kindergeldanspruch der Kindergeldberechtigten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid, mit dem die Beklagte die Abzweigung des Kindergeldes zugunsten der Klägerin abgelehnt hat, ist rechtmäßig und ermessensfehlerfrei (§ 102 FGO). Er verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Entgegen der Auffassung der Beklagten sind zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes an die Klägerin nach § 74 Abs. 1 EStG erfüllt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist jedoch die Entscheidung, das Kindergeld in voller Höhe an die kindergeldberechtigte Kindesmutter auszuzahlen, nicht ermessensfehlerhaft.

1. Nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kann das für ein Kind nach § 66 Abs. 1 EStG festgesetzte Kindergeld u.a. auch an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (vgl. auch BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VIII R 21/03, BFH/NV 2005, 171 m. w. N). Nach § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG kann diese Auszahlung auch dann erfolgen, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld.

a) Nach §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist die Beigeladene ihrer Tochter zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet, da diese sich nicht selbst unterhalten kann. Der Unterhaltsanspruch umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf. Dazu gehören auch die krankheitsbedingten Mehrkosten eines behinderten und dauernd pflegebedürftigen Kindes. Die dem Kind gewährte Eingliederungshilfe mindert nicht dessen Bedürftigkeit, da sie subsidiär ist und den Unterhaltspflichtigen nicht von seiner Verpflichtung befreien soll (vgl. § 2 BSHG; MünchKommBGB/Luthin, 4. Aufl., § 1602 Rdnr. 32). In der Regel geht der Unterhaltsanspruch des Kindes nach § 94 Abs. 1 SGB XII in Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialträger über (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFH/NV 2006, 1575).

Die Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung wird auch nicht dadurch berührt, dass der Gesetzgeber gemäß § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (nunmehr § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) bei Kindern nach Vollendung des 18. Lebensjahres, die Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege in vollstationären Einrichtungen erhalten, den gesetzlichen Übergang des vollen Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger ausschließt und ohne eine Einkommens- und Vermögensüberprüfung bei den Eltern lediglich den Übergang des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs in Höhe von monatlich 46 Euro auf den Träger der Sozialhilfe fingiert (vgl. Urteil des BFH vom 23. Februar 2006 III R 65/04, a.a.O).

Die Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung bleibt auch dann bestehen, wenn der Anspruch gegen den nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen nach § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG wegen unbilliger Härte nicht auf den Sozialträger übergeht. Eine unbillige Härte liegt in der Regel bei unterhaltspflichtigen Eltern vor, soweit ihrem behinderten Kind nach Vollendung des 21. Lebensjahres Eingliederungshilfe für Behinderte gewährt wird. Die Regelung in § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG hat lediglich zur Folge, dass der gesetzliche Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger nach § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG ausgeschlossen ist. Der Tatbestand des § 91 Abs. 2 Satz 2 BSHG setzt folglich voraus, dass überhaupt ein Unterhaltsanspruch vorhanden ist. Denn soweit ein Unterhaltsanspruch nicht besteht, kann er auch nicht auf den Sozialhilfeträger übergehen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 2006 III R 65/04, a.a.O.).

b) Hiervon ausgehend ist die Beigeladene ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht i. S. des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nachgekommen, da sie jedenfalls die zum Lebensbedarf ihrer Tochter gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in der Pflegeeinrichtung nicht übernommen hat.

Der Unterhaltspflicht nicht nachkommen bedeutet, dass der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt. Eine Abzweigung nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG setzt nicht voraus, dass der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht schuldhaft nicht erfüllt oder gar den Straftatbestand der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170b des Strafgesetzbuches) verwirklicht (vgl. Felix, in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 74 Rdnr. B 11 ff.; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 74 EStG Anm. 8). Auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es deshalb nicht an.

