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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.04.2009
Aktenzeichen: 2 Bs 40/09
Rechtsgebiete: BauGB, Landhausverordnung
Vorschriften:
BauGB § 172 Abs. 1 | |
Landhausverordnung vom 8. Januar 1934 |
2. Die Regelungen der Verordnung über die landhausmäßige und halblandhausmäßige Bebauung im Stadtteil Bergedorf vom 8. Januar 1934 (HmbBL I 21300-e - Landhausverordnung - ) sind - soweit sie neben den Festsetzungen des Baustufenplans weiterhin anwendbar sind - aus sich heraus nicht nachbarschützend.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch den Richter Dr. Ungerbieler und die Richterinnen Haase und Sternal am 15. April 2009 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, führt in der Sache jedoch nicht zum Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern und dem Antragsteller nach §§ 80 a, 80 Abs. 5 VwGO vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 7. Juli 2008 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung von zwei Stadtvillen mit acht Wohneinheiten sowie einer Carportanlage mit zwölf Stellplätzen zu gewähren. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die angefochtene Baugenehmigung nachbarschützende Vorschriften nicht verletzt und deshalb dem Interesse der Beigeladenen an der unverzüglichen Verwirklichung ihres Vorhabens gegenüber dem Interesse des Antragstellers, der Vorrang gebührt, die Schaffung vollendeter Tatsachen einstweilen zu verhindern.
1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers lassen sich aus der Verordnung über landhausmäßige und halblandhausmäßige Bebauung im Stadtteil Bergedorf vom 8. Januar 1934 (HmbBL I 21300-e; im Folgenden: Landhausverordnung) keine Abwehrrechte gegen das Vorhaben herleiten. Dabei ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der für das Gebiet geltende Baustufenplan Bergedorf vom 5. Februar 1957 die Regelungen der Landhausverordnung nicht zu seinem Inhalt gemacht, sondern nur nachrichtlich übernommen hat. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus der Zeichenerklärung des Baustufenplans, die ausdrücklich zwischen der "Darstellung der Baustufen" und den bloßen "Hinweise(n) zur Beachtung von Besonderheiten" unterscheidet und das für "landhausmäßige Bebauung laut Landhausverordnung vom 8.1.34" stehende Kürzel "W 2 (L)" auf rötlichem Grund den Hinweisen zuordnet. Schon aus diesem Grunde kann nicht angenommen werden, der Baustufenplan setze für die Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen sowie deren Umgebung - mit kraft Bundesrechts nachbarschützender Wirkung - als Art der baulichen Nutzung ein "Landhausgebiet" fest. Die Baugebietsausweisung beschränkt sich vielmehr auf die Festsetzung eines Wohngebiets nach § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" BPVO, mit der das Vorhaben der Beigeladenen im Einklang steht.
Die Regelungen der Landhausverordnung sind - soweit sie neben den Festsetzungen des Baustufenplans weiterhin anwendbar und hier einschlägig sind - auch nicht aus sich heraus nachbarschützend. Die Verordnung dient mit Rücksicht auf ihre städtebauliche Ordnungsfunktion für das in ihren Geltungsbereich einbezogene Gebiet zunächst nur öffentlichen Interessen. Dies gilt auch und gerade für die von dem Antragsteller als verletzt angesehenen Vorschriften über den Landhauscharakter und die Geschossigkeit der Gebäude (Unterabschnitt II Nr. 1 der Landhausverordnung), die bebaubare Grundfläche (Unterabschnitt III Nr. 2 der Landhausverordnung) und die Bauweise (Unterabschnitt III Nr. 3 der Landhausverordnung). Soweit sich der Antragsteller auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. Beschl. v. 23.6.1995, NVwZ 1995, 170) zum Gebietserhaltungsanspruch des Nachbarn und die ihr zugrunde liegenden Erwägungen beruft, führt dieser Hinweis nicht weiter. Denn die Rechtsprechung betrifft ausschließlich Abweichungen von den Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung und stellt klar, dass die Grundstückseigentümer durch sonstige Festsetzungen, namentlich solche über das Maß der baulichen Nutzung, gerade nicht in vergleichbarer, per se Nachbarschutz gebietender Weise zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden werden. Ob die Landhausverordnung über ihre städtebauliche Ordnungsfunktion hinaus nachbarschützenden Charakter hat, muss dementsprechend für ihre jeweiligen Regelungen durch Auslegung ermittelt werden. Vorliegend spricht bereits das Alter der Verordnung gegen die Absicht nachbarschützender Regelungen. Wie das Beschwerdegericht für Bebauungspläne aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wiederholt entscheiden hat, ist nach dem Stand der damaligen rechtlichen Entwicklung die Zuerkennung von Nachbarschutz regelmäßig nicht zu erwarten (vgl. nur OVG Hamburg, Beschl. v. 6.6.2007, 2 Bs 97/07, m.w.N.). Für die bereits aus dem Jahre 1934 stammende Landhausverordnung kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Soweit in Abschnitt III Nr. 1 Satz 2 der Landhausverordnung die "Nachbarschaft" angesprochen wird, kann dahinstehen, ob sich hieraus eine drittschützende Wirkung herleiten lässt. Denn jedenfalls könnte ein durch die Vorschrift vermittelter Nachbarschutz nicht weiter reichen als der Regelungsgehalt der Vorschrift selbst. Diese betrifft ausschließlich das Verbot der Errichtung von Fabrik- und Werkstattgebäuden, Groß-Viehställen, gewerblichen Betriebs- und Lagerräumen und von solchen Anlagen, welche durch Dunst, starken Rauch oder ungewöhnliches Geräusch die Nachbarschaft belästigen, und gibt daher für den vorliegenden Fall nichts her. Sonstige Anhaltspunkte für die Zuerkennung von Nachbarschutz legt der Antragsteller nicht dar und sind auch nicht ersichtlich. Selbst wenn das Vorhaben der Beigeladenen gegen die Landhausverordnung verstoßen sollte, wofür der Antragsteller durchaus gute Gründe anführt, könnte dies seinem Begehren deshalb nicht zum Erfolg verhelfen.
