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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.07.2007
Aktenzeichen: 1 Bs 146/07
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 33 Abs. 2 |
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Schulz und Engelhardt am 11. Juli 2007 beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 30. Mai 2007 wird aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird vorläufig untersagt, die Stellen PK 212, PK 242 und PK 262 zu besetzen, bevor sie die Antragstellerin in die Auswahlgespräche einbezogen hat.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Der Streitwert wird für das gesamte Verfahren auf 11.678,78 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin, eine Kriminalhauptkommissarin (Besoldungsgruppe A 11), begehrt, zu Auswahlgesprächen zugelassen zu werden, die die Antragsgegnerin zur Vorbereitung der Besetzung dreier ausgeschriebener Beförderungsdienstposten (Sachgebietsleiter - A 12) durchführen will. Auf die Ausschreibungen gingen 27 Bewerbungen ein, wobei sich einige Bewerber nur für einen oder zwei der drei Posten bewarben. Die Antragsgegnerin traf die Vorauswahl dahin, dass sie diejenigen Bewerber zu Vorstellungsgesprächen einlud, die in den anlässlich der Bewerbungen eingeholten Anlassbeurteilungen 57, 56 bzw. 55 Punkte erhalten hatten. Die Antragstellerin war dabei mit 54 Punkten beurteilt worden.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr die Teilnahme an den Auswahlgesprächen zu ermöglichen. Die von der Antragsgegnerin angesetzten, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Auswahlmaßstäbe seien nicht zu beanstanden. Angesichts der großen Bewerberzahl sei die Auswahlkommission gezwungen, eine bestimmte Grenze zu ziehen; die hier getroffene Grenzziehung sei nicht zu beanstanden. Zwar könne das Ergebnis der Auswahlgespräche Einfluss auf das Auswahlergebnis dergestalt haben, dass ein vorher schlechter bewerteter Bewerber einen besser bewerteten Bewerber aufgrund des Auswahlgesprächs noch ein- oder überholen kann. Das gelte indes nur dann, wenn der betreffende Bewerber die von der Auswahlkommission vorher beurteilungsfehlerfrei gesetzte Grenze für die Teilnahme an den Auswahlgesprächen überwunden habe.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Antragstellerin hat ausreichend dargelegt (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO), dass die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts Hamburg den Beschluss vom 30. Mai 2007 nicht rechtfertigen.
Zu Unrecht hat die Auswahlkommission der Behörde für Inneres - Polizei - die Antragstellerin von den Auswahlgesprächen ausgeschlossen, die sie zur Vorbereitung der Auswahlentscheidung für die zu besetzenden Stellen bei den Polizeikommissariaten 21, 24 und 26 durchführen will (oder bereits durchgeführt hat). Die Antragstellerin ist bei der anlässlich der aktuellen Bewerbung erstellten Anlassbeurteilung mit einem Ergebnis beurteilt worden, das ihr in Zusammenschau mit den Ergebnissen der Auswahlgespräche noch die Möglichkeit gibt, für einen der zu besetzenden Beförderungsdienstposten ausgewählt zu werden.
Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Auffassung der Antragsgegnerin angenommen, dass diese Möglichkeit, einen besser beurteilten Mitbewerber aufgrund des Ergebnisses des Auswahlgesprächs noch überholen zu können, nur in der zweiten Stufe zu berücksichtigen ist, nämlich unter den Mitbewerbern, die die Vorauswahl zur Einengung des Bewerberfeldes erfolgreich überstanden haben und zu den Auswahlgesprächen eingeladen worden sind. Dem folgt der Senat nicht.
1. In seinem Beschluss vom 28. Februar 2007 (1 Bs 380/06), in dem es ebenfalls um Auswahlverfahren bei der Polizei ging, hat der Senat ausgeführt:
"Der Vorsprung von nur 2 Punkten besagt bei einer Bewertung nach 16 Beurteilungsmerkmalen mit jeweils einer Punkteskala von 1 bis 5 nicht hinreichend zuverlässig, dass der Bewerber mit dem höheren Punktestand signifikant besser geeignet ist. Trotz allen Bemühens um einheitliche Bewertungsmaßstäbe kann in einem großen Personalkörper wie hier nicht sichergestellt werden, dass die unterschiedlichen Beurteiler genau gleichmäßig bewerten. Auch in Beurteilungen fließen subjektive Einschätzungen der Beurteiler ein. Zu Recht sind deshalb die Antragsgegnerin wie auch das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass bei einer Differenz von lediglich 2 Punkten von vergebenen 53 bis 55 Punkten im Wesentlichen gleichwertige Beurteilungen vorliegen."
In dieser Entscheidung wie in den Beschlüssen vom 13. März 2007 (1 Bs 377/06 und 1 Bs 379/06) hat das Beschwerdegericht Entscheidungen der Auswahlkommission der Polizei gebilligt, die Bewerbern trotz eines Rückstands in den aktuellen Anlassbeurteilungen von einem bzw. zwei Punkten zu Mitbewerbern aufgrund des deutlich besseren Eindrucks in den Auswahlgesprächen den Vorzug gegeben hatten. Denn Auswahlgespräche seien trotz gewisser Einschränkungen hinsichtlich ihrer Aussagekraft grundsätzlich ein weiteres Erkenntnismittel für eine leistungsbezogene Auswahl, die bei im wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern ergänzend in die Auswahlentscheidung einbezogen werden dürften.
Aus dem Recht auf ein chancengerechtes Auswahlverfahren folgt, dass die Auswahlkommission der Polizei solche Bewerber in die engere Wahl einbeziehen und - wenn dieses Mittel als weiteres Erkenntnismittel gewählt wird - zu Auswahlgesprächen einladen muss, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie den (geringen) Punkterückstand in der Anlassbeurteilung im Auswahlgespräch noch ausgleichen können. Ein solches Aufholen wird grundsätzlich nur bei im wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern möglich sein. In den Beschlüssen vom 28. Februar und 13. März 2007 (aaO.) ging es um Unterschiede von einem bzw. von zwei Punkten in der Anlassbeurteilung. Der Senat hält aufgrund erneuter Prüfung an dieser Auffassung fest und präzisiert sie dahin, dass bei den hier gegebenen Beurteilungen - 16 gleichgewichtete Kriterien mit jeweils 1 bis 5 Punkten - "im wesentlichen gleiche" Beurteilungen nur dann angenommen werden können, wenn sie um nicht mehr als zwei Punkte differieren. Würde die Spanne noch größer gewählt, wäre das Gewicht der aktuellen Beurteilung zu gering.
Den Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2007 (1 Bs 380/06) und vom 13. März 2007 (1 Bs 377/06 und 1 Bs 379/06) kann nicht entnommen werden, dass damit die im damaligen Auswahlverfahren vorgenommene Grenzziehung für die Vorauswahl der Bewerber gebilligt worden sei. Diese war nicht Gegenstand der dortigen Verfahren; die Antragsteller und die Beigeladenen der damaligen Verfahren waren jeweils in die Auswahlgespräche einbezogen worden. - Auch setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 4. Juli 2006 (1 Bs 152/06). Zwar begehrte dort der Antragsteller, der in der Anlassbeurteilung 52 Punkte erhalten hatte, seine Zulassung zu den Auswahlgesprächen, zu denen die Auswahlkommission nur solche Bewerber eingeladen hatte, die mindestens 53 Punkte erreicht hatten. Im dortigen Beschwerdeverfahren war aber zum einen die Thematik der Gleichwertigkeit von Beurteilungen, die im Ergebnis nur minimal voneinander abweichen, nicht vorgetragen worden (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), so dass sie vom Oberverwaltungsgericht auch nicht zu prüfen war (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Außerdem hatten, wie der (auch im damaligen Verfahren beteiligte) Bevollmächtigte der Antragstellerin vorträgt, dort einige Mitbewerber 55 Punkte erhalten, so dass zum damaligen Antragsteller hinsichtlich der Anlassbeurteilung eine Differenz von drei Punkten bestand.
2. Dies bedeutet für Fallgestaltungen wie sie hier gegeben sind, insbesondere wenn für die Vorauswahl auf das Ergebnis aktueller Anlassbeurteilungen abgestellt wird:
Zu Auswahlgesprächen sind grundsätzlich diejenigen Bewerber einzuladen, deren Anlassbeurteilungen in einer Bandbreite von drei Punkten liegen, die "schlechteste" Beurteilung also nicht mehr als zwei Punkte von der "besten" abweicht (z.B. 56, 55, 54 Punkte). Werden Auswahlgespräche für mehrere zu besetzende Dienstposten gemeinsam durchgeführt, sind diejenigen Bewerber einzuladen, die zumindest bei einem der in Frage stehenden Dienstposten nach den genannten Kriterien noch eine Chance haben, ausgewählt zu werden.
3. Diese Grundsätze ergeben im Fall der Antragstellerin und der hier in Frage stehenden Dienstposten:
Da sich der Mitbewerber, der in der Anlassbeurteilung 57 Punkte erhalten hat - mit diesem kann die Antragstellerin nach den dargelegten Maßstäben nicht mehr als "im wesentlichen gleich" beurteilt angesehen werden -, nur für zwei der drei zu besetzenden Stellen (PK 212 und PK 242) beworben hat, steht die Antragstellerin bei der dritten Stelle (PK 262) nur mit solchen Mitbewerbern in Konkurrenz, die in der Anlassbeurteilung 56 bzw. 55 Punkte erhalten haben. Diesen Rückstand von maximal zwei Punkten kann sie theoretisch in den Auswahlgesprächen noch ausgleichen und ist daher in die Auswahlgespräche einzubeziehen.
Aber auch hinsichtlich der Stellen PK 212 und 242 ist sie zu den Auswahlgesprächen einzuladen. Der Mitbewerber mit 57 Punkten in der Anlassbeurteilung könnte allenfalls eine der ausgeschriebenen Stellen erhalten. Erhielte er die Stelle PK 212, wäre die Antragstellerin bei der Stelle PK 242 nur noch in Konkurrenz mit Mitbewerbern, die in der Anlassbeurteilung maximal zwei Punkte mehr als sie erhalten haben. Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall, dass der Bewerber mit den 57 Punkten für die Stelle PK 242 ausgewählt würde. Da die Antragsgegnerin die Auswahlgespräche für die drei Stellen nicht jeweils getrennt führen will, ergibt sich das Erfordernis, auch die mit 54 Punkten vorbenotete Antragstellerin in diese Gespräche miteinzubeziehen.
Daran ändert im übrigen auch der Umstand nichts, dass die Antragstellerin in vorangegangenen Beurteilungen, soweit diese als Kriterium der Vorauswahl herangezogen werden, zwei Punkte weniger als etliche der in die engere Auswahl gekommenen Mitbewerber erhalten hat. Denn auch dieser geringe Unterschied ist nach den obigen Ausführungen als Unterscheidungskriterium nicht ergiebig (so auch in den Beschlüssen des Senats vom 28. Februar und 13. März 2007, aaO.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. - Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 iVm. § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Wertung des § 52 Abs. 5 Satz 2 iVm. Satz 1 Nr. 1 GKG. Zum Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 12 (3.522,25 Euro) ist noch die ruhegehaltfähige Stellenzulage nach der Vorbemerkung Nr. 27 Abs. 1 Buchstabe b zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B in Höhe von 71,22 Euro hinzuzurechnen. Von der Summe ist der 6,5-fache Betrag anzusetzen, der für das einstweilige Rechtsschutzverfahren halbiert wird.
Ende der Entscheidung
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