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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.01.2004
Aktenzeichen: 1 Bf 450/03
Rechtsgebiete: BGB, VwVfG


Vorschriften:

BGB § 123
VwVfG § 62
Ein gerichtlicher Vergleich kann wegen arglistiger Täuschung angefochten werden, wenn der Getäuschte den Vergleich ohne die Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Insoweit ist ohne Belang, ob sich die Täuschung auf die streitigen und ungewissen Punkte oder eine andere als feststehend angenommene und für den Vergleich relevante Tatsache bezog. Der erforderliche Kausalzusammenhang ist zu bejahen, wenn die getäuschte Partei nur mit einer Täuschung in einem bestimmten Umfang rechnete, die Täuschung aber wesentlich weiter ging.
1 Bf 450/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Dr. Raecke und E.-O. Schulz am 13. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. Mai 2003 zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens nach einem Streitwert von 4.000,-- Euro.

Gründe:

Die Berufung ist nicht aufgrund des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die vom Kläger dargelegten Gründe ergeben keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, mit der sich der Kläger gegen den Widerruf seiner unbefristet erteilten Aufenthaltserlaubnis wendet, zu Recht abgewiesen.

Im Urteil wird eingehend begründet, dass die Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (Erlöschen der Asylberechtigung gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG) hier gegeben seien, die Beklagte von dem ihr zustehenden Widerrufsermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht habe und dem Widerruf auch keine sonstigen Gründe entgegenstünden. Das gelte auch für den im Widerspruchsverfahren mit dem Bezirksamt Wandsbek am 19. September 2000 geschlossenen Vergleich, da dieser aufgrund der wegen arglistiger Täuschung ausgesprochenen Anfechtung nichtig sei.

Der Zulassungsantrag wendet sich nur gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Nichtigkeit des Vergleichs. Der Kläger macht insoweit geltend, das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagte (gemeint ist das Bezirksamt) bei vollständiger Kenntnis der Sachlage den später angefochtenen Vergleich nicht abgeschlossen hätte. Bereits im Zeitpunkt des Vergleichs hätten Hinweise dafür vorgelegen, dass er, der Kläger, - der am 13. März 1996 wegen von ihm geltend gemachter homosexueller Veranlagung als asylberechtigt anerkannt worden ist - eine Reise in den Iran unternommen haben könnte. Trotz dieses Verdachts habe sich das Bezirksamt dazu entschlossen, der Übertragung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in den Nationalpass des Klägers zuzustimmen und die Angelegenheit damit auf sich beruhen zu lassen. An dieser dem Vergleich zugrundeliegenden Situation habe sich auch später nichts geändert. Es bestünden zwar Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich 1999 im Iran aufgehalten haben könne, was von diesem aber nach wie vor bestritten werde und wofür es keine handfesten Beweise gebe. Im Übrigen sei der Umstand, dass am 17. August 1999 im Iran eine Eheschließung stattgefunden habe, an der der Kläger "zumindest mittelbar beteiligt gewesen sein könnte", der Beklagten in Gestalt der Zentralen Visa-Stelle zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vom Visaantrag der Ehefrau her bekannt gewesen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts spiele es keine entscheidende Rolle, ob diese Information das Bezirksamt Wandsbek erst zu einem späteren Zeitpunkt erreicht habe. Außerdem müsse angenommen werden, dass das Bezirksamt schon deshalb früher von der Eheschließung des Klägers Kenntnis erlangt habe, weil die Zentrale Visa-Stelle nach Eingang des Sichtvermerksantrags üblicherweise die Ausländerakte des in Deutschland lebenden Ehegatten des einreisewilligen Ausländers beim zuständigen Bezirksamt anfordere.

Mit diesem Vorbringen vermag der Kläger das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht zu erschüttern. Einer Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung nach der Vorschrift des § 123 BGB, die über § 62 Satz 2 HmbVwVfG hier anwendbar ist, steht nicht entgegen, dass das Bezirksamt Wandsbek beim Abschluss des Vergleichs wegen des beim Kläger am 22. August 1999 aufgefundenen Flugtickets für die Verbindung Teheran - Istambul - Hamburg mit der Möglichkeit rechnete, der Kläger könne seinerzeit eine Reise in den Iran unternommen haben. Für die Anfechtungsbefugnis nach § 123 BGB ist es nämlich nach ganz h.M. in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. BGH, Urt. v. 19.5.1999, NJW 1999 S. 2804 m.w.N.) ohne Belang, ob sich die Täuschung auf die Vergleichsgrundlage, also die streitigen und ungewissen Punkte, deren Beseitigung der Vergleich bezweckte, oder auf eine andere als feststehend angenommene für den Vergleich relevante Tatsache bezog.

Jede arglistige Täuschung ist Anfechtungsgrund nach § 123 BGB, sofern sie den Getäuschten zu dem Vergleich bestimmt hat, den er ohne die Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Danach ist der erforderliche Kausalzusammenhang schon dann zu bejahen, wenn die getäuschte Partei nur mit einer Täuschung in einem bestimmten Umfang gerechnet hat, sich später aber herausstellt, dass die Täuschung wesentlich weiter ging. Diese Voraussetzungen lagen hier vor, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Das Bezirksamt hielt zwar - wegen des Tickets - einen längerwährenden Aufenthalt des Klägers im Iran für möglich, wusste aber nicht, dass dieser im August 1999 im Iran sogar geheiratet und Behörden aufgesucht hat. Diese Umstände waren dem Bezirksamt vom Kläger arglistig verschwiegen worden. Der Senat teilt die entsprechende Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, der der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten ist, ebenso wie die Auffassung, dass das Bezirksamt Wandsbek bei Kenntnis der wahren Sachlage - auch im Hinblick auf das Asylvorbringen des Klägers - den Vergleich vom 19. September 2000 nicht abgeschlossen hätte.

Dem Kausalzusammenhang zwischen arglistigem Verschweigen und Vergleich steht ferner nicht entgegen, dass das Bezirksamt Wandsbek sich die früher erlangte Kenntnis des Einwohnerzentralamtes von der Heirat des Klägers im Iran zurechnen lassen müsste. Auch hierzu hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt, dass eine Wissenszurechnung im Verhältnis verschiedener Behörden zueinander, wie es hier vorliegt, ausscheidet. Der Kläger ist hierauf im Zulassungsantrag nicht näher eingegangen und hat auch sonst nichts dafür dargelegt, was seine entgegengesetzte Auffassung rechtfertigen könnte. Für die von ihm außerdem geäußerte Vermutung, das Bezirksamt habe wegen der Praxis der Zentralen Visa-Stelle schon früher Kenntnis von der Heirat im Iran haben müssen, fehlt es an jedem Anhaltspunkt, insbesondere auch in der Ausländerakte des Klägers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Wertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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