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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.08.2009
Aktenzeichen: 1 Bs 159/09
Rechtsgebiete: HmbSG


Vorschriften:

HmbSG § 10
HmbSG § 42
Das Versuchsprogramm einer Versuchsschule kann nach § 10 Abs. 3 HmbSG den Anspruch auf Aufnahme in die Wunschschule nach § 42 Abs. 4 HmbSG begrenzen.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht

Beschluss

1 Bs 159/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld und Schulz sowie die Richterin Walter am 26. August 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 12. August 2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung des angefochtenen Beschlusses insoweit auf 2.500,- Euro für jede Instanz festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihren Sohn zum Schuljahr 2009/2010 in die Jahrgangsstufe 5 der Gesamtschule Harburg aufzunehmen. Die Antragsgegnerin hatte dies mit der Begründung abgelehnt, die Aufnahmekapazität der Gesamtschule Harburg sei erschöpft. Der Sohn sei unter Beachtung der besonderen Auswahlkriterien für 50 % der in die 5. Klassen aufzunehmenden Schülerinnen und Schüler (im Folgenden: Schüler), die für die Gesamtschule Harburg als Versuchsschule gelten würden, nicht auszuwählen gewesen. Im Übrigen seien vorrangig Härtefälle, Geschwisterkinder von Schülern der Schule sowie solche Schüler zu berücksichtigen gewesen, die in geringerer Entfernung zur Schule wohnten.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben, da die vorrangige Auswahl von Geschwisterkindern, die in größerer Entfernung von der Schule als der Sohn der Antragsteller wohnten, mit der Vorschrift zur Auswahl der Schüler bei ausgeschöpfter Kapazität der anmeldenden Schule (§ 42 Abs. 4 HmbSG) nicht zu vereinbaren sei.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Auswahlverfahren für den Antragsteller richtet sich für 50% der in die Jahrgangsstufe der Gesamtschule Harburg aufzunehmenden Schüler nach § 42 Abs. 4 HmbSG und nicht nach § 10 HmbSG. Es kann dahinstehen, ob die Gesamtschule Harburg zutreffend rechtlich als Versuchsschule i. S. des § 10 Abs. 1 HmbSG einzuordnen ist, oder die besondere kulturelle Prägung der Schule nur ein akzentuiertes Schulprofil darstellt, dem Erprobungscharakter nicht zukommt. Denn die Vorschrift des § 10 Abs. 3 HmbSG schließt die Anwendung des § 42 HmbSG über die Aufnahme in die gewählte Schule, anders als bei dem Wusch auf Teilnahme an einem Schulversuch in einer gesonderten Klasse der Wunschschule (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 27.7.2005, 1 Bs 205/05), nicht generell aus.

Anders als bei einem auf eine einzelne Klasse bezogenen Schulversuch kann bei der Einrichtung einer Versuchsschule, die regelmäßig nicht nur für kurze Zeit eingerichtet wird, berechtigt erwartet werden, dass sie für die aufzunehmenden Kinder von prägendem Einfluss auf ihren Lebens- oder Bildungsweg sein wird. Dies unterscheidet die Versuchsschule von einem (temporären) Schulversuch in einzelnen Klassen einer Schule. Das in § 42 HmbSG geschützte Wunsch- und Wahlrecht der Eltern und das darin statuierte Prinzip, Schülern altersangemessene Schulwege zu ermöglichen, ist durch die Regelungen des § 10 HmbSG für Versuchsschulen weder ausdrücklich noch inzident ersetzt oder ausgeschlossen worden. Die Anwendung beider Vorschriften schließt sich nicht aus. Sie ist nebeneinander derart möglich, dass sich der aus § 42 Abs. 4 HmbSG ergebende Aufnahmeanspruch in die Wunschschule, der nicht von vornherein auf ein Recht auf ermessenfehlerfreie Auswahl beschränkt ist, durch besondere Regelungen wie die des § 10 Abs. 3 Satz 2 HmbSG über das Versuchsprogramm begrenzt werden kann, soweit diese aus dem Versuchsprogramm hergeleitet werden können (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 29.8.2005, 1 Bs 258/05).

2. Aus dem genehmigten Versuchsprogramm der Gesamtschule Harburg kann nicht hergeleitet werden, dass Geschwisterkinder von Schülern der Schule bevorzugt bei der Auswahl der in die Jahrgangsstufe 5 aufzunehmenden Schüler berücksichtigt werden sollen. Denn das Versuchsprogramm weist nur für 50 % der in die Klassen im Jahrgang 5 aufzunehmenden Schüler aus, dass die Aufnahme aufgrund besonderer Auswahlkriterien erfolgen soll, da die Auswahl der Schülerschaft ausschließlich nach Elternwunsch und sodann örtlicher Nähe "nicht notwendig zu einer entsprechend den obigen Zielen gewünschten Zusammensetzung der Schülerschaft" führe. Das damit bezweckte Ziel, in den Klassen eine "Kerngruppe von Schülern mit Vorbildfunktion" und damit ein "genügend hohes Anregungsniveau" für alle Schüler zu schaffen, um damit die Leistungen aller Schüler zu verbessern, soll durch die "Parameter der besonderen Aufnahmeregeln" erreicht werden. Die darüber hinaus unter der Überschrift "Kriterien und Verfahren" aufgeführte vorrangige Berücksichtigung von Geschwisterkindern im Rahmen der Gruppe der Schüler, die nicht nach dem besonderen Aufnahmeverfahren ausgewählt werden, bezieht sich nicht auf das Versuchsprogramm und kann daraus auch nicht hergeleitet werden. Denn ein Geschwisterkind kann zwar auch die Parameter der besonderen Aufnahmeregeln erfüllen. Dies ist dann aber nicht auf die Eigenschaft als Geschwisterkind eines Schülers der Schule zurückzuführen. Die vorrangige Berücksichtigung von Geschwisterkindern ist folglich nicht als eine Begrenzung der Auswahlkriterien des § 42 Abs. 4 HmbSG aufgrund von § 10 Abs. 3 HmbSG zu verstehen, sondern mit der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht im Rahmen der Auslegung des das Ermessen bindenden Merkmals "altersangemessener Schulweg" des § 42 Abs. 4 HmbSG zu werten.

3. Der demnach zutreffend vom Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin zu Grunde gelegte § 42 Abs. 4 HmbSG führt zu einem Anspruch der Antragsteller auf Aufnahme ihres Kindes in die Jahrgangsstufe 5 der Gesamtschule Harburg. Denn anders als die Antragsgegnerin meint, führt die Auslegung der Vorschrift nicht dazu, dass Geschwisterkinder im Rahmen der Entscheidung nach § 42 Abs. 4 HmbSG vorrangig berücksichtigt werden können. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Fassung der Vorschrift ausgeführt, dass der Gesetzgeber, wie es auch im Wortlaut der Vorschrift durch die Verwendung des Wortes "maßgeblich" angelegt ist, neben den geäußerten Wünschen der Eltern als Auswahlkriterium die Ermöglichung eines altersangemessenen Schulweges berücksichtigt wissen wollte und damit "- wie schon nach der bisherigen Verwaltungspraxis - die Länge des Schulwegs der aufzunehmenden und umzulenkenden Schülerinnen und Schüler" meinte (BüDrs. 18/1706 S. 13). Wenn die Antragsgegnerin darüber hinaus weitere Kriterien, wie den gemeinsamen Schulbesuch von Geschwisterkindern, bei der Auswahl berücksichtigen will, ist dies nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Gesetzes nicht ausgeschlossen. Nach der eindeutigen Intention des Gesetzgebers können derartige Gesichtspunkte bei der Auswahl "gleichrangig aufzunehmender Kinder gegebenenfalls berücksichtigt werde" (BüDrs. 18/1706, a.a.O.). Daraus ergibt sich deutlich, dass die historische Auslegung der Vorschrift die Annahme des Verwaltungsgerichts bestätigt. Bei erschöpften Kapazitäten darf die Auswahl der Schüler gegenüber dem Maßstab eines altersangemessenen Schulweges und damit dessen Länge nicht vorrangig unter dem Gesichtspunkt erfolgen, dass bereits Geschwisterkinder die Schule besuchen. Allenfalls bei etwa gleichlangen Schulwegen und damit gleichrangig zu berücksichtigenden Kindern kann als weiteres Auswahlkriterium der gemeinsame Schulbesuch von Geschwisterkindern ausschlaggebend herangezogen werden.

4. Zutreffend und von der Antragsgegnerin nicht angegriffen, hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Antragsgegnerin bei Beachtung dieser Grundsätze sieben Kinder, die einen längeren Schulweg als der Sohn der Antragsteller haben, außerhalb des besonderen Aufnahmeverfahrens in die Jahrgangsstufe 5 der Gesamtschule Harburg zu Unrecht bei der Auswahl vorgezogen hat, da ihre Geschwister bereits auf die gewünschte Schule, gehen. Damit ist § 42 Abs. 4 Satz 3 HmbSG verletzt. Die Antragsteller können die vorläufige Aufnahme ihres Sohnes verlangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und hinsichtlich der Abänderung der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 GKG.

Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass der Streitwert der Hauptsache mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG zu bemessen wäre. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat jedoch der Auffassung, dass mit einer positiven Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache nicht weitgehend vorweggenommen worden ist. Denn auch wenn dem Antrag der Antragsteller stattgegeben worden ist, ist die Antragsgegnerin bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht gehindert, aus schulorganisatorischen Gründen (§ 42 Abs. 4 HmbSG) den Sohn der Antragsteller in eine gleiche Klasse einer anderen gleichartigen Schule umzuschulen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 24.10.2005, 1 So 150/05, v. 17.8.2006, 1 So 116/06).



Ende der Entscheidung

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