Folglich ist es unerheblich, dass im vorliegenden Fall die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht in vollem Umfang allein schon darauf beruht, dass der Übergang des Unterhaltsanspruchs kraft der gesetzlichen Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (§ 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) auf die Heranziehung zu dem geringen Kostenbeitrag in Höhe von 46,00 Euro beschränkt ist (vgl. BFH a.a.O.). Maßgeblich ist allein, dass die Beigeladene nicht die zu dem Lebensbedarf seines Kindes gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Pflege übernommen hat (vgl. auch Urteile des Finanzgerichts Berlin vom 15. September 2006 10 K 10081/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 39/07; vom 15. September 2006 10 K 10352/05, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 37/07; vgl. auch Urteil des FG Münster vom 10. August 2006 14 K 4461/05 Kg, EFG 2006, 1684; Revision anhängig, Az. des BFH: III R 6/07). Erbringt der Kindergeldberechtigte ausschließlich den sozialgesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag, also Unterhalt in einer geringeren Höhe als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld, liegt neben der Tatbestandsvoraussetzung des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG zugleich auch die Voraussetzung für die Abzweigung gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3 zweite Alternative i.V.m. Satz 4 EStG vor (vgl. auch Urteil des FG Münster vom 10. August 2006 14 K 4461/05 Kg, EFG 2006, 1684; Revision anhängig, Az. des BFH: III R 6/07). Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG für eine Abzweigung sind auch dann erfüllt, wenn der Kindergeldberechtigte in geringem Umfang Unterhaltsleistungen erbringt. Diese Unterhaltsleistungen sind aber bei der Ausübung des Ermessens, ob und in welcher Höhe das Kindergeld abzuzweigen ist, zu berücksichtigen (vgl. auch Urteil des FG München vom 14. Februar 2007 9 K 202/06, EFG 2007, 1178; Nichtzulassungsbeschwerde durch BFH-Beschluss vom 13. August 2007 III B 51/07, BFH/NV 2007, 2276 zurückgewiesen; Urteil des FG München vom 14. Februar 2007 9 K 2453/06, EFG 2007, 1179; Urteil des FG München vom 26. Oktober 2005 10 K 3833/03, [...]Dokument).

2. Die Entscheidung der Beklagten, das Kindergeld weiterhin in voller an die kindergeldberechtigte Kindesmutter auszuzahlen und den Abzweigungsantrag der Klägerin in vollem Umfang abzulehnen, war - auch unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - nicht ermessensfehlerhaft.

a. Liegen - wie im Streitfall - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG vor, so liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Familienkasse, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe das Kindergeld abgezweigt wird (vgl. BFH-Urteile vom 23.02.2006 III R 65/04, a.a.O.;vom 17.11.2004 VIII R 30/04, BFH/NV 2005, 692;vom 17.02.2004 VIII R 58/03, BFHE 206, 1, BStBl II 2006, 130). Im Fall einer Ermessensentscheidung prüft das Gericht nach § 102 Satz 1 FGO, ob die Behörde bei ihrer Ermessensausübung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Maßgebend ist hierbei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (von Groll, in Gräber, Finanzgerichtsordnung § 102 Rz. 13 ff.). Eigenes Ermessen hat das Gericht nicht auszuüben. Die Familienkasse hat bei der Ausübung des ihr in § 74 Abs. 1 EStG eingeräumten Ermessens den Zweck des Kindergeldes zu berücksichtigen (§ 5 AO 1977). Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes und, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Da das Kindergeld die Eltern wegen ihrer Unterhaltsleistungen steuerlich entlasten soll, sind bei der Prüfung, ob und inwieweit das Kindergeld abzuzweigen ist, entgegen der Auffassung der Klägerin auch geringe Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten mit einzubeziehen (vgl. BFH-Urteile vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFH/NV 2006, 1575;vom 17. November 2004 VIII R 30/04, BFH/NV 2005, 692; vgl. auch Urteil des FG Berlin vom 21. März 2005 10 K 10366/04, EFG 2005, 1219). Bestätigt wird dies durch § 74 Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 EStG. Danach kann das Kindergeld auch dann abgezweigt werden, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur in Höhe eines unter dem Kindergeld liegenden Betrages Unterhalt leistet. Hieraus ergibt sich, dass eine Abzweigung nicht zulässig ist, soweit der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht entsprechend Unterhalt in Höhe des Kindergeldes oder darüber hinaus leistet (vgl. BFH-Urteil vom 17. November 2004 VIII R 30/04, BFH/NV 2005, 692).

b. Hieraus ergeben sich zunächst folgende Ermessensbeschränkungen: Entstehen dem Kindergeldberechtigten mangels Kontaktpflege zu seinem Kind keine Kosten und leistet er auch nicht den gesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag, ist allein die Abzweigung des Kindergeldes in voller Höhe ermessensgerecht. Beschränkt sich die Unterhaltsleistung des zu seinem Kind kontaktlosen Kindergeldberechtigten auf die regelmäßige Zahlung des Kostenbeitrages von 46,00 Euro, ist die allein ermessensgerechte Entscheidung auf die Abzweigung des Kindergeldes in Höhe des verbleibenden Differenzbetrages zur Höhe des gesetzlichen Kindergeldes reduziert (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 58/03, BFHE 206, BStBl II 2006, 130). Leistet der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht entsprechend Barunterhalt in Höhe des Kindergeldes oder darüber hinaus, ist jegliche Abzweigung unzulässig (vgl. § 74 Abs. 1 Satz 3 Zweite Alternative EStG; vgl. BFH-Urteile vom 17. November 2004 VIII R 30/04, BFH/NV 2005, 692 und vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BFH/NV 2006, 1575).

c. Für die Ermessensausübung ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch von Bedeutung, in welchem Umfang der Kindergeldberechtigte für sein behindertes Kind "Betreuungsunterhalt" leistet (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 2006 III R 65/04, a.a.O.). Dem steht nicht entgegen, dass unterhaltspflichtige Eltern einem volljährigen Kind keinen Betreuungsunterhalt mehr schulden und sich gleichwohl erbrachte Betreuungsleistungen als freiwillige Leistungen darstellen, die unterhaltsrechtlich unberücksichtigt bleiben (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Oktober 2005, BGHZ 164, 375 ff. ; vgl. auch Urteil des FG Münster vom 10. August 2006 14 K 4461/05 Kg, EFG 2006, 1684; Revision anhängig, Az. des BFH. III R 6/07). Denn dies gilt regelmäßig nur für volljährige gesunde Kinder, die anders als behinderte nicht der Betreuung bedürfen und für die auch im Umfang des Unterhalts kein behinderungsbedingter Mehrbedarf besteht (vgl. insoweit BGH-Urteil vom 25. April 2006 VI ZR 114/05, Versicherungsrecht 2006, 1081 zum gesetzlich geschuldeten Unterhalt aus § 844 Abs. 2 BGB, allerdings im Fall eines mit dem Kind lebenslang vereinbarten Betreuungsunterhalts ). Aber selbst wenn auch ein volljähriger Behinderter nur Anspruch auf einen seinen Betreuungsbedarf abdeckenden Barunterhalt hätte, ist im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensausübung zur Frage der Abzweigung des Kindergeldes die Gewährung von Betreuungsunterhalt - unabhängig von der Zahlung einer Geldrente - aus kindergeldspezifischen Gesichtspunkten in die Ermessenserwägung einzubeziehen: Trägt der Kindergeldberechtigte durch seine Betreuung außerhalb der Einrichtung tatsächlich dazu bei, einen behinderungsbedingten Mehrbedarf zu befriedigen oder entstehen dem Kindergeldberechtigten im Rahmen der natürlichen Kontaktpflege zwischen Eltern und Kind Aufwendungen für Besuche, Freizeitaktivitäten und spezielle Urlaubskosten, so entspricht es jedenfalls dem vorgenannten alternativen Zweck des Kindergeldes, die Familie des - hier behinderten - Kindes zu fördern, Leistungen solcher Art, die keinen Luxus darstellen, in die Ausübung des Abzweigungsermessens einzubeziehen (vgl. auch Urteile des Finanzgerichts Berlin vom 15. September 2006 10 K 10081/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 39/07; vom 15. September 2006 10 K 10102/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 36/07; vom 21. März 2005 10 K 10366/04, EFG 2005, 1219; Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 1. Februar 2007 13 K 2752/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 20/07). Leistungen dieser Art stellen keinen Luxus dar, sondern dienen der Betreuung des behinderten Kindes.

d. Hierzu steht auch nicht im Widerspruch, dass nach einem PKH-Beschluss des BFH vom 22. Dezember 2005 III S 26/05, BFH/NV 2006,736, ein behindertes Kind im Fall des von der Mutter aufgrund ihres persönlichen Betreuungsangebots nicht geleisteten Barunterhalts die Auszahlung des Kindergeldes an sich nach pflichtgemäßem Ermessen der Familienkasse verlangen kann (vgl. auch Urteile des FG Berlin vom 15. September 2006 10 K 10081, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 39/07; vom 15. September 2006 10 K 10352/05, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 37/07). Denn wird, so die Entscheidung des BFH, der benötigte Barunterhalt tatsächlich nicht erbracht und werden (die mangels Akzeptanz beim Kind auch gar nicht realisierbaren) Naturalleistungen lediglich angeboten, wird allein hierdurch das durch § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG eröffnete Rechtsfolgeermessen nicht beschränkt.

e. Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die Entscheidung der Familienkasse im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar scheint die Familienkasse von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen zu sein. Da die unstreitig von der Beigeladenen erbrachten Leistungen in Geld oder Geldeswert die Höhe des zustehenden Kindergeldes erreichten, habe das Kindergeld nach Auffassung der Beklagten nicht mehr abgezweigt werden dürfen. Diese Ausführungen sprechen dafür, dass die Familienkasse bereits wegen des Vorliegens bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen sich in den Eintritt von Ermessenserwägungen gehindert sah. Der erkennende Senat hält dies zwar rechtssystematisch für fehlerhaft; das Ergebnis, nämlich keine Abzweigung des Kindergeldes an den Kläger, ist jedoch gleichwohl richtig, da eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Ein etwaiger Ermessensausfall ist daher nicht entscheidungserheblich, weil der von der Beigeladenen erläuterte Gesamtumfang an Betreuungsleistungen und finanziellen Aufwendungen zugunsten ihres Kindes nur den Schluss auf eine vollständige Ermessensreduzierung dahingehend zulässt, dass allein die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes ermessensfehlerfrei ist (vgl. auch Urteil des FG Berlin vom 15. September 2006 10 K 10039/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 38/07).

Bei der vorzunehmenden Ermessensentscheidung ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine erhebliche Eingliederungshilfe leistet; andererseits die Beigeladene - abgesehen von den monatlichen Barbeträgen in Höhe 46 Euro - ebenfalls Unterhaltsaufwendungen trägt. Der Zweck des Kindergeldes, eine steuerliche Entlastung von Eltern wegen ihrer Unterhaltsleistungen zu bewirken, lässt es nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 17.11.2004, VIII R 30/04, a.a.O.) nicht als ermessensfehlerhaft erscheinen, selbst geringe regelmäßige Unterhaltszahlungen des Kindergeldberechtigten bei der Bestimmung der Höhe des abzuzweigenden Kindergeldes zu berücksichtigen. Eine Abzweigung ist nach dieser Rechtsprechung nicht zulässig, wenn die Unterhaltspflicht der Höhe nach dem Kindergeld entspricht oder höher ist (so auch BFH-Urteil vom 23.02.2006, III R 65/04, a.a.O.). Der erkennende Senat versteht diese Rechtsprechung des BFH so, dass diese Überlegungen nicht auf der Tatbestandsebene, sondern bei der Ausübung des Ermessens anzustellen sind. Erreichen die Unterhaltszahlungen einschließlich der Sachleistungen mindestens die Höhe des Kindergeldes, ist das Ermessen allerdings dahingehend eingeschränkt, dass eine Abzweigung an den Sozialhilfeträger nicht mehr erfolgen darf. In diesem Fall sind jedoch die Unterhaltsaufwendungen - entgegen dem obiter dictum am Ende des BFH-Urteils III R 65/04 - nicht zu pauschalieren, sondern zu bewerten (so auch: Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 1. Februar 2007 13 K 2752/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 20/07).

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte ermessensfehlerfrei ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt, dass die Beigeladene ihre Tochter an jedem Wochenende und an Feiertagen in ihrem Haushalt aufgenommen und ihr Unterkunft, Verpflegung und Betreuung gewährt hat sowie bei gemeinsam auswärts verbrachten Urlauben betreut hat. Diese Betreuungszeiten sind zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Sie stehen zugleich im Zusammenhang mit von den Eltern getätigten Aufwendungen für Unterkunft, für Beköstigung, die Bereithaltung eines Zimmers in der elterlichen Wohnung sowie die Beschaffung zusätzlicher Kleidung, die die Beigeladene erläutert hat und die sinnvollerweise nicht bestritten werden können. Es kann dahinstehen, inwieweit solcher Betreuungsaufwand entsprechend der Vorgabe in Nr. 63.3.6.3.2 Abs. 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs - DA-FamEStG - mit einem Stundensatz von 8,00 EUR (vor 2002 mit 15,00 DM) bewertet werden könnte und in welchem Umfang insgesamt für jeden Tag ein solcher Ansatz gerechtfertigt wäre. Denn auf eine diesbezüglich exakte Berechnung kommt es für die Ermessensausübung nicht zwingend an (vgl. auch Urteile des Finanzgerichts Berlin vom 15. September 2006 10 K 10081/06, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 39/07; vom 15. September 2006 10 K 10352/05, [...]Dokument; Rev. anhängig, Az. des BFH: III R 37/07). Vielmehr läge es ebenso im Rahmen sachgerechter Abwägung, Betreuungsleistungen ohne detaillierte Unterhaltsaufwendungen pauschal zu berücksichtigen und einen zeitlich geringen bis mittleren Aufwand mit der von der Abzweigung zu verschonenden Hälfte des Kindergeldes zu bewerten (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 2006, a.a.O. für den Fall einer an etwa 10 Tagen erfolgten Betreuung).

Da die Beigeladene zusätzlich zum regelmäßigen Kostenbeitrag von 46,00 Euro - wie dargelegt - einen erheblich höheren Betreuungsunterhalt leistete und die auswärtige Betreuung mit besonderen Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Freizeitaktivitäten verbunden war, sie überdies regelmäßig Sachaufwendungen für ergänzende Kleidung etc. trägt, kann die hier durch die Beklagte getroffene Abwägung der für und gegen die Abzweigung des Kindergeldes streitenden Belange, die zum Ergebnis der vollständigen Ablehnung der Abzweigung geführt hat, nicht als ermessensfehlerhaft beanstandet werden. Auch ohne genaue Ermittlung des gesamten Belastungsumfangs kann ausgeschlossen werden, dass im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens noch ein verbleibender Rest an Kindergeld für eine Abzweigung zur Verfügung steht.

Auch wenn die Ausführungen der Beklagten in dem angefochtenem Bescheid in dem Sinne zu verstehen sein sollten, dass die Beklagte schon tatbestandlich das Vorliegen einer Unterhaltspflichtverletzung verneint, liegt gleichwohl kein entscheidungserheblicher Ermessensausfall vor, weil das Gericht aus dem oben dargelegten Gesamtumfang der Leistungen der Beigeladenen den Schluss auf eine vollständige Ermessensreduzierung dahingehend zu ziehen hätte, dass allein die vollständige Belassung des Kindergeldes zugunsten der Beigeladenen ermessensgerecht wäre.

f. Im pflichtgemäßen Ermessen der Familienkasse liegt nicht nur die Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes dem Grunde nach, sondern auch die Entscheidung über die Höhe des abzuzweigenden Kindergeldes (Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 74 Rdnr. B 24). Hinsichtlich der Höhe des abzuzweigenden Kindergeldes hat die Familienkasse ihr Ermessen ebenfalls nicht pflichtwidrig ausgeübt (sog. Ermessensnichtgebrauch). Die Familienkasse hat zumindest in der Einspruchsentscheidung Ermessenserwägungen zur Höhe des abzuzweigenden Kindergeldes angestellt. Zwar ist es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH nicht ermessensfehlerhaft, den vom Kläger geleisteten Betreuungsunterhalt - ohne detaillierte Bewertung der Unterhaltsaufwendungen - pauschal zu berücksichtigen und in typisierender Weise nur die Hälfte des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger abzuzweigen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BFH/NV 2006, 1575; vgl. zur Aufteilung auch BFH-Urteile vom 17. Februar 2004 VIII R 58/03, BFHE 206, 1, BStBl II 2006, 130, und vom 17. November 2004 VIII R 30/04, BFH/NV 2005, 692). Im Streitfall hat die Beklagte aber schlüssig begründet, warum der der BFH-Rechtsprechung zugrundeliegende Sachverhalt nicht mit dem im hiesigen Streitfall vergleichbar ist und deshalb eine Abzweigung der Hälfte des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger auch nicht geboten erscheint.

Der vom BFH entschiedene Fall war dadurch gekennzeichnet, dass die dortigen Kindeseltern im Gegensatz zum hiesigen Streitfall nicht mit dem monatlichen Unterhaltskostenbeitrag belastet waren. Zudem waren die tatsächlichen Aufwendungen der Eltern viel geringer. Im dortigen Fall hatte der Kindesvater lediglich Einrichtungsgegenstände für das Zimmer seines Sohnes im Heim gekauft, seinem Sohn im Elternhaus ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt, die Fahrtkosten für einen dreimal im Jahr stattfindenden Besuch übernommen sowie die Kosten für den einmal im Jahr stattfindenden einwöchigen Radurlaub und für den zweimaligen Besuch pro Jahr von Elterntagungen getragen. Die jährlichen Kosten, die nicht mehr exakt nachgewiesen werden konnten, lagen dabei bei deutlich über 1.000 DM im Jahr. Auch wenn der BFH in vergleichbaren Fällen offensichtlich dazu neigt, eine typisierende Betrachtung zugrunde zu legen und auch bei relativ geringfügigen Betreuungsleistungen sogar die Hälfte des Kindesgeldes bei den Kindergeldberechtigten zu belassen, führt diese Beurteilung im Ergebnis in Fällen wie dem vorliegenden - wie die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen schlüssig darlegt - zu ungerechten bzw. nicht folgerichtigen und unschlüssigen Ergebnissen. Wenn nach den Erwägungen des BFH u.a. bereits ein dreimal im Jahr stattfindender Besuch des Kindergeldberechtigten bei dem behinderten Kind dazu führen kann, in typisierender Weise nur die Hälfte des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger abzuzweigen, dann erscheint es im Streitfall, in dem die Kindergeldberechtigte das Kind - zusätzlich zur Zahlung des monatlichen Unkostenbeitrages - jedes Wochenende und an den Feiertagen zu sich nach Hause holt, es verpflegt und betreut, allein ermessensgerecht, das volle Kindergeld bei der Kindergeldberechtigten zu belassen.

Für dieses Ergebnis spricht - worauf die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen zutreffend hinweist - auch der Umstand, dass die Kindergeldberechtigten ohne die Gewährung des vollen Kindergeldes aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage sind, die Kinder entsprechend häufig und umfangreich wie bisher weiterhin zu betreuen, was sich letztlich zum Nachteil der Kinder auswirkt. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass betroffene Eltern insoweit z.B. in Bezug auf Fahrtkosten Leistungen nach § 53 SGB IX beantragen oder beim Sozialhilfeträger z.B. in Bezug auf Bekleidung die Gewährung einer notwendigen Barbetragserhöhung bzw. höhere Leistungen für einen Sonderbedarf beantragen könnten, ist zu berücksichtigen, dass vielfach betroffene Kindeseltern keine Kenntnis von diesen Möglichkeiten haben und diese auch nicht entsprechend nutzen. Diesem Umstand kann vielmehr im Einzelfall dadurch Rechnung getragen werden, dass bei der von der Familienkasse zu treffenden Ermessensprüfung, etwaige Erstattungen von öffentlicher Seite den von den Kindergeldberechtigten getragenen Aufwendungen gegengerechnet werden. Es erscheint jedenfalls - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht sachgerecht, die volle oder teilweise Abzweigung des Kindesgeldes an den Sozialhilfeträger bereits generell deshalb zu gewähren, weil die prinzipielle Möglichkeit für die Kindergeldberechtigten besteht, weitere öffentliche Leistungen zu beantragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Zu der streitigen Frage sind eine Reihe von Klagen beim hiesigen Gericht anhängig. Zudem sind zu der Rechtsproblematik bereits beim BFH u.a., unter den Az.: III R 6/07, III R 20/07, III R 36/07, III R 37/07, III R 38/07, III R 39/07 mehrere Revisionsverfahren anhängig.



Ende der Entscheidung

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