2. Ebenso wenig kann der Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen in Bergedorf (Bergedorfer Villengebiet) vom 7. Juli 1998 (HmbGVBl. S. 130; im Folgenden: Erhaltungsverordnung) eine nachbarschützende Wirkung beigemessen werden. Die auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gestützte Erhaltungsverordnung dient - wie der Wortlaut der genannten Vorschrift und des § 172 Abs. 3 BauGB sowie der Verordnung selbst belegen - allein städtebaulichen und damit öffentlichen Interessen und vermittelt den Eigentümern von im Geltungsbereich der Verordnung gelegenen Grundstücken keine Abwehrrechte gegen benachbarte Vorhaben (vgl. zu im Wesentlichen gleichlautenden Erhaltungsverordnungen bereits OVG Hamburg, Beschl. v. 22.5.2002, 2 Bs 159/02 und v. 17.9.1997, OVG Bs II 29/97; vgl. ferner OVG Greifswald, Urt. v. 14.12.2000, NordÖR 2001, 213; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2008, § 172 Rn. 214). Ein wechselseitiges Austauschverhältnis und eine rechtliche Schicksalsgemeinschaft der Betroffenen vermag die Erhaltungsverordnung entgegen der Auffassung des Antragstellers schon deshalb nicht zu begründen, weil sie keine konkreten Festsetzungen enthält, welche die Eigentümer in der Nutzung ihrer Grundstücke beschränken. Sie bestimmt lediglich das Erhaltungsgebiet und das Erhaltungsziel bzw. den Grund der Festlegung und wiederholt im Übrigen deklaratorisch das Genehmigungserfordernis und die Versagungsgründe des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 BauGB.
3. Die Beschwerdebegründung lässt auch nicht erkennen, dass das Vorhaben der Beigeladenen gegen das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstößt. Wie der Antragsteller selbst nicht verkennt, scheidet eine Verletzung dieses Gebots wegen einer Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung oder Besonnung oder wegen entstehender Einsichtsmöglichkeiten in der Regel aus, wenn die bauordnungsrechtlich nach § 6 HBauO erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2007, NordÖR 2008, 73, m.w.N.). Davon ist hier aufgrund der aus den genehmigten Bauvorlagen ersichtlichen Maße auszugehen. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass auf der Westseite des Hauses A im Eingangsbereich ein 1,70 m tiefes Podest errichtet werden solle, vermag dieses Vorbringen die Einhaltung der Abstandsfläche nicht in Frage zu stellen. Denn die Bauvorlagen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass die Antragsgegnerin insoweit eine Konstruktion genehmigt hätte, die mehr als nur ein untergeordnetes Bauteil darstellt. Untergeordnete Bauteile bleiben bei der Bemessung der Abstandfläche gemäß § 6 Abs. 6 Nr. 1 HBauO außer Betracht. Auch der Antragsteller scheint dies letztlich nicht anders zu sehen, da er in seiner Beschwerdebegründung an anderer Stelle selbst davon ausgeht, dass der nachbarschützende Mindestgrenzabstand des § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HBauO von 2,50 m gewahrt ist, was bei einer Tiefe von 1,70 m nicht der Fall wäre, wenn die Bauausführung für die Abstandsfläche von Bedeutung wäre. Ebenso wenig verfängt der Einwand des Antragstellers, dass die Beigeladene auf der Westseite des Grundstücks den Ist-Zustand gemäß Lage- und Höhenplan vom 1. März 2007 (Vorlage Nr. 10/16) mit Beginn der Bauarbeiten verändert habe. Für die hier in Rede stehende Frage einer Verletzung von Rechten des Antragstellers durch die angefochtene Baugenehmigung kommt es allein auf den genehmigten Zustand an. Abweichungen hiervon sind im vorliegenden Rechtsstreit ohne Belang.
Unabhängig hiervon ist aber auch nicht der Auffassung des Antragstellers zu folgen, dass bereits jede Unterschreitung der bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandstandsfläche zu einer Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots führe. Ebenso wenig wie die Einhaltung der Abstandsflächen es ausschließt, nach den Umständen des Einzelfalles gleichwohl einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot festzustellen, bedeutet umgekehrt nicht schon jede Unterschreitung der Abstandsflächen zwangsläufig eine Verletzung dieses Gebots. Vielmehr ist auch dann eine Abwägung vorzunehmen, bei der die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigungen und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind. Hier beträgt die Unterschreitung der maßgeblichen Abstandsfläche von 0,4 H auch nach den Berechnungen des Antragstellers allenfalls 5 bis 10 cm (2,655 bzw. 2,605 m statt 2,692 m) und würde nichts daran ändern, dass das Verwaltungsgericht das Vorhaben der Beigeladenen zu Recht als nicht rücksichtslos bewertet hat.
Der Baukörper wird zwar die Belichtung und Besonnung insbesondere der auf der Ostseite gelegenen Souterrainwohnung im Hause des Antragstellers beeinträchtigen. Dies ist vom Antragsteller jedoch hinzunehmen. Das Rücksichtnahmegebot gewährleistet weder eine bestimmte Dauer oder "Qualität" der natürlichen Belichtung und Besonnung noch die unveränderte Beibehaltung einer insoweit zuvor gegebenen vorteilhaften Situation. Dass sich ein benachbartes Gebäude auf die Belichtung und Besonnung einer Souterrainwohnung nachteiliger auswirkt als auf höher gelegene Wohnungen, liegt in der Natur der Sache und rechtfertigt nicht, von der Beigeladenen bei der Bebauung ihres Grundstücks ein Mehr an Rücksichtsnahme zu verlangen. Das gilt hier umso mehr, als das westlich mit einem Grenzabstand von etwa 3 m errichtete Gebäude des Antragstellers um einiges höher als das Vorhaben der Beigeladenen sein dürfte und sich deshalb auf dessen Belichtung und Besonnung ebenfalls nachteilig auswirken wird. Ebenso wenig lassen die vom Antragsteller beklagten Einsichtsmöglichkeiten das Vorhaben als rücksichtslos erscheinen. Einblicksmöglichkeiten von Nachbargrundstücken in Gärten, Terrassen und Fenster sind unter den Bedingungen der sich in einer Großstadt notwendigerweise verdichtenden Bebauung nicht zu vermeiden und damit eine grundsätzlich hinzunehmende Selbstverständlichkeit. Erst wenn die Einsichtsmöglichkeiten ein unübliches Maß erreichen, sind sie als rücksichtslos zu bewerten (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2007, a.a.O., sowie st. Rspr.). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Der Umstand, dass auf der Westseite des Hauses A gegenüber den Souterrain- und Erdgeschossfenstern im Gebäude des Antragstellers ein Eingang nebst Zuwegung geplant ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn hierdurch wird lediglich die Erdgeschosswohnung im Haus A erschlossen, so dass nur wenige Personen den Eingang benutzen werden und Einblick in die Fenster werden nehmen können.
Auch die Carportanlage für zwölf Fahrzeuge auf dem rückwärtigen Teil der beiden mittleren Flurstücke kann entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht als zu seinen Lasten rücksichtslos bewertet werden. Die Stellplätze dienen der Deckung des durch die acht Wohneinheiten verursachten Bedarfs. Ihre Immissionen sind daher die - auch für Villengebiete - typische Folge der Wohnnutzung und als solche hinzunehmen. Zudem soll die Carportanlage in einer Entfernung von mindestens 12 m zur Grundstücksgrenze des Antragstellers errichtet werden. Dazwischen liegt der Garten des Hauses A. Die Zufahrt wird zwischen den Gebäuden A und B verlaufen, so dass das Grundstück des Antragstellers durch das Gebäude A zu einem guten Teil gegenüber den An- und Abfahrtsgeräuschen abgeschirmt werden wird. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass durch die Carportanlage erstmals Lärm und Abgase in eine bis dahin von Kraftfahrzeugen unberührte begrünte Ruhezone hineingetragen werden. Vielmehr ist der rückwärtige Grundstücksbereich durch die Stellplatzanlage des vorgeprägt. Soweit sich der Antragsteller schließlich auf das Urteil des Beschwerdegerichts vom 30. April 2008 (NordÖR 2008, 404) beruft, ergibt sich keine andere Beurteilung. Diese Entscheidung betrifft eine Stellplatzanlage in einem innerstädtischen von Geschosswohnungsbau umgebenen Blockinnenbereich und damit einen Sachverhalt, der mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist.
